Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (3. Kammer) - 3 A 205/16

Tatbestand

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Die 1984 in der Provinz Ghazni geborene Klägerin zu 1. sowie ihre Kinder, die Kläger zu 2. bis 4. sind afghanische Staatsangehörige hazarischer Volks- und schiitischer Religionszugehörigkeit. Am 27. Juli 2016 stellten sie einen Asylantrag gegenüber der Beklagten.

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Bei ihrem Gespräch mit einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates am 27. Juli 2016 erklärten die Klägerin zu 1. und ihr Ehemann, dessen Verfahren im Termin zur mündlichen Verhandlung abgetrennt wurde (3 A 426/17), dass sie im November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien.

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Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 18. August 2016 gab der Ehemann der Klägerin zu 1. an, dass er in der Islamischen Republik Afghanistan (im Folgenden: Afghanistan) zuletzt in dem Dorf K. in der Provinz Ghazni gelebt habe. Vor seinem Aufbruch nach Deutschland habe er zwölf Jahre im Iran gelebt. Für die Reise habe er 10.000 Euro bezahlt. Seine Mutter lebe in der Provinz Daikundi und mehrere Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen, Neffen und Nichten sowie weitere Mitglieder der Großfamilie in Afghanistan. Zwei Onkel würden in K. leben und ein Onkel im Iran. Die anderen Verwandten habe er noch nie gesehen. Er wisse nicht, was die Onkel in Afghanistan beruflich machen würden, er vermute Landwirtschaft. Afghanistan habe er verlassen, weil die Taliban vor zwölf Jahren in ihr Dorf gekommen seien und es niedergebrannt hätten, wobei seine Ehefrau eine Brandverletzung erlitten habe. Damals sei es auch zu Enthauptungen von Schiiten gekommen. Im Iran seien sie dann nicht gut behandelt worden.

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Die Klägerin zu 1. gab bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 18. August 2016 unter anderem an, dass sie im Alter von vier Jahren aus K. in den Iran verzogen sei. Ihre Eltern sowie weitere Verwandte würden im Iran leben. Sie sei nie zur Schule gegangen und Analphabetin. Zuletzt habe sie als Friseurin gearbeitet. Sie seien aus Afghanistan geflüchtet, weil die Taliban ihr Haus verbrannt hätten und sie sich dabei schwere Verbrennungen am ganzen Körper außer dem Gesicht zugezogen habe. Der Angriff habe sich nicht gegen sie persönlich gerichtet, sondern gegen die Schiiten. Im Iran sei es ihnen nicht gut ergangen.

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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1 des Bescheides), Asylanerkennung (Ziff. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4), forderte die Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf (Ziff. 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6).

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Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 19. Oktober 2016 Klage erhoben. Weil sie Hazara seien und länger als zehn Jahre nicht mehr in Afghanistan gelebt hätten, würden sie nicht nach dorthin zurück können.

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In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zu 1. unter anderem ergänzend vorgetragen, dass sie sich vor ca. fünf bis sechs Monaten von ihrem Ehemann getrennt habe, insbesondere weil er sie mehrfach geschlagen habe. Die Kinder würden bei ihr leben.

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Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung ihre Klage insoweit zurückgenommen, als sie zunächst auch beantragt hatten, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.

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Die Kläger beantragen noch:

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Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 12. Oktober 2016 wird die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass für die Kläger die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz im Sinne von § 4 AsylG vorliegen,
hilfsweise, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, weil die Beteiligten in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

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Soweit die Kläger ihre Klage zurückgenommen haben, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO. Im Übrigen ist die zulässige Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin zu 1. hat (dazu 1.),  anders als die Kläger zu 2. bis 4. (dazu 2.), einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Dementsprechend waren auch die Ausreiseaufforderung, die Abschiebungsandrohung sowie die Bestimmung der Dauer eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes gegenüber der Klägerin zu 1. aufzuheben. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1. in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Den Klägern zu 2. bis 4. steht auch kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu (dazu 3.). Insoweit ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes rechtmäßig und verletzt die Kläger zu 2. bis 4. daher auch nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.

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1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, weil sie stichhaltige Gründe (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, n.v.; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.) für die Annahme vorgebracht hat, dass ihr im Herkunftsland ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG durch einen in § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 c AsylG genannten Akteur droht. Prognosemaßstab für den Schaden ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 26; OVG NRW, Urt. v. 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, juris Rn. 34).

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Die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und seiner Begriffe orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden EMRK), wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf (Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 24 zu § 4 AsylVfG; BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.). Ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls ab, wie etwa der Art und dem Kontext der Fehlbehandlung, der Dauer, den körperlichen und geistigen Auswirkungen, sowie - in einigen Fällen - vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, Urt. v. 04.11.2014, - 29217/12, Tarakhel ./. Switzerland - HUDOC Rn. 94). Eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK hat der EGMR etwa dann angenommen, wenn sie unter anderem geplant war, ohne Unterbrechung über mehrere Stunden erfolgte und körperliche Verletzungen oder ein erhebliches körperliches oder seelisches Leiden bewirkte (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils unter Bezugnahme auf EGMR, Urt. v. 09.07.2015 - 32325/13, Mafalani ./. Croatia - HUDOC Rn. 69 m.w.N.). Von einer erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ist der EGMR ausgegangen, wenn sie bei dem Opfer Gefühle der Angst, seelischer Qualen und der Unterlegenheit hervorruft, wenn sie das Opfer in dessen oder in den Augen anderer entwürdigt und demütigt, und zwar unabhängig davon, ob dies beabsichtigt ist, ferner, wenn die Behandlung den körperlichen oder moralischen Widerstand des Opfers bricht oder dieses dazu veranlasst, gegen seinen Willen oder Gewissen zu handeln sowie dann, wenn die Behandlung einen Mangel an Respekt offenbart oder die menschliche Würde herabmindert (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils unter Bezugnahme auf EMGR, Urt. v. 03.09.2015 - 10161/13, M. und M. ./. Croatia - HUDOC Rn. 132).

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Aufgrund des nachvollziehbar und anschaulich geschilderten Vorbringens der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass sie sich von ihrem Ehemann ernsthaft getrennt hat und dass ihr deswegen bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG bis hin zu einer Tötung durch die Familienangehörigen ihres Ehemannes droht. Die Klägerin zu 1. hat angegeben, dass ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Trennung von ihrem Mann und ihrer westlichen Lebensweise in der Bundesrepublik Deutschland die Tötung durch Familienangehörige ihres Ehemannes drohe. Bei ihnen handelt es sich auch um Akteure, von den Verfolgung ausgehen kann, weil weder der afghanische Staat, noch sonstige Organisationen willens bzw. in der Lage sind, der Klägerin zu 1. Schutz vor dem drohenden ernsthaften Schaden zu bieten, § 4 Abs. 3 i.V.m. §§ 3c Nr. 3, 3 d AsylG.

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Für Frauen hat sich die Situation in Afghanistan zwar seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13 ff.). Dies zeige auch das Straßenbild Kabuls, wo sich einige noch von Kopf bis Fuß in einen Tschador kleiden, viele andere sich jedoch westlich anziehen und zur Arbeit oder zur Schule gehen (www.dw.com/de, Afghanische Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen, v. 19.04.2017). Dennoch wird Afghanistan weiterhin als ein für Frauen und Mädchen sehr gefährliches Land betrachtet (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 65). Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist weit verbreitet und bleibt üblicherweise straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66). Es wird geschätzt, dass mehr als 87 % aller afghanischen Frauen bereits körperliche, sexuelle, psychologische Gewalt oder eine Zwangsheirat erfahren mussten, mehr als 60 % der afghanischen Frauen sind mehreren Formen der teils auch äußerst brutalen Gewalt ausgesetzt (Nds. OVG, Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 33). Den Behörden fehlt der Wille zur Umsetzung zwischenzeitlich bestehender Gesetze zum Schutz von Frauen und Kindern (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 67). Besonders gefährdet sind Frauen und Mädchen in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 68). Die Diskriminierung von Frauen ist tief verwurzelt (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66). Frauen im öffentlichen Leben und in öffentlichen Ämtern werden bedroht, eingeschüchtert und gewaltsam angegriffen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 45 f.). Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet, vor allem innerhalb der Familienstrukturen, aber auch im beruflichen Umfeld etwa innerhalb des Sicherheitssektors (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 14 f.). Im ersten Halbjahr 2016 dokumentierte die UNAMA sechs Fälle von Hinrichtungen oder Auspeitschungen von Frauen wegen moralischer Vergehen (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 23). Trotz Fortschritten treffen Armut und Analphabetismus Frauen besonders (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 17).

