Gerichtsbescheid vom Verwaltungsgericht Köln - 5 K 2878/21
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Die Kläger sind syrische Staatsangehörige und wenden sich gegen eine Wohnsitzregelung für Troisdorf.
3Die am 00.00.0000 geborene Klägerin zu 1. ist die Mutter der am 00.00.0000 und am 00.00.0000 geborenen Kläger zu 2. und 3. Der Ehemann bzw. Vater der Kläger, Herr A. T. , lebt laut Ausländerzentralregister in Niedersachen. Die Familie lebt nach den Angaben der Klägerin zu 1. getrennt.
4Die Kläger reisten am 16.12.2018 in das Bundesgebiet ein. Im Rahmen ihres Asylverfahrens wurden sie unter dem 01.04.2019 der Stadt Troisdorf zugewiesen. Die Klägerin zu 2. besuchte dort im Schuljahr 2019/2020 die 3. Klasse der F. Grundschule. Mit Bescheid vom 01.02.2021 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu. Die Bezirksregierung Arnsberg verpflichtete die Kläger daraufhin ohne vorherige Anhörung mit Bescheid vom 10.02.2021, ihren Wohnsitz für die Dauer von drei Jahren in der Stadt Troisdorf zu nehmen. Dagegen erhoben die Kläger am 10.03.2021 Klage und stellten einen Eilantrag (Az.: 5 K 1294/21 und 5 L 441/21).
5Unter dem 17.03.2021 teilte die Bezirksregierung Arnsberg den Klägern mit, dass der Bescheid vom 10.02.2021 wegen Ermessensfehlern aufgehoben werden solle. Zugleich hörte sie die Kläger zum Erlass der streitgegenständlichen – inhaltsgleichen – Wohnsitzauflage für Troisdorf an. Mit E-Mail vom 12.04.2021 teilten die Kläger mit, dass die Klägerin zu 1. geheiratet habe. Zudem sei zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung die Voraufenthaltsdauer auf die Dreijahresfrist anzurechnen. Die Kläger zu 2. und 3. verfügten bereits über Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1, nachdem sich die Familie schon seit zweieinhalb Jahren in Deutschland aufhalte. Eine Nachfrage der Bezirksregierung Arnsberg zur geltend gemachten Eheschließung blieb unbeantwortet.
6Mit Bescheid vom 23.04.2021 – zugegangen am 27.04.2021 – hob die Bezirksregierung Arnsberg den Bescheid vom 10.02.2021 auf. Zugleich wies sie die Kläger der Stadt Troisdorf zu und verpflichtete sie, dort für die Dauer ihres erlaubten Aufenthalts, längstens für drei Jahre ab ihrer Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte, d.h. längstens bis zum 06.02.2024, ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Zur Begründung führte die Bezirksregierung Arnsberg im Wesentlichen aus: Individuelle Gründe, die einer Zuweisung nach § 12a AufenthG entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Insbesondere habe die Klägerin zu 1. keine weiteren Angaben zu ihrem Ehemann gemacht oder Nachweise hierzu eingereicht. Das Standesamt der Stadt Troisdorf habe die Eheschließung auf Rückfrage nicht bestätigen können. Das Ermessen über sie dahingehend aus, die Kläger zur Förderung einer nachhaltigen Integration der Stadt Troisdorf zuzuweisen. Dadurch würden vor allem die Versorgung mit angemessenem Wohnraum und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erleichtert. Die Zuweisung erfolge nach dem Integrationsschlüssel, der die in § 12a Abs. 3 AufenthG genannten Integrationskriterien des Wohnungsmarktes und des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes abbilde und auch die individuelle Integrationsfähigkeit der Gemeinde berücksichtige. Die Stadt Troisdorf sei derzeit nach dem Integrationsschlüssel aufnahmepflichtig. Die Kläger hätten keine Gründe nachgewiesen, die einer Zuweisung hierhin entgegenstünden oder die Zuweisung in eine andere Gemeinde erforderten. Zudem würden die Kläger dadurch nicht aus ihrem sozialen und schulischen Umfeld herausgenommen. Die Zuweisung erfolge entsprechend der ständigen Verwaltungspraxis längstens für die Dauer von drei Jahren ab Anerkennung. Besondere Umstände, die eine kürzere Dauer erforderten, seien nicht ersichtlich. Sollte die Klägerin zu 1. noch Nachweise über eine Eheschließung erbringen, würde die Wohnsitzverpflichtung zugunsten des Wohnorts des Ehemannes geändert. Ebenso würde die Wohnsitzverpflichtung zugunsten einer grenznahen Kommune geändert, wenn noch Nachweise dazu erbracht werden sollten, dass der Vater der Kläger zu 2. und 3. sein Umgangs- und Sorgerecht wahrnehmen wolle. Ein Umzug an den Wohnort des Kindsvaters könne ebenfalls beantragt werden.
