Beschluss vom Verwaltungsgericht Magdeburg (2. Kammer) - 2 B 278/12

Gründe

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Der nach § 80 a Abs. 3 VwGO i. V. m. mit § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers vom 26.03.2012 gegen den der Beigeladenen erteilten Genehmigungsbescheid vom 06.02.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.03.2012 – 2 A 125/12 MD – betreffend die Genehmigung der Errichtung und des Betriebes von neun Windkraftanlagen Typ ENERCON E-82, Nennleistung 2 MW, Rotordurchmesser 82 m, Gesamthöhe 179,38 m, hat Erfolg.

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Der Antragsteller ist klage- und antragsbefugt.Zwar ist eine Anfechtungsklage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 VwGO. Letzteres gilt indes nur dann, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Eine solche Bestimmung ist mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG gegeben.

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Der Antragsteller kann als in Sachsen-Anhalt anerkannte Naturschutzvereinigung gemäß § 3 UmwRG ein Verbandsklagerecht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG beanspruchen, ohne geltend machen zu müssen, durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Eine anerkannte Naturschutzvereinigung kann nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG Rechtsbehelfe nach Maßgabe der VwGO „gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen“ einlegen, wenn sie geltend macht, dass diese Entscheidung Rechtsvorschriften widerspricht, die dem Umweltschutz dienen, Rechte Einzelner begründen und für die Entscheidung von Bedeutung sein könne. Der Antragsteller macht die Verletzung solcher Vorschriften geltend, die er als Umweltverband zu rügen berechtigt ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG). Die Beschränkung der Rügebefugnis anerkannter Umweltschutzvereinigungen auf "drittschützende" Umweltvorschriften in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verstößt gegen Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG. Bis zur erforderlichen Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes können anerkannte Umweltschutzvereinigungen Verstöße gegen Umweltvorschriften, die aus Unionsrecht hervorgegangen sind, unmittelbar auf der Grundlage des Art. 10a Richtlinie 85/337/EWG rügen (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 – 7 C 21/09 - im Anschluss an EuGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - Rs. C-115/09 - Rn. 56 bis 59, DVBl 2011, 757).

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Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist eröffnet: Gegenstand der Genehmigung ist ein Vorhaben, für das gem. § 2 Abs. 3 UVPG nach Maßgabe von Ziff. 1.6.2 der Anlage I im Ergebnis einer allgemeinen Vorprüfung im Einzelfall gem. § 3 c) UVPG eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann, § 1 Abs. 1 a) UmwRG.

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Der Antragsteller rügt im Kern, dass das Vorhaben der Beigeladenen, am Standort zwischen der Orten 39291 Möckern, Ortsteil Grabow und 39288 Burg, Ortsteil Reesen, insgesamt neun Windkraftanlagen zu errichten, Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, widerspreche. Das gilt nach Auffassung des Antragstellers namentlich für die Verbotsregelungen des § 44 BNatSchG und den besonderen Schutz eines Natura-2000-Gebietes gem. § 34 BNatSchG. Darauf, dass die mögliche und ebenso von dem Antragsteller gerügte Verletzung von Verfahrensvorschriften i. S. v. § 4 UmwRG einen Aufhebungsanspruch begründen kann, kommt es insoweit nicht an, denn § 4 UmwRG eröffnet keine über § 2 Abs. 1 UmwRG hinausgehenden Klagebefugnisse, sondern betrifft die Begründetheit eines auf das Vorliegen von Verfahrensfehlern gestützten Aufhebungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.12.2011 – 9 A 30/10 – DVBl. 2012, 501 f.).

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Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen ist der Antragsteller mit der Rüge, die Genehmigung sei wegen unzulänglicher FFH-Vorprüfung bzw. fehlender FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Verstoß gegen § 34 BNatSchG erteilt worden, im gerichtlichen Verfahren nicht ausgeschlossen.