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Auch unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse ist das Gericht davon überzeugt, dass der Klägerin zu 1., die keine Familienangehörigen in Afghanistan hat, infolge der Trennung von ihrem Ehemann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan schwerste Sanktionen durch dessen Familienangehörige drohen, zumal in ihrem Verhalten auch eine Ehrverletzung des Ehemannes und seiner Familie bzw. ihrer eigenen Familie gesehen werden könnte. Eine Frau ist in Afghanistan regelmäßig Besitz, sogar Ware, und sie verkörpert die ‚Ehre‘ der Familie, die unbedingt beschützt werden muss (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Witwen (Schutz, Arbeit, Wohlfahrtsstrukturen), v. 26.08.2016). Angriffe auf die Ehre oder die körperliche Integrität einer Person erfordern in Afghanistan eine Rachereaktion, um das ursprüngliche Gleichgewicht zwischen den Personen und Gruppen („badal“) sowie die Ehre wieder herzustellen; daraus kann sich eine Blutfehde entwickeln (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 3). “). Die Unfähigkeit, eine Tat zu vergelten, wird als Zeichen moralischer Schwäche angesehen und kann zur Wahrnehmung führen, dass es der ganzen Verwandtschaftsgruppe an moralischem Charakter fehle (Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 5; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde, v. 07.06.2017, S. 2). Der Betroffene kann sein soziales Prestige verlieren (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Blutrache, v. 25.08.2014, S. 1).  Frauen, die ihre Männer verlassen werden in Afghanistan auch immer wieder sogenannter moralischer Verbrechen bezichtigt, was bei einer entsprechenden Verurteilung zu mehrjährigen Haftstrafen führen kann; wenn sie des außerehelichen Geschlechtsverkehrs bezichtigt werden (Zina), droht ihnen sogar eine Tötung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, v. 22.01.2016; vgl. auch UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69)). So richteten Taliban etwa am 19. Dezember 2016 eine Frau hin, weil sie nach dem Weggang ihres Mannes in den Iran einen anderen Mann geheiratet und sich ihr früherer Ehemann an die Taliban gewandt hatte (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 19.12.2016). Nach dem Paschtunwali kann sich ein Mann zwar von seiner Frau nach der Hochzeit scheiden lassen, der Frau steht ein solches Recht jedoch nicht zu (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, S. 53). Den Paschtunen ist allein schon die Vorstellung von Talaq (Scheidung) ein Horror; das Wort Zantalaq (ein Mann, der sich von seiner Frau geschieden hat) gilt als Beleidigung und widerspricht dem Ehrbegriff der Paschtunen und kann zu Mord und Blutfehden führen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, S.  58). Nach der Scharia wäre ein Mädchen hingegen berechtigt, notfalls eine Scheidung von ihrem Mann zu verlangen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, S. 53). Ein Verhalten einer Frau, das intern in der Familie als Schande angesehen wird, kann auch zu ihrer Tötung durch die eigene Familie führen („Ehrenmord“; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 3 f.). Zwar regelt das schiitische Personenstandsgesetz auch eine Scheidung (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 67), dies schließt - auch unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen - einen der Klägerin zu 1. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden ernsthaften Schaden jedoch im vorliegenden Fall nach der Auffassung des Gerichts nicht aus. Allein ein Gesetz vermag der Klägerin zu 1. keinen wirksamen Schutz vor einem ernsthaften Schaden zu bieten.

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Die Klägerin zu 1. vermag weder Schutz durch den Staat oder Dritte zu erlangen, noch stünde ihr eine inländische Fluchtalternative (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG) zur Verfügung. Schutz können Frauen in größeren Städten theoretisch zwar in Frauenhäusern finden, diese verfügen jedoch nicht über ausreichend Plätze (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 18); auch ist ein Leben außerhalb im Anschluss regelmäßig nicht mehr möglich (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 15). Das Gesundheitsministerium verzeichnete von März 2014 bis Juni 2015 mehr als 9.000 Fälle von versuchtem Selbstmord (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 18). Geschlechtsspezifische Gewalt gehört zu den häufigsten Gründen für Selbstmord und Selbstverbrennung bei Frauen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 68 Fn. 380). Staatlicher Schutz ist für Frauen insoweit nicht zu erlangen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69; BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Das Justizsystem funktioniert in Afghanistan nur sehr eingeschränkt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 5). Es herrscht ein Klima der Straflosigkeit (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 28; SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). Der Islamvorbehalt in der Verfassung, tradierte Moralvorstellungen, Einflussnahmemöglichkeiten durch Verfahrensbeteiligte und Unbeteiligte sowie Zahlungen von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 12; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde, v. 07.06.2017, S. 6 f.). Auch innerhalb der Polizei ist Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29, vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde, v. 07.06.2017, S. 6; www.deutschlandfunk.de, Hauptursache der schlechten Sicherheitslage, v. 14.06.2017). Korruption ist im gesamten Justizwesen weit verbreitet, insbesondere im Zusammenhang mit strafrechtlicher Verfolgung und Freilassungen aus dem Gefängnis (Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 7; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde, v. 07.06.2017, S. 6). Auch Angst vor Strafaktionen von religiösen Extremisten führt zu polizeilicher Zurückhaltung (ACCORD, Dokumentation des Expertengespräches mit T. R. und M. D., v. 06.2016, S. 13 f.). Zudem ist das Justizwesen unterfinanziert und personell unterbesetzt (SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). So findet etwa auch eine polizeiliche Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an Jugendlichen und Kindern nicht statt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 13) und auch die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen und Mädchen bleibt üblicherweise straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66). Dies gelte auch für internen Schutz (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Auch auf lokale Machthaber ohne staatliche Befugnisse hat die Zentralregierung kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen und verurteilen, so dass Sanktionen häufig ausbleiben (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 17; vgl. auch SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). Eine parallele Rechtsprechung einschließlich der damit verbundenen Strafsanktionen bis hin zu Exekutionen wird kaum bis gar nicht verfolgt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 21; vgl. auch SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15 f.; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). Täter von Menschenrechtsverletzungen werden selten zur Rechenschaft gezogen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). In ländlichen Gebieten zeigen sich dabei deutlich mehr Schwächen als in städtischen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 28; SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15; ACCORD, Dokumentation des Expertengespräches mit T. R. und M. D., v. 06.2016, S. 17). Die Klägerin kann sich auch nicht in einem anderen Landesteil niederlassen und dort Schutz vor dem drohenden Schaden finden. Ein Leben für ledige Frauen ist außerhalb eines Familienverbandes kaum realistisch (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 16). Selbst in städtischen Gebieten sind alleinstehende Frauen regelmäßig nicht in der Lage, ein Leben ohne unangemessene Härte zu führen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 98; vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 01.12.2016 - Au 5 K 16.31914 -, juris Rn. 24), zumal die Klägerin Analphabetin ist und drei minderjährige Kinder zu versorgen hat.

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2. a) Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln folgt allerdings nicht, dass auch den Kindern der Klägerin zu 1., den Klägern zu 2. bis 4. infolge des Verhaltens ihrer Mutter mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.

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Ein solcher folgt auch nicht aus der Zugehörigkeit der Kläger zu 2. bis 4. zum Volke der Hazara. Das Gericht ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht davon überzeugt, dass jedem Angehörigen der Hazara allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit ein ernsthafter Schaden droht (zu zuletzt VG Lüneburg, Urt. v. 19.06.2017 - 3 A 152/16 -, juris Rn. 21; ausführlich VG Lüneburg, Urt. v. 15.05.2017 - 3 A 102/16 -, juris Rn. 30; vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris Rn. 11 f.; Beschl. v. 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; VG Düsseldorf, Urt. v. 05.01.2017 - 18 K 2043/15.A -, juris Rn. 30 m.w.N.; VG Greifswald, Urt. v. 02.12.2016 - 3 A 1400/16 -, juris Rn. 26; VG Augsburg, Urt. v. 07.11.2016 - Au 5 K 16.31853 -, juris Rn. 33; VG Würzburg, Urt. v. 28.10.2016 - W 1 K 16.31834 -, juris Rn. 19).

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Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung wohl eine bereits erfolgte westliche Prägung der 15-jährigen Klägerin zu 2. geltend gemacht haben, folgt hieraus jedenfalls bereits deshalb kein Anspruch der Klägerin zu 2. auf subsidiären Schutz, weil die Kläger insoweit auch vorgetragen haben, dass die Klägerin zu 2. ihr Kopftuch erst nach der Trennung der Klägerin zu 1. von ihrem Ehemann vor ca. fünf bis sechs Monaten abgelegt habe. Zudem hat sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung kein Bild von der Klägerin zu 2. machen können. Das Gericht ist daher nicht davon überzeugt, dass die Klägerin zu 2. bereits in einem solchen Maße in ihrer Identität westlich geprägt worden ist, dass sie entweder nicht mehr dazu in der Lage wäre, bei einer Rückkehr nach Afghanistan ihren Lebensstil den dort erwarteten Verhaltensweisen und Traditionen anzupassen, oder ihr dies infolge des erlangten Grads ihrer westlichen Identitätsprägung nicht mehr zugemutet werden könnte (vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 26).

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b) Die Kläger zu 2. bis 4. haben auch keinen Anspruch auf Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte infolge einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG). Für eine solche Annahme müssen stichhaltige Gründe vorliegen (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.). Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Betroffenen bei einer Rückkehr, damit in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 13, 16; Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn.16).

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Vorliegend kann dahinstehen, ob in der Heimatprovinz der Kläger ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht, weil jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ihr Leben oder ihre Unversehrtheit in der Provinz Ghazni infolge willkürlicher Gewalt bedroht sind. In der Region von Ghazni geht nicht für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr aus, die sich in der Person der Kläger zu 2. bis 4. so verdichtet, dass sie für diese eine erhebliche individuelle Gefahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 17) bzw. Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt.

