Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (9. Kammer) - 9 A 545/16
Tatbestand
- 1
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
- 2
Die 49-jährige Klägerin zu 1. und ihre vier minderjährigen Kinder im Alter von 17, 12, 11 und 8 Jahren, die Kläger zu 2. – 5., sind syrische Staatsangehörige arabischer Volks- und islamischer Glaubenszugehörigkeit. Sie lebten bis zu ihrer Ausreise aus Syrien vor ca. vier Jahren in dem Dorf Mohassan bei Deir ez-Zor. Sie reisten im Herbst 2015 über den Landweg kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 05.11.2015 ihre Asylanträge, welche sie auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkten. In ihrer persönlichen Anhörung bei der Beklagten am 05.07.2016 gaben sie zu den Gründen ihrer Antragsstellung und ihrem Verfolgungsschicksal an, Syrien wegen des Krieges und der fehlenden Sicherheit verlassen zu haben. Mit Bescheid vom 20.07.2016 erkannte die Beklagte den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Antrag aber im Übrigen ab mit der Begründung, sie würden keines der als Verfolgungsgrund in Frage kommenden Anknüpfungsmerkmale verwirklichen. Ihrem Vorbringen sei zudem weder eine flüchtlingsrelevante Verfolgung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal zuschreibbar, der Wunsch nach Sicherheit genüge hierfür nicht.
- 3
Hiergegen haben die Kläger am 28.07.2016 Klage erhoben und diese damit begründet, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Syrien vom Assad-Regime wegen der Ausreise und der Beantragung von Asyl im westlichen Ausland eine regimefeindliche Einstellung unterstellt würde und sie daher einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt seien. Zudem werde ihr Herkunftsgebiet seit Mitte 2014 vom IS kontrolliert, so dass ihnen auch von dieser Seite Bestrafung und – für die Kläger zu 2. – 5 – gewaltsame salafistische Umerziehung durch den IS drohe, weil sie mit ihrer Ausreise ihre Abkehr vom Islam unter Beweis gestellt hätten.
- 4
Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
- 5
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 20.07.2016 in Ziff. 2 den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
- 6
Die Beklagte beantragt,
- 7
die Klage abzuweisen.
- 8
Sie verteidigt ihren streitbefangenen Bescheid.
- 9
Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.10.2016 der Berichterstatterin das Verfahren zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen (vgl. Bl. 30 der Gerichtsakte).
- 10
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. Bl. 33 der Gerichtsakte; allg. Prozesserklärung der Beklagten vom 25.02.2016).
- 11
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese sowie die bei der Kammer geführten Erkenntnisquellen zu Syrien waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
- 12
Die Einzelrichterin konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Kammer hat ihr mit Beschluss vom 04.10.2016 das Verfahren zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG) und die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 101 Abs. 2 VwGO), so die Kläger mit Schriftsatz vom 11.10.2016 und die Beklagte in ihrer allgemeinen Prozesserklärung an den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 25.02.2016 (Az. 414-7604/1.16).
I.
- 13
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Ziffer 2. hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Diese haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG.
- 14
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3 c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1.), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2.) oder nichtstaatlichen Akteuren (Nr. 3.), sofern die in den Nummern 1. und 2. genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3 e AsylG. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3 c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3 b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, juris). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut vor solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 25.11.2014 - Au 2 K 14.30422 -, juris). In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, juris). Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urt. v.18.12.2008 - 10 C 27/07 -, juris). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3 b Abs. 2 AsylG. Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, juris):
- 15
„[…] Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> m.w.N.). […]”
- 16
a) Die Kläger sind zur Überzeugung des Gerichts nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist, denn eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder einen nichtstaatlichen Akteur im Sinne des § 3 c AsylG in Anknüpfung an einen der o. g. asylerheblichen Gründe haben die Kläger weder in ihrer persönlichen Anhörung bei der Beklagten noch im Klageverfahren vorgetragen. Das Gericht muss für die Annahme der die Verfolgung begründenden Tatsachen die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.07.1989 - 9 B 239/89 -, juris). Die Kläger beschränkten ihr Vorbringen im Wesentlichen darauf, dass sie Syrien wegen der fehlenden Sicherheit und der Kriegssituation verlassen hätten.
- 17
b) Den Klägern drohen bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3 a AsylG durch den IS. Dabei geht das Gericht bei seiner Entscheidung von folgenden Erkenntnissen aus:
- 18
Der IS hat im Norden Syriens die Kontrolle über ein weitgehend zusammenhängendes Gebiet vor allem im nördlichen und zentralen Teil Syriens bis in den angrenzenden Irak hinein, einschließlich der ländlichen Gebiete der Gouvernements Raqqa und Deir ez-Zor – dem Herkunftsort der Kläger - sowie des Südens des Gouvernements Hassakeh (vgl. UNHCR- Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. akt. Fassung, November 2015, S. 5 m. w. N.). Der IS hat dabei in dem Bemühen, seinen Herrschaftsanspruch zu manifestieren, vorsätzlich Zivilpersonen allein aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder religiösen oder ethnischen Identität angegriffen. Dabei werden von ihm diejenigen, die dessen Herrschaftsanspruch tatsächliche oder vermeintlich in Frage stellen, gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet. Gleiches gilt bei Verstoß gegen die von ihm aufgestellten Regeln, wobei sich der IS zur Machtdemonstration unmenschlicher Behandlung einschließlich öffentlicher Hinrichtung, Auspeitschung und Verstümmelung ohne die Chance auf ein (faires) Gerichtsverfahren bedient (vgl. UNHCR, a. a. O. S. 10 f.; US State Department, Syria 2015 – Human Rights Report – Executive Summary, S. 3).