7Die Verfahren 5 K 1294/21 und 5 L 441/21 wurden aufgrund der Aufhebung des Bescheids vom 10.02.2021 für erledigt erklärt.
8Die Kläger haben am 27.05.2021 Klage gegen den Bescheid vom 23.04.2021 erhoben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt (Az.: 5 L 992/21).
9Zur Begründung machen sie geltend, dass § 5 Abs. 4 der Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung (AWoV) NRW, wonach Schutzberechtigte regelmäßig der Gemeinde zugewiesen werden sollen, in der sie zum Zeitpunkt der Zuweisung leben, nichtig sei, weil sie den Ermächtigungsrahmen des § 12a Abs. 9 AufenthG überschreite. Auch gegen § 5 Abs. 7 Satz 3 AWoV NRW, wonach es bei der Zuweisung keiner Anhörung bedürfe, bestünden erhebliche Bedenken. Für eine Zuweisung durch Verwaltungspraxis fehle es an einer Rechtsgrundlage. Zudem erlösche die asylrechtliche Zuweisung durch Erteilung des Aufenthaltstitels. Die vom Beklagten geübte Verwaltungspraxis, die Verpflichtung nach § 12a AufenthG im Regelfall für den Ort der asylrechtlichen Zuweisung auszusprechen, müsse sich an Art. 3 GG messen lassen. Im Übrigen lägen hier schon die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor, sodass ein Ermessen nicht eröffnet sei. Der Beklagte müsse vor jeder Verfügung eine Einzelfallprüfung vornehmen.
10Die Kläger beantragen,
11den Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 23.04.2021 aufzuheben.
12Das beklagte Land beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung nimmt die Bezirksregierung Arnsberg Bezug auf den angefochtenen Bescheid. Ergänzend führt sie aus, dass die AWoV NRW durch die „Verordnung zur Aufhebung der Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung und zur Änderung der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen“ vom 03.03.2021 aufgehoben worden sei. Die nähere Steuerung der Wohnsitznahme erfolge nunmehr gemäß Ziffern 3.3.1.1 und 3.3.1.2 des Erlasses des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes (MKFFI NRW) vom 31.03.2021 – 512-201-002764 – durch einen kommunenscharf ermittelten Integrationsschlüssel. Das beklagte Land müsse mit Blick auf die seit 2015 erfolgten Binnenwanderungstendenzen eine weitere Verfestigung integrationsgefährdender regionaler Aggregationen von Ausländern durch eine landesweite Koordinierung der Wohnsitznahme unterbinden können. Mit dem Integrationsschlüssel würden diejenigen Gemeinden bestimmt, in denen die Erreichung der Integrationsmerkmale prognostisch erleichtert werden könnten. Die in Ziffer 3.3.1.1 des Erlasses genannten Faktoren zur Bestimmung des Integrationsschlüssels spiegelten hinreichend wieder, inwieweit prognostisch die Versorgung mit angemessenem Wohnraum, der Erwerb deutscher Sprachkenntnisse und die fortwährende Nutzung der deutschen Sprache als Verkehrssprache sowie die Integration am Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu erwarten sei. Eine entsprechende Zuweisung berücksichtige damit die individuelle Integrationsfähigkeit der Gemeinde und wirke einer integrationshemmenden sozial-räumlichen Konzentration entgegen. Darüber hinaus seien bei der Prognoseentscheidung in gewissen Umfang typisierende bzw. pauschalierende Annahmen zulässig. In den Fällen einer bereits erfolgten Zuweisung im Asylverfahren würden vor Ort in der Gemeinde typischerweise erste Integrationsschritte eingeleitet wie die Vermittlung von Wohnraum, der Besuch von Sprach- und Integrationskursen, Beratungen zur Eingliederung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die Vermittlung von Kindergartenplätzen, der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu Kontaktpersonen und die beginnende Integration in das soziale Umfeld vor Ort. Diese Integrationsschritte sollten erhalten bleiben. Dies gelte auch im Fall der Kläger. Ihre Zuweisung knüpfe nicht an die im Asylverfahren erfolgte Zuweisung an, sondern an die seitdem eingeleiteten Integrationsschritte. Vorliegend würden insbesondere die Versorgung mit Wohnraum und die begonnene Integration in das soziale Umfeld beibehalten. Die Kläger würden nicht durch eine integrationshemmende Zweitverteilung aus ihren Lebensverhältnissen herausgerissen. Die Stadt Troisdorf gehöre auch zu den nach dem Integrationsschlüssel aufnahmepflichtigen Kommunen. Im Hinblick auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sei keine andere Entscheidung geboten, da sich im Einzugsbereich des Zuweisungsortes Kommunen mit durchschnittlicher bzw. unterdurchschnittlicher Arbeitslosenquote befänden. Diese betrage im Land NRW 7,5 % und im Rhein-Sieg-Kreis 5,7 %. Nach Ziffer 3.3.2.4 des Erlasses könnten bei der Zuweisung zudem weitere Umstände berücksichtigt werden, sofern sie im örtlichen Kontext die Integration fördern könnten, wie hier das Bildungsangebot und der Grundschulbesuch der Klägerin zu 2. in Troisdorf.