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Welche Anforderungen an die Substantiierung von Einwendungen i. S. v. §§ 2 Abs. 3 UmwRG, 10 BImschG zu stellen sind, ist in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Funktionen der Betroffenen- und der Verbändebeteiligung differenzierend bestimmt. Mit der Präklusionsregelung sollen die Vereinigungen angehalten werden, bereits im Verwaltungsverfahren ihre Sachkunde einzubringen und mit dem Ziel nutzbar zu machen, dass für Konflikte zwischen der Vorhabenplanung einerseits und dem Natur- und Umweltschutz andererseits eine Problembewältigung erzielt wird, bei der die Belange des Natur- und Umweltschutzes nicht vernachlässigt werden. Den Natur- und Umweltschutzverbänden obliegt insoweit eine Mitwirkungslast. Durch diese Mitwirkung sollen zugleich die von der Verwaltungsentscheidung Begünstigten vor einem überraschenden Prozessvortrag der Verbände geschützt werden (BVerwG, Urteile vom 27.02.2003 - A 59.01 - BVerwGE 118, 15 <17 f.> und vom 22.01.2004 - 4 A 4.03 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 4 S. 27 f.; Beschl. v. 23.11.2007 - 9 B 38.07 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 7 Rn. 31; Urteil vom 9.07.2009 - 4 C 12.07 – juris). Ausgehend hiervon muss eine solche Vereinigung in ihren Einwendungen zumindest Angaben dazu machen, welches Schutzgut durch ein Vorhaben betroffen wird und welche Beeinträchtigungen ihm drohen. Auch die räumliche Zuordnung eines Vorkommens oder einer Beeinträchtigung ist zu spezifizieren, wenn sie sich nicht ohne Weiteres von selbst versteht. Je umfangreicher und intensiver die vom Vorhabenträger bereits geleistete Begutachtung und fachliche Bewertung in den Planunterlagen ausgearbeitet ist, desto intensiver muss - jedenfalls grundsätzlich - auch die Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Material ausfallen. Nicht nötig ist eine (zutreffende) rechtliche Einordnung nach Landes-, Bundes- oder europäischem Recht. Erforderlich ist aber eine kritische Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Material unter natur- und umweltschutzfachlichen Gesichtspunkten.

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Gemessen hieran reichen die Darlegungen des Antragstellers in seinem Einwendungsschreiben vom 06.09.2010 noch aus, um die Rügen einer unzulänglichen FFH-Vorprüfung bzw. fehlerhaft unterbliebenen FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie einer fehlerhaften UVP-Vorprüfung als rechtzeitig erhoben zu betrachten. Zwar wurde dergleichen nicht ausdrücklich so bezeichnet, aber insgesamt hinreichend detailliert dargelegt, in Bezug auf welche Brut- und Rastvogelarten (Rotmilan, Rohrweihe, Schwarzstorch, Weißstorch) sowie Fledermäuse ein erhebliches Konfliktpotential im Falle der Errichtung der neun Windkraftanlagen bestehe und weshalb die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme M7 (Luzerneanbau) unzureichend sei. Unschädlich ist insoweit, dass der Antragsteller in seinem Schreiben die im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsstudie ebenfalls im Auftrag der Beigeladenen erstellte Heftung „FFH-Vorprüfung“ (FFH-V) nicht namentlich erwähnt hat, denn sie betrifft denselben Untersuchungsraum (vgl. Ziff. 6.1. auf Bl. 7). Zudem hat der Antragsteller den in der Umweltverträglichkeitsstudie unterbliebenen Nachweis besetzter Schwarzstorchhorste ausdrücklich gerügt. Dies reicht angesichts der Kürze der Ausführungen in der Unterlage „FFH-Vorprüfung“ aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 – 7 C 21/09 – NVwZ 2012, 176 f.).

9

Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Genehmigungsbescheides des Antragsgegners vom 06.02.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26.04.2012 erweist sich als rechtswidrig.

