Urteil vom Verwaltungsgericht Mainz (1. Kammer) - 1 K 363/08.MZ
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Löschung seiner Person aus der Datei „Gewalttäter Sport“.
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Die Datei „Gewalttäter Sport“ wird beim Bundeskriminalamt geführt. In dieser Datei werden Täter gespeichert, die im Zusammenhang mit Gewaltstraftaten bei sportlichen Ereignissen in Erscheinung getreten sind. Die Eintragung erfolgt durch die jeweils nach dem Tatort zuständige Polizeidienststelle, die in der Folge auch für die Pflege des Datensatzes zuständig ist.
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Am 12. August 2006 wurde gegen den Kläger Strafanzeige wegen Landfriedensbruch erstattet anlässlich eines Vorfalls zwischen Hooligans bei dem Fußballspiel 1. FSV Mainz 05 gegen VFL Bochum.
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Am 21. März 2007 erließ die Stadtverwaltung M. gegenüber dem Kläger eine Ordnungsverfügung, mit der ihm aufgegeben wurde, sich am Samstag, den 24. März 2007 um 11.00 Uhr und um 20.00 Uhr bei der zuständigen Polizeidienststelle zu melden. Hiermit sollte verhindert werden, dass der Kläger am 24. März 2007 zu dem Europameisterschaftsqualifikationsspiel Tschechien gegen Deutschland in Prag reiste.
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Am 22. März 2007 wurde dem Kläger von der bayrischen Grenzpolizei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 des Passgesetzes die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland untersagt, da der Kläger zum Länderspiel nach Prag fahren wollte, ohne im Besitz einer Eintrittskarte zu sein.
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Mit Schreiben vom 22. März 2007 teilte die Staatsanwaltschaft M. dem Kläger mit, dass das Verfahren wegen Landfriedensbruch gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt sei.
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Mit Schreiben vom 6. September 2007 beantragte der Kläger die Herausnahme seiner Person aus der Datei „Gewalttäter Sport“. Hierzu berief er sich auf die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft M..
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Dieser Antrag wurde mit Schreiben des Polizeipräsidiums M. vom 1. Oktober 2007 abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Einstellung des Strafverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts schließe die weitere Aufbewahrung der Unterlagen nicht aus. Die Kenntnisse über die begangenen Delikte seien für die Aufgabe der Gefahrenabwehr erforderlich. Eine Überprüfung der weiteren Speicherung werde im Jahre 2011 erfolgen.
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Der Kläger legte hiergegen am 5. November 2007 Widerspruch ein. Er gab an, dass die Erfassung in der Datei „Gewalttäter Sport“ dazu geführt habe, dass er anlässlich des Länderspiels Deutschland gegen Wales am 21. November 2007 in Frankfurt am Main einen Platzverweis für das Stadtgebiet erhalten habe. Die Speicherung der Daten sei daher mit Art. 2 und 11 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Das Polizeipräsidium M. wies den Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens darauf hin, dass die Löschung der in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeicherten Daten nur von der jeweiligen Behörde vorgenommen werden könne, die die Speicherung veranlasst habe und teilte ihm die diesbezüglichen weiteren Daten und Aktenzeichen mit.
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Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 17. März 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid seine Rechtsgrundlage in §§ 26, 33 und 39 des Polizei- und Ordnungsgesetzes i.V.m. § 7 Abs. 1, 8 Abs. 1, 2, 4 und 5 sowie § 9 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt finde. Danach unterstütze das Bundeskriminalamt als Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen die Polizei des Bundes und die der Länder. Die Datei „Gewalttäter Sport“ diene der Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen und sonstiger Straftaten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen und ermögliche der Polizei wirksame Eingriffsmaßnahmen. Die Einstellung des Verfahrens gegenüber dem Kläger sei nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern wegen mangelnder Nachweisbarkeit erfolgt, daher sei gemäß § 8 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt eine weitere Speicherung nicht ausgeschlossen. Da gegen den Kläger auch in anderen Bundesländern Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Straftaten anlässlich von Sportveranstaltungen geführt worden seien, sei eine weitere Speicherung der Daten wegen Wiederholungsgefahr geboten.