15Im Verfahren 5 L 992/21 hat das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 23.08.2021 abgelehnt. Die Beschwerde der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 11.01.2022 zurückgewiesen (Az.: 18 B 1478/21).
16Im vorliegenden Verfahren hat das Gericht die Beteiligten unter dem 26.01.2022, zugestellt am 31.01.2022, zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren 5 L 992/21 sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Das Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden.
20Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 23.04.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Wohnsitzregelung ist derjenige der letzten Behördenentscheidung.
22Vgl. VG Köln, Urteil vom 14.11.2017 – 5 K 2256/17 –, juris Rn. 16.
23Rechtsgrundlage des Bescheids ist demnach § 12a Abs. 1 und 3 AufenthG in der Fassung vom 04.07.2019, gültig ab 07.08.2019.
24Nach § 12a Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer, der u.a. als subsidiär Schutzberechtigter im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG anerkannt worden ist, zur Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in dem Land seinen gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitz) zu nehmen, in das er zur Durchführung seines Asylverfahrens oder im Rahmen seines Aufnahmeverfahrens zugewiesen worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer, sein Ehegatte, eingetragener Lebenspartner oder ein minderjähriges lediges Kind, mit dem er verwandt ist und in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnimmt oder aufgenommen hat, durch die diese Person mindestens über ein Einkommen in Höhe des monatlichen durchschnittlichen Bedarfs nach den §§ 20 und 22 SGB II für eine Einzelperson verfügt, oder eine Berufsausbildung aufnimmt oder aufgenommen hat oder in einem Studien- oder Ausbildungsverhältnis steht.
25Gemäß § 12a Abs. 3 AufenthG kann ein Ausländer, der der Verpflichtung nach Absatz 1 unterliegt, zur Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von sechs Monaten u.a. nach Anerkennung verpflichtet werden, längstens bis zum Ablauf der nach Absatz 1 geltenden Frist seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dadurch 1. seine Versorgung mit angemessenem Wohnraum, 2. sein Erwerb hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2, und 3. unter Berücksichtigung der örtlichen Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erleichtert werden kann. Bei der Entscheidung nach Satz 1 können zudem besondere örtliche, die Integration fördernde Umstände berücksichtigt werden, insbesondere die Verfügbarkeit von Bildungs- und Betreuungsangeboten für minderjährige Kinder und Jugendliche.
26Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 12a AufenthG – wie von den Klägern mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG geltend gemacht – bestehen nicht. Hiermit hat sich die Kammer bereits in der Vergangenheit ausführlich auseinandergesetzt,
27vgl. Urteil vom 14.11.2017 – 5 K 2256/17 –, juris Rn. 22, und Gerichtsbescheid vom 31.07.2017 – 5 K 1559/17 –, juris Rn. 29 ff.
28Der Bescheid vom 23.04.2021 ist auch formell rechtmäßig. Insbesondere sind die Kläger gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört worden.
29Materiell ist der Bescheid ebenfalls rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 und 3 AufenthG liegen vor.
30Die Kläger sind als anerkannt subsidiär Schutzberechtigte vom persönlichen Anwendungsbereich des § 12a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst. Ein Ausschlussgrund i.S.d. § 12a Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Wohnsitzverpflichtung vom 23.04.2021 ist auch gemäß § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG innerhalb von sechs Monaten nach Anerkennung der Kläger als subsidiär Schutzberechtigte durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 01.02.2021 ergangen.
