Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (5. Kammer) - 5 A 11/14

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung eines Teilbetrages der für die Enteignung des Grundstücks B.r W. in G. festgesetzten Entschädigung. Ursprünglicher Eigentümer dieses Grundstücks war R. J.. Nachdem er das Gebiet der ehemaligen DDR verlassen hatte, wurde sein Grundbesitz enteignet. Nach seinem Tod im Jahre 1958 wurde er von K. J. beerbt, die als Ausgleich für die Schädigung Lastenausgleichsleistungen beantragte. Nach ihrem Tod erhielt die Erbin, Frau K. A. die Lastenausgleichsleistungen bewilligt.

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Den von Frau K. A. wegen der entschädigungslosen Enteignung des Grundstücks R. J. gestellten Rückübertragungsantrag lehnte der Landkreis G. mit Bescheid vom 27. Oktober 1993 ab, der nach erfolglosem Widerspruchs und klageverfahren in Bestandskraft erwuchs. Im Entschädigungsverfahren gab Frau K. A. an, Lastenausgleich nicht erhalten zu haben. Darauf setzte der Beklagte die Höhe der durch übertragbare Schuldverschreibungen des Entschädigungsfonds zu erfüllenden Entschädigung mit Bescheid vom 22. September 1997 auf 25.000,00 DM fest.

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Mit Bescheid vom 19. September 2011 forderte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen/Lastenausgleichsamt des Landes A-Stadt von Frau K. A. 4.986,48 € an gewährter Hauptentschädigung durch Verrechnung mit der Entschädigung zurück. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass mit der Verrechnung die Rückforderung in Höhe des verrechneten Betrages erlischt und dass die ggf. mit gesondertem Leistungsbescheid eine Rückforderung geltend gemacht werde, wenn nur ein Teil der Rückforderung verrechnet werde. Das deswegen angestrengte Klageverfahren wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 10. Oktober 2011 eingestellt, weil die Klage als zurückgenommen galt, nachdem die Klägerin das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betrieben hatte.

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Frau K. A. verstarb am 20. September 2011. Ihre Prozessbevollmächtigte unterrichtete den Beklagten im Februar 2012 darüber und teilte ferner mit, dass Frau K. A. von der Klägerin beerbt worden sei.

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Mit Bescheid vom 12. März 2013 hob der Beklagte "in dem Verwaltungsverfahren mit der Beteiligten Frau K. A." den Entschädigungsbescheid vom 22. September 1997 hinsichtlich der festgestellten Höhe der Entschädigung auf, stellte fest, dass ein Entschädigungsanspruch i. H. v. 16.000,00 DM bestehe und forderte den überzahlten Entschädigungsbetrag i. H. v. 9.000,00 DM (= 4.601,63 €) von der Antragstellerin zurück. Von der gekürzten Bemessungsgrundlage i. H. v. 25.850,00 DM sei der Lastenausgleich i. H. v. 9.752,71 DM abzuziehen. Die Entschädigung ergebe sich aus dem auf das nächste vielfache von Tausend abgerundeten Betrag i. H. v. 16.000,00 DM. In Höhe der Überzahlung werde der rechtswidrige Entschädigungsbescheid zurückgenommen. Frau K. J. sei eine Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz gewährt worden. Deshalb stehe ihr eine Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz ohne Anrechnung der Hauptentschädigung nicht zu. Ein Vertrauen auf den Bestand der Entschädigung sei nicht schützenswert, weil die Antragstellerin keinen Nachweis erbracht habe, auf der Grundlage der Entschädigung Vermögensdispositionen getroffen zu haben.

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Den Widerspruch wies das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt gegenüber der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 05. Dezember 2013 zurück. Die Frau K. A. gewährte Entschädigung i. H. v. 25.000,--- DM sei teilweise rechtswidrig, weil die Frau K. J. gewährte Hauptentschädigung von der gekürzten Bemessungsgrundlage abzuziehen sei. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe auch erkennen können, dass eine Anrechnung der Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz habe erfolgen müssen. Ein Vertrauen auf den Bestand der Entschädigung sei nicht schutzwürdig, weil sie nicht dargelegt habe, dass die gewährte Leistung verbraucht sei.