10

Ein besonderes öffentliches Vollziehungsinteresse in Bezug auf die der Beigeladenen erteilten Genehmigung zur Errichtung und Betrieb von neun Windkraftanlagen – wie es von dem Antragsgegner u. a. zur Begründung der Sofortvollzugsanordnung als gegeben angesehen wurde - liegt nicht vor.

11

Ob ein solches öffentliches Sofortvollziehungsinteresse gegeben ist, hat die Behörde durch Abwägung aller hierfür sprechenden Gründe zu ermitteln. Ein besonderes öffentliches Interesse für die sofortige Vollziehung einer Genehmigung kommt nur in Betracht, wenn dem von der Anordnung Begünstigten dadurch nicht ein rechtswidriges Tun erlaubt wird. Dass ein Verwaltungsakt voraussichtlich rechtmäßig und ein Rechtsbehelf infolgedessen unbegründet ist, rechtfertigt für sich allein nicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ist Voraussetzung für seinen Erlass, nicht Rechtfertigung für seine Vollziehung (vgl. Finkelnburg in: Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn. 734 m. w. N.). Ausgehend hiervon ist die Begründung des öffentlichen Interesses durch den Antragsgegner auf Bl. 49 des Bescheides vom 06.02.2012 ungeeignet, die Sofortvollzugsanordnung zu tragen. Es mag zwar ein öffentliches Interesse an der Steigerung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen bestehen; aus welchen Gründen hierzu gerade die von der Beigeladenen geplanten neun Windkraftanlagen am Standort zwischen Grabow und Reesen bei Burg ohne den Eintritt des Suspensiveffekts der Rechtsmittel Dritter errichtet werden müssen, ist der Begründung indes nicht zu entnehmen (vgl. Finkelnburg, a. a. O., Rn. 746). Ausgehend hiervon kann dahinstehen, dass bei derart allgemeinen Gemeinwohlüberlegungen eine Abwägung mit den durch den Antragsteller geltend gemachten und hinreichend konkreten Belangen des Naturschutzes jedenfalls nicht zugunsten des Klimaschutzes ausfallen kann. Denn nur wenn die Vollziehung des Verwaltungsakts nicht ohne schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen im Einzelfall aufgeschoben werden kann, ist eine Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt. Selbst bei einer - im vorliegenden Fall nicht ersichtlichen - Interessengleichheit hat es bei der aufschiebenden Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO zu verbleiben.

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Der Antrag ist darüber hinaus – soweit die Sofortvollzugsanordnung auf Antrag und im Interesse der Beigeladenen erging – begründet und führt im Ergebnis einer Interessenabwägung zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 80 a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO, denn die Klage ist nach derzeitiger Lage der Akten weder offensichtlich erfolglos noch erfolgreich.

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Ausgehend hiervon kann dahinstehen, ob dem Antragsteller bereits deshalb vorläufiger Rechtschutz in Gestalt der Aufhebung der Vollzugsanordnung zu gewähren wäre, weil der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzuges mit dem Erlass des Genehmigungsbescheides verbunden und nicht die Erhebung der Klage und einen sich hieran anschließenden Antrag der Beigeladenen, gerichtet auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO, abgewartet hat (so OVG LSA, B. v. 12.09.2011 – 2 M 85/11 -). Ausgehend vom Rechtsschutzziel des Antragstellers hält die Kammer auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage für zulässig, denn nach § 80 a Abs. 3 kann das Gericht auf Antrag des Dritten auch Maßnahmen nach § 80 Abs. 5 VwGO nach seinem Ermessen treffen.

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Materiell orientiert sich die Entscheidung des Gerichts an dem Ergebnis einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an einer sofortigen Vollziehung des oben genannten Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend. Letztere sind mit Blick auf den Vortrag des Antragstellers derzeit mindestens offen. Ausgehend hiervon ist eine Interessenabwägung geboten, die vorliegend zugunsten des Antragstellers und der von ihm gerügten Verstöße gegen Umweltvorschriften, die aus Unionsrecht hervorgegangen sind, ausfällt.