31Des Weiteren kann durch die Wohnsitzverpflichtung i.S.v. § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG die Versorgung der Kläger mit angemessenem Wohnraum (Nr. 1), der Erwerb hinreichender Deutschkenntnisse (Nr. 2) und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (Nr. 3) erleichtert werden.
32Nach § 12a Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer nur dann zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort verpflichtet werden, wenn dadurch – kumulativ – die Erreichung der in der Vorschrift genannten Integrationsziele (Versorgung mit angemessenem Wohnraum, Erwerb hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse, Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) erleichtert werden kann. Insoweit bedarf es auf Tatbestandsseite einer Prognoseentscheidung. Diese Prognose hat sich u.a. auf eine vergleichende Betrachtung der integrationsrelevanten Infrastruktur am beabsichtigten Zuweisungsort und an anderen möglichen Aufenthaltsorten im jeweiligen Bundesland zu beziehen, denn nur so kann abgeschätzt werden, ob die Zuweisung die Erreichung der Integrationsziele erleichtern kann.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 04.09.2018 – 18 A 256/18 –, juris Rn. 29, 45 ff. Siehe auch VG Köln, Urteil vom 14.11.2017 – 5 K 2256/17 –, juris Rn. 45 ff.
34Die Überprüfung der Prognoseentscheidung unterliegt uneingeschränkt der gerichtlichen Kontrolle.
35Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.01.2022 – 18 B 1478/21 –, S. 3 des amtl. Umdr.
36Dies zugrunde gelegt begegnet die Prognoseentscheidung der Bezirksregierung Arnsberg, dass die Integrationsziele des § 12a Abs. 3 AufenthG durch den Verbleib der Kläger an ihrem bestehenden Wohnort in Troisdorf erleichtert werden können, keinen Bedenken.
37Die Kläger weisen zwar zutreffend darauf hin, dass § 5 Abs. 4 AWoV NRW vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrein-Westfalen für unwirksam erachtet worden ist,
38Urteil vom 04.09.2018 – 18 A 256/18 –, juris Rn. 23 ff.
39Die AWoV NRW wurde jedoch durch Art. 1 der am 01.04.2021 in Kraft getretenen „Verordnung zur Aufhebung der Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung und zur Änderung der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen“ vom 03.03.2021 aufgehoben. Stattdessen stützt sich die Bezirksregierung Arnsberg nunmehr auf den Integrationsschlüssel aus Ziffer 3.3.1.1 des Erlasses des MKFFI NRW vom 31.03.2021 zur „Regelung des Wohnsitzes von Personen, die nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) einer Verpflichtung zur Wohnsitznahme im Land Nordrhein-Westfalen unterliegen“. Dass der Beklagte normkonkretisierende und ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften erlässt, um (einheitliche) Prognose- und Ermessensentscheidung zu erleichtern, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden,
40vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.01.2022 – 18 B 1478/21 –, S. 3 des amtl. Umdr.
41Auch im Fall der Kläger ist die getroffene Prognoseentscheidung nicht zu beanstanden. Die Klägerin zu 1. ist als alleinerziehende Mutter mit zwei minderjährigen Kindern in besonderem Maße auf eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum angewiesen, die sie in der Stadt Troisdorf bereits erhalten hat. Soweit ersichtlich handelt es sich bei der im Rubrum genannten Wohnanschrift auch nicht um eine bloße Notunterkunft o.ä., sondern um ein Reihenhaus,
42vgl. Land NRW, Geobasisdatenbank TIM-online, abgerufen am 13.04.2022
Die Annahme, dass Kurse zum Erwerb von Deutschkenntnissen bundesweit zur Verfügung stehen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
44Ebenso wenig bestehen Bedenken hinsichtlich der Prognose, dass der Klägerin zu 1. bei einer (weiteren) Wohnsitznahme in Troisdorf unter Berücksichtigung der örtlichen Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erleichtert werden kann. Die Stadt Troisdorf liegt dabei nicht nur im Einzugsbereich des Rhein-Sieg-Kreises. Auch die kreisfreien Städte Köln, Leverkusen und Bonn sind mit dem öffentlichen Personennahverkehr innerhalb von 30, 40 bzw. 50 Minuten zu erreichen,
45vgl. Verkehrsbund Rhein-Sieg, Fahrplanauskunft, abgerufen am 13.04.2022
Laut Bundesagentur für Arbeit lag die Arbeitslosenquote im April 2021 in NRW bei 7,7 %, im Rhein-Sieg-Kreis bei 5,8 %, in Köln bei 9,6 %, in Leverkusen bei 8,0 % und in Bonn bei 7,9 %,
47vgl. Bundesagentur für Arbeit, Statistik, abgerufen am 13.04.2022
Zusätzlich kann das Bildungs- und Betreuungsangebot für die Kläger zu 2. und 3. als örtlich integrationsfördernder Umstand i.S.d. § 12a Abs. 3 Satz 2 AufenthG berücksichtigt werden. Ausweislich der eingereichten Schulbescheinigung besuchte die Klägerin zu 2. im Schuljahr 2019/2020 eine Grundschule in Troisdorf. Für den Besuch weiterführender Schulen steht ihr in Troisdorf ein entsprechendes Bildungsangebot zu allen Schulformen der Sekundarstufen I und II zur Verfügung,
49vgl. Stadt Troisdorf, Weiterführende Schulen in Troisdorf, abgerufen am 13.04.2022
Für den Kläger zu 3. stehen allein in Troisdorf-Mitte drei Grundschulen einschließlich Betreuungsangebot bis 16:30 Uhr zur Verfügung,
51vgl. Stadt Troisdorf, Troisdorfer Grundschulen, abgerufen am 13.04.2022
Auch sonst sind keine Gründe geltend gemacht oder ersichtlich, die Zweifel an der Prognoseentscheidung begründen.