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Mit der dagegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die Kürzung der Entschädigungsleistung sei wegen des Zeitablaufs seit 1997 rechtswidrig, zumal nicht nachvollziehbar sei, ob die Erblasserin die Entschädigung vereinnahmt habe. Jedenfalls habe sie das Geld verbraucht, weil die Klägerin kein Geld geerbt habe. Abgesehen davon stelle die Rückforderung eine unbillige Härte dar, weil die Klägerin lediglich eine Altersrente von monatlich 1.031,72 € erhalte. Der Bescheid des Beklagten sei unwirksam, weil dessen Adressatin, Frau K. A., im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides bereits verstorben gewesen sei. Im Widerspruchsverfahren sei der Mangel nicht geheilt worden, weil die Prozessbevollmächtigte den Widerspruch namens der verstorbenen Frau K. A. erhoben habe. Die Rücknahme sei ungeachtet dessen nicht binnen eines Jahres nach Kenntnis der Rechtswidrigkeit erfolgt, weil der Beklagte bereits unter dem 31. Januar 2012 über das Ableben von Frau K. A. informiert worden sei. Abgesehen davon habe die Mutter der Klägerin hinsichtlich des Lastenausgleichs auch keine unrichtigen Angaben gemacht. Jedenfalls habe Frau K. A. die erhaltenen Leistungen verbraucht. Sie habe in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt und habe aus den Mitteln der Entschädigung ab 2003 mit der Klägerin jährlich eine Reise nach Italien unternommen. Abgesehen davon stelle die Rücknahme eine unbillige Härte dar, weil die Klägerin nur eine geringe monatliche Rente beziehe.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 12. März 2013 und den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes vom 05. Dezember 2013 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er meint, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Die Mutter der Klägerin bzw. sie selbst als Erbin habe sich auf eine Rückforderung zuviel gezahlter Entschädigung einstellen müssen, nachdem die der Bescheid des Lastenausgleichsamtes in Bestandskraft erwachsen sei, weil das Klageverfahren im Oktober 2011 eingestellt worden sei, nachdem es trotz Aufforderung nicht betrieben worden sei. Auf Entreicherung könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie keine Angaben darüber gemacht habe, in welcher Form Frau K. A. die Entschädigung verbraucht habe. Zudem habe Frau K. A. gewusst, dass ihre Mutter, Frau K. J., Lastenausgleich erhalten habe. Die Klägerin sei als Rechtsnachfolgerin nach ihrer Mutter richtige Adressatin der Rückforderung. Da das Lastenausgleichsamt lediglich einen Rückforderungsbescheid zur Verrechnung erlassen habe, sei der Beklagte ermächtigt, den Entschädigungsbescheid zu ändern, so dass der Rückforderungsbetrag mit der Bemessungsgrundlage verrechnet und die überzahlte Entschädigung zurückgefordert werden könne. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Frau K. A. habe gewusst, dass Lastenausgleich gewährt worden sei. Da bei einer Rückforderung durch das Lastenausgleichsamt Vertrauensschutzgesichtspunkte keine Rolle spielten, müsse Gleiches gelten, wenn die Rückforderung von Lastenausgleich im Wege der Verrechnung mit der Entschädigung erfolge.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, weil die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides des Beklagten vom 22. September 1997 über die Festsetzung der Entschädigung für die Enteignung des Grundbesitzes des Herrn R. J. gegenüber der Klägerin liegen nicht vor. Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme kommt allein § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bescheid des Beklagten vom 22. September 1997 über die Gewährung der Entschädigung ist teilweise, soweit eine Entschädigung von mehr als 16.000,00 DM festsetzt worden ist, rechtswidrig, weil nach § 8 EntschG auf die Entschädigung Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz mit der Entschädigung zu verrechnen sind.

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Zwar macht die Klägerin ohne Erfolg geltend, der Bescheid der Beklagten vom 12. März 2013 sei nichtig, weil er gegenüber der zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Frau K. A. ergangen ist. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Bekanntgabe eines Bescheides an einen Verstorbenen die Unwirksamkeit des Bescheides zur Folge hat, so hat das Landesverwaltungsamt den Widerspruch gegenüber der Klägerin zurückgewiesen und damit verdeutlicht, dass es die Regelung indem angefochtenen Bescheid nunmehr gegenüber der Klägerin als Adressatin aufrechterhält.