- 19
Angesichts der aktuellen und gerichts- sowie allgemeinbekannten Erkenntnisse über die hemmungslose Gewaltanwendung des IS gegenüber Personen, die anderen Glaubens sind bzw. sich den vom IS vorgegebenen Regeln nicht vorbehaltlos unterwerfen (vgl. hierzu ARA NEWS: "Islamic State beheading five civilians east Syria on charges of spying" vom 19.09.2016 abrufbar unter: http://aranews.net/2016/09/islamic-state-beheading-five-civilians-east-syria-on-charges-of-spying/, abgerufen am: 14.10.2016; wie vor, "Islamic Stae stoning Syrian man to death on charges of ´committing adultery´", abrufbar unter: http://aranews.net/2016/09/islamic-state-stoning-syrian-man-death-charges-committing-adultery/, abgerufen am: 14.10.2016), ist aus der Perspektive eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Kläger die Furcht vor Verfolgung begründet. Im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 AsylG) ist anzunehmen, dass das Heimatdorf der Kläger noch zu Teilen vom IS kontrolliert wird und besetzt ist. Ihre Flucht aus dem Gebiet des IS und die Beantragung von Asyl in einem westlichen Staat dürfte nach dem Vorstehenden mit der erforderlichen Beachtlichkeit vom IS als ein gegen diesen und dessen Ziele gewendetes Verhalten aufgefasst werden und die Kläger hierdurch der begründeten Furcht vor Verfolgung aussetzen. Deshalb ist davon auszugehen, dass für die Kläger in ihrem Heimatdorf die beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung durch den IS bei einer Rückkehr aus einem westlichen Staat nach Syrien besteht.
- 20
c) Mit den vorliegenden Erkenntnismitteln steht für die Kläger ein schutzbietender Dritter aufgrund der Kriegssituation nicht zur Verfügung (§ 3 d AsylG). In Deir ez-Zor konnten die Regierungstruppen seit dem vergangenen Jahr zwar auch immer wieder Erfolge verzeichnen, eine vollständige und dauerhafte Verdrängung des IS und auch anderer Rebellengruppen ist bisher aber weder gelungen, noch steht diese in Aussicht.
- 21
2. Den Klägern steht auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3 e AsylG offen. Danach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Ein Ausländer darf dabei nur dann auf ein verfolgungsfreies Gebiet seines Heimatstaates als inländische Fluchtalternative verwiesen werden, wenn er dieses tatsächlich in zumutbarer Weise erreichen kann. Verlangt wird zum einen die auf verlässliche Tatsachenfeststellungen gestützte Prognose tatsächlicher Erreichbarkeit unter Berücksichtigung bestehender Abschiebungsmöglichkeiten und Varianten des Reisewegs bei freiwilliger Ausreise in das Herkunftsland. Der aufgezeigte Weg muss dem Betroffenen angesichts der humanitären Intention des Flüchtlingsrechts auch zumutbar sein, d. h. insb. ohne erhebliche Gefährdungen zum (verfolgungsfreien) Ziel führen, wobei auch nicht verfolgungsbedingte Gefahren zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu Bergmann in: Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AsylG § 3 e Rn. 3).
- 22
Es kann dahin stehen, welche Gebiete innerhalb von Syrien überhaupt geeignet sind, für die Kläger die oben unter 1. festgestellte Verfolgung auszuschließen. Das Gericht vermag zum Zeitpunkt der Entscheidung jedenfalls nicht festzustellen, dass die Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn selbst eine Einreisemöglichkeit nach Syrien unterstellt (dies dürfte wegen der Schließung des Flughafen Damaskus für den zivilen Flugverkehr im Jahr 2012 nur über den Flughafen Beirut möglich sein, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Flughafen_Damaskus, abgerufen am 10.10.2016), ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben sämtlicher dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse, den Klägern insbesondere wegen des in Syrien bestehenden permanenten Vertreibungsdrucks ein Ausweichen in einen anderen Landesteil nicht zumutbar ist, weil vernünftiger Weise nicht erwartet werden kann, dass sie sich dort niederlassen.
- 23
3. Mit der Anerkennung der oben dargestellten individuellen Verfolgung kann das Gericht es dahinstehen lassen, ob den Klägern auch wegen ihrer illegalen Ausreise, der Beantragung von Asyl und dem damit verbundenen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland Verfolgung durch den syrischen Staat in asylerheblicher Weise droht bzw. – eine Rückkehr unterstellt – drohen würde.
II.
- 24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1VwGO, § 83 b AsylG.
- 25
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 3 e AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 76 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 28 Abs. 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 9 B 239/89 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 d AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 77 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- 10 C 27/07 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (3. Senat) - 3 L 147/12 1x
- § 28 Abs. 1a AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- § 3 b Abs. 2 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 3 a AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 101 1x
- § 3 Abs. 1 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 83 b AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 c AsylG 3x (nicht zugeordnet)