Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 8 L 991/22
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe
2Der Antrag der Antragsteller,
3die aufschiebende Wirkung der Klage vom 8. Juni 2022 (Az.: 8 K 3448/22) gegen die den Beigeladenen unter dem Aktenzeichen 00/000/0000/0000 erteilte Baugenehmigung der Oberbürgermeisterin der Antragsgegnerin anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
6Der Antrag ist zunächst zulässig. Die Antragsteller haben den Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes formwirksam i. S. d. § 55a Abs. 3 VwGO gestellt.
7Nach § 55a Abs. 3 VwGO, der der zivilgerichtlichen Regelung des § 130a Abs. 3 ZPO entspricht und nach § 55a Abs. 1 VwGO für die Einreichung verfahrensbezogener (bestimmender) Schriftsätze bei Gericht gilt, muss ein elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein (Alt. 1) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (Alt. 2).
8Die von den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller eingereichte Antragsschrift vom 7. Juni 2022 genügt den vorgenannten Anforderungen des § 55a Abs. 3 Alt. 1 VwGO.
9Rechtsanwalt N. hat die Antragsschrift nach den Angaben im Prüfvermerk vom 8. Juni 2022 selbst als beA-Postfachinhaber auf einem sicheren Übermittlungsweg übermittelt und zudem seine qualifizierte elektronische Signatur an dem Dokument angebracht. Dies erfolgte in Übereinstimmung mit § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV, wonach ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, auch „auf einem sicheren Übermittlungsweg“ übermittelt werden darf.
10Rechtsanwalt N. ist zudem die den Schriftsatz verantwortende Person i. S. d. § 55a Abs. 3 Alt. 1 VwGO.
11Verantwortende Person ist diejenige, deren handschriftliche Unterschrift dem Formerfordernis genügen würde, und die den Inhalt des betreffenden Schriftsatzes geprüft und sich zu Eigen gemacht hat.
12Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. September 2010 – 7 B 15/10 –, juris, Rn. 24; zur „verantwortenden Person“ i. S. d. ZPO: BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – VI ZB 28/10 –, juris, Rn. 8.
13Durch die Einreichung des elektronischen Dokuments mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, die die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift hat, hat Rechtsanwalt N. die Verantwortung für dessen Inhalt übernommen, ist also „verantwortende Person“ i. S. d. § 55a Abs. 3 Alt. 1 VwGO. Die Rechtswirkung entspricht der der erfolgten eigenhändigen Unterschrift nach § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog. Danach ist es unerheblich, dass am Schluss des Schriftsatzes der Name „B. T. als einfache Signatur wiedergegeben ist, wobei es auch ohne Bedeutung ist, ob es sich dabei (nur) um ein Redaktionsversehen handelt oder ob der Entwurf des Schriftsatzes von Rechtsanwalt T. stammt. Wie auch außerhalb der elektronischen Übermittlungswege muss ein bevollmächtigter Rechtsanwalt einen bestimmenden Schriftsatz nicht selbst verfasst haben, sondern es genügt, diesen nach eigenverantwortlicher Prüfung zu genehmigen und zu unterschreiben und damit zugleich die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen.
14Vgl. zu einem gleichgelagerten Fall: BAG, Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 8 AZN 589/19 –, juris, Rn. 9 f., m. w. N.; offen gelassen: BSG, Beschluss vom 21. Juni 2022 – B 5 R 9/22 B –, juris, Rn. 5; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Juni 2022 – 1 LA 1/22 –, juris, Rn 11.
15Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
16Die im Verfahren nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse der Beigeladenen an der Umsetzung der ihnen erteilten Baugenehmigung, öffentlichen Interessen und dem Interesse der Antragsteller, deren Vollziehung vorerst zu verhindern, fällt zugunsten der Beigeladenen aus. Denn die den Beigeladenen am 28. September 2021 erteilte Baugenehmigung ist nach der gebotenen summarischen Prüfung unter Beachtung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten.