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Auch die Jahresfrist für die Rückforderung nach § 48 Abs. 4 VwVfG ist gewahrt. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Die Frist wird erst in Lauf gesetzt, wenn der Behörde sämtliche für die Rücknahmeentscheidung maßgeblichen Umstände bekannt sind. Da die Rücknahme eines rechtwidrigen Verwaltungsaktes in das Ermessen der Behörde gestellt, setzt dies voraus, dass der Behörde die für die Rücknahme maßgeblichen Tatsachen einschließlich der für die Gewährung von Vertrauensschutz und die Ausübung des Ermessens maßgeblichen Umstände bekannt sind. Deshalb ist die Frist im vorliegenden Fall vor Ablauf des 30. Januar 2013 nicht Lauf gesetzt worden. Denn mit Schreiben vom 13. Dezember 2012 hat der Beklagte der Prozessbevollmächtigten nochmals Gelegenheit gegeben, vorzutragen und zu belegen, dass Frau K. A. den infolge einer Rücknahme zu erstattenden Betrag i. H. v. 4.601,63 € verbraucht hatte. Dabei handelt es sich um Umstände, die nach § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG für die Rechtsfrage Bedeutsamkeit erlangen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Rücknahme des Entschädigungsbescheides gegeben sind.

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Indes darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet, darf nur nach den Maßgaben der Absätze 2 bis 4 des § 48 VwVfG zurückgenommen werden (§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht hat. Indes kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG).

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Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar wusste die Rechtsvorgängerin der Klägerin, Frau K. A., dass ihre Mutter, Frau K. J., Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz beantragt hatte. Das ergibt sich aus den vom Beklagten im Klageverfahren nachgereichten Unterlagen. So hat Frau K. A. unter dem 06. April 1981 gegenüber dem Bundesausgleichsamt ausgeführt: "Ich habe zwar schon eine Teilentschädigung für mein Mietshaus und für mein Grundstück in der heutigen DDR erhalten, möchte aber von Ihnen wissen, wie die neue Möglichkeit zu einer endgültigen Regelung aussieht." Im Oktober 1984 erbat sie erneut Gelegenheit für eine persönliche Unterredung in dieser Angelegenheit. Obwohl Frau K. A. wusste, dass Lastenausgleich gezahlt worden ist, hat sie die Frage, ob sie eine Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz erhalten habe, unbeantwortet gelassen und damit in wesentlicher Hinsicht unvollständige Angaben gemacht.

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Darauf indes kommt es für die Entscheidung in diesem Verfahren nicht an. Denn die (Teil-)Rücknahme des gegenüber der Frau K. A. ergangenen Bescheides über die Festsetzung der Entschädigung ist gegenüber der Klägerin erfolgt. Die Klägerin ist zwar Erbin nach Frau K. A.. Sie indes hat gegenüber dem Beklagten keine in wesentlicher Hinsicht unrichtigen oder unvollständigen Angaben i. S. d. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG gemacht. Sie muss sich die unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben ihrer Rechtsvorgängerin auch nicht zurechnen lassen. Der Vertrauenstatbestand wie die die Schutzwürdigkeit des Vertrauens ausschließenden Umstände sind bezogen auf das zwischen dem Empfänger des (rechtswidrigen) Bescheides und der den Bescheid widerrufenden Behörde begründete Rechtsverhältnis. Umstände, die in diesem zweiseitigen Rechtsverhältnis hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit des Vertrauens auswirken können, muss ein Dritter nicht gegen sich gelten lassen. Anderes könnte nur angenommen werden, wenn eine solche Zurechnung kraft spezialgesetzlicher Regelung ermöglicht wird. Das ist indes nicht der Fall. Dem § 8 EntschG fehlt eine dem § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG entsprechende Zurechnungsnorm, die es ermöglichte, gegenüber dem Erben einen Widerruf zu ermöglichen, wenn dem Erblasser eine Entschädigung ganz oder teilweise zu Unrecht gewährt worden ist.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision i. S. d. § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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