Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 123/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist am 00.00.1973 in Q. /Russland geboren. Sein Vater ist der am 00.00.1941geborene Herr Y. U. , seine Mutter die am 00.00.1943 geborene Frau M. U. , geb. U1. . Als Großeltern väterlicherseits sind der 1898 geborene Y. U. und die 1904 geborene M. U. , geb. T. angegeben. Im Antrag aus dem Jahr 2015 ist die Großmutter mit dem Vornamen M1. und dem Geburtsdatum 00.00.1911 vermerkt. Die Großeltern verstarben 1979 bzw. 1998.
3Der Kläger beantragte mit Datum vom 06.10.2003 beim Bundesverwaltungsamt (BVA) erstmals die Erteilung eines Aufnahmebscheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG). Er sei deutscher Volkszugehöriger. In seinem ersten Inlandspass sei die deutsche Nationalität eingetragen gewesen. Auch sein Vater und die Großmutter väterlicherseits seien deutsche Volkszugehörige. Er habe im Elterhaus von Kind an Deutsch wie Russisch gesprochen. Deutsch sei ihm vom Vater, Verwandten und in der Schule vermittelt worden. Heute spreche er selten Deutsch und häufig Russisch. Er verstehe jedoch auf Deutsch alles und seine Sprachfertigkeiten reichten für ein einfaches Gespräch aus. Als einzubeziehende Personen waren im Antrag die damalige Ehefrau P. U. , geb. 00.00.1975 sowie die Tochter O. U. , geb. 00.00.2000, angegeben.
4Der Kläger unterzog sich am 14.07.2004 im Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Nowosibirsk einem Sprachtest. Dort wurde eine Vermittlung der deutschen Sprache im Elternhaus verneint. Die Sprachtesterin kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger lediglich über sehr geringe bzw. keine deutschen Sprachkenntnisse verfüge.
5Mit Bescheid vom 28.03.2007 lehnte das BVA den Aufnahmeantrag des Klägers ab. Der Kläger sei nicht deutscher Volkszugehöriger, weil er nicht von deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstamme. Die deutsche Volkszugehörigkeit des Vaters habe nicht festgestellt werden können. Die Mutter sei russosche Volkszugehörige. Überdies habe man die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache nicht feststellen können. Ausweislich des Auslandsrückscheins ging der Bescheid dem Kläger am 10.04.2007 zu. Widerspruch wurde nicht erhoben.
6Unter dem 18.09.2015 übersandte der Kläger durch einen im Bundesgebiet lebenden Cousin ein weiteres ausgefülltes Antragsformular.
7Mit Bescheid vom 11.04.2017 deutete das BVA dies als Antrag auf ein Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Aufnahmeverfahrens und lehnte den so verstandenen Antrag ab. Eine Änderung der Rechtslage zugunsten des Klägers sei nicht erfolgt, weil die Änderungen das Merkmal „Abstammung“ von einem deutschen Volkszugehörigen unberührt gelassen hätten.
8Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und verwies auf die Änderung zu den Voraussetzungen des Merkmals „Sprache“. Hinsichtlich des Merkmals „Abstammung“ sei der Ablehnungsbescheid fehlerhaft und könne jedenfalls im Ermessenswege aufgehoben werden.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2017 wies das BVA den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und bekräftigte die Begründung des Ablehnungsbescheides.
10Der Kläger hat am 05.01.2018 Klage erhoben.
11Mit Beschluss vom 06.08.2018 hat das Gericht auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens mit Blick auf das anhägige Verfahren des Vaters des Klägers (7 K 4644/18) angeordnet. Nach Klageabweisung erster Instanz erteilte das BVA dem Vater des Klägers während des Verfahrens auf Zulassung der Berufung einen Aufnahmebescheid. Der Vater des Klägers nahm daraufhin die Klage am 13.08.2020 zurück. Der Einstellungsbeschluss des OVG NRW datiert vom 14.08.2020 (11 A 1532/19).