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Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben, wie etwa einer berufsbedingten Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 18; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris). Wenn solche individuellen gefahrerhöhenden Umstände fehlen, kann eine entsprechende Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; Nds. OVG Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.; Beschl. v. 14.04.2016 - 9 LA 57/16 -, n.v.; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Dies setzt aber ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraus (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 19; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 14.04.2016 - 9 LA 57/16 -, n.v.; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Permanente Gefährdungen der Bevölkerung und schwere Menschenrechtsverletzungen im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts reichen für sich allein nicht aus (BVerwG, Urt. v. 13.02.2014 - 10 C 6/13 -, juris Rn. 24; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Dies gilt auch bei heftigen Auseinandersetzungen zwischen der afghanischen Armee und aufständischen Gruppen, die auch die Zivilbevölkerung durch Massenentführungen, Vertreibungen, Kämpfe in bewohnten Gebieten oder Angriffe auf Dörfer im Mitleidenschaft ziehen (Nds. OVG, Beschl. v. 14.04.2016 - 9 LA 57/16 -, n.v.). Für die Bestimmung der Gefahrendichte hat eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau) und daneben auch eine wertende Gesamtbetrachtung jedenfalls auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage zu erfolgen (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 23; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.; Nds. OVG, Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Das Risiko einer Zivilperson von 1:800 (bezogen auf ein Jahr) verletzt oder getötet zu werden ist dabei weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines ihr drohenden Schadens entfernt (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 23; vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). In diesem Fall vermag sich auch eine wertende Gesamtbetrachtung regelmäßig im Ergebnis nicht auszuwirken (Bay. VGH, Beschl. v. 17.01.2017 - 13a ZB 16.30182 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

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Bei den Klägern zu 2. bis 4. liegen keine solchen persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vor, die zu einer erheblichen individuellen Gefährdung führen würden. Zwar sind die Kläger zu 2. bis 4. minderjährige Kinder und so mehr Gefahren als Erwachsene ausgesetzt. Dies führt aber noch nicht zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung. In der Provinz Ghazni ist auch nicht praktisch jede Zivilperson einer solchen Bedrohung ausgesetzt. Die Wahrscheinlichkeit für Zivilperson dort verletzt oder getötet zu werden ist jedoch nicht so hoch, dass jeder Zivilperson aus Ghazni subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre.

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Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes mit Stand September 2016 (S. 4 unter Verweis auf den UNAMA-Bericht von Juli 2016 über den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt) hat es in Afghanistan im ersten Halbjahr 2016 mit 1.601 getöteten und 3.565 verletzten Zivilisten einen Anstieg von 4 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum gegeben, mit der Folge der höchsten Zahl seit Beginn der Erfassungen im Jahr 2009. Ende 2015 hatte die Anzahl der zivilen Opfer mit 11.002 einen neuen Höchststand erreicht (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S.6). 70 % der Opfer werden den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen zugerechnet, was insoweit einen Rückgang um 3 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet (Amnesty Report 2016 Afghanistan, S. 1, 2), auch wenn die Opferzahl insgesamt um 4 % gestiegen ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 6). Im ersten Halbjahr 2016 hat die Verantwortlichkeit regierungsfeindlicher Gruppen für zivile Opfer 60 % (966 Tote und 2.116 Verletzte) betragen, was eine Zunahme um 11 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.09.2016). Im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte August 2016 konzentrierten sich die Taliban darauf, die Regierungskontrolle in den Provinzen Baghlan, Kunduz, Takhar, Faryab, Jawzjan und Uruzgan zu bekämpfen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v 19.09.2016). 68,1 % der landesweiten Vorfälle konzentrierten sich auf die südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.09.2016), im vierten Quartal noch 66 %; die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle erhöhte sich gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr um 9 %, in den Monaten Januar bis Oktober um 22 % (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). Im Herbst 2016 übten die Taliban ohne anhaltenden Erfolg Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz aus (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). Auch Anfang Januar 2017 griffen die Taliban erneut Helmand an (Neue Züricher Zeitung, Online-Ausgabe v. 02.01.2017). Am 5. Mai 2017 eroberten die Taliban in der Provinz Kunduz den Distrikt Kala-i-Sal (Handelsblatt, Taliban erobern Distrikt nahe Kundus, v. 06.05.2017). Am 6. Mai 2017 haben die Taliban den Distrikt Zibak in der Provinz Badakhshan eingenommen; in der Provinz Nuristan belagern die Taliban den Distrikt Want Waigal (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Mitte Juni eroberte der IS von den Taliban die Felsentunnel Tora Bora in Nangarhar (www.zeit.de, IS erobert strategisch wichtige Stellung von Taliban, v. 14.06.2017); weniger Tage später hat die afghanische Armee die Höhlen geräumt (www.deutschlandfunk.de, IS-Miliz aus Höhlen in Tora Bora vertrieben, v. 19.06.2017). Die Sicherheitskräfte gehen weiterhin gegen die Taliban und IS-Kämpfer vor (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.09.2016). So konnten sie auch die Bezirkshauptstadt von Kala-i-Sal nach wenigen Tagen zurückerobern (www.handelsblatt.com, Regierung erobert Bezirkszentrum von Taliban, v. 16.05.2017) und auch den Distrikt Zibak (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 22.05.2017). Die Bevölkerungszentren und Hauptverkehrsstraßen in Afghanistan werden von den afghanischen Sicherheitskräften (ANDSF), abgesehen von kurzzeitigen Störungen durch die regierungsfeindlichen Kräfte, kontrolliert, wenn die ANDSF auch Defizite unter anderem in der Führung, strategischer und taktischer Planungsfähigkeit, Aufklärung und technischer Ausstattung aufweisen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 6). So behält die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, die Provinzhauptstädte, fast alle Distriktszentren (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 29.07.2016, S. 38; vgl. für Kabul auch Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.) und die größeren Provinzzentren (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 3). Die Provinzhauptstädte konnten auch im vierten Quartal 2016 gesichert werden, wenn es auch zu intensiven bewaffneten Zusammenstößen gekommen ist (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.12.2016). Dort leben ca. zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 14). Allerdings standen bis Mitte November 2016 lediglich 233 von 407 Distrikten unter Kontrolle oder Einfluss der Regierung, mithin 15 % weniger als im Jahr 2015; die Aufständischen üben Anfang des Jahres 2017 in 41 Distrikten in 15 Provinzen (insbesondere in Helmand, Uruzgan, Kandahar und Zabul) die Kontrolle oder ihren Einfluss aus, die übrigen sind umkämpft (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Von den ca. 32 Millionen Einwohnern Afghanistans leben ca. 20,4 Millionen in Gebieten unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss und 2,5 Millionen in von Aufständischen beeinflussten Gebieten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). In den meisten der sieben Bezirke in der Provinz Kundus hält die Regierung lediglich mehr das Bezirkszentrum; die Eroberung von Kunduz ist ein Hauptziel der Taliban (www.handelsblatt.com, Regierung erobert Bezirkszentrum von Taliban, v. 16.05.2017). Die Taliban kontrollieren etwa auch den Kunduz-Khanabad Highway (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig, die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 29.07.2016, S. 38), bedürfen aber der Unterstützung durch internationale Sicherheitskräfte, die auch erfolgt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 4). Eine Koalition von 40 Staaten leistet weiterhin Ausbildung, Beratung und Unterstützung; auch die USA sind weiterhin mit einer Anti-Terror-Mission in Afghanistan präsent (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 6; vgl. etwa n-tv.de, IS-Anführer stirbt bei US-Drohnenangriff v. 19.11.2016). Auch Deutschland hat den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verlängert (www.handelsblatt.com, Regierung verlängert Afghanistan Einsatz v. 15.12.2016). 941 Soldaten der Bundeswehr beraten im April 2017 die afghanischen Sicherheitskräfte, bilden sie aus, unterstützen die Führung und leisten logistische Hilfe (www.zeit.de, Was macht die Bundeswehr in Afghanistan?, v. 22.04.2017). 13.000 internationale Soldaten werden in Afghanistan stationiert bleiben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 30.09.2016, S. 6; vgl. auch www.wallstreet-online.de, Nato-Chef Stoltenberg erwägt Truppen-Aufstockung in Afghanistan, v. 30.04.2017), allein 8.400 Soldaten der US-Streitkräfte (vgl. www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017). Weitere 4.000 Soldaten wurden Mitte Juni 2017 nach Afghanistan beordert (www.handelsblatt.com, USA bauen Militärpräsenz in Afghanistan aus, v. 16.06.2017). Die Truppenstärke der afghanischen Nationalarmee (ANA) betrug Mitte des Jahres 2015 etwa 157.000 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 05.10.2016, S. 137), die der afghanischen Sicherheitskräfte Anfang des Jahres 2017 insgesamt 316.000 (www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017) bzw. 352.000 (www.handelsblatt.de, Mehr Spezialkräfte im Kampf gegen die Taliban, v. 03.04.2017). 7 % davon sind Eliteeinheiten, die rund 40 % aller Gefechte bestritten hätten; das afghanische Militär will die Zahl dieser Spezialkräfte bis 2020 verdoppeln (www.handelsblatt.de, Mehr Spezialkräfte im Kampf gegen die Taliban, v. 03.04.2017). Von Januar bis November 2016 wurden 6.785 Soldaten und Polizisten getötet sowie 11.777 verletzt, mithin 35 % mehr als im Vorjahr (www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017). Zudem wird ihre Effizienz und Arbeit durch Korruption beeinträchtigt (www.deutschlandfunk.de, Hauptursache der schlechten Sicherheitslage, v. 14.06.2017). Der US-Präsident hat mehr Unterstützung für die Sicherheit Afghanistans angekündigt (www.zeit.de, Trump will Afghanistan stärker unterstützen v. 03.12.2016). Anfang des Jahres 2017 entsandten die Vereinigten Staaten von Amerika rund 300 Marinesoldaten in die Provinz Helmand, um die einheimischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen die Taliban auszubilden (www.faz.net, Amerika schickt Marinesoldaten nach Afghanistan, v. 07.01.2017; www.berlinjournal.biz, 300 US-Soldaten auf dem Weg nach Afghanistan, v. 20.04.2017). Nach einem Bericht des amerikanischen Pentagons haben die afghanischen Streitkräfte - wenn auch unbeständige - Fortschritte gemacht; sie konnten mehrere große Taliban-Angriffe abwehren und verlorenes Territorium rasch wieder zurückgewinnen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). Alle acht Angriffe der Taliban auf Städte sind gescheitert (www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017). Die afghanischen Sicherheitskräfte führten zahlreiche Militäroperationen durch und konnten auch die Schlüsselbereiche des Distrikts Ghormach von den Taliban wieder zurück erobern; mit einer groß angelegten Militäroperation soll die Provinz Kunduz von Aufständischen befreit werden (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). In den Provinzen Nangarhar und Kunar wurden Operationen gegen den „Islamischen Staat in der Provinz Khorasan“ (ISIL-KP) durchgeführt (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.12.2016). In den Monaten November, Dezember 2016 und Januar 2017 gab es in Nangarhar 81 Militäroperationen, bei denen 251 Aufständische getötet und 184 gefangen genommen wurden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Zwischen Januar und Ende April 2017 flogen die US-Streitkräfte 898 Luftangriffe gegenüber weniger als 300 im Vergleichszeitraum 2016, verbunden mit einer Verfünffachung der zivilen Opfer (www.handelzeitung.ch, Dreimal so viele Luftangriffe in Afghanistan, v. 29.05.2017).

