Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (9. Kammer) - 9 A 212/15

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob in der Person des Klägers ein Hinderungsgrund nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt (GO LSA) im Sinne der sogenannten Inkompatibilitätsregelung besteht.

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Der Kläger ist seit 1990 im Gemeinderat der Gemeinde A-Stadt vertreten und zuletzt dessen Vorsitzender. Er ist hauptamtlicher Bediensteter der Gemeinde A-Stadt und als solcher in der von der Gemeinde betriebenen „Mittellandhalle“ beschäftigt. Entsprechend der Stellenbeschreibung vom 01.06.2012 ist er als „Techniker Mittellandhalle“ dem Sachgebiet „Sportstätten“ zugeordnet. Diese Tätigkeit entspricht der Entgeltgruppe „B“.

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Mit Beschluss vom 04.04.2013 stellte der Gemeinderat der Gemeinde A-Stadt auf den Antrag der Fraktion „Freie Wähler“ fest, dass in der Person des Klägers ein Hinderungsgrund im Sinne der Inkompatibilitätsregelung bestehe. Als „Vorarbeiter Sportstätten“ übe er eine leitende Funktion im Sinne der Regelung aus.

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Der Widerspruch gegen den die Feststellung begründenden streitbefangenen Bescheid vom 17.04.2013 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2013 zurückgewiesen. Der Einfluss des Bürgermeisters und des Gemeinderates auf den Arbeitsplatz des Klägers sei deutlich und könne das klägerische Abstimmungsverhalten im Gemeinderat entsprechend beeinflussen. Zum größten Teil werde die „Mittellandhalle“ von Sportklassen und Vereinen genutzt, welche in A-Stadt ansässig seien. Daran ändere der Name „Mehrzweckhalle“ nichts. Andere Veranstaltungen bildeten die Ausnahme, würden dann aber auch von der Gemeindeverwaltung organisiert.

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Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Feststellung eines Hinderungsgrundes in seiner Person und macht weitere Ausführungen dazu, dass er keine „leitende Position“ innerhalb der Gemeinde A-Stadt ausübe.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 17.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2013 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und verteidigt die vorgenommene Feststellung und die diesbezüglichen Rechtsausführungen in den streitbefangenen Bescheiden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und insbesondere nach der bereits in der Eingangsverfügung vom Gericht vorgenommenen Umstellung gegen den Gemeinderat als richtigen Beklagten gerichtet. Denn der für die Gemeinde handelnde Bürgermeister hat den Gemeinderatsbeschluss lediglich umgesetzt und vollzogen (§§ 57 Abs. 2, 62 Abs. 1 GO LSA; vgl. dazu ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2005, 9 A 315/04 MD; juris).

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Die Klage ist begründet. Denn die streitbefangenen Bescheide und die darin vorgenommene Feststellung eines Hinderungsgrundes nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GO LSA sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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In der Person des Klägers liegen keine derartigen Hinderungsgründe im Sinne der Inkompatibilitätsregelung vor. § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GO LSA bestimmt, dass hauptamtliche Beamte und Arbeitnehmer der Gemeinde, ausgenommen nicht leitende Bedienstete, in Einrichtungen der Jugendhilfe und Jugendpflege, der Sozialhilfe, des Bildungswesens und der Kulturpflege, des Gesundheitswesens, des Forst-, Gartenbau und Friedhofsdienstes, der Eigenbetriebe und in ähnlichen Einrichtungen keine Gemeinderäte sein können. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass leitende Bedienstete, egal ob Beamte, Angestellte oder Arbeiter, ihr durch Wahl erlangtes Mandat nicht wahrnehmen dürfen. Nach § 40 Abs. 2 GO LSA stellt die diesbezüglichen Hinderungsgründe der Gemeinderat fest.