12Nach Aufhebung des Beschlusses über das Ruhen des Verfahrens begründet der Kläger die vorliegende Klage damit, dass mit der Erteilung des Aufnahmebescheides an den Vater auch seine Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen feststehe. Hierdurch sei auch eine Änderung der Sachlage eingetreten. Zumindest könne eine Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen im Sinne eines generationsübergreifenden Abstammungsbegriffs nunmehr von der Großmutter mütterlicherseits abgeleitet werden.
13Der Kläger beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 11.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2017 zu verpflichten, das Verwaltungsverfahrens wiederaufzugreifen und ihm einen Aufnahmebscheid nach dem BVFG zu erteilen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Durch die Erteilung eines Aufnahmebescheides an den Vater des Klägers sei keine Änderung der Sachlage zugunsten des Klägers eingetreten, weil sich die für die Bestimmung der Abstammung erforderlichen Umstände nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Aufnahmebewerbers bestimmten, die späteren Änderungen nicht mehr zugänglich seien.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BVA (3 Bände) Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des BVA vom 11.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Aufnahmeverfahrens und Erteilung eines Aufnahmebescheides.
21Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung und Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat.
22Dies ist nicht der Fall. Denn eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen liegt vor, wenn sich die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Rechtsnormen oder tatsächlichen Grundlagen geändert haben, sodass die Änderung eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder doch ermöglicht. Die Sach- oder Rechtslage muss sich hinsichtlich solcher Umstände geändert haben, die für den bestandskräftigen Verwaltungsakt tatsächlich maßgeblich waren. Nicht ausreichend ist die Änderung tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen für den mit der Verpflichtungsklage erstrebten Verwaltungsakt, die für die bestandskräftige Ablehnung nicht (allein) ausschlaggebend waren. Ist ein Verwaltungsakt – wie hier der Ablehnungsbescheid vom 28.03.2007 – auf mehrere selbständig tragende Ablehnungsgründe gestützt, liegt eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- bzw. Rechtlage nur dann vor, wenn sie sich auf alle Ablehnungsgründe auswirkt. Denn hinsichtlich eines nicht von Wiederaufnahmegründen betroffenen Ablehnungsgrundes bleibt die Bestandskraft des ablehnenden Bescheides erhalten und steht einer neuen Sachentscheidung entgegen,
23vgl. vgl. BVerwG, Urteil vom 20. 11. 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn. 13 und Urteil vom 20.11.2018 - 1 C 25/17 -, juris, Rn. 18.
24Der Ablehnungsbescheid vom 28.03.2007 war auch auf die nach seinerzeitiger Auffassung des BVA fehlende Abstammung von zumindest einem deutschen Volkszugehörigen gestützt. Angesprochen war damit der Vater, dessen deutsche Volkszugehörigkeit nicht festgestellt werden konnte, was zur Ablehnung des Aufnahmeantrages führte. Es unterliegt keinem durchgreifenden Zweifel, dass damit eine Entscheidung über das Tatbestandsmerkmal „Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen“ getroffen war.
25Eine Änderung der Rechtslage ist durch das am 14. September 2013 in Kraft getretene 10. BVFG-Änderungsgesetz (BGBl. I S. 3554) liegt im Hinblick auf das den Bescheid (auch) tragende Abstammungsmerkmal nicht eingetreten. Die mit dem Änderungsgesetz erfolgten Erleichterungen der Anforderungen an das Bekenntnis des Aufnahmebewerbers zum deutschen Volkstum und an die Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse ließen das Merkmal der Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen oder deutschen Staatsangehörigen unberührt.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 - 1 C 43/18 -, juris, Rn. 16 und Urteil vom 20.11.2018 - 1 C 24.17 - Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 17.01.2019 - 11 A 1863/17 -; VG Köln, Urteil vom 10.07.2018 - 7 K 12955/17 -, juris, Rn. 43.
