Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 2118/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist am 00.00.0000 in K. /L. (Ukraine) geboren. Er ist Zahntechniker von Beruf, ist mit Frau O. C. , geb. 00.00.0000, verheiratet und hat einen am 00.00.0000 geborenen Sohn, den am 00.00.0000 geborenen N. . Mit Datum vom 01.10.2018 beantragte er durch eine in Deutschland lebende Cousine als Bevollmächtige beim Bundesverwaltungsamt (BVA) erstmals die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG). Als sein Vater ist im Antrag der am 00.00.0000 geborene B. C. angegeben, der 2013 verstarb Der Vater habe die deutsche Sprache verstehen und sprechen können. Seine Mutter sei die am 00.00.0000 geborene Frau P. C. , geb. L1. . Angaben zur Volkszugehörigkeit enthielt der Antrag nicht. Im ersten Inlandspass sei der Kläger mit russischer Nationalität eingetragen gewesen. Der 1902 geborene Großvater sei 1939 vom NKWD festgenommen worden und sei seither vermisst. Der ältere Bruder S. sei 1938 wegen seiner nationalen Herkunft erschossen worden. Zwei Schwestern habe man nach Sibirien verschleppt. Während die auch die Schwester N1. vermisst sei, habe man die Schwester F. 1956 freigelassen. Sie habe einen deutschen Mann geheiratet und nach Deutschland ausgereist. Noch heute lebten ihre Nachkommen in Ulm. .
3Mit Bescheid vom 27.03.2019 lehnte das BVA den Aufnahmeantrag des Klägers ab. Der Kläger habe keinen Nachweis dafür erbracht, dass ein Großeltern- oder Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe oder sich im maßgeblichen Zeitpunkt Juni 1941 zur deutschen Nationalität bekannt und damit deutscher Volkszugehöriger im Sinne des Gesetzes gewesen sei. In der Original-Geburtsurkunde des Klägers seien beide Elternteile mit russischer Nationalität vermerkt. Einen geeigneten urkundlichen Nachweis für die behauptete deutsche Nationalität des Großvaters väterlicherseits habe der Kläger nicht vorgelegt. Zum Vater liege lediglich eine 2018 neu ausgestellte Geburtsurkunde vor, die den Großvater mit deutscher Nationalität vermerke. Zum Vater liege aber ein Schreiben des Archivamtes der Republik Nordossetien-Alanien vom 04.04.2018 vor, dass zum Vater kein Geburtseintrag aus kirchlichen oder staatlichen Archiven vorliege. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass die Angabe in der 2018 neu ausgestellten Geburtsurkunde nicht auf urkundlichen Belegen beruhe. Andere schriftliche Dokumente aus der Zeit vor 1990 zur Volkszugehörigkeit lägen nicht vor. Auch Repressalien gegen die Familie in der Zeit des Krieges seien nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr habe der in Mosdok geborene Vater während der gesamten Zeit des Zweiten Weltkrieges dort mit der Mutter unbehelligt leben können.
4Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. Der Großvater W1. C. sei unzweifelhaft deutscher Volkszugehöriger gewesen. Seine Brüder S1. und S. seien 1938-1943 wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit erschossen worden. Der Großvater selbst gelte ab 1940 als vermisst. Der Großvater des Klägers sei in der Geburtsurkunde des Vaters des Klägers mit deutscher Nationalität eingetragen gewesen. Die Eintragung der russischen Nationalität in der Geburtsurkunde des Klägers sei vorgenommen worden, um den Kläger vor Nachteilen zu bewahren. Erst durch einen Gerichtsbeschluss vom 17.12.2019 sei es dem Kläger gelungen, diesen Eintrag im Sinne einer deutschen Nationalität des Vaters zu ändern. Der Grund dafür, dass der Vater nicht zwangsumgesiedelt worden sei, liege in dem Umstand, dass er 1941 noch ein Kind gewesen sei.
5Mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2020 wies das BVA den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die deutsche Abstammung des Klägers sei weiterhin unbelegt. Der Großvater väterlicherseits falle schon deshalb als Abstammungsperson aus, weil er nicht die Stichtagsvoraussetzung des 08.05.1945 erfülle. Der Vater habe sich, wie aus der Geburtsurkunde des Klägers hervorgehe, offenkundig zum russischen Volkstum bekannt.
6Der Kläger hat am 30.04.2020 Klage erhoben. Er wiederholt seine Widerspruchsbegründung und beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 27.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2020 zu verpflichten, ihm einen Aufnahmebescheid nach dem BVFG zu erteilen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Der Kläger könne seine Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen nicht durch den Hinweis auf den Großvater väterlicherseits belegen, weil dieser nicht gemäß dem Urteil des BVerwG vom 29.10.2019 - 3 C 43.18 - erforderlichen Stichtagsvoraussetzungen erfülle. Dies gelte auch für den Vater des Klägers, da nicht dafür ersichtlich sei, dass er im Sinne der Rechtsprechung zum „bekenntnisunfähigen Frühgeborenen“ zum deutschen Volkstum hin geprägt worden sei. Da der Großvater ausweislich der Sterbeurkunde am 15.07.1940 verstorben sei, sei er zu einer solchen Prägung nicht mehr in der Lage gewesen.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des BVA Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Die Klage ist nicht begründet.
