Beschluss vom Verwaltungsgericht Mainz (1. Kammer) - 1 K 1462/16.MZ

Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Kläger hat die Kosten des in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger hat von der Beklagten Räumung und Herausgabe einer in seinem Eigentum stehenden Wohnung sowie eines dazugehörenden Kfz-Abstellplatzes im Anschluss an eine Obdachloseneinweisung begehrt.

2

Der Kläger ist Eigentümer und Vermieter einer auf dem Grundstück „XXX“ in der Ortsgemeinde M. (Verbandsgemeinde C.) gelegenen Souterrainwohnung. Diese besteht aus zwei Zimmern, Dusche, WC sowie einem der Wohnung zugeordneten Kfz-Abstellplatz.

3

Im Jahr 2002 vermietete der Kläger die streitgegenständliche Wohnung einschließlich Kfz-Abstellplatz an Herrn N. Dieser steht seit dem 30. November 2009 unter Betreuung von Herrn Rechtsanwalt L. Mit Teilversäumnisurteil vom 7. Dezember 2012 (Az. XXX) verurteilte das Amtsgericht N. Herrn N., die vorgenannte Wohnung einschließlich des Kfz-Abstellplatzes zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Das Urteil ist rechtskräftig. Der Gerichtsvollzieher X. kündigte mit Schreiben vom 11. März 2013 die Zwangsräumung für den 9. April 2013, 9:00 Uhr an.

4

Die Beklagte wies Herrn N. mit Verfügung vom 9. April 2013 gemäß §§ 1, 3, 7 und 9 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) unter Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen drohender Obdachlosigkeit wieder in die streitgegenständliche Wohnung ein. Sie befristete die Wiedereinweisung bis zum 1. Juni 2013. Aufgrund der zunächst mündlich verfügten Wiedereinweisung sei drohende Obdachlosigkeit des Herrn N. abgewendet worden. Der Verbandsgemeindeverwaltung C. stünden zu diesem Zeitpunkt keine anderweitigen Möglichkeiten der Unterbringung zur Verfügung. Unter Beachtung der besonderen Gesichtspunkte des Einzelfalls sei auch eine Unterbringung in einem Obdachlosenwohnheim, einer Pension oder in einem Hotel nicht realisierbar.

5

Gegen die Wiedereinweisungsverfügung legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Eine Verlängerung der Einweisung über den 1. Juni 2013 hinaus erfolgte nicht. Herr N. bewohnt die streitgegenständliche Wohnung bis heute.

6

Im Mai 2013 begannen Gespräche zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau, der beklagten Verbandsgemeinde und Herrn N. über den Abschluss eines neuen Mietvertrages. Die Ehefrau des Klägers brachte dabei zum Ausdruck, dass grundsätzlich ein neuer Mietvertrag abgeschlossen werden könne, Herr N. dazu aber verschiedene Auflagen erfüllen müsse. Dazu zählten u. a. die Räumung des Parkplatzes, Aufräumen der Wohnung, Pflege des Vorgartens und die mittelfristige Begleichung offener Forderungen. Diskutiert wurde auch eine Anhebung der bisherigen Miete um 50,00 € auf 300,00 € zzgl. Nebenkosten sowie eine anfängliche Befristung eines etwaigen Mietvertrages.

7

Mit Schreiben vom 7. März 2014 an die Beklagte führte der damalige Bevollmächtigte des Klägers, Herr Rechtsanwalt K., aus, dass der Verbleib von Herrn N. in der streitgegenständlichen Wohnung „keinesfalls gesichert“ sei. Vor der Fortsetzung des Mietverhältnisses müssten die Ansprüche des Klägers gegen Herrn N. erfüllt werden. Diese beliefen sich auf insgesamt 2.114,39 €, bestehend aus zwei Monatsmieten (640,00 €) sowie Forderungen aus Nebenkostenabrechnungen für den Zeitraum von 1. Oktober 2008 bis 30. September 2012 (1.474,39 €).