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Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 18. März 2008 zugestellt.
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Der Kläger hat am 18. April 2008 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die Datei „Gewalttäter Sport“ sei rechtswidrig, daher habe er einen Anspruch auf Löschung aus der Datei. § 7 Abs. 6 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt stelle keine ausreichende Rechtsgrundlage dar, da es an der dort geforderten Rechtsverordnung des Bundesministeriums des Innern fehle, die Näheres zur Speicherung der Daten regeln solle. Durch seine Aufnahme in die Datei „Gewalttäter Sport“ werde er in seinen Rechten aus Art. 2 und 11 des Grundgesetzes verletzt. So sei ihm am 22. März 2007 die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland untersagt worden. Ihm könne auch nicht mehr das Verfahren wegen Landfriedensbruch entgegengehalten werden, nachdem dieses mangels Tatverdachts eingestellt worden sei. Insoweit gelte zu seinen Gunsten die Unschuldsvermutung. Entgegen der Auffassung des Beklagten komme es daher nicht darauf an, ob der Tatverdacht völlig ausgeräumt worden sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 zu verpflichten, die Löschung aller Daten, den Vorfall vom 12. August 2006 betreffend, in der Datei „Gewalttäter Sport“ zu veranlassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält die Datei „Gewalttäter Sport“ für rechtmäßig. Das Fehlen der in § 7 Abs. 6 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt vorgesehenen Rechtsverordnung entfalte keine konstitutive Wirkung für die Datei. Die gesetzlichen Regelungen des Gesetzes über das Bundeskriminalamt bestimmten hinreichend deutlich, welche Daten unter welchen Voraussetzungen gespeichert werden dürften. Die Einstellung des Strafverfahrens wegen Landfriedensbruchs mangels Tatverdacht stehe der Speicherung nicht entgegen. Nach § 8 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt sei eine Speicherung nur dann unzulässig, wenn sich aus der Einstellungsverfügung ergebe, dass die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen worden sei. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger am 25. Juni 2008 anlässlich des Europameisterschaftsspiels Deutschland gegen die Türkei in Mainz bei einer Personenkontrolle in Gewahrsam genommen und ein Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakte des Polizeipräsidiums M., die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Kläger gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Löschung der ihn betreffenden Daten bezüglich des Vorfalls vom 12. August 2006 in der Datei „Gewalttäter Sport“ hat.
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Die als Verpflichtungsklage statthafte Klage ist zulässig. Insbesondere steht dem Kläger für die erhobene Klage ein Rechtsschutzbedürfnis zu. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger vorliegend von dem Beklagten – lediglich – die Löschung eines einzelnen Eintrags – nämlich des Eintrags vom 12. August 2006 – und nicht aller vier ihn betreffenden Einträge in der Datei „Gewalttäter Sport“ begehrt und auch nur begehren kann. Soweit der Kläger die Löschung eines von mehreren Einträgen begehrt, kann er auch hierdurch eine Verbesserung seiner Rechtsposition erreichen, indem er die Anzahl der über ihn gespeicherten Datensätze verringert. Der Kläger ist zudem durch § 11 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt (BKAG) gehindert, mit der vorliegenden Klage die Löschung aller über ihn gespeicherten Datensätze zu verlangen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 BKAG ist nur die diejenige Behörde, die Daten zu einer Person eingegeben hat, auch befugt, diese wieder zu löschen. Da nur ein einziger Eintrag in der Datei „Gewalttäter Sport“ über den Kläger gespeichert ist, der von dem Beklagten stammt, ist der Beklagte wegen § 11 Abs. 3 Satz BKAG hinsichtlich der restlichen Daten nicht verfügungsbefugt, so dass ein diesbezügliches Klagebegehren gegen den Beklagten im vorliegenden Verfahren erfolglos bleiben müsste. Da dem Kläger die Möglichkeit gegeben sein muss, alle über ihn in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeicherten Daten gerichtlich überprüfen zu lassen, muss angesichts der Regelung in § 11 Abs. 3 Satz 1 BKAG wegen des Gebots des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für den Kläger die Möglichkeit bestehen, einzelne Einträge – je nach Veranlassung der Behörde – gerichtlich überprüfen zu lassen.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Löschung der Daten bezüglich des Vorfalls vom 12. August 2006 gegenüber dem Beklagten gemäß § 39 Abs. 2 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) zusteht.
