Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 359/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Der Kläger ist am 00.00.1967 in Krasny Trudowik in der ehemaligen UdSSR geboren. Am 03.08.1994 reiste er als in den Aufnahmebescheid seiner Eltern, Herrn S. I. (*00.00.1938) und Frau E. I. (*00.00.1939) vom 16.12.1993 einbezogener Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 BVFG in die Bundesrepublik Deutschland ein. Unter dem 28.01.1992 hatte auch der Kläger beim Bundesverwaltungsamt (BVA) die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) beantragt. Im Formantrag ist angegeben, der Kläger verstehe die deutsche Sprache. Aktive Sprachkenntnisse wurden nicht behauptet. Der Kläger besuche einen Lehrgang, um die deutsche Sprache zu erlernen. Diesen Aufnahmeantrag hatte das BVA mit Bescheid vom 04.01.1994 abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der seinerzeit geltenden Fassung seien nicht erfüllt, weil er nicht aktiv Deutsch spreche. Die Zustellungsurkunde datiert vom 06.01.1994. Unter dem 22.03.1995 erhielt der Kläger seitens der Stadt Warstein eine Bescheinigung nach § 7 Abs. 2 BVFG.
3Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 17.03.2016 wandte sich der Kläger erneut an das BVA und begehrte die Aufnahme als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG. Hierbei bezog er sich auf die Neuregelungen durch das 10. BVFG-Änderungsgesetz.
4Mit Bescheid vom 26.11.2019 lehnte das BVA den Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung als Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 BVFG ab. Der Kläger könne sich nicht auf die Neuregelungen des 10. BVFG-Änderungsgesetzes berufen, weil er vor dessen Inkrafttreten eingereist sei
5Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und verwies auf die Herkunft von deutschen Volkszugehörigen und darauf, dass seiner Schwester eine Spätaussiedlerbescheinigung erteilt worden sei. Auf die Einreise vor Inkrafttreten des 10. BVFG-Änderungsgesetzes komme es nicht an. Die Nichtanwendung der Neuregelungen sei mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
6Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2019 wies das BVA den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Behörde bekräftigte ihre Auffassung, dass die Neuregelung auf solche Antragsteller nicht anwendbar sei, die bereits zuvor eingereist seien. Zudem verwies sie auf die Ablehnung der Erteilung eines Aufnahmebescheides durch den Bescheid vom 04.01.1994. Der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung stehe schon § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG entgegen.
7Der Kläger hat am 20.01.2020 Klage erhoben. Er wiederholt das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BVA vom 16.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.12.2019 zu verpflichten, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie vertieft ihre Ausführungen zu § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BVA (2 Bände) Bezug genommen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14Die Klage ist nicht begründet.
15Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. Die Ablehnung des hierauf gerichteten Antrags ist folglich rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinem Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16Der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung steht bereits die Ausschlussvorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG entgegen. Nach dieser am 01.01.2005 in Kraft getretenen Bestimmung kann eine Spätaussiedlerbescheinigung nur ausgestellt werden, wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheids beantragt und nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden ist. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG findet grundsätzlich auch auf Personen Anwendung, die - wie der Kläger - vor dem 01.01.2005 in das Bundesgebiet übergesiedelt sind,
17vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 1 C 21.16 -.
18Eine Ausnahme von dieser unechten Rückwirkung lässt das Bundesverwaltungsgericht aus Gründen des Vertrauensschutzes nur zu, wenn der in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson Einbezogene auf einen eigenen Aufnahmeantrag bzw. auf einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ihres Aufnahmeantrags verzichtet, um seinen Spätaussiedlerstatus zeitnah nach seiner Übersiedlung feststellen zu lassen. Zu diesem Personenkreis zählt der Kläger erkennbar nicht, da er sich nach der Einreise im Jahre 1994 mit der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG abgefunden und einen entsprechenden Anspruch erst nach fast 22-jährigem Aufenthalt in Deutschland geltend gemacht hat.
19Die Nichterteilung der begehrten Bescheinigung bedeutet auch keine gleichheitswidrige Benachteiligung gegenüber anderen Familienangehörigen. Die Voraussetzungen der Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG sind individuell zu prüfen. Einen wie auch immer gearteten Familienverbund gibt es insoweit nicht,
20Ohne dass es hierauf entscheidungstragend ankäme, liegen aber auch die Voraussetzungen der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nicht vor. Die Frage, ob eine Person die Voraussetzungen der Spätaussiedlereigenschaft nach §§ 4, 6 BVFG erfüllt, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise zum dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet. Das ergibt sich aus dem materiellen Recht. § 4 BVFG bestimmt sowohl die Voraussetzungen für den Erwerb des Spätaussiedlerstatus als auch den Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsvoraussetzungen vorliegen müssen, nämlich den Zeitpunkt der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland,
21vgl. BVerwG, Urteile vom 10.10.2018 - 1 C 26.17 - und vom 16.07.2015 - 1 C 29.14 -.
22Denn Spätaussiedler ist nach § 4 BVFG ein deutscher Volkszugehöriger, der die Aussiedlungsgebiete nach dem 31.12.1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat. Für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft des Klägers kommt es daher auf die bei seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1994 geltende Rechtslage an. Zu diesem Zeitpunkt galt das BVFG in der Fassung vom 02.06.1993 - BVFG 1993 -, das auch im Aufnahmeverfahren Anwendung gefunden hat. Spätaussiedler war danach ein deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG. Dies erforderte die Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen (Nr. 1), die Vermittlung bestätigender Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur (Nr. 2) und ein Bekenntnis des Antragstellers vor der Ausreise zum deutschen Volkstum (Nr. 3). Der Kläger hat zumindest die Vermittlung bestätigender Merkmale nach Nr. 2 der Vorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt der Einreise nicht darlegen können. Dies betrifft namentlich das bestätigende Merkmal „Sprache“. Fehlende aktive deutsche Sprachfertigkeiten waren bereits Grund für die Ablehnung des Aufnahmeantrages im Jahre 1994. Die Bewertung wurde durch die eigenen Angaben des Klägers im Aufnahmeantrag gestützt, wonach er Deutsch nur „verstehe“ und er einen Lehrgang besuche, um die deutsche Sprache zu verstehen. Es besteht damit kein Anhaltspunkt für die Annahme deutscher Sprachkenntnisse als wesentliches bestätigendes Merkmal im Sinne der seinerzeitigen Rechtslage. Die späteren materiellen Erleichterungen durch das 10. BVFG-Änderungsgesetz kommen dem Kläger aus den bereits erwähnten Gründen nicht zugute.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
24Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
25Rechtsmittelbelehrung
26Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
34Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
35Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
36Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
37Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
38Beschluss
39Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
405.000,00 Euro
41festgesetzt.
42Gründe
43Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 GKG).
44Rechtsmittelbelehrung
45Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
46Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
47Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
48Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
49Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- VwGO § 113 1x
- BVFG § 15 Bescheinigungen 9x
- BVFG § 6 Volkszugehörigkeit 3x
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- BVFG § 7 Grundsatz 2x
- BVFG § 4 Spätaussiedler 4x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 55a 1x