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Anfang Januar 2017 wurde bei einem Sondereinsatz des afghanischen Geheimdienstes ein führender Al-Kaida Kommandeur getötet (orf.at, Führender Al-Kaida-Kommandeur in Afghanistan getötet, v. 19.02.2017). Mitte Januar 2017 zerstörten Sicherheitskräfte eine Bombenwerkstatt der Taliban in Balch (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Ende Januar wurden in zahlreichen Provinzen Anti-Terror-Operationen gegen die Taliban und den IS durchgeführt (deutsch.rt.com, Top-Funktionär der Taliban in Afghanistan getötet, v. 28.01.2017; www.zeit.de, Afghanischer Polizist tötet acht Kollegen, v. 03.02.2017). Allerdings starben in den ersten acht Wochen des Jahres 2017 auch 807 Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte (www.zeit.de, US-Bericht: Hohe Verluste unter afghanischen Sicherheitskräften in Wintermonaten, v. 01.05.2017). Ende Februar  wurden bei einem US-Luftangriff ein Taliban-Anführer und neun Kämpfer in der Provinz Kunduz getötet (www.spiegel.de,Taliban-Anführer durch US-Luftangriff getötet, v. 27.02.2017). In Laghman konnten Versuche der Taliban, zwei Distriktszentren zu erobern, abgewehrt werden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Ende März töteten US-Streitkräfte einen Anführer von Al-Kaida (www.zeit.de, Al-Kaida-Anführer in Afghanistan bei US-Angriff getötet, v. 26.03.2017). Auch am Kampf gegen den IS in Afghanistan beteiligen sich die US-Streitkräfte (vgl. www.zeit.de, US-Soldat bei Anti-IS-Einsatz in Afghanistan getötet, v. 09.04.2017). Durch eine im April von den US-Streitkräften in Nangarhar auf ein Tunnelsystem abgeworfene Bombe starben mindestens 94 IS Kämpfer (www.zeit.de, US-Bombe soll 94 IS-Kämpfer getötet haben, v. 15.04.2017). Die Zahl der IS Kämpfer in Afghanistan wird vom Pentagon auf 1.000 geschätzt (www.merkur.de, Pentagon: IS-Anführer in Afghanistan vermutlich getötet, v. 28.04.2017). Bei einem Angriff afghanischer und US-Truppen in der Provinz Nangarhar wurden der Anführer des IS in Afghanistan, weitere hohe Vertreter und 35 Kämpfer getötet (www.spiegel.de, Armee meldet Tod von IS-Anführern“, v. 07.05.2017). Seit Anfang März 2017 wurden insgesamt 750 Kämpfer der Terrormiliz getötet und die vom IS kontrollierten Gebiete wurden um zwei Drittel reduziert (derstandard.de, US-Militär: 750 IS-Kämpfer seit März in Afghanistan getötet, v. 19.05.2017). Ende April wurden bei Anti-Terror-Operationen in Afghanistan mindestens 43 Extremisten getötet (deutsch.rt.com, Afghanistans Sicherheitskräfte töten mindestens 43 Terroristen, v. 30.04.2017). Am 3. Juni 2017 töteten US-Streitkräfte den IS-Medienchef in Afghanistan (www.merkur.de, US-Streitkräfte töten IS-Medienchef, v. 17.06.2017). In Herat, Nangharhar, Logar, Ghazni, Takhar und Paktia wurden mehrere teils hohe Angehörige der Taliban getötet (www.tolonews.com, Taliban´s Shadow District Governor Killed in Herat, v. 29.05.2017).

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Dennoch lassen sich selbst in Kabul Anschläge mit Toten und Verletzten nicht vermeiden, so gab es in der ersten Jahreshälfte 2016 elf Vorfälle mit 107 Toten (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 3, 4). Insgesamt sind nach einem Bericht der UN in Afghanistan im Jahr 2016 1.963 Menschen bei Selbstmordanschlägen verletzt oder getötet worden, mithin 7 % mehr als im Jahr 2015; in Kabul habe es einen Anstieg um 75 % gegeben, mit 1.514 verletzten oder getöteten Zivilpersonen bei 16 Anschlägen (www.handelsblatt.de, Mindestens 22 Tote bei Anschlag vor Gericht in Kabul, v. 07.02.2017). Im Jahr 2016 wurden durch die UNAMA in Afghanistan 11.418 verletzte und getötete Zivilpersonen gezählt, mithin 384 mehr als im Jahr 2015 (Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S. 11). Die Zahl der von der UNAMA gezählten getöteten oder verletzten Kinder ist um 24 % auf 3.512 gestiegen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zwischen Mitte November 2016 und Mitte Februar 2017 hat um 10 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres zugenommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 1). Im ersten Quartal 2017 gab es nach einem Bericht der UNAMA insgesamt 2.181 zivile Opfer, 715 Tote und 1466 Verletzte, davon 210 getötete - 17 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum - und 525 verletzte Kinder (www.zeit.de, UNO: Ein Drittel der zivilen Todesopfer in Afghanistan Kinder, v. 27.04.2017). Insgesamt gab es damit 4 % weniger zivile Opfer als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 12.06.2017).