8

Der Kläger wendete sich mit Schreiben vom 10. November 2014 und 7. Januar 2015 an die Beklagte und erinnerte an die Bearbeitung des Schreibens seines damaligen Bevollmächtigten vom 7. März 2014. Er wies daraufhin, dass er „den RA“ beauftragen werde, „weiter zu klagen“.

9

Mit Schreiben vom 10. November 2016 wendete sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte. Er wies darauf hin, dass Zwangseinweisungen nur befristet zulässig seien und forderte die Beklagte zur Mitteilung bis zum 15. Dezember 2016 auf, wann Herr N. „geräumt und umgesetzt“ werde.

10

Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 und führte aus, dass man von einem bestehenden Mietvertrag zwischen dem Kläger und Herrn N. ausgehe. Dies ergebe sich insbesondere aus einer Nebenkostenabrechnung auf der der Kläger als „Vermieter“ unterschrieben habe. Diese sei auch an Herrn N. und nicht an die Verbandsgemeinde adressiert gewesen.

11

Der Kläger hatte am 20. Dezember 2016 Klage erhoben. Die Beteiligten haben das Verfahren in der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2017 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte erklärt hatte, Herrn N. nicht erneut in die streitgegenständliche Wohnung des Klägers einzuweisen.

II.

12

Nachdem die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.

13

Gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Hiernach sind grundsätzlich im Falle einer zum Zeitpunkt der Erledigung überschaubaren Sach- und Rechtslage die Kosten demjenigen Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen, der bei Durchführung des Verfahrens voraussichtlich unterlegen wäre, während bei offenem Verfahrensausgang eine den Erfolgsaussichten entsprechende Kostenverteilung vorzunehmen ist (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 161, Rn. 16 f.).

14

Die Klage hatte keine Erfolgsaussichten, da sie unzulässig und unbegründet gewesen wäre. Damit waren die Kosten des Verfahrens vollständig dem Kläger aufzuerlegen.

15

Die Klage wäre bereits unzulässig gewesen. Das Begehren des Klägers war nicht ausschließlich auf eine tatsächliche Handlung der Beklagten gerichtet. Um den „Räumungsanspruch“ in Gestalt eines Folgenbeseitigungsanspruchs durchzusetzen, müsste die Beklagte Herrn N. zunächst im Wege eines Verwaltungsaktes aufgeben, die Wohnung zu verlassen (vgl. OVG RP, Urteil vom 8. Dezember 1992 – 6 A 10998/92 –, juris, Rn. 29). Dieser müsste dann notfalls mit Zwangsmitteln vollstreckt werden. Damit stellt sich das „Räumungsbegehren“ des Klägers letztlich als Verpflichtungsbegehren dar. Ein in diesem Rahmen erforderliches Vorverfahren gemäß § 68 VwGO hat der Kläger vor Klageerhebung allerdings nicht erfolglos durchgeführt. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO ist nicht vorgetragen worden und im Übrigen sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich.

16

Selbst wenn die Klage als zulässig hätte angesehen werden können, wäre sie zumindest unbegründet gewesen. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf „Räumung und Herausgabe“ gegenüber der Beklagten aus einem Folgenbeseitigungsanspruch.

17

Ein Folgenbeseitigungsanspruch als gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut bestand nicht (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24/91 –, juris, Rn. 23; Urteil vom 23. Mai 1989 – 7 C 2/87 –, NJW 1989, 2272 [2277]; Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 –, NJW 1985, 817 [818]). Dieser setzt voraus, dass durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht des Betroffenen ein – der Behörde unmittelbar zuzurechnender – rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist, der noch andauert (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24/91 –, juris, Rn. 24). Das trifft hier nicht zu.

18

Die Einweisungsverfügung vom 9. April 2013 stellt einen hoheitlichen Eingriff in das Eigentumsrecht des Klägers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) dar. Mit Ablauf der Einweisungsfrist am 1. Juni 2013 ist dieser Verwaltungsakt gemäß § 1 Abs. 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (LVwVfG) i.V.m. § 43 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) insoweit unwirksam geworden.