17Bei einer Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung kann offenbleiben, ob diese in jeder Hinsicht mit dem materiellen Recht in Einklang steht. Ein Rechtsanspruch des Nachbarn auf Aufhebung besteht nämlich nicht schon dann, wenn eine Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Hinzukommen muss, dass der Nachbar durch die rechtswidrige Baugenehmigung zugleich in eigenen Rechten verletzt wird. Dies setzt voraus, dass die Baugenehmigung gegen Rechtsnormen verstößt, die nachbarschützenden Charakter haben, und der jeweilige Nachbar auch im Hinblick auf seine Nähe zu dem Vorhaben tatsächlich in seinen eigenen Rechten, deren Schutz die Vorschriften zu dienen bestimmt sind, verletzt wird.
18Vgl. zu diesem Maßstab OVG NRW, Urteil vom 30. Mai 2017 – 2 A 130/16 –, juris, Rn. 26, m. w. N.
19Hiervon ausgehend steht die angegriffene Baugenehmigung mit den die Antragsteller schützenden Vorschriften voraussichtlich in Einklang.
20Die angefochtene Baugenehmigung verletzt die Antragsteller zunächst mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in ihren sich aus dem Bauplanungsrecht ergebenden subjektiven Rechten.
21Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist bauplanungsrechtlich nach § 30 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Denn das Vorhaben der Beigeladenen soll im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 00000/00 der Antragsgegnerin realisiert werden. Diese Satzung stellt einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB dar, weil sie die erforderlichen Mindestfestsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält.
22Der Baugenehmigung der Beigeladenen steht zunächst nicht in nachbarschützender Wirkung entgegen, dass diese möglicherweise zu Unrecht ohne eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Grundflächenzahl erteilt worden ist.
23Ungeachtet der Frage, ob in der Erteilung der Baugenehmigung eine konkludent erteilte Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 00000/00 der Beklagten hinsichtlich der Grundflächenzahl durch die beabsichtigte Erweiterung des vorhandenen Baukörpers mit einem Wintergarten gesehen werden kann oder es an einer erforderlichen Befreiungsentscheidung nach § 31 BauGB mangelt, können die Antragsteller hierauf keine Verletzung in nachbarlichen Rechten stützen.
24Eine - unterstellt - rechtswidrig erteilte Befreiung begründet ein nachbarliches Abwehrrecht nur dann, wenn sie fehlerhaft ist und von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans abweicht. Bei nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans hat der Nachbar über den Anspruch auf Würdigung nachbarlicher Interessen hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde. Nichts anderes gilt im Ergebnis, wenn eine an sich erforderliche Befreiung gar nicht erteilt wurde. Rechte des Nachbarn können in diesen Fällen nur durch die Baugenehmigung selbst, nicht jedoch durch die nicht existierende Befreiung verletzt sein.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1989 – 4 C 14.87 –, juris, Rn. 16; Beschluss vom 8. Juli 1998 – 4 B 64.98 –, juris, Rn. 7.
26Soweit die Antragsteller rügen, die Baugenehmigung lasse unzulässigerweise Abweichungen von der Grundflächenzahl zu, betrifft dies Fragen des Maßes der baulichen Nutzung (vgl. § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO), die regelmäßig gerade nicht dazu geeignet sind, einen nachbarrechtsrelevanten Baurechtsverstoß zu begründen.
27Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Februar 2022 – 2 A 1479/21 –, juris, Rn. 13 f., m. w. N.
28Ein nachbarrechtsrelevanter Baurechtsverstoß wird insoweit nur vermittelt, wenn im Einzelfall Maßfestsetzungen zur Quantität in Qualität umschlagen, also die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfasst, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2018 – 4 C 7.17 –, juris, Rn. 13 m. w. N.
30Hierfür ist weder etwas substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
31Vorliegend spricht auch nichts dafür, dass der Plangeber den Festsetzungen zur Grundflächenzahl drittschützende Wirkung zugunsten des Grundstücks der Antragsteller zuerkennen wollte.
32Inwieweit Festsetzungen eines Bebauungsplans Drittschutz vermitteln, muss den Festsetzungen selbst entnommen werden. Von einer danach neben die städtebauliche Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung von Festsetzungen ist nur dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des Plangebers erkennbar sind. Dies ist in jedem Einzelfall anhand des Inhalts und der Rechtsnatur der Festsetzung, ihres Zusammenspiels mit den anderen Regelungen des Bebauungsplans, der Planbegründung und/oder anderer Vorgänge im Zusammenhang mit der Planaufstellung im Wege der Auslegung zu ermitteln.
33Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Juli 2020 – 10 A 3398/19 –, juris, Rn. 32 - 35.
34Auch hierfür ist weder etwas substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aus der Begründung des Bebauungsplans ergibt sich vielmehr, dass dessen Festsetzungen eine städtebauliche Ordnungsfunktion bewirken sollen. Denn die Festsetzungen sollen dem mit der Planung verfolgten Ziel entsprechen, die noch unbebauten Wohnbaulandreserven soweit wie möglich dem Eigenheimbau zuzuführen.
35Die Antragsteller können nach summarischer Prüfung auch nicht geltend machen, ihr Haus verliere durch die genehmigte Errichtung des Wintergartens auf dem Grundstück der Beigeladenen die Eigenschaft als Doppelhaus.
36Ein Doppelhaus ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Doppelhäuser sind der offenen Bauweise zuzurechnen, da sie jeweils zur anderen Grundstücksgrenze mit einem seitlichen Grenzabstand errichtet werden, vgl. § 22 Abs. 2 BauNVO.
37Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung zu Doppelhäusern müssen die beiden Gebäude auf den benachbarten Grundstücken einen Gesamt-baukörper bilden, dessen beide Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut sind. Das Erfordernis der baulichen Einheit enthält neben dem quantitativen auch ein qualitatives Element. Aufeinander abgestimmt sind die Hälften des Doppelhauses, wenn sie sich in ihrer Grenzbebauung noch als „gleichwertig" und „im richtigen Verhältnis zueinander" und daher als harmonisches Ganzes darstellen, ohne disproportional, als zufällig an der Grundstücksgrenze zusammengefügte Einzelhäuser ohne hinreichende räumliche Verbindung zu erscheinen. Denn kennzeichnend für die offene Bauweise ist der seitliche Grenzabstand der Gebäude; die Hälften des Doppelhauses müssen folglich gemeinsam als ein Gebäude in Erscheinung treten. Dementsprechend muss ein Haus, soll es Teil eines Doppelhauses bzw. einer Hausgruppe sein, ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit dem zugehörigen Nachbarhaus aufweisen, indem es zumindest einzelne der ihm Proportionen und Gestalt gebenden bauliche Elemente aufgreift. Andernfalls wäre der die Hausform kennzeichnende Begriff der baulichen Einheit sinnentleert. Allgemeingültige Kriterien lassen sich jedoch insoweit mit Blick auf die von § 22 Abs. 2 BauNVO verfolgten städtebaulichen Zwecke der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- und Stadtbildes, die keine einheitliche Gestaltung erfordern, nicht aufstellen. Regelmäßig geben Höhe, Breite und Tiefe, sowie die Zahl der Geschosse und die Dachform einem Haus seine maßgebliche Gestalt. Diese Kriterien können daher im Einzelfall Anhaltspunkte für die Beurteilung des wechselseitigen Abgestimmtseins geben. Auch Übereinstimmungen und Abweichungen in der Kubatur der Häuser infolge hervortretender Bauteile wie Dachterrassen, Gauben und Anbauten können mitentscheidend für die Beantwortung der Frage sein, ob noch von einer baulichen Einheit und damit von einem Doppelhaus die Rede sein kann.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12/98 –, juris, Rn. 18; Beschluss vom 19. März 2015 – 4 B 65/14 –, juris, Rn. 6; OVG NRW Urteil vom 28. Februar 2012 – 7 A 2444/09 –, juris, Rn. 39; Urteil vom 16. August 2011 – 10 A 1224/09 –, juris, Rn. 35.
39Grund hierfür ist die spezifische Wechselbeziehung, die ihren Ursprung in dem wechselseitigen Verzicht auf Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze hat. Die Möglichkeit des Grenzanbaus erweitert für beide Grundstückseigentümer die bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks unter gleichzeitigem Verlust der sonst erforderlichen Grenzabstände. Diese für beide Grundstückseigentümer vor- wie nachteiligen Umstände begründen ein nachbarliches Austauschverhältnis, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000, – 4 C 12/98 –, juris, Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 28. Februar 2012 – 7 A 2444/09 –, juris, Rn. 45.
41Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei den vorhandenen Baukörpern auf den Grundstücken der Beigeladenen und des Antragstellers unstreitig um ein Doppelhaus, dass als Gesamtgebäude eine bauliche Einheit darstellt.