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Am 1. April 2017 wurde ein Mitglied des Provinzrates von Kapisa bei einem Bombenanschlag getötet, in Parwan kamen mehrere Menschen bei Landstreitigkeiten ums Leben und einen Tag später starben in Khost drei afghanische Soldaten und sechs Schüler bei einem Autobombenanschlag (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 03.04.2017). Bei einem Angriff Aufständischer auf zwei Dörfer in Darzab in der Provinz Dschuzdschan sind 13 Anhänger des IS von Sicherheitskräften getötet worden (german.cri.cn, 13 IS-Milizen in Afghanistan getötet, v. 11.04.2017). In Kunar sollen innerhalb von 24 Stunden 70 Raketen aus Pakistan eingeschlagen sein (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 03.04.2017). Im Bezirk Schimtal in der Provinz Balch starben neun Polizisten durch eine Bombe (www.salzburg.com, Bombenanschlag im Norden Afghanistans: Neun Polizisten tot, v. 09.04.2017). Vier Kinder starben beim Spielen mit einem Mörsergeschoss in Kasaban, Bezirk Tschrdara, Provinz Kunduz (www.abendblatt.de, Vier Kinder beim Spielen mit Mörser in Afghanistan getötet, v. 11.04.2017). In Kabul zündete ein Selbstmordattentäter in der Nähe des Präsidentenpalastes seine Sprengstoffweste inmitten von Ministeriumsangestellten (www.trt.net, Fünf Tote bei Selbstmordanschlag in Afghanistan, v. 12.04.2017). Bei einem Anschlag in der Provinz Kunduz wurde ein Armeegeneral getötet und bei einem Angriff der Taliban in Sar-i Pul seien drei Frauen und ein Kind erschossen worden (www.berliner-zeitung.de, Fünf Tote bei Taliban-Angriffen in Afghanistan, v. 17.04.2017). In der Provinz Helmand wurden durch eine Bombe am Straßenrand elf Zivilisten getötet und in der Provinz Ghazni zwei Frauen und zwei Kinder durch eine Rakete (www.tt.com, Mehr als 100 Tote in Afghanistan über Ostern, v. 17.04.2017). Bei einem Angriff der Taliban auf einen Armee-Stützpunkt in der Provinz Balch wurden 140 Soldaten getötet und 160 verletzt (www.spiegel.de, Taliban töten 140 Soldaten, v. 22.04.2017). Anfang Mai starben bei einem Selbstmordanschlag auf einen Militärkonvoi in Kabul acht Zivilpersonen (www.spiegel.de, Acht Tote bei Bombenanschlag in Kabul, v. 03.05.2017). Bei Gefechten an der afghanisch-pakistanischen Grenze wurden mehrere Menschen getötet und mehr als 70 verletzt (derstandard.at, Drei Tote bei Gefechten an afghanische-pakistanischer Grenze, v. 05.05.2017). Am 7. Mai wurde der Medienberater des Gouverneurs von Kandahar erschossen; einen Tag später starb in Khost eine Zivilperson durch einen Bombenanschlag (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). In Kandahar wurden am 7. und 8. Mai neben dem Medienberater drei weitere Menschen gezielt getötet, zwei Polizisten und ein Soldat (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 15.05.2017). Der Vorsitzende des Mullah-Rates der nordostafghanischen Provinz Parvan wurde durch eine Bombe während seines Religionsunterrichts getötet (www.tt.com, Hoher Religionsgelehrter in Afghanistan mit Matratzenbombe getötet, v. 09.05.2017). In Faryab starben bei Kämpfen zwischen den Taliban und dem IS 90 Kämpfer auf beiden Seiten, auch kam es zu Zusammenstößen in Nangarhar, bei denen auch Zivilpersonen getötet wurden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017); am 11. Mai 2015 wurde dort ein Mitarbeiter der Ölindustrie getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 15.05.2017). In Farah wurde ein Polizist erschossen, in Nangarhar wurden drei Zivilisten bei einer Bombenexplosion verletzt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). In Helmand starb eine Zivilperson bei der Explosion einer Straßenmine (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Am 14. Mai 2017 starben fünf Kinder bei einem Mörserangriff in Laghman (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 15.05.2017). Bei einem Bombenanschlag auf eine Polizeistation in Kandahar am 16. Mai 2017 starb ein Zivilist; bei einem Angriff von IS-Kämpfern auf den staatlichen Fernsehsender in Nangarhar wurden diese getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 22.05.2017). Bei einem Angriff des IS auf einen Fernsehsender in Jalalabad starben vier Mitarbeiter und zwei Polizisten (www.vol.at, Zehn Tote bei IS-Angriff auf Staatssender in Afghanistan, v. 17.05.2017). Bei Angriffen auf Polizeistationen in der Provinz Zabul starben 20 Polizisten (www.focus.de, Mindestens 20 Polizisten bei Taliban-Angriff getötet, v. 21.05.2017). Ebenfalls in Nangarhar tötete ein Polizist fünf seiner Kameraden, im Distrikt Mohammad Agha wurden bei einem Anschlag elf Zivilpersonen getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 22.05.2017). Am 20. Mai 2017 griffen Taliban-Kämpfer eine Filiale der Kabul Bank in Gardes in der Provinz Paktia an und in Kabul wurden bei einem Überfall auf das Gästehaus der Hilfsorganisation Operation Mercy eine deutsche Entwicklungshelferin und ein afghanischer Wachmann erschossen; eine finnische Entwicklungshelferin wurde dabei entführt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 22.05.2017). Am 22. Mai 2017 wurde in Logar der Vorsitzende des Geistlichen Rates der Provinz erschossen und eine Mädchenschule in Ghazni wurde durch eine Bombe beschädigt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). Bei einem Angriff auf eine Kaserne im Distrikt Schah Wali Kot in Kandahar starben zehn Soldaten (www.dtoday.de, Bewaffnete Angreifer töten mindestens zehn Soldaten in Afghanistan, v. 23.05.2017). Drei Zivilpersonen starben bei einem Bombenanschlag in Maiwand, Provinz Kandahar, in Ghazni wurde ein Mitarbeiter der Schulbehörde getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). In Kunduz wurde bei einem Angriff auf US-Berater ein Kind getötet (www.deutsch.rt.com, Drei Talibanangriffe in Afghanistan - mindestens 18 Tote, v. 25.05.2017) sowie ein Lehrer getötet sowie neun Kinder verletzt als eine Granate eine Schule traf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). Am 26. Mai 2017 starben in Herat durch eine Bombe am Straßenrand 10 Zivilpersonen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). Durch einen Selbstmordattentäter starben bei einem Angriff auf die örtliche Miliz in der Stadt Khost 18 Menschen (www.zeit.de, Mindestens 28 Menschen sterben bei Anschlägen in Afghanistan, v. 27.05.2017). In Logar wurde der Chef des Distrikts Khoshi angegriffen und verletzt, in Zabul erschoss ein Polizist sechs seiner Kollegen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). Am 30. Mai 2017 überlebte der Chef des Distrikts Khogyani einen Anschlag in der Provinz Nangarhar (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 12.06.2017). Bei einer Bombenexplosion im Botschaftsviertel in Kabul am 31. Mai 2017 starben 90 Menschen und mehrere hundert Menschen wurden verletzt (www.handelsblatt.de, 90 Tote und deutsche Botschaft in Trümmern, v. 31.05.2017). Wenige Tage später wird von über 150 Getöteten ausgegangen (www.zeit.de, Ghani: Opferzahl nach Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul auf 150 gestiegen, v. 06.06.2017). Bei den meisten Opfern handelt es sich um Zivilpersonen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 3). Unter ihnen sind auch 31 Mitarbeiter des Telekommunikationsunternehmens Roshan bzw. ihrer Partnerunternehmen (www.zeit.de, Spannungen in Kabul, v. 05.06.2017). Die Taliban und das Hakkani-Netzwerk wiesen eine Beteiligung an der Tat zurück, weil ihr Kampf nicht gegen Zivilisten gerichtet sei(www.derstandard.at, Hakkani-Netzwerk-Chef weist Beteiligung an Anschlag in Kabul zurück, v. 12.06.2017). Bei einer darauf erfolgenden Demonstration in Kabul am 2. Juni 2017 wurden sieben Menschen durch Polizisten erschossen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 12.06.2017). Bei einem Bombenanschlag auf ein Begräbnis eines der Demonstranten kamen 20 Menschen ums Leben und über einhundert wurden verletzt (www.zeit.de, Mindestens 20 Tote nach Explosionen in Kabul, v. 03.06.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 12.06.2017). Ebenfalls Anfang Juni wurde in der Nähe des Flughanfes von Jalalabad ein Mitarbeiter des Sicherheitspersonals durch einen Selbstmordanschlag getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 12.06.2017). In der Provinz Farah wurden drei Leibwächter des Gouverneurs von Baghlan erschossen, am 6. Juni 2017 wurden bei einer Bombenexplosion vor der großen Moschee in Herat mindestens sieben Menschen getötet(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 12.06.2017). Bei einer Insider-Attacke der Taliban in der Provinz Nangarhar kamen drei US-Soldaten ums Leben (www.zeit.de, Taliban-Kämpfer infiltriert Armee und töte US-Soldaten, v. 11.06.2017), drei weitere Polizisten starben in Uruzgan (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 12.06.2017). Am 12. Juni 2017 starben bei einem Angriff auf einen US-Konvoi drei Zivilpersonen (www.handelsblatt.com, US-Soldaten erschießen Zivilisten, v. 12.06.2017), am 14. Juni 2017 bei der Explosion einer Motorradbombe in Paktika sechs Kinder und einen Tag später bei einem Angriff des IS auf eine schiitische Moschee in Kabul mindestens sechs Personen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 19.06.2017). In Helmand starben bei einem Selbstmordanschlag auf einen Checkpoint mehrere Angreifer (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 19.06.2017). Bei einem Angriff auf eine Polizeistation in Gardez (Südosten) starben fünf Menschen (www.spiegel.de, Taliban greifen Polizeistation an - mindestens fünf Tote, v. 18.06.2017), bei einer Insider-Attacke in Masar-e Scharif wurden sieben US-Soldaten verletzt (kurier.at, Afghanistan: Sieben US-Soldaten bei "Insider-Attacke" verletzt, v. 18.06.2017). In der Nähe des Stützpunktes Bagram wurden acht Sicherheitskräfte getötet (www.zeit.de, Acht afghanische Wachen von US-Militärbasis nördlich von Kabul getötet, v. 20.06.2017). Der Bezirk Darzab wurde zunächst von IS-Kämpfern, dann von den Taliban angegriffen; infolgedessen starben zehn Sicherheitskräfte (www.salzburg.com, Doppelangriff von IS- und Talibankämpfern in Afghanistan, v. 21.06.2017). Durch eine Straßenbombe in Helmand wurden sechs Polizisten getötet, am 22. Juni 2017 durch einen Selbstmordattentäter der Taliban 36 Personen bei einem Angriff auf Soldaten vor einer Bank in Laskar Gah; am 25. Juni 2017 töteten die Taliban 10 weitere Polizisten in der Provinz Herat (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 26.06.2017). Am 28. Juni 2017 töteten Taliban in Badachschan zwei Polizistinnen (www.nzz.ch, Taliban ermorden Polizistinnen, v. 28.06.2017). In der Provinz Farah wurden sechs Zivilisten durch eine am Straßenrand versteckte Bombe getötet (www.deutschlandfunk.de, Versteckter Sprengsatz tötet Zivilisten, v. 05.07.2017).