27Denn das 10. Änderungsgesetz hat im Hinblick auf diese Frage keine Neuregelung getroffen. Dies bedeutet, dass es hinsichtlich des Merkmals der Abstammung des Aufnahmebewerbers von einem deutschen Volkszugehörigen oder Staatsangehörigen keine Änderung der Rechtslage durch nachfolgende Gesetze geben kann, die die Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit des Aufnahmebewerbers für die Zukunft modifizieren. Deshalb kommt es vorliegend auch nicht darauf an, ob eine der Abstammungspersonen die Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit nach § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des 10. Änderungsgesetzes erfüllen würde. Eine zum Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens führende Änderung der Rechtslage kann dabei auch nicht aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.10.2019 abgeleitet werden. Die Erkenntnis, dass sich die Bewertung der Abstammung nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Aufnahmebewerbers richtet, bedeutet die erstmalige Klärung einer bis dahin zumeist nicht problematischen und deshalb ungeklärten Rechtsfrage. Die erstmalige Beantwortung einer ungeklärten Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung begründet ebenso wie die Änderung dieser Rechtsprechung regelmäßig keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Ein Wiederaufgreifen eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes ist nur im Fall eines Wandels der normativen Bestimmung, nicht aber im Fall einer Änderung der Norminterpretation vorgesehen,
28vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2018 - 1 C 25/17 -, juris, Rn.17 und Urteil vom 13.12.2011 - 5 C 9.11 -, juris, Rn. 27.
29Andernfalls stünde jede bestandskräftige Verwaltungsentscheidung unter dem Vorbehalt späterer Änderung der Rechtsprechung.
30Das Bundesverwaltungsgericht knüpft für die Auslegung des Begriffs der „Abstammung“ in § 6 Abs. 2 BVFG und in § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG zunächst an das Merkmal der „Geburt“ an. Daraus leitet es ab, dass es für die Frage, ob jemand von deutschen Volkszugehörigen oder deutschen Staatsangehörigen abstamme, auch auf den Zeitpunkt der Geburt ankommen müsse. Dieses Ergebnis wurde unter Hinweis auf den Zweck der Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG bestätigt. Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG, die die Voraussetzungen für die Anerkennung des Spätaussiedlerstatus formuliert, bezwecke sicherzustellen, dass der Aufnahmebewerber seine Abstammung auf einen bei Kriegsende im Aussiedlungsgebiet lebenden und damit von den Vertreibungsmaßnahmen potentiell betroffenen deutschen Volkszugehörigen zurückführen könne. Es sei daher nur sinnvoll, dass die Volkszugehörigkeit dieser Bezugsperson nach den Kriterien des alten Rechts, das maßgeblich auf Umstände bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen abstelle, geprüft werde. Wenn das Bundesverwaltungsgericht aber den Wortlaut des Begriffs der „Abstammung“ mit seinem Bezug zum Merkmal der „Geburt“ und den Schutzzweck des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG zur Begründung der gefundenen Auslegung heranzieht, dann stellt es auf Regelungen ab, die seit dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 02.06.1993 (BGBl. I S. 829) am 02.01.1993 und der erstmaligen Definition der Personengruppe der „Spätaussiedler“ im BVFG bis heute unverändert geblieben sind. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, die Anknüpfung des Abstammungsmerkmals an die Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Antragstellers erweise sich „auch im Ergebnis als sachgerecht“, weil der geltende § 6 Abs. 2 BVFG auf die veränderte Situation der jetzigen Aufnahmebewerber zugeschnitten sei und nicht auf vorangegangene Generationen, die zumeist nicht selbst aussiedeln wollten und teilweise schon verstorben seien. Damit wird aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG das Abstammungsmerkmal verändert habe. Vielmehr wird im Gegenteil mit der Bezugnahme auf das 10. Änderungsgesetz nur die Auffassung bestätigt, dass gesetzliche Veränderungen der übrigen Anforderungen an Spätaussiedlerbewerber (Bekenntnis, Sprache) sich nicht auf das Abstammungsmerkmal auswirken können, weil Anpassungen an aktuelle Entwicklungen für längst in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte (Geburt des Aufnahmebewerbers) nicht sinnvoll sind. Tatsächlich hat das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung nochmals betont, dass sich mit dem 10. Änderungsgesetz an dem Tatbestandsmerkmal der Abstammung nichts geändert habe,
31vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 - 1 C 43/18 -, juris, Rn. 16.