42Auch durch den nunmehr beabsichtigten Wintergarten und unter Berücksichtigung der auf dem Grundstück der Antragsteller vorhandenen rückwärtigen Anbauten ist das Vorhaben nicht geeignet, den Charakter als Doppelhaus aufzuheben. Der beabsichtigte Wintergarten soll eine Breite von 5,11 m und eine Tiefe von 3,22 m bei einer Höhe von 2,82 m haben. Er bleibt damit in seiner Breite und zum Teil auch hinsichtlich seiner Tiefe und Höhe hinter den Anbauten auf dem Grundstück der Antragsteller – Wintergarten und abschließbare Terrassenüberdachung – zurück.
43Das Doppelhaus wird nach wie vor geprägt durch die in einer Linie verlaufenden Straßenfronten und Dachflächen. Auch rückseitig bilden die Hauswände im Bereich des Obergeschosses eine einheitliche Linie und einen einheitlichen Eindruck. Gleiches gilt für die Dachflächen. Die auf dem Grundstück der Antragsteller vorhandenen Anbauten vermögen diesen Eindruck ebenso wenig aufzulösen wie das beabsichtigte Vorhaben. Angesichts der Massivität und Ausmaße der ohne diese Anbauten vorhandenen und auf mehr als 12 m Tiefe aneinander gebauten Baukörper vermitteln sowohl die vorhandenen als auch der streitgegenständliche Anbau einen quantitativ, aber auch qualitativ untergeordneten Eindruck.
44Dass etwas anderes aufgrund der von den Beigeladenen gewählten Optik für den von ihnen geplanten Wintergarten gelten soll – geplant ist die Errichtung eines Wintergartens in Glasbauweise –, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Antragsteller selbst eine durch Glastüren verschließbare Terrassenüberdachung errichtet haben.
45Die Baugenehmigung verstößt voraussichtlich auch nicht zu Lasten der Antragsteller gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
46Dies ergibt sich zunächst nicht aus einer gerügten erdrückenden Wirkung des Vorhabens auf das Nachbargrundstück.
47Eine bauliche Anlage kann erdrückende Wirkung haben, wenn sie wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem sie diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe der „erdrückenden“ baulichen Anlage auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls – und gegebenenfalls trotz Freihaltung der erforderlichen Abstandsflächen – derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Grundstück oder dessen Bebauung nur noch oder überwiegend wie eine von einer „herrschenden“ baulichen Anlage dominierte Fläche ohne eigene bauliche Charakteristik wahrgenommen wird. Ob eine solche Wirkung zu erwarten ist oder nicht, kann nur unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Neben den Ausmaßen beider Baukörper in ihrem Verhältnis zueinander – zum Beispiel Bauhöhe, Ausdehnung und Gestaltung der Fassaden und Baumasse – kann die Lage der Bauwerke zueinander eine Rolle spielen. Von besonderer Bedeutung im Rahmen dieser Bewertung wird regelmäßig die Entfernung zwischen den Baukörpern beziehungsweise Grundstücksgrenzen sein.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 10 A 179/20 –, juris, Rn. 7 ff., m. w. N.
49Hiervon ausgehend ist mit Blick auf die von den Antragstellern angegriffene Baugenehmigung betreffend den geplanten Anbau eines Wintergartens auf dem Vorhabengrundstück für eine „erdrückende Wirkung“ voraussichtlich nichts ersichtlich. Dieser orientiert sich hinsichtlich seiner Dimensionierung an den auf dem Grundstück der Antragsteller errichteten Anbauten. In seiner Tiefe geht er ausweislich der vorliegenden Bauzeichnungen nicht über die auch an den Seiten verschließbare und grenzständig zum Vorhabengrundstück errichtete Terrassenüberdachung auf dem Grundstück der Antragsteller hinaus. Dies gilt insbesondere auch trotz des Umstandes, dass der geplante Wintergarten auf dem Vorhabengrundstück die Terrassenüberdachung der Antragsteller in seiner Höhe um ca. 40 cm überragen soll. Es ist insoweit nicht ersichtlich, wie hieraus unter Berücksichtigung der vorgenannten Merkmale das Gefühl des „Eingemauertseins“ entstehen soll. Besondere Gegebenheiten, die auch unter Berücksichtigung der geplanten Glasbauweise des Wintergartens eine erdrückende Wirkung des Vorhabens nahelegen könnten, insbesondere eine unzumutbare Verschattung des Nachbargrundstücks, sind dadurch weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Hinzu tritt, dass die überdachte Terrasse der Antragsteller auf der dem Vorhabengrundstück abgewandten Seite an einen Anbau der Antragsteller grenzt, der diese um deutlich mehr als 40 cm überragt.