33

Anschlagsziele sind in erster Linie Regierungsinstitutionen und internationale Einrichtungen, dennoch kommt es (auch) zu Opfern unter der Zivilbevölkerung (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 4; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 3), wenn auch die Taliban in der Erklärung zur Frühlingsoffensive 2015 angegeben haben, solche reduzieren zu wollen (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.04.2016, S. 39 Fn. 209). Im Jahr 2015 wurden 1.335 Zivilpersonen durch gezielte Tötungen bzw. Tötungsversuche verletzt oder getötet (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.04.2016, S. 38). Zwischen Februar und Mai 2016 gingen die gezielten Tötungen um 37 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres zurück (ecoi.net-Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul v. 30.09.2016). In der Erklärung der Taliban vom 12. April 2016 zum Ausruf der jährlichen Offensive sprachen sie anders als in vergangenen Jahren keine expliziten Drohungen mehr gegen zivile Regierungsbeamte aus (ecoi.net-Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul v. 30.09.2016). Die Taliban reklamieren allerdings 16 Angriffe im Jahr 2016 auf Justizmitarbeiter, Anwälte und Gerichte (www.handelsblatt.com, Mindestens 22 Tote bei Anschlag vor Gericht in Kabul, v. 07.02.2017). Die Taliban haben ihre Taktik auf großangelegte Angriffe insbesondere in städtischen Gebieten umgestellt (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 1). Dennoch sollen im Jahr 2016 mindestens 2.100 Zivilisten durch versteckte Bomben getötet oder verletzt worden sein (www.deutschlandfunk.de, Versteckter Sprengsatz tötet Zivilisten, v. 05.07.2016). Anschläge des IS zielen zudem auch immer wieder direkt auf die Zivilbevölkerung ab (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 3). Seit April 2016 hat sich die Sicherheitslage aus Sicht des UNHCR weiter rapide verschlechtert (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S.  3). Am 22. September 2016 vereinbarte die afghanische Regierung mit der Mujahedin-Rebellengruppe Hezb-e Islami ein Friedensabkommen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Unterzeichnetes Friedensabkommen mit Gulbuddin Hekmatyar Anführer der großen Mujahedin-Rebellengruppe Hezb-e Islami, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 05.10.2016; vgl. auch www.taz.de, „Schlächter von Kabul“ findet Frieden, v. 05.02.2017). Hekmatyar hielt im April 2017 in der östlichen Provinz Laghman vor Anhängern erstmals seit 2001 eine Rede und rief vor allem die aufständischen Taliban auf, den Krieg gegen die Regierung zu beenden (www.focus.de, Afghanistan begrüßt Rückkehr des "Schlächters von Kabul", v. 29.04.2017). In der Mitteilung der Taliban zur Frühlingsoffensive 2017 kündigten sie an, ihre Angriffe auf afghanische und ausländische Truppen verstärken zu wollen (deutsch.rt.com, Taliban kündigen Frühlingsoffensive in Afghanistan an, v. 28.04.2017). In Einzelfällen kommt es auch zu Bedrohungen von Regierungs- und Behördenmitarbeiter, Menschenrechtsanwälten, Mitarbeitern ausländischer Organisationen und Journalisten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 5). Auch Würdenträger, Stammesälteste und Religionsgelehrte sind Ziel von Anschlägen der gewaltbereiten Opposition (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 7). 13 % aller Anschläge gegen Zivilpersonen richten sich gegen Zivilisten, die für die afghanische Regierung oder internationale Organisation arbeiten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 20). Anfang März 2017 riefen die Taliban ihre Kämpfer allerdings dazu auf, Entwicklungshelfern die notwendige Sicherheit zu bieten, nachdem sie bereits auch schon im November 2016 Schutz für Entwicklungshilfeprogramme versprochen hatten (www.handelsblatt.de, Taliban bitten um Hilfe für Afghanen, v. 06.03.2017). In einer weiteren von den Taliban im Internet veröffentlichten Erklärung heißt es, dass die Sicherheit von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen garantiert werde (www.deutschlandfunk.de, Taliban rufen zu internationaler Hilfe auf, v. 05.04.2017). Die Zahl der Mordanschläge ist im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte August 2016 um 6,2 % gegenüber dem Vorjahr zurück gegangen, wenngleich sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle um 4,7 % erhöht haben (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.09.2016). Im vierten Quartal 2016 wurden 183 Mordanschläge registriert, was einen Rückgang von 32 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 2015 zum Ausdruck bringt; auch die Zahl der Entführungen hat mit 99 gegenüber dem Vorjahr (109) abgenommen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.12.2016). Ende Dezember 2016 wurden mehrere Entführer in Herat zum Tode verurteilt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Anfang Januar 2017 entführten Taliban in Kandahar zehn Arbeiter (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017) und Mitte Januar wurden im Osten Afghanistans durch mutmaßliche Anhänger des Islamischen Staates 13 Lehrer einer Religionsschule entführt (www.salzburg.com, IS verschleppt 13 Lehrer im Osten Afghanistans, v. 15.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017). Mitte Januar 2017 wurden in Kunduz ein Richter des Militärgerichts und in Parwan ein Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums entführt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Ein entführter Straßenarbeiter wurde Anfang Februar 2017 in Nimrus getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Zwei Ärzte wurden in Badghis entführt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Mitte Februar entführten Taliban 52 Bauern, um Lösegeld zu erpressen (www.merkur.de, Afghanistan: Zehn Tote bei Gefechten mit Taliban, v. 15.02.2017). Ende Februar wurden in Logar fünf Mitarbeiter einer Straßenbaufirma entführt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 27.02.2017). Anfang März konnten 28 Zivilpersonen und vier Sicherheitskräfte in Helmand aus der Gefangenschaft der Taliban befreit werden (www.tagesspiegel.de, Schwere Explosion in Kabul, v. 13.03.2017). Am 28. April entführten Taliban sieben Reisende in Herat (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Im Mai 2017 konnten in Helmand elf Menschen aus der Gefangenschaft der Taliban befreit werden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). Auch kommt es immer wieder zu Exekutionen durch nicht-staatliche Akteure, vor allem auch durch Aufständische, die sich auf traditionelles Recht berufen und die Vollstreckung der Todesstrafe mit dem Islam legitimieren, für ein aus ihrer Sicht fehlerhaftes Verhalten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 20). Im ersten Halbjahr 2016 wurden durch die UNAMA 26 Fälle dokumentiert, vor allem in den Provinzen Farah und Badghis (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 4), die Vereinten Nationen dokumentierten im Jahr 2016 41 Bestrafungsaktionen, bei denen 38 Menschen starben (www.spiegel.de, Taliban hacken vermeintlichem Dieb Hand und Fuß ab, v. 14.03.2017). Anfang des Jahres 2017 wurden sechs Männer in Ghazni durch die Taliban für Diebstahl bzw. Ehebruch mit Peitschenhieben bestraft (www.spiegel.de, 39 Peitschenhiebe - Taliban bestrafen mehrere Männer v. 03.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Auch gibt es Berichte über Gefängnisse von Aufständischen in der Provinz Kunduz (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Im Februar 2017 wurde im Osten Afghanistans ein junges Paar wegen einer außerehelichen Beziehung getötet (www.zeit.de, Wütende Menge tötet junges Paar in Afghanistan wegen außerehelicher Beziehung, v. 12.02.2017). Im März hackten die Taliban einem vermeintlichen Dieb eine Hand und einen Fuß ab (www.spiegel.de, Taliban hacken vermeintlichem Dieb Hand und Fuß ab, v. 14.03.2017).

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In der südöstlichen Region Afghanistans, zu der neben Ghazni (Einwohnerzahl ca. 1.249.000, jeweils nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017) Paktika (Einwohnerzahl ca. 441.000), Khost (Einwohnerzahl ca. 584.000) und Paktia (Einwohnerzahl ca. 561.000) zählen (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S.  2; UNHCR, Anfragebeantwortung v. 12.05.2016, S. 8) wurden im Jahr 2016 von der UNAMA 903 verletzte oder getötete Zivilpersonen gezählt, gegenüber 1.470 im Vorjahr 2015 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S.  21). Im Hinblick auf die Einwohnerzahl von ca. 2,835 Millionen ergibt sich daraus ein Verhältnis von 1:3.139. Bei einer Verdreifachung der Anzahl der von der UNAMA registrierten verletzten und getöteten Zivilpersonen aufgrund einer hohen Dunkelziffer (vgl. hierzu Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 65) ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1.046.