14Der Bescheid des BVA vom 27.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 BVFG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem BVFG.
15Rechtsgrundlage für die Erteilung eines Aufnahmebescheides sind die §§ 26 und 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Fassung VO vom 19.06.2020 (BGBl. I S. 1328). Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler kann nur ein deutscher Volkszugehöriger sein, § 4 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 BVFG.
16Deutscher Volkszugehöriger ist nach § 6 Abs. 2 BVFG, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann auch durch einen Nachweis deutscher Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 oder durch familiär vermittelte Sprachkenntnisse erbracht werden. Es muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Antrag zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können.
17Der Kläger erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nicht. Denn es fehlt an einem hinreichenden Beleg der Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen. Nach Lage der Dinge kommt hierfür nur die väterliche Linie in Betracht. Eine Abstammung im rechtlichen Sinne kann jedoch weder vom Großvater väterlicherseits noch vom Vater hergeleitet werden. Zwar liegt den Bestimmungen des BVFG zur deutschen Volkszugehörigkeit und damit zur Frage der Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen ein weiter, generationsübergreifender Abstammungsbegriff zugrunde. In Betracht kommen damit nicht nur die Eltern, sondern auch die Großeltern und ggf. sogar die Urgroßeltern. Dieser erweiterte Kreis der Abstammungspersonen wird allerdings dadurch eingegrenzt, dass deutscher Volkszugehöriger nur derjenige sein kann, der von einer Person abstammt, welch die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BVFG genannten Stichtage erfüllt, also im Fall der Nr. 1 am Stichtag 08.05.1945 noch gelebt hat. Da der Großvater väterlicherseits des Klägers ausweislich der vorliegenden Sterbeurkunde seit dem 15.07.1940 als tot gilt, kommt er als Abstammungsperson nicht in Betracht.
18Auch vom Vater kann der Kläger eine Abstammung von deutschen Volkszugehörigen nicht herleiten. Das BVA weist zutreffend darauf hin, dass sich die Volkszugehörigkeit des Vaters nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Klägers bestimmt, hier also der des Jahres 1970. Demgemäß war der Vater des Klägers entsprechend der Rechtsprechung zu § 6 BVFG in der bis zum 31.12.1992 gültigen Fassung als sog. bekenntnisunfähiger Frühgeborener einzustufen, weil er Beginn der gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe gerichteten Vertreibungsmaßnahmen am 22.06.1941 erst vier Jahre und damit unfähig sein, sich zu einem bestimmten Volkstum zu bekennen. Bei dieser Personengruppe war bei gemischt-nationalem Elternhaus auf dasjenige Elternteil abzustellen, das für die Bekenntnislage im Elternhaus prägend war. Der Großvater des Klägers konnte dies nicht sein, weil er seit dem 15.07.1940 als tot galt und schon zuvor vermisst wurde. Dass eine solche Prägung des Vaters zum deutschen Volkstum nicht stattgefunden hat, wird indiziell durch den Umstand bestätigt, dass er bis zu seinem Tod durchgehend mit russischer Nationalität geführt wurde.
19Zu den Voraussetzungen der Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 - 1 C 43.18 -; zur Volkszugehörigkeit bekenntnisunfähiger Frühgeborener vgl. BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 77.90 -; auch BVerwG, Urteil vom 26.01.2021 - 1 C 5.20 -.
20Auf die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, insbesondere die Eintragung der deutschen Nationalität des Großvaters in der Geburtsurkunde des Vater und den Gerichtsbeschluss vom 17.12.2019 zur Änderung der Nationalität des Vaters in seiner eigenen Geburtsurkunde kommt es folglich nicht an. Die erheblichen Zweifel an der Authentizität und inhaltlichen Richtigkeit der aus neuester Zeit stammenden Urkunden müssen deshalb nicht abschließend geklärt werden.
21Liegen damit die Voraussetzungen deutscher Volkszugehörigkeit nicht vor, kommt die Erteilung eines Aufnahmebescheides nicht in Betracht.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
23Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
24Rechtsmittelbelehrung
25Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
33Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
34Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
35Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
36Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
37Beschluss
38Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
395.000,00 Euro
40festgesetzt.
41Gründe
42Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 GKG).
43Rechtsmittelbelehrung
44Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
45Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
46Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
47Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
48Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- BVFG § 6 Volkszugehörigkeit 4x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- BVFG § 4 Spätaussiedler 1x
- BVFG § 27 Anspruch 2x
- § 113 Abs. 5 Satz 1 BVFG 1x (nicht zugeordnet)
- BVFG § 26 Aufnahmebescheid 1x
- VwGO § 167 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 55a 1x