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Diese Inkompatibilitätsregelung beruht letztendlich auf Art. 137 Abs. 1 Grundgesetz (GG), wonach u. a. die Wählbarkeit von Angestellten des öffentlichen Dienstes in den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient diese Ermächtigungsnorm allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von Amt und Mandat entstehen können. Verhindert werden soll insbesondere, dass „öffentlich Bedienstete“ demjenigen Vertretungsorgan angehören, dem eine Kontrolle über ihre Behörde obliegt. Ein solches Schutzbedürfnis besteht ebenso im Bereich der Kommunen. Es lässt sich mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht ohne Weiteres vereinbaren, wenn dieselbe Person kommunaler Bediensteter ist und zugleich dem kommunalen Vertretungsorgan angehört. Denn gerade auf lokaler Ebene ist die Gefahr gewisser Verflechtungen nicht von der Hand zu weisen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Gruppe der leitenden Angestellten im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG in der Weise näher beschrieben, dass deren herausgehobene Dienststellung im Unternehmen aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses mit erheblicher Verantwortlichkeit ausgestattet ist. Erforderlich ist die Möglichkeit wesentlicher Einflussnahme auf bzw. maßgebliche Mitwirkung bei tragenden Entscheidungen und Planungen der Geschäftsführung sowohl bei der Bestimmung der Grundlinien der Unternehmenspolitik als auch der Geschäftspraxis. Ihnen stehen die einfachen Angestellten in nicht herausgehobener Stellung gegenüber, deren Position ohne Führungskompetenzen insofern mehr der des Arbeiters gleichen (vgl. zum Ganzen: BVerfG, B. v. 04.04.1978, 2 BvR 1108/77; juris; Wiegand/Grimmberg, GO LSA, 3. Auflage 2003, § 40 Rz. 1).

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Bei der Vergleichbarkeit des Dienstpostens kommt es auf die Stellung im hierarchischen Behördenaufbau und auf die Aufgabenstellung an. Der Funktionsträger muss zumindest eine der Leitung eines Amtes vergleichbare „leitungsbezogene Verantwortlichkeit“ tragen (vgl. Wiegand/Grimmberg, GO LSA, 3. Auflage 2003, § 40 Rz. 5).

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So beinhaltete § 40 Abs. 2 GO LSA in der bis 2009 geltenden Fassung, das leitende Beamte und Angestellte im Sinne des Absatzes 1 sind:

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Der Landrat und sein allgemeiner Vertreter;
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Sonstige Beamte auf Zeit;
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Die Dezernenten, Amtsleiter, ferner Beamte und Angestellte in vergleichbaren Funktionen sowie deren Vertreter;
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Vorstandsmitglieder, Verwaltungsleiter, Geschäftsführer und Inhaber vergleichbarer Funktionen sowie deren Vertreter.
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Gemessen hieran übt der Kläger keine derart herausragende Position als Beschäftigter der Gemeinde A-Stadt aus, woraus eine Inkompatibilität zu schließen wäre. Der Kläger befindet sich als Mitarbeiter der „Mittellandhalle“, welche als Einrichtung der Kulturpflege bzw. als ähnliche Einrichtung angesehen werden kann, nicht in einer leitenden Position. Die diesbezüglich in den Verwaltungsvorgang befindliche Stellenbeschreibung seiner Tätigkeit vom 01.06.2012 (Bl. 31 BA A) beinhaltet:

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- „Arbeitsorganisation und Einteilung Mitarbeiter und Hilfskräfte.
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- Kontrolle der durchgeführten Arbeiten der Mitarbeiter und Fremdfirmen.
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- Organisation der Hallennutzung und durchzuführender Arbeiten.
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- Führen von Nutzer- und Kundengesprächen und deren technischer Umsetzung.
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- Überwachung technischer Einrichtungen, Durchsichten und Überprüfung von Sicherheitsanlagen.
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- Wahrnehmung von Aufgaben zur Betreuung und Wartung der Technik im Gebäudekomplex Mittellandhalle und Sporthalle OT Ebendorf.
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(Zu betreuende Technik: Medientechnik, Zutrittskontroll- und Überwachungstechnik, Brandwarn- und Meldeanlagen, Elektroanlagen, Einbruchssicherheitstechnik, Gebäudeleittechnik mit Klima, Heizung, Licht und Wasserspiele, Lüftung, Sanitäranlagen usw.).“