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Vorliegend kann sich ein Anspruch auf Löschung der Daten ausschließlich aus § 39 Abs. 2 POG ergeben. Soweit § 32 Abs. 2 BKAG ebenfalls die Löschung personenbezogener Daten regelt, ist die Norm vorliegend nicht einschlägig, da Adressat des § 32 Abs. 2 BKAG ausschließlich das Bundeskriminalamt aber nicht der Beklagte ist.
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Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Löschung der ihn betreffenden Daten bezüglich des Vorfalls vom 12. August 2006 gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 POG.
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Nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 POG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn die Speicherung unzulässig ist. Die Speicherung personenbezogener Daten ist stets dann unzulässig, wenn hierfür die erforderliche gesetzliche Grundlage fehlt. Entgegen der Auffassung des Klägers findet die Datei „Gewalttäter Sport“ ihre erforderliche Rechtsgrundlage im Gesetz über das Bundeskriminalamt.
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Nach den grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1, 44) ist das Spannungsverhältnis Individuum -Gesellschaft in Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person zu entscheiden. Grundsätzlich muss daher der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Diese Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtstaatlichen Gebot der Normklarheit entspricht.
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Diese Voraussetzungen werden vorliegend durch die §§ 2, 7 und 8 BKAG erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers bedarf es hierbei nicht des Erlasses der in § 7 Abs. 6 BKAG vorgesehenen Rechtsverordnung des Bundesministeriums des Innern (VGH Kassel, NJW 2005, 2728, 2732; VG Schleswig, Urteil vom 23. April 2004, Az.: 1 A 219/02 – Beck RS). Eine derartige Rechtsverordnung hat lediglich deklaratorischen, aber keinen konstitutiven Charakter für die vorliegende Datenspeicherung. Bei der in § 7 Abs. 6 BKAG vorgesehenen Rechtsverordnung handelt es sich um eine Rechtsverordnung im Sinne des Art. 80 GG. Derartige Rechtsverordnungen stehen aber stets im Range unter dem Gesetz und sind daher nicht geeignet – gleichsam gesetzesvertretend (so aber VGH Hannover, Urteil vom 22. Mai 2008, Az.: 2412/07) – als Rechtsgrundlage für die Einschränkung von Grundrechten zu dienen. Sie können nur Ausführungsregelungen enthalten.
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Sonstige Umstände, die eine Unzulässigkeit der Speicherung der streitgegenständlichen Daten im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 2 POG begründen könnten, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, so dass ein Anspruch des Klägers auf Löschung der streitgegenständlichen Daten gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 POG nicht in Betracht kommt.
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Der Kläger hat auch aus anderen Gründen keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Löschung der ihn betreffenden Daten bezüglich des Vorfalls vom 12. August 2006 gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 POG.
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Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 POG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn der der Speicherung zugrundeliegende Verdacht entfällt. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben.
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Der Grund für die Speicherung der streitgegenständlichen Daten war der Verdacht, dass der Kläger im Zusammenhang mit Fußballspielen zu Gewalttätigkeiten neigt. Dieser Grund ist jedoch nicht beseitigt worden, da der Kläger abermals am 25. Juni 2008 in Mainz nach dem Fußballspiel Deutschland – Türkei auffällig wurde und gegen ihn ein Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet wurde.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft M. vom 22. März 2007. Eine Verfahrenseinstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO erfolgt stets dann, wenn die Ermittlungen keinen hinreichenden Verdacht für die Erhebung einer Anklage gemäß § 170 Abs. 1 StPO ergeben haben. Hierdurch wird jedoch nicht das Bestehen eines Anfangsverdachts ausgeräumt, der Anlass für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gewesen war. Insoweit ist ein Straftatverdacht nicht notwendigerweise ausgeräumt (BVerfG, NJW 2002, 3231; VGH Baden-Württemberg GVBl. 2001, 838) und kann daher Grundlage einer weiteren Datenspeicherung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung sein. Zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung ist die Speicherung personenbezogener Daten erforderlich, wenn die betroffene Person verdächtig ist, eine Straftat begangenen zu haben und tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie zukünftig eine Straftat begehen wird (VGH Baden-Württemberg GVBl. 2001, 838). Vorliegend wurde ein solcher „Restverdacht“ durch den Vorfall vom 25. Juni 2008 in tatsächlicher Hinsicht bestätigt.