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Zu den Vorschriften, die der Errichtung und dem Betrieb von Windenergieanlegen entgegenstehen können, gehören die Bestimmungen des Naturschutzes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Derzeit ist nicht offensichtlich, dass die zusammen mit der Umweltverträglichkeitsstudie (Stand Mai 2010) von der Beigeladenen vorgelegte FFH-Vorprüfung (FFH-V) den Anforderungen, die nach der im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgeblichen Vorschrift des § 34 BNatSchG zu stellen sind, genügt. Eine solche abschließende Feststellung bedarf einer weiteren Prüfung im Klageverfahren.

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Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets zu prüfen. Ergibt die Prüfung der Verträglichkeit, dass das Projekt insbesondere nach Maßgabe der Kriterien des Anhangs 1 der Richtlinie 2004/35/EG zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Natura-2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es unzulässig (§ 34 Abs. 2 BNatSchG). Eine solche Prüfung ist hier – wovon auch der Antragsgegner und die Beigeladene im Verwaltungsverfahren ausgegangen sind – geboten, denn in einer Entfernung von etwa 2000 Metern von den Windenergieanlagen 1, 2 und 3 befindet sich die südöstliche Grenze des FFH-Schutzgebietes Nr. 3637-302 „Bürgerholz bei Burg“. In diesem Gebiet befinden sich vier in den letzten Jahren wechselnd besetzte Horste des Schwarzstorches mit 1 – 5 Brutpaaren (Bl. 5 FFH-V). Ebenso geht die FFH –V von 1 – 5 Brutpaaren des Rotmilan unter Ziff. 5.3. (Bl. 6 FFH-V) aus. Außerdem hat eine nachträgliche Horsterfassung durch Th. H., Büro für Ökologie und Naturschutz „Elbe-Havel-Natur“ vom 10.11.2011 ergeben, dass dieses Gebiet ganzjährig Seeadlerpaaren als Revier dient und dass eine Brutansiedlung des Schreiadlers im Hinblick Einzelbeobachtungen dieser Art möglich ist. Gleichwohl wurde der Untersuchungsraum in Übereinstimmung mit der Umweltverträglichkeitsstudie festgelegt, ohne seine räumliche Ausdehnung näher zu bezeichnen. Auch den Darstellungen der von der Beigeladenen vorgelegten Umweltverträglichkeitsstudie (UVS) ist keine konkrete Größenangabe oder geographische Definition des Untersuchungsraumes zu entnehmen (vgl. Bl. 5 Ziff. 3.2., Bl. 18 Ziff. 5.3.2.1 UVS). Lediglich den Karten in der Anlage zur UVS ist zu entnehmen, dass die Grenze des Untersuchungsraumes der UVS jeweils 2000 Meter von den äußeren Windenergieanlagen nahezu kreisförmig verläuft. Mit der Übernahme dieser Grenze des Untersuchungsraumes bei der FFH-V ist indes das FFH-Gebiet Bürgerholz nahezu vollständig von dem Untersuchungsraum ausgeschlossen, wenngleich es in der Gebietsbeschreibung als „möglicherweise betroffen“ bezeichnet wird. Eine FFH-Verträglichkeitsvorprüfung, deren Ermittlungsraum von Vornherein das betreffende Schutzgebiet im Wesentlichen nicht erfasst, läuft Gefahr, zu einer fehlerhaften Prognose hinsichtlich der Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des FFH-Schutzgebietes zu gelangen.