32Das Inkrafttreten des 10. Änderungsgesetzes hat somit zwar die Frage aufgeworfen, ob die erleichterten Voraussetzungen für Bekenntnis und Sprache auch für Abstammungspersonen gelten. Dies war aber letztlich nur der Anlass für die jetzt gefundene Rechtsauslegung des Abstammungsmerkmals, ohne dass der Gesetzgeber die Anforderungen an die Abstammungsperson ändern wollte oder geändert hat. Für die Annahme einer Änderung des Abstammungsmerkmals geben weder der Wortlaut, noch der Sinn und Zweck der Neuregelung noch die Gesetzgebungsgeschichte einen Anlass,
33vgl. VG Köln, Urteil vom 10.07.2018 - 7 K 12955/17 -, juris, Rn. 43 und Urteil vom 03.03.2020 - 7 K 5609 -.
34Eine Änderung der Rechtslage kann auch nicht im Hinblick darauf geltend gemacht werden, dass hinsichtlich der Abstammung nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - auch auf die Großelterngeneration zurückgegriffen werden kann und nunmehr auch ein generationsübergreifender Abstammungsbegriff zugrunde gelegt wird, der grundsätzlich auch eine Abstammung von einem deutschen Urgroßelternteil genügen lässt. Die erstmalige Klärung einer Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bedeutet auch insoweit keine Änderung der Rechtslage i. S. v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG,
35vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 17.01.2019 - 11 A 1863/17 -.
36Andere Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 VwVfG kann der Kläger nicht geltend machen. Die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheides an den Vater führt nicht zu einer Änderung der Sachlage zugunsten des Klägers. Eine Änderung der Sachlage tritt nur ein, wenn Tatsachen, die im Zeitpunkt des Erlasses des früheren Verwaltungsakts vorlagen und für die behördliche Entscheidung objektivbedeutsam waren, nachträglich wegfallen oder wenn neue, für die Entscheidung erhebliche Tatsachen nachträglich eintreten.
37Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Auflage 2019, § 51 Rn. 29; Engels, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG-Großkommentar, 2014, § 51 Rn. 30.
38Die nachträgliche Neubewertung der Volkszugehörigkeit des Vaters durch die Behörde beinhaltet aber keine Änderung von Tatsachen. Es handelte sich vielmehr um einen auf die Abstammung des Vaters bezogenen Subsumtionsvorgang, der bei diesem – anders als beim Kläger – durch den Umstand ermöglicht wurde, dass das Erstverfahren des Vaters nicht hatte bestandskräftig abgeschlossen werden können. Auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang zum Vater wird insoweit Bezug genommen (Beiakte 2).
39Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 i. V. m. den §§ 48, 49 VwVfG zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Behörde – auch wenn, wie hier, die in § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen – ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Sachentscheidung treffen. Insoweit besteht für den Betroffenen allerdings nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, gerichtet auf die nachträgliche Korrektur fehlerhafter Verwaltungsentscheidungen. Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist, was von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann „schlechthin unerträglich“, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei „schlechthin unerträglich“.
40Vgl. BVerwG, Urteile vom 20.11.2018 - 1 C 23.17 - , juris, Rn. 25 ff. und vom 1 3.12. 2011 - 5 C 9.11 -, juris, Rn. 29.
41Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinn abgelehnt hat.