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Entgegen der Auffassung des Klägers steht auch die Unschuldsvermutung nicht der weiteren Speicherung der streitgegenständlichen Daten entgegen. Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie schützt den Beschuldigten auch vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleich kommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung vorausgegangen ist. Die Berücksichtigung und Bewertung von Verdachtsgründen stellt jedoch keine durch die Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung oder -zuweisung dar. Die Feststellung des Tatverdachts ist substantiell anders als eine Schuldfeststellung. Nach diesen Grundsätzen widerspricht es der Unschuldsvermutung nicht, wenn der Beklagte vorliegend einen für die weitere Speicherung der streitgegenständlichen Daten erforderlichen Tatverdacht bejaht.
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Die weitere Speicherung und Verwendung in Strafermittlungsverfahren gewonnener Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten stehen der Unschuldsvermutung grundsätzlich auch dann nicht entgegen, wenn der Betroffene sogar rechtskräftig freigesprochen worden ist, sofern die Verdachtsmomente dadurch noch nicht ausgeräumt sind (BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2002, Az.: 1 BvR 2257/01, NJW 2002, 3231 m.w.N.). Gleiches gilt, wenn das Strafverfahren aus anderen Gründen beendet worden ist. Die Vermutung der Unschuld gilt bis zu einem etwaigen richterlichen Schuldspruch. Kommt es nicht dazu, gilt sie fort. Bei der Verfahrensbeendigung durch Einstellung nach §§ 153 ff. StPO oder bei einem Freispruch, der ausweislich der Gründe aus Mangel an Beweisen erfolgt ist, ist der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt. Darf er Grundlage für Maßnahmen der weiteren Datenspeicherung sein, so steht die Unschuldsvermutung als solche nicht entgegen. Die weitere Aufbewahrung und Verwendung von Daten aus Strafverfahren zur vorbeugenden Straftatbekämpfung stellt auch keinen Nachteil für den Kläger dar, der einem Schuldspruch oder einer Strafe gleich käme. In ihren Voraussetzungen sind diese Maßnahmen von einem fortbestehenden Tatverdacht, nicht aber von einer Schuldfeststellung abhängig. Auch ist die Datenspeicherung in den Kriminalakten von ihren faktischen Wirkungen her nicht mit einer Strafsanktion zu vergleichen und dient anderen Zwecken, nämlich der vorbeugenden Straftatenbekämpfung. Ferner fehlt ihr die einem Strafurteil zukommende Publizitätswirkung (BVerfG, NJW 2002, 3231 f.).
- 33
Die Feststellung, dass die Unschuldsvermutung eine Speicherung von Daten aus Strafermittlungsverfahren auch nach rechtskräftigem Freispruch nicht grundsätzlich verbietet, führt andererseits nicht dazu, dass der Freispruch keine Auswirkungen auf die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Speicherung hat. Vielmehr ist bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Datenspeicherung erfüllt sind und sie im konkreten Fall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt (BVerfG, NJW 2002, 3231, 3232). Eine unverzichtbare Voraussetzung der Speicherung ist nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 POG das Fortbestehen des Tatverdachts. Voraussetzung der Datenspeicherung ist daher eine Wiederholungsgefahr. Diese ist im vorliegenden Fall zu bejahen, da der Kläger – wie oben ausgeführt – diesen Verdacht durch sein eigenes Verhalten bestätigt hat. Somit hat der Kläger auch gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 POG keinen Anspruch auf Löschung der streitgegenständlichen Daten.
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Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Löschung der streitgegenständlichen Daten gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 3 POG zusteht, da hierfür die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind.
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Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
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Beschluss
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Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).
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Referenzen
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