17

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich, wenn und soweit derartige Beeinträchtigungen nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können, also zumindest vernünftige Zweifel an deren Ausbleiben bestehen (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 -,BVerwGE 128, 1 ff. = Buchholz 451.91, EuropUmweltR Nr. 26). Die bei der Vorprüfung (sog. Screening) anzulegenden Maßstäbe sind zwar nicht identisch mit den Maßstäben für die Verträglichkeitsprüfung selbst. Bei der Vorprüfung ist nur zu untersuchen, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebiets ernstlich zu besorgen sind. Erst wenn das zu bejahen ist, schließt sich die Verträglichkeitsprüfung mit ihren Anforderungen an den diese Besorgnis ausräumenden naturschutzfachlichen Gegenbeweis an (Beschluss vom 26. November 2007 - BVerwG 4 BN 46.07 -, Buchholz 451.91, EuropUmweltR Nr. 29). Wenn indes – wie hier – bereits die Vorprüfung auf einer zu unbestimmten oder fehlerhaften Tatsachengrundlage erfolgt, kann auch deren Ergebnis nicht dazu dienen, etwaige Beeinträchtigungen als offensichtlich ausgeschlossen zu bewerten und die Notwendigkeit einer FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu verneinen. Schließlich hat der Antragsteller hierzu vorgetragen, dass selbst innerhalb des Untersuchungsraumes im Umkreis der geplanten Windenergieanlagen nicht alle Rotmilanhorste im Gesamtzeitraum der UVS und der FFH-V festgestellt und dokumentiert worden seien. Zudem ging die FFH-V zunächst davon aus, dass sich weitere FFH-Gebiete in der Umgebung des Vorhabens befinden. In der weiteren Untersuchung finden diese aber keine Erwähnung mehr. Zudem bestehen Zweifel an der richtigen Anwendung des Prüfprogramms des § 34 BNatSchG durch den Antragsgegner, weil die FFH-V nicht erkennen lässt, ob die der Untersuchung zugrunde gelegten Erhaltungsziele tatsächlich dem Schutzzweck bzw. den Erhaltungszielen des FFH-Gebietes „Bürgerholz“ entsprechen.

18

Maßgeblich könnte insoweit bereits der sich aus der „Verordnung des Regierungspräsidiums A-Stadt über das Naturschutzgebiet Bürgerholz bei Burg in der Stadt Burg und in der Gemeinde Reesen“ vom 03.06.1997 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk A-Stadt 1997, S. 184 f.) unter § 3 ergebende Schutzzweck sein, denn nur wenn für das Gebiet im Verordnungswege kein Schutzzweck festgelegt ist, sind die Erhaltungsziele bis auf Weiteres der EU-Gebietsmeldung zu entnehmen (BVerwG, Urteil vom 17.01.2007, a. a. O.). Ob vorliegend dennoch die Gebietsmeldung und der sog. Standarddatenbogen der anschließenden Untersuchung zugrunde zu legen ist, wenn – wie hier möglicherweise – der Inhalt der FFH-Gebietsmeldung konkreter oder umfassender ist oder die äußeren Grenzen des durch Verordnung bestimmten Naturschutzgebietes hinter denjenigen des FFH-Gebietes desselben Namens zurückbleiben, kann vorerst dahinstehen, denn der FFH-V ist nicht zu entnehmen, auf welchen Daten die Beschreibung des Gebietes (Bl. 4 bis 6 FFH-V) beruht. Bei dieser Sachlage ist nicht auszuschließen, dass die insoweit bestehenden Ermittlungsdefizite sich auf das Ergebnis der Vorprüfung ausgewirkt haben, weil sie deren Grundlage bilden. Dasselbe gilt für die mögliche Fehlerhaftigkeit der hierauf von dem Antragsgegner getroffenen naturschutzfachlichen Bewertung. Hieran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Genehmigungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zusteht (BVerwG, Urteil vom 14.04.2010 – 9 A 5.08 –, BVerwGE 136, 291 f.), denn eine solche Rücknahme der Kontrolldichte setzt voraus, dass von der Behörde eine den wissenschaftlichen Maßstäben und vorhandenen Erkenntnissen entsprechende Sachverhaltsermittlung vorgenommen wurde (OVG LSA Urteil vom 19.01.2012 – 2 L 124/09 –juris n. w. N.). Hieran fehlt es vorliegend.