50Gleiches gilt für die Befürchtung der Antragsteller, dass vor dem geplanten Wintergarten eine Terrasse entstehen könnte. Unabhängig davon, dass es sich hierbei um nicht substantiierte Befürchtungen handelt, die nicht Gegenstand der angegriffenen Baugenehmigung sind und daher bei der Beurteilung, ob nachbarschützende Vorschriften durch das Bauvorhaben verletzt sein könnten, keine Berücksichtigung finden, erschließt es sich schon im Ansatz nicht, inwiefern von einer ebenerdigen Terrasse eine erdrückende Wirkung oder eine Verschattung ausgehen könnte.
51Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten der Antragsteller folgt auch nicht aus etwaig geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeiten vom Vorhaben auf das Grundstück der Antragsteller.
52Gewähren Fenster, Balkone oder Terrassen eines neuen Gebäudes beziehungsweise Gebäudeteils den Blick auf ein Nachbargrundstück, ist deren Ausrichtung, auch wenn der Blick von dort in einen Ruhebereich des Nachbargrundstücks fällt, nicht aus sich heraus rücksichtslos. Es ist in bebauten Gebieten üblich, dass infolge einer solchen Bebauung erstmals oder zusätzlich Einsichtsmöglichkeiten entstehen. Dies ist regelmäßig hinzunehmen. Der Eigentümer oder Nutzer eines Grundstücks kann nicht beanspruchen, dass ihm auf den Freiflächen seines Grundstücks ein den Blicken Dritter entzogener Bereich verbleibt. Eine auf fehlende Rückzugsmöglichkeiten auf dem betroffenen Grundstück bezogene Bewertung von Einsichtsmöglichkeiten als rücksichtslos ließe sich in dieser Allgemeinheit nicht praktikabel handhaben. Wäre jeder Bauherr unter dem Gesichtspunkt der Rücksichtnahme verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Öffnungen, Balkone und Freisitze des geplanten Gebäudes keine Blicke auf die umliegenden bebauten Grundstücke eröffnen, die die dort möglicherweise gegebenen „Rückzugsmöglichkeiten“ zunichtemachen, würde dies die Bautätigkeit in nicht wenigen Fällen erheblich erschweren, wenn nicht gar zum Erliegen bringen. Ein im Bauplanungsrecht wurzelnder Anspruch, zumindest auf einem Teil der Freiflächen des eigenen Grundstücks vor fremden Blicken geschützt zu sein, lässt sich auch nicht aus einem Recht auf Privatsphäre herleiten. Dass derjenige, der die eigenen vier Wände verlässt, dabei gesehen und sogar beobachtet werden kann, liegt in der Natur der Sache.
53Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 10 A 179/20 –, juris, Rn. 14 ff.
54Ausgehend von diesen Grundsätzen ist für einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aufgrund etwaig geschaffener Einsichtnahmemöglichkeiten auf das Grundstück der Antragsteller voraussichtlich nichts ersichtlich. Für die Beigeladenen werden keine neuen, über das bisherige Maß hinausgehende Möglichkeiten der Einsichtnahme geschaffen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der geplante Wintergarten an eine bereits bestehende grenzständig errichtete Mauer auf dem Grundstück der Antragsteller grenzt, aus diesem also nicht noch zusätzlich eine Einsichtnahme auf das Grundstück der Antragsteller möglich ist.
55Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, nachdem die Beigeladenen einen Sachantrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
56Bei der Festsetzung des Streitwerts, der gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag der Antragsteller für diese ergebenden Bedeutung der Sache zu bestimmen ist, hat sich das Gericht an Ziff. 7 Buchst. a und Ziff. 14 Buchst. a des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 2019 orientiert.
57Rechtsmittelbelehrung
58Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
59Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
60Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
61Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
62Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
63Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
64Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
65Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
66Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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