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Anhaltspunkte dafür, dass innerhalb der Region gerade in der Provinz Ghazni ein un-verhältnismäßig hoher Anteil an verletzten oder getöteten Zivilpersonen zu verzeichnen wäre, aus dem eine besonders hohe Gefährdung von Zivilpersonen im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit resultieren könnte, sind nicht gegeben. So gab es etwa im Zeitraum 1. September 2015 bis 31. Mai 2016 dort 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle, in Khost 441, in Paktia 394 und in Paktika 491 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017). Damit ereignete sich zwar ca. die Hälfte der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der Provinz Ghazni. Selbst bei Übertragung dieses Verhältnisses auf die 903 verletzten und getöteten Zivilpersonen im Jahr 2016, würde dies im Hinblick auf die Einwohnerzahl jedoch noch ein Verhältnis von (1.249.000/452) 1:2.763 bzw. - bei einer Verdreifachung der Opferzahlen (vgl. bereits oben) - von 1:921 ergeben. Die Sicherheitslage hatte sich im Jahr 2016 zudem insgesamt gegenüber den Vorjahren erheblich verbessert (vgl. Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S.  21). Die Gewinne der Taliban in der Region sind minimal und unbeständig (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017, S. 48). Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA im Jahr 2016 auch keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in Ghazni mehr; in vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet, was als Abschreckung gewertet wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017, S. 48). Die Sicherheitskräfte gehen auch weiter gegen die Taliban in der Provinz Ghazni vor (vgl. etwa http://www.pajhwok.com, 7 rebels killed, 9 wounded in Ghazni battle, v. 04.05.2017; meafn.com, Casualties as forces, Taliban clash in Ghazni, v. 27.04.2017; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017, S. 48). Für eine Umkehr der positiven Entwicklung liegen keine aktuellen Anhaltspunkte vor. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass es auch im Jahr 2017 zu gezielten Tötungen, Bombenanschlägen und Bestrafungsaktionen durch Angehörige der Taliban gekommen ist und auch weiter kommen wird. Dennoch ist es angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson in der Provinz Ghazni nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden (vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 10.04.2017 - 13 a ZB 17.30266 -, juris Rn. 5; Beschl. v. 06.04.2017 - 13a ZB 17.30254 -, juris Rn. 7; Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 51 ff.; VG München, Urt. v. 03.04.2017 - M 17 K 16.34975 -, juris Rn. 37; VG München, Urt. v. 08.10.2015 - M 25 K 11.30839 -, juris Rn. 28 ff. (Paktia)).

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3. Die Kläger zu 2. bis 4. haben auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Weder aus der allgemeinen Sicherheitslage noch aus der humanitären Lage folgt für die Kläger zu 2. bis 4. ein solcher Anspruch.

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Im Hinblick auf die sich in Deutschland aufhaltende Klägerin zu 1., als Mutter der minderjährigen Kläger zu 2. bis 4., wird einer Abschiebung der Kläger zu 2. bis 4. allerdings zunächst Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG entgegenstehen (§ 60a Abs. 2 AufenthG), was allerdings nicht in diesem gerichtlichen Verfahren sondern als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis von der Ausländerbehörde zu prüfen ist (vgl. etwa nur Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Auflage 2016, AufenthG § 60 Rn. 47). Zudem wird den Klägern zu 2. bis 4. nach Rechtskraft dieses Urteils (vgl. hierzu VG Lüneburg, Urt. v. 07.04.2017 - 3 A 96/16 -, juris) ebenfalls - wie bereits der Klägerin zu 1. nach diesem Urteil - subsidiärer Schutz zuzuerkennen sein, § 26 Abs. 2, Abs. 5 AsylG.

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§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene dadurch tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung aus-gesetzt zu werden (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 12 m.w.N.). Insoweit sind die Verhältnisse im Abschiebungszielstaat landesweit in den Blick zu nehmen (Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.). Ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls ab, wie etwa der Art und dem Kontext der Fehlbehandlung, der Dauer, den körperlichen und geistigen Auswirkungen, sowie - in einigen Fällen - vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils m.w.N.). Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten allerdings nicht, Unterschiede in der medizinischen Versorgung oder soziale und wirtschaftliche Unterschiede durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen, da die Konventionsstaaten hierdurch übermäßig belastet würden (EGMR, Urt. v. 27.05.2008 - 26565/05 N./Vereinigtes Königreich -, NVwZ 2008, 1334 ff., Rn. 44). Eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK hat der EGMR etwa dann angenommen, wenn sie unter anderem geplant war, ohne Unterbrechung über mehrere Stunden erfolgte und körperliche Verletzungen oder ein erhebliches körperliches oder seelisches Leiden bewirkte (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils unter Bezugnahme auf EGMR, Urt. v. 09.07.2015 - 32325/13, Mafalani ./. Croatia - HUDOC Rn. 69 m.w.N.). Von einer erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ist der EGMR ausgegangen, wenn sie bei dem Opfer Gefühle der Angst, seelischer Qualen und der Unterlegenheit hervorruft, wenn sie das Opfer in dessen oder in den Augen anderer entwürdigt und demütigt, und zwar unabhängig davon, ob dies beabsichtigt ist, ferner, wenn die Behandlung den körperlichen oder moralischen Widerstand des Opfers bricht oder dieses dazu veranlasst, gegen seinen Willen oder Gewissen zu handeln sowie dann, wenn die Behandlung einen Mangel an Respekt offenbart oder die menschliche Würde herabmindert (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils unter Bezugnahme auf EMGR, Urt. v. 03.09.2015 - 10161/13, M. und M. ./. Croatia - HUDOC Rn. 132). Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 26).

39

Grundsätzlich schützt Art. 3 EMRK vor den dort genannten Behandlungsweisen durch vorsätzlich vorgenommene Maßnahmen der öffentlichen Gewalt des Empfangsstaates oder nichtstaatlicher Organisationen in diesem Staat, sofern die Behörden außerstande sind, dem Betroffenen einen angemessenen Schutz zu gewähren; wegen der grundlegenden Bedeutung des Art. 3 EMRK wendet der EGMR ihn wegen des absoluten Charakters des Schutzes aber auch dann an, wenn die Gefahr einer verbotenen Behandlung im Abschiebungszielstaat von Faktoren herrührt, die weder unmittelbar noch mittelbar die Verantwortung der staatlichen Behörden dieses Staates auslöst (EGMR (Große Kammer), Urt. v. 27.05.2008 - 26565/05 N./Vereinigtes Königreich -, NVwZ 2008, 1334 [1335]; EGMR, Urt. v. 02.05.1997 - 146/1996/767/964 -, NVwZ 1998, 161 [162]). In der Rechtsprechung des EGMR gilt die ohnehin für Art. 3 EMRK bestehende hohe Schwelle in diesem Fall (keine Verantwortung des Staates) insbesonders (vgl. EGMR, Urt. v. 13. 10. 2011 - 10611/09 (Husseini/Schweden) -, NJOZ, 2012, 952 [954]). Im Rahmen des durch das AsylG und das AufenthG vermittelten Abschiebungsschutzes wird der vom EGMR insoweit über die Anwendung des Art. 3 EMRK auch ohne Verantwortung des Staates bzw. ohne Handeln eines bestimmten Akteurs angenommene Schutz bereits - jedenfalls für Krankheiten - ausreichend durch § 60 Abs. 7 AufenthG vermittelt, zumal im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Anforderungen an die Substantiierungspflicht zu stellen sind. Dies gilt hingegen nicht bei den allgemeinen Lebensbedingungen, da dort - jedenfalls soweit diese als allgemeine Gefahr zu werten sind - wegen § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Abs. 7 und Abs. 5 unterschiedliche (Prognose-)Maßstäbe gelten (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 38; BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 - 10 C 24/10 -, juris Rn. 20). Nach beiden Absätzen ist ein Abschiebungsverbot im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation allerdings nicht gegeben, wenn der Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und sich damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren kann (BVerwG, Urteil v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 39 (zu § 60 Abs. 7 AufenthG); BVerwG, Beschl. v. 25.10.2012 - 10 B 16.12 -, BeckRS 2012, 59390 Rn. 10 (zu Art. 3 EMRK)).

40

aa) Ein Abschiebungsverbot aufgrund einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK) infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK nur in Fällen ganz extremer allgemeiner Gewalt in Betracht, wenn eine tatsächliche Gefahr einer Fehlbehandlung infolge des bloßen Umstands der Anwesenheit im Zielstaat besteht (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn 56 m.w.N.; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.). Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst anzusehen, dass eine Abschiebung dorthin ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt (vgl. etwa EGMR, Urt. v. 12.01.2016 - 13442/08 (A.G.R./Niederlande), NVwZ 2017 293 [295]; vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn 57 f. für Kabul folgend; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.; jeweils m.w.N.). Dem folgt das Gericht - insbesondere auch unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan - auch für die Provinz Ghazni. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel ergeben sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich die Gefahrenlage im Jahr 2016 und bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in einer für ein Abschiebungsverbot relevanten Weise verändert hätte (vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 06.03.2017 - 13a ZB 17.30099 -, juris Rn. 11 f.; Beschl. v. 22.12.2016 - 13a ZB 16.30684 -, juris Rn. 7 f.).

41

bb) Auch die allgemeine humanitäre Lage in Afghanistan begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.

42

Sozialwirtschaftliche und humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat haben weder notwendig noch einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, weil Art. 3 EMRK hauptsächlich dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte dient (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.). Eine erhebliche Beeinträchtigung der (humanitären) Lage des Betroffenen im Herkunftsland - einschließlich seiner Lebenserwartung - im Falle seiner Rückkehr ist für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht ausreichend, sofern nicht in ganz außergewöhnlichen Fällen ausnahmsweise besondere humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung im Konventionsstaat sprechen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 23, 25 m.w.N.; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.; Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v. m.w.N.). Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (Bay. VGH, Beschl. vom 30. September 2015 - 13a ZB 15.30063 -, juris Rn. 5), das nur unter strengen Voraussetzungen erreicht wird (OVG NRW, Beschl. v. 13.05.2015 - 14 B 525/15.A -, juris Rn. 15, 13 (monatelange Obdachlosigkeit ohne Zugang zu jeder Versorgung). Ein anderer Maßstab kommt allerdings (und nur) dann in Betracht, wenn die im Zielstaat bestehenden schlechten humanitären Bedingungen nicht maßgebend auf fehlende staatliche Ressourcen für eine staatliche Fürsorge zurückzuführen sind, sondern auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen der dortigen Konfliktparteien (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.). Grundsätzlich ist bei der Prüfung des Abschiebungsverbotes auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, ausgehend vom dem Ort, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 26 m.w.N.; für Afghanistan verneint EGMR, Urt. v. 13.10.2011 - 10611/09 (Husseini/Schweden) - NJOZ 2012, 952 [953] Rn. 84; Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.).