19

Es ist aus den Unterlagen der Vorprüfungen zudem nicht ersichtlich, ob der Antragsgegner bei der Bewertung der Betroffenheit der zu schützenden Brut- und Rastvögel die mittlerweile in der Rechtsprechung anerkannten Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) vom Mai 2008 (vgl. OVG LSA, Urteil vom 19.01.2012 – 2 L 124/09 – juris) berücksichtigt hat. Das gilt namentlich für die Brutplätze des Schwarzstorches im FFH-Gebiet „Bürgerholz“. Der Abstand von Windenergieanlagen zu Brutstätten des Schwarzstorches soll danach mindestens 3000 m (Ausschlussbereich) betragen. Daneben wird ein so genannter Prüfbereich von 10000 m um jede Windenergieanlage angegeben, innerhalb dessen zu prüfen ist, ob Nahrungshabitate der betreffenden Art vorhanden sind. Letzterer käme als Prüfbereich im Übrigen auch für die Brutstätte des Schwarzstorches südlich von Grabow - nach Darstellung des Antragstellers mit einem Abstand zur südlichsten Windenergieanlage von 4.240 m – in Betracht, denn diese Entfernung liegt auch innerhalb des Prüfbereichs etwaiger Nahrungshabitate. Den Aussagen der FFH-V und der Begründung des Genehmigungsbescheides vom 06.02.2012 ist nicht ansatzweise zu entnehmen, dass diese Abstandsempfehlungen zugrunde gelegt oder sonst berücksichtigt worden sind. Hiergegen spricht bereits die Aussage, dass „die möglichen negativen Auswirkungen aufgrund der Entfernung von 2 km als gering zu betrachten sind“ (FFH-V, Bl. 6). Schließlich ist selbst der Verfasser der im Auftrag der O. GmbH vorgelegten Avifaunistischen Nachuntersuchungen als Ergänzung zum Untersuchungsrahmen Umweltverträglichkeitsprüfung vom Januar 2008 zu dem Schluss gekommen, dass das etwa 1000 m vom geplanten Windpark gelegene Tal der Ihle als Nahrungsgebiet für den Schwarzstorch in Betracht kommt und zwar auch für Störche aus anderen Gebieten. Die gleichwohl getroffene Einschätzung, das Kollisionsrisikos sei gering, weil der Windpark westlich umflogen werden könne, ist angesichts der Defizite der Bewertungsgrundlagen derzeit nicht offensichtlich rechtmäßig. Eher bestätigt als ausgeräumt werden diese Zweifel durch den Bericht 2011 über das Vorkommen des Schwarzstorches in den Brutrevieren Burger Holz und Madel des Büro für Ökologie & Naturschutz „Elbe-Havel-Natur“, Bearbeiter T. H., wonach ein Storchenpaar dort erfolgreich 3 Jungstörche aufgezogen habe und in Zeit von Juni bis August 2011 insgesamt 18 Flüge überwiegend mindestens 500 m am Plangebiet vorbei und 2 Flüge in etwa 200 m Entfernung das Plangebiet „tangiert“ hätten.

20

Dasselbe gilt entsprechend auch für den für Rotmilane zugrunde zu legenden, aber bislang nicht berücksichtigten Prüfbereich von 6000 m. Schließlich hat der Antragsteller nunmehr unter Berufung auf Feststellung des Dipl-Biologen U. M. dargelegt, dass innerhalb dieses Prüfbereichs in einer Entfernung von 3270 m von der westlichsten geplanten Windenergieanlage an einer bereits vorhandenen einzelnstehenden Windenergieanlage ein toter Rotmilan am 02.09.2012 als Schlagopfer dieser Anlage gefunden worden sei. Für eine Eignung des Vorhabengebietes als Nahrungshabitat für Rotmilane außerhalb des Tabubereichs von 1000 m spricht auch die wiederholte Beobachtung von Nahrungsflügen des Rotmilan im Vorhabengebiet – teilweise direkt an den Standorten der geplanten Windenergieanlagen (Karte Bl. 113 UVS). Dabei kann dahinstehen und bedarf ggf. einer Klärung im Klageverfahren, ob die Anzahl der Beobachtungstage hinreichend gewesen ist, um eine wissenschaftlich fundierte Prognose zu ermöglichen.