53Gegen die Ermessensentscheidung der Bezirksregierung Arnsberg bestehen ebenfalls keine Bedenken.
54Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dabei kann die Verwaltungsbehörde gemäß § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
55Ermessensfehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO ist ein Verwaltungsakt dann, wenn das Ermessen nicht ausgeübt worden ist, wenn in die Entscheidung nicht diejenigen Belange eingestellt werden, die nach Lage des konkreten Falls in sie eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange nicht zutreffend erkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den jeweiligen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Ermessenfehlerhaft ist ein Verwaltungsakt insbesondere, wenn die Behörde bei ihrem Handeln von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen ausgeht, Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt, die nach Sinn und Zweck des zu vollziehenden Gesetzes oder aufgrund anderer Rechtsvorschriften oder allgemeiner Rechtsgrundsätze dabei keine Rolle spielen können oder dürfen, oder umgekehrt wesentliche Gesichtspunkte außer Acht lässt, die zu berücksichtigen wären. Dasselbe gilt, wenn sie sachfremde, nicht durch den Zweck des Gesetzes gedeckte Erwägungen anstellt.
56Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.10.2008 – 8 A 3743/06 –, juris Rn. 75.
57Davon ausgehend ist die Ermessensentscheidung der Bezirksregierung Arnsberg – jedenfalls unter Berücksichtigung der nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigen Ergänzungen in der Klageerwiderung vom 14.06.2021 – nicht zu beanstanden. Die individuellen Belange der Kläger wurden zutreffend ermittelt und bei der Entscheidung über die Wohnsitzregelung berücksichtigt. So ist die Bezirksregierung Arnsberg dem Einwand, die Klägerin zu 1. habe geheiratet, durch eigene Ermittlungen nachgegangen. Die Erwägung, dass die Kläger durch eine Zuweisung an ihren bestehenden Wohnort nicht aus ihrem sozialen und schulischen Umfeld herausgenommen werden sollen, ist mit Blick auf den Sinn und Zweck von § 12a Abs. 3 AufenthG, die nachhaltige Integration des Ausländers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu fördern, sachlich begründet. Auch hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Wohnsitzregelung sind keine Ermessensfehler erkennbar. Dass Voraufenthaltszeiten – wie von den Klägern im Rahmen der Anhörung geltend gemacht – angerechnet werden müssten, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Bestimmung einer dreijährigen Wohnsitzregelung angesichts der Integrationsziele des § 12a Abs. 3 AufenthG sachfremd wäre. Das Vorbringen der Kläger im gerichtlichen Verfahren bietet ebenfalls keinen Anlass zu der Annahme, dass die angefochtene Wohnsitzregelung oder deren Dauer aus individuellen Gründen ermessensfehlerhaft wären.
58Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 VwGO.
59Rechtsmittelbelehrung
60Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich die Zulassung der Berufung beantragen. Über die Zulassung entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
61Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
62- 63
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids bestehen,
- 64
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 65
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 66
4. der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senate der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen. Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Gerichtsbescheides darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
69Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
70Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
71Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, anstelle des Antrags auf Zulassung der Berufung mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragen.
72Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
73Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
74Beschluss
75Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
7615.000,00 Euro
77festgesetzt.
78Gründe
79Der festgesetzte Streitwert entspricht je Kläger dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
80Rechtsmittelbelehrung
81Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
82Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
83Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
84Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
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