43

Unter Zugrundelegung der vorgenannten strengen Maßstäbe sind unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel keine ernsthaften und stichhaltigen Gründe dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die Kläger zu 2. bis 4. bei ihrer Abschiebung nach Afghanistan landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris) Gefahr liefen, aufgrund der dortigen allgemeinen Lebensbedingungen einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden und die einer Abschiebung nach Afghanistan ausnahmsweise entgegenstehen würden.

44

Dabei übersieht das Gericht nicht, dass die minderjährigen Kläger zu 2. bis 4. selbstverständlich nicht in der Lage sind, in Afghanistan für sich selbst zu sorgen und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Der Ehemann der Klägerin zu 1. hat in seiner Anhörung durch das Bundesamt jedoch angegeben, dass in Afghanistan seine Mutter, eine Schwester, sechs Onkel, vier Tanten, sehr viele Cousins und Cousinen, Neffen und Nichten sowie die weitere Großfamilie leben würden. Zwei Onkel würden in seinem Heimatdorf leben, ein anderer im Iran. Soweit er auch ausgeführt hat, die weiteren Verwandten noch nie gesehen zu haben, ist das Gericht nicht von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugt. Zum einen fehlen nähere Erläuterungen dazu. Zum anderen steht dies im Widerspruch zu seiner vorangegangenen Erklärung, dass er seine Schwester und Nichten und Neffen länger nicht gesehen habe. Aufgrund der zahlreichen Verwandten der Kläger zu 2. bis 4. ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Verwandten des Ehemannes der Klägerin zu 1. nicht um deren Kinder - die Kläger zu 2. bis 4. - kümmern würden, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Das gilt insbesondere für die Onkel des Ehemannes der Klägerin zu 1. und deren männliche Verwandte. Die Familie ist das wichtigste soziale Netz für die Hazara (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, S. 77). Die Hazara haben zudem eine ethnische Identität, so dass ein Hazara einem anderen Hazara in Not immer helfen wird, selbst wenn er nicht der eigenen Familie oder dem Klan angehört (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, S. 77). Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass die Kläger zu 2. bis 4. deshalb auf sich alleine gestellt sein würden, weil sich die Klägerin zu 1. von ihrem Ehemann getrennt hat. Auch im Falle der Scheidung verfügt regelmäßig die Familie des Vaters über die Vormundschaft der Kinder, weshalb etwa eine Witwe regelmäßig auch innerhalb der gleichen Familie wieder heiraten muss, um nicht dem Risiko ausgesetzt zu sein, ihre Kinder zu verlieren (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Witwen (Schutz, Arbeit, Wohlfahrtsstrukturen), v. 26.08.2016).

45

Auch verkennt das Gericht dabei nicht die allgemeine Situation für Kinder in Afghanistan. Der Schutz für Asylbewerber nach Art. 3 EMRK ist umso wichtiger, wenn die Betroffenen Kinder sind, weil sie besondere Bedürfnisse haben und extrem verwundbar sind; das gilt auch, wenn die Kinder als Asylbewerber von ihren Eltern begleitet sind (EGMR (Große Kammer), Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel /Schweiz), NVwZ 2015, 127 Rn. 119). Bei minderjährigen Kindern ist auch zu berücksichtigen, dass sie grundsätzlich verletzlicher und ihre Bewältigungsmechanismen noch unentwickelter sind (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Kinder neigen zudem mehr dazu, feindselige Situationen als verstörend zu empfinden, Drohungen Glauben zu schenken und von ungewohnten Umständen emotional beeinträchtigt zu werden (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Sie reagieren auch stärker auf Handlungen, die gegen nahe Verwandte gerichtet sind (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Was für einen Erwachsenen unbequem ist, kann für ein Kind eine ungebührende Härte darstellen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 98; UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 25). Kinder können im jeweiligen Fall auch der Gefahr der Rekrutierung, des Kinderhandels, der Entführung, Zwangskinderarbeit, Kinderheirat, Kinderprostitution und Kinderpornographie sowie der systematischen Verweigerung von Bildung ausgesetzt sein (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 75). Die Situation der Kinder hat sich, vor allem für männliche Kinder und hinsichtlich der Bildungschancen, zwar in den vergangenen Jahren verbessert (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12). Die Anzahl der eine Schule besuchenden Mädchen liegt weiterhin unter der der Jungen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 78). Aufgrund der Idee einer Gruppe von afghanischen Unternehmensgründerinnen, die die Mädchenbildung in Afghanistan fördern, wurde ein Computer-Trainingsprogramm ins Leben gerufen und dreizehn Computer- und Programmierzentren in Kabul und Herat gegründet, wodurch bislang 55.000 Studentinnen online gebracht werden konnten (www.dw.com/de, Afghanische Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen, v. 19.04.2017). Das Bildungswesen ist kostenfrei (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 3). Nach inoffiziellen Abmachungen zwischen dem afghanischen Staat und den Taliban, akzeptieren letztere seit 2014 prinzipiell auch Mädchenschulen bis zur sechsten Klasse (www.taz.de, Kurioses aus Afghanistan Die Taliban entdecken ihre grüne Ader, v. 26.02.2017). Auch etwa in Ghazni gibt es eine Mädchenschule (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). Jedoch kommt es weiterhin zu körperlichen Übergriffen auf Kinder und Züchtigungen im familiären Umfeld, in der Schule oder durch die Polizei, insbesondere in ländlichen Gebieten und zu Zwangsverheiratungen, die weit verbreitet sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12); hier spielt auch eine Rolle, aus welcher sozialen Schicht das Kind stammt (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 81). Weiter kommt es zu Aussetzungen und genereller Vernachlässigung (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77). 50 % der Mädchen wurden unter 16 Jahren verheiratet und 60 bis 80 % aller Ehen kommen in Afghanistan aus Zwang zustande (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 15; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 70 Fn. 391, 392: 15 % der Mädchen werden im Alter von 15 Jahren verheiratet, 46 % zwischen 16 und 18 Jahren), teilweise auch im Alter von neun bis elf Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71 Fn. 398). Kinderheiraten erfolgen regelmäßig aus wirtschaftlichen Erwägungen, um Überlebensmöglichkeiten für die Kinder und die Familien zu schaffen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71). Zudem besteht die Gefahr von Rekrutierungen von Kindern und Jugendlichen, auch aus einem sexuellen Interesse heraus; seit dem Jahr 2015 ist die Rekrutierung Minderjähriger unter Strafe gestellt, eine polizeiliche Aufklärung findet jedoch nicht statt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12 f.). Bis März 2016 hat es zwar deutliche Fortschritte gegeben, jedoch kommen Fälle von Rekrutierungen Minderjähriger weiterhin vor (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 52 f.). In 80 % der von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission registrierten Fälle sexueller Übergriffe waren die Opfer jugendliche Mädchen unter 18 Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77 Fn. 430). Kinder vermögen regelmäßig keinen staatlichen Schutz vor sexuellen Übergriffen zu erlangen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 78). Kinderarbeit ist Afghanistan zwar verboten, im Jahr 2014 haben dennoch 51,8 % der Kinder gearbeitet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13); auch existieren Formen der Schuldknechtschaft (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 76). Ob ein Kind von Zwangsarbeit bedroht ist, hängt auch von seiner sozialen Schicht ab (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 80). Sowohl die regierungsnahen als auch die regierungsfeindlichen Kräfte entführen Kinder, teilweise verbunden mit Hinrichtungen oder Vergewaltigungen, als Bestrafung der Familien bzw. als Vergeltungsakte (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 80). Über eine Millionen Kinder leiden an akuter Unterernährung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 19). Ca. 10 % der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag; zu den am wenigsten geschützten Gruppen in Afghanistan gehören Straßenkinder (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13), deren Zahl teilweise auf 6 Millionen geschätzt wird (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77 Fn. 425). Im Jahr 2015 sind mindestens 1.427 Kinder in bewaffneten Konflikten getötet worden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13). Die Zahl der von der UNAMA gezählten getöteten oder verletzten Kinder ist in 2016 um 24 % auf 3.512 gestiegen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Im ersten Quartal 2017 gab es nach einem Bericht der UNAMA 210 getötete - 17 % mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum - und 525 verletzte Kinder (www.zeit.de, UNO: Ein Drittel der zivilen Todesopfer in Afghanistan Kinder, v. 27.04.2017).

46

Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse kommt das Gericht vorliegend jedoch nicht zu der Überzeugung, dass (auch) gerade den Klägern zu 2. bis 4. bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu den Verwandten ihres Vaters mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dort eine Behandlung droht, die - wie von § 60 Abs. 5 AufenthG vorausgesetzt - gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoßen würde. Konkrete Anhaltspunkte hierfür, insbesondere für eine drohende Zwangsarbeit, Zwangsheirat, Zwangsrekrutierung oder sexuellen Missbrauch, liegen nicht vor.

47

Danach droht den Klägern bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, die gem. § 60 Abs. 7 AufenthG, im Sinne einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten Gefährdungssituation (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn. 80), ein Abschiebungsverbot begründen würde.

48

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

 


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