Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 7 L 433/22
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der wörtliche Antrag,
3vorläufig festzustellen, dass das dem Antragsteller ausgestellte Digitale COVID-Zertifikat der EU hinsichtlich seiner Gültigkeitsdauer bis zum 24.06.2022 durch die Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 (BAnz. AT 14. Januar 2022 V 1) keine Änderung erfahren hat und der Antragsteller bis einschließlich 24.06.2022 als genesene Person gilt,
4hat keinen Erfolg.
5Es kann offen bleiben, ob der Antragswortlaut mit Blick auf die inzwischen in Kraft getretene gesetzliche Festschreibung der Dauer des Genesenenstatus in § 22a Abs. 2 IfSG und die neuerliche Infektion des Antragstellers, die zur Ausstellung eines weiteren, ab dem 04.04.2022 und bis zum 03.09.2022 gültigen Zertifikats („höchstens 180 Tage ab dem Datum des ersten positiven Testergebnisses“) geführt hat, der Auslegung oder Umdeutung bedarf.
6Denn nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht bereits vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO muss der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache – wie sie hier der Antragsteller begehrt – kommt dabei im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre. Dies setzt unter dem Gesichtspunkt der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs voraus, dass das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich anzustellenden summarischen Prüfung bei Anlegung eines strengen Maßstabes an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird. Außerdem muss der Antragsteller – im Rahmen des Anordnungsgrundes – glaubhaft machen, dass ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
7Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 11.02.2021 - 6 B 1769/20 -, juris Rn. 4.
8Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
9Zum Zeitpunkt der Entscheidung besteht schon kein Anordnungsgrund. Schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, hat der Antragsteller nicht hinreichend dargelegt. Nachdem das Infektionsschutzgesetz vom 20.07.2000 (BGBl. I S. 1045), das durch Artikel 4 des Gesetzes vom 18.03.2022 (BGBl. I S. 473) - IfSG - geändert worden ist, sind die meisten Schutzmaßnahmen außer Kraft getreten. Die Anschlussregelungen sehen nur noch einen sog. „Basisschutz“ vor. Notwendige Schutzmaßnahmen können gemäß § 28a Abs. 7 Satz 1 IfSG u.a. noch die Anordnung der Verpflichtung zum Tragen einer Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) bzw. einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-NasenSchutz) in Arztpraxen (Nr. 1 lit. a)) oder in Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs (Nr. 1 lit. b)) sein. Daneben können gemäß § 28a Abs. 7 Nr. IfSG Testverpflichtungen bspw. in Schulen und ähnlichen Einrichtungen angeordnet werden. Gemäß § 28a Abs. 10 IfSG bestand für die Bundesländer zwar die Möglichkeit, das bislang durch die Landesverordnungen geregelte Schutzregime bis zum 02.04.2022 zu verlängern, wovon die Bundesländer, soweit ersichtlich, auch überwiegend Gebrauch gemacht hatten. Einer von den Gesundheitsministern der Länder geforderten Verlängerung dieser Übergangsfrist ist der Bund nicht gefolgt, sodass auch die in den Landesverordnungen geregelten Maßnahmen nach dem 02.04.2022 außer Kraft treten. Nach dem Stichtag können die Länder nur noch Regelungen für sog. Hotspots treffen, vgl. § 28a Abs. 8 IfSG. Laut aktuellen Presseberichten sehen viele Länder und insbesondere auch das Land Nordrhein-Westfalen derzeit jedoch keine Handhabe, das gesamte Landesgebiet als „Hotspot“ einzustufen. Weitreichende landesweite Maßnahmen sind daher derzeit eher unwahrscheinlich. Selbst wenn solche Maßnahmen erlassen werden würden, bestünde die Möglichkeit, sich gegen diese Maßnahmen zur Wehr zu setzen, sofern der Antragsteller hiervon individuell betroffen sein sollte. Dessen ungeachtet ist der Umstand zu bedenken, dass die Frage nach der drei- oder sechsmonatigen Dauer des Status das Problem des Antragstellers nur verschiebt, nicht aber löst.
10Soweit der Antragsteller pauschal darauf hinweist, der Genesenenstatus und die Dauer seiner Wirkung habe eine gewichtige Bedeutung für die Freiheit jedes Bürgers gewonnen, kann dem im Zeitpunkt der Entscheidung nicht gefolgt werden. Wie bereits dargelegt, endeten die meisten Zugangsbeschränkungen mit Ablauf des 02.04.2022. Selbst unter Berücksichtigung der bis zu diesem Datum geltenden Maßnahmen, sind schwere und unzumutbare Nachteile für den Antragsteller nicht ersichtlich bzw. vom Antragsteller nicht in ausreichendem Maße dargelegt. Gemäß § 4 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) in der ab dem 19.03.2022 gültigen Fassung geregelten Zugangsbeschränkungen können die dort beschriebenen Freizeit- und sonstigen Angebote nicht nur von immunisierten, d.h. geimpften und genesenen Personen in Anspruch genommen werden, sondern auch von Getesteten. Für den Antragsteller bestünde also die Möglichkeit an den Kulturangeboten teilzunehmen, in dem er sich kostenlos testen lässt. Ein unzumutbarer Nachteil ist darin nicht zu sehen. Abweichendes folgt auch nicht aus der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, auf die der Antragsteller als niedergelassener Zahnarzt verweist. Unzumutbare Nachteile drohen dem Antragsteller hier schon deshalb nicht, weil er nach der neuerlichen Infektion über ein Genesenenzertifikat verfügt, das ab dem 04.04.2022 gültig ist und auch bei Zugrundelegung einer nur 90-tägigen Gültigkeitsdauer derzeit vor Maßnahmen im Gefolge des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. h IfSG schützt. Ob diese gegen den Antragsteller ergriffen werden, inwieweit Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen vorrangig wäre und ob es dem Antragsteller zumutbar ist, ihnen durch Impfung zu entsprechend, bedarf hier keiner abschließenden Klärung.
11Ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme, hat die Kammer auch erhebliche Zweifel hinsichtlich des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs. Soweit der Antragsteller sich zur Begründung eines Anspruchs auf die Rechtswidrigkeit des § 2 Nr. 5 COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung (SchAusnahmV) in der Fassung vom 08.05.2021 (BAnz AT 08.05.2021 V1) beruft, kann er damit wohl nicht mehr durchdringen. Die vom Antragsteller beanstandete Regelung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV ist durch Artikel 1 der zweiten Verordnung zur Änderung der SchAusnahmV vom 18.03.2022 (BGBl. I S. 478) aufgehoben worden. Seit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird der Genesenennachweis in § 22a Abs. 2 IfSG legal definiert. Ein dynamischer Verweis auf die Internetseite des RKI findet sich darin nicht mehr.
12Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
13Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Eine Herabsetzung des Streitwertes mit Blick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens war nicht angezeigt, da der Antrag faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielte.
14Rechtsmittelbelehrung
15Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
16Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
17Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
18Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
19Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
20Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
21Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
22Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
23Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
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- § 28a Abs. 10 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 123 4x
- § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. h IfSG 1x (nicht zugeordnet)
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- § 22a Abs. 2 IfSG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 6 B 1769/20 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x