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In der mündlichen Verhandlung beschrieb der Kläger auf Nachfrage des Gerichts seine Tätigkeit insoweit näher, dass er zahlreiche Aufgaben gemeinsam mit dem Kollegen Blume ausübe. Insofern ist die Tätigkeit des Klägers in der „Mittellandhalle“ mehr als „Mann für alle Fälle“ zu beschreiben. Dafür sprechen auch die Informationen auf dem Internet-Auftritt der Mittellandhalle, wonach das Gebäudemanagement der Betriebsleiterin Frau R.; die Raumplanung/Terminvergabe/Betriebskostenabrechnung Frau B.; Störungsmeldungen Frau H. und die Hallentechnik dem Kläger sowie Pfundsachen Herrn B. obliegen. Bereits daraus ist ersichtlich, dass der Kläger nicht einmal das Gebäudemanagement und damit die Betriebsleitung wahrnimmt. Ohne Zweifel wird die „Mittellandhalle“ von der Gemeinde betrieben und es mag auch sein, dass der ganz überwiegende Nutzungsanteil durch gemeindeinterne Veranstaltungen, wie etwa Schul-, Sport- und sonstige Gemeindeveranstaltungen gekennzeichnet ist. Dabei erschließt es sich dem Gericht aber nicht, wieso der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung als „Techniker“ einen derart bestimmenden Einfluss auf die Gemeindepolitik haben sollte, welche der sogenannten Inkompatibilitätsregelung entgegenstehen würde. Der Kläger nimmt keinen Einfluss auf die Vergabe und Durchführung der Veranstaltungen in der „Mittellandhalle“. Dass die Halle allgemeine Sport- und Mehrzweckveranstaltungshalle der Gemeinde ist und dort somit nur oder überwiegend gemeindliche Veranstaltungen stattfinden, besagt nicht, dass der Kläger wegen seiner dortigen Tätigkeit als Techniker gewisse Gemeindeangelegenheiten im Sinne der Inkompatibilität steuern könnte. Er ist schlicht und ergreifend für die Technik der Halle zuständig, was nun erkennbar wenig bis gar nichts mit möglichen, im Gemeinderat zu besprechenden und zu beschließenden Angelegenheiten zu tun hat. Sollten sich in einem Einzelfall tatsächlich einmal derartige Konflikte ergeben können, wie dies z. B. bei einer gemeindlichen Entscheidung über die Hallentechnik möglich erscheinen könnte (etwa: Anschaffung Elektro- oder Lautsprecheranlagen, Bühnentechnik etc.), mögen Mitwirkungsverbote nach § 31 GO LSA zu prüfen sein, wobei dann gerade der technische Sachverstand des Klägers gefragt sein dürfte.

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Dafür spricht auch, dass der Kläger bereits seit Eröffnung der „Mittellandhalle“ im Jahre 2004 dort in der jetzigen Position beschäftigt ist und erst nunmehr eine Inkompatibilität mit seinem seit 1990 ausgeübten Mandat - politisch - gesehen wird. Auch der berufliche Ausbildungs- und Werdegang des Klägers als „Elektriker und Gebäudeleittechniker“ spricht gegen die notwendige Leitungsfunktion.

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Dass diesbezüglich gefundene Ergebnis bestätigen auch sonstige in der Rechtsprechung zu findende Vergleiche. So hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Urteil vom 24.10.2000 (1 S 1815/00; juris) entschieden, dass ein leitender Angestellter eines Landkreises nur dann an der Wahrnehmung des Mandates gehindert ist, wenn durch Dienst, Arbeitsvertrag oder sonstige Regelungen und Organisationsakte eigenverantwortliche Leitungsfunktionen zugeordnet sind, die generell geeignet sind, zu Interessenkollisionen mit der Mandatswahrnehmung zu führen. Dies ist (sogar) bei einem Leitenden Abteilungsarzt (Chefarzt) eines Kreiskrankenhauses regelmäßig nicht der Fall. Ein Leitender Abteilungsarzt (Chefarzt) eines Kreiskrankenhauses wird nicht dadurch zu einem leitenden Angestellten des Landkreises, dass er im Vertretungsfall den ärztlichen Direktor des Krankenhauses in seiner Funktion als Mitglied der Betriebsleitung vertritt. In einem anderen Fall hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 20.10.2003, 4 BV 02.2985; juris) entschieden, dass ein leitender ärztlicher Direktor einer landkreiseigenen gemeinnützigen Krankenhaus GmbH wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses zur Unternehmensspitze eine herausgehobene Stellung mit erheblicher Verantwortlichkeit und über einen bestimmten Einfluss auf tragende Entscheidungen des Unternehmens ausübe. Ähnlich hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 23.01.1997, 6 UE 4561/96; juris) entschieden, dass leitender Angestellter ist, wer in Unternehmen die für die Erfüllung der Unternehmensaufgaben wesentlichen Entscheidungen alleine oder mit anderen zu treffen hat und insoweit eine „leitungsbezogene Verantwortlichkeit“ trägt. Ein „bestimmender Einfluss“ im Unternehmen reiche allein nicht aus, um eine „Leitungsbefugnis“ annehmen zu können.

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Nach alledem folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert ist im Sinne der vorläufigen Festsetzung nach § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit festzusetzen.


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