21

Neben der somit derzeit nicht offensichtlichen FFH-Verträglichkeit des Vorhabens der Beigeladenen ist derzeit nicht hinreichend geklärt, ob das Vorhaben für jede der o. a. Tierarten sowie in Bezug auf die nach Darstellung des Antragstellers darüber hinaus vorhandene Brutstätte der Rohrweihe inmitten der Vorhabengebietes nicht gegen die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG verstößt. Der so genannte Tabubereich der Rohrweihe würde danach durch alle neun Windenergieanlagen erheblich unterschritten. Ob es sich – was die Beigeladene nunmehr bestreitet – tatsächlich bei dem am 31.07.2012 fotografierten „Bodenhorststandort“ um einen potentiellen Brutplatz der Rohrweihe handelt, bedarf ggf. einer Klärung im Klageverfahren.

22

In Bezug auf den potentiellen Schwarzstorchhorst am Südrand des Bürgerholzes wäre dieser vom Standort der Windenergieanlagen Nr. 1 – 5 unterschritten. Die Windenergieanlage Nr. 9 liegt mit 980 m (vgl. Bescheid des Antragsgegners vom 06.02.2012, S. 29) innerhalb des Tabubereichs eines oder mehrerer Rotmilanhorste im Süden. Ob – wie der Antragsteller vorträgt – noch weitere Brutplätze des Rotmilan vorhanden, aber bislang vom Antragsgegner nur nicht dokumentiert worden sind, kann bei dieser Sachlage dahinstehen, denn es kann für den Rotmilan naturschutzfachlich vertretbar abgeleitet werden, dass er einem sinifikant erhöhtem Tötungsrisiko unterliegt, wenn der Abstand der Windenergieanlage weniger als 1000 m beträgt, es sei denn, in einer Entfernung von mehr als 1000 m stehen für den Rotmilan dauerhaft Nahrungshabitate zur Verfügung, wodurch das Kollisionsrisiko signifikant reduziert werden würde.

23

Eine Beseitigung oder deutliche Verringerung des Kollisionsrisikos durch bestimmte Maßnahmen ist derzeit nicht glaubhaft. Ungeachtet dessen bestehen durchgreifende Zweifel an der Möglichkeit und Wirksamkeit derartiger Kompensationsmaßnahmen jedenfalls dann, wenn die regelmäßig zu mähende Fläche nach Ansicht des Antragstellers zu gering bemessen ist. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht in seinem o. a. Urteil vom 19.01.2012 im Einzelnen ausgeführt:

24

„Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich das Kollisionsrisiko durch bestimmte Maßnahmen vermeiden oder spürbar verringern ließe. Möglicherweise könnten Rotmilane zwar von der Nahrungssuche in unmittelbarer Nähe von Windenergieanlagen durch eine geeignete Oberflächengestaltung abgehalten und unter Berücksichtigung ihrer Nahrungsanforderungen auf andere Flächen für die überwiegende Zeit ihrer Jagd gelockt werden. Soweit das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, bei der Bewertung des Tötungsrisikos einzelner Arten seien Vermeidungsmaßnahmen zu berücksichtigen, betraf dies allerdings solche Maßnahmen, die dem Bauherrn in dem das Vorhaben zulassenden Verwaltungsakt vorgeschrieben werden können, wie etwa die Schaffung von Überflughilfen und Leitstrukturen für Fledermäuse bei Straßenbauvorhaben (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2008, a.a.O., RdNr. 91; Urt. v. 13.03.2008 – 9 VR 9.07 – Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 33, RdNr. 31, 35 in Juris). Auf die Gestaltung der Oberfläche der Offenlandbereiche, die dem Rotmilan als Nahrungshabitate dienen, können der Anlagenbetreiber und die Immissionschutzbehörde in der Genehmigung – wenn überhaupt – jedoch nur in begrenztem Umfang Einfluss nehmen. Der Anlagenbetreiber könnte zwar mit dem Eigentümer der gepachteten Flächen vereinbaren, dass diese nur in einer bestimmten, für den Rotmilan unattraktiven Weise bewirtschaftet werden. Eine solche Art der Bewirtschaftung könnte möglicherweise auch in einer Nebenbestimmung zur Genehmigung angeordnet werden. Für die Flächen außerhalb des Windparks, die vom Rotmilan überflogen werden, wird dies hingegen in aller Regel nicht in Betracht kommen.“