42Für einen Verstoß gegen Treu und Glauben ist nichts ersichtlich. Der bestandskräftige Ablehnungsbescheid war auch nicht offensichtlich rechtswidrig, sondern vielmehr nach Maßgabe der seinerzeitigen Rechtslage und Rechtsauslegung rechtmäßig, da die Abstammung von zumindest einem volksdeutschen Elternteil nicht festgestellt werden konnte. Dies beruhte auf dem Umstand, dass seitens des BVA der Vater nicht als deutscher Volkszugehöriger festgestellt werden konnte, nachdem dieser beim Sprachtest 2004 selbst angegeben hatte, in seinem ersten Inlandspass mit türkischer Nationalität eingetragen gewesen zu sein, was durch eine entsprechende Eintragung in den Militärpass aus dem Jahre 1965 bestätigt wurde. Damit lag bei der Beurteilung des Abstammungsmerkmals kein offensichtlicher Rechtsfehler vor. Soweit das BVA seinerzeit davon ausging, dass nur die Elterngeneration zur Herleitung der Abstammung in Frage kommt, entsprach diese Auslegung der seinerzeitigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich auf die Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz stützen konnte (BT-Drucks 12/3212 S. 23),
43vgl. hierzu auch BVerwG, Urteile vom 20.11. 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn. 25 und vom 13.12.2011 - 5 C 9.11 -, juris, Rn. 30; OVG NRW, Beschluss vom 17.01.2019 - 11 A 1863/17- .
44Andere Gründe für eine Ermessensreduzierung auf eine Entscheidung für das Wiederaufgreifen des Verfahrens sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt die Aufrechterhaltung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Es ist zwar zutreffend, dass Aussiedlungsbewerber, die heute erstmalig einen Aufnahmeantrag stellen, einen leichteren Zugang zu einem Aufnahmebescheid haben als Antragsteller, die den Aufnahmeantrag vor dem Inkrafttreten des 10. Änderungsgesetzes im September 2013 gestellt haben. Diese Ungleichbehandlung beruht jedoch auf einem sachlichen Grund und verstößt daher nicht gegen Art.3 GG. Denn der Gesetzgeber wollte durch das 10. Änderungsgesetz den Veränderungen in den Aussiedlungsgebieten Rechnung tragen, insbesondere den nach Auflösung der Sowjetunion schwindenden Möglichkeiten eines Volkstumsbekenntnisses durch Eintragung der Nationalität in Personenstandsurkunden und den weiter abnehmenden Möglichkeiten einer familiären Sprachvermittlung,
45vgl. VG Köln, Urteil vom 08.01.2018 - 7 K 9518/17 - unter Hinweis auf Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Gesetzentwurf des Bundesrats, BT-Drs. 17/13937 vom 12.06.2013.
46Zwar profitieren von der Gesetzesänderung auch früher geborene Antragsteller, die sich noch in den Aussiedlungsgebieten befinden und von den oben genannten Veränderungen nicht in gleichem Ausmaß betroffen waren. Dies gilt jedoch nicht für Aufnahmebewerber, deren Aufnahmeantrag aus anderen Gründen bestandskräftig abgelehnt wurde und die wegen des Fehlens eines Wiederaufgreifensgrundes nicht in den Genuss der Erleichterungen des 10. Änderungsgesetzes kommen. Auch diese Ungleichbehandlung ist sachlich gerechtfertigt, weil der Aufnahmeantrag des Klägers nach den seinerzeitigen Vorgaben abgelehnt wurde und einer erneuten Entscheidung nunmehr die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides und damit der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegenstehen. Dies unterscheidet den Kläger von Antragstellern, die den Aufnahmeantrag nun erstmalig stellen oder die einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen ihres Aufnahmeverfahrens haben. Diese Ungleichbehandlung ist gerade eine Folge der Bestandskraft von Verwaltungsakten und nicht schlechthin unerträglich,
47vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2018 - 1 C 25.17 -, juris, Rn. 29 und Urteil der Kammer vom 03.03.2020 - 7 K 5609/17 -.
48Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine erneute ermessensfehlerhafte Entscheidung über seinen Antrag. Die Beklagte hat ihr Ermessen fehlerfrei zulasten des Klägers ausgeübt, indem sie dem Aspekt der Rechtssicherheit den Vorzug gegeben hat.
49Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
50Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
51Rechtsmittelbelehrung
52Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
53- 54
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
- 55
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 57
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
60Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
61Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
62Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
63Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
64Beschluss
65Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
665.000,00 Euro
67festgesetzt.
68Gründe
69Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 GKG).
70Rechtsmittelbelehrung
71Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
72Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
73Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
74Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
75Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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