25

Zudem ist hier nicht ersichtlich, dass die zur Ablenkung dienenden Luzerneflächen (Ausgleichsmaßnahme M 7) durch alle vom Kollisionsrisiko betroffenen Arten gleichzeitig genutzt werden wird.

26

Ausgehend hiervon kann offenbleiben, ob derzeit das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in Bezug auf die während der UVU festgestellten insgesamt 12 Fledermausarten (nach Angaben der Dipl.-Biologin S. R. sämtlichst nach Anhang IV der FFH-Richtlinie und der Bundesartenschutzverordnung streng geschützte Tierarten) der Genehmigung entgegensteht. Offensichtlich ist allerdings bereits jetzt, dass sich die Einschätzung der Sachverständigen R., wonach ein potenziell erhöhtes Tötungsrisiko an bestimmten der geplanten Anlagen – abhängig wohl von der jeweiligen Entfernung zu Gehölzen – bestehe, in der Begründung des angefochten Bescheides nicht wiederfindet. Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen wäre nämlich die Errichtung und der Betrieb derjenigen Windenergieanlage, die ein solches erhöhtes Tötungsrisiko bewirken, nur im Wege von Ausnahmen oder Befreiungen gem. §§ 45 Abs. 7, 67 BNatSchG zulässig. Die von dem Antragsgegner angenommene mangelhafte wissenschaftliche Erkenntnislage hinsichtlich der Barrierewirkung von Windkraftanlagen für Fledermäuse bewirkt unter dem Einfluss des Europarechts, dass sich das Verständnis vom Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG in Richtung Tierschutz verschiebt, d. h. die Nichtaufklärbarkeit möglicher nicht nur hypothetischer Schädigungen der Tierwelt geht zu Lasten des Anlagenbetreibers (vgl. Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis1. Aufl., Rn. 266). Das bedeutet hier im Ergebnis, dass die in der Nebenbestimmung III Nr. 9.3.1. und 9.3.2. angeordneten Fledermausbeobachtungsmaßnahmen im laufenden Betrieb der Windkraftanlagen 2, 5 und 8 zwar zur Verbesserung der derzeitigen Erkenntnislage, aber nicht zur Verringerung des Tötungsrisikos geeignet sind. Letzterem könnte durch die Festlegung von befristeten Aussetzungen des Betriebes abhängig von Jahreszeit, Tageszeit und Windgeschwindigkeit (Abschaltzeiten) begegnet werden. Ein – hier als Nebenbestimmung vom Antragsgegner angeordnetes so genanntes Gondelmonitoring - kann geeignet sein, bei wissenschaftlicher Unsicherheit über die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen weitere Erkenntnisse zu gewinnen, es beseitigt oder mindert jedoch nicht ein anzunehmendes erhöhtes Tötungsrisiko. Anders gewendet kann sich ein solches Monitoring ohne die Festlegung von Abschaltzeiten neben dem allgemeinen Erkenntnisgewinn nur dazu eignen, die Verbotsverstöße (§ 44 Abs. 1 BNatSchG) zu dokumentieren.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, denn er hat einen eigenen Sachantrag gestellt und sich dem Risiko einer Kostenlastentscheidung nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt.

28

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Ziff. 19.2 i. V. m. Ziff. 2.2.2.. Der danach maßgebliche Wert von 15.000,00 € war im Verfahren zur Gewährleistung von vorläufigem Rechtsschutz zu halbieren.


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