19

Mit dem Folgenbeseitigungsanspruch kann der Betroffene grundsätzlich die Wiederherstellung des sog. „Status quo ante“ verlangen. Es ist der Zustand wiederherzustellen, der vor dem hoheitlichen Eingriff bestand. Die Behörde muss grundsätzlich den von ihr unmittelbar herbeigeführten rechtswidrigen Zustand beseitigen. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob die Behörde rechtswidrig gehandelt hat, sondern nur auf die Rechtswidrigkeit des von ihr unmittelbar geschaffenen, noch andauernden Zustands (BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1989 – 7 C 2/87 –, NJW 1989, 2272 [2277]; Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 –, NJW 1985, 817 [819]). Das Merkmal der Unmittelbarkeit dient dabei „der Abgrenzung von Verantwortungs- und Risikosphären“ (vgl. zum enteignungsgleichen Eingriff: Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage, S. 302). Es ist damit nicht rein formal zu verstehen, sondern im Sinne einer „wertenden Zurechnung“ (zu polizeilichen Entschädigungstatbeständen: BGH, Urteil vom 9. November 1995 – III ZR 226/94 –, NJW 1995, 315 [316] m.w.N.). Es muss sich also ein – im Vergleich zum allgemeinen Lebensrisiko – spezifisches Risiko verwirklicht haben, das in der hoheitlichen Maßnahme typischerweise angelegt war (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1995 – III ZR 226/94 –, NJW 1995, 315 [316]; Ossenbühl/Cornils, a.a.O., S. 302 f. und 370 f.).

20

Nach Ablauf der Einweisungsfrist ist die betreffende Behörde grundsätzlich verpflichtet, die jeweilige Wohnung geräumt an den Wohnungseigentümer herauszugeben (OVG RP, Urteil vom 8. Dezember 1992 – 6 A 10998/92 –, juris, Rn. 29; VGH BW, Beschluss vom 23. Juli 1996 – 1 S 1494/96 –, BeckRS 1996, 22585). Diese Pflicht wird nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass der Eingewiesene – wie hier – schon vor der Einweisung als Räumungsschuldner Besitz an der Wohnung hatte (BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – III ZR 160/94 –, NJW 1995, 2918 [2919 f.]). Gegenstand der Inanspruchnahme war mithin nicht eine „bewohnte“, sondern eine „freiwerdende“, also eine verfügbare Wohnung (BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – III ZR 160/94 –, NJW 1995, 2918 [2919 f.]). Mit der (Wieder-)Einweisung nimmt die Behörde die tatsächliche Verfügungsgewalt in Anspruch, was dem Eingewiesenen überhaupt erst das Weiterwohnen ermöglicht (BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – III ZR 160/94 –, NJW 1995, 2918 [2919]; Beschluss vom 21. Dezember 2005 – III ZR 148/05 –, juris, Rn. 9). Wenn der Eingewiesene die Wohnung nach der Einweisung nicht verlässt, realisiert sich prinzipiell ein typisches Risiko der Einweisung, sodass der Zustand auch der Behörde grundsätzlich zuzurechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – III ZR 160/94 –, NJW 1995, 2918 [2919]). Dieser Zurechnungszusammenhang wird daher auch nicht dadurch unterbrochen, dass das Weiterwohnen auf einem eigenen Willensentschluss des Eingewiesenen beruht. Insoweit hat die Behörde dem Eingewiesenen erst die Möglichkeit dazu eröffnet, da ansonsten die Vollstreckung des Räumungstitels erfolgt wäre, die durch die Einweisungsverfügung als Vollstreckungshindernis temporär blockiert wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – III ZR 160/94 –, NJW 1995, 2918 [2919]). Mit der Beschlagnahme der Wohnung zur Einweisung des bisherigen Mieters erhält die Behörde weitergehend die Rechtsmacht, über die Räume wie ein Nutzungsberechtigter zu verfügen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – III ZR 160/94 –, NJW 1995, 2918 [2919]; OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 1990 – 9 B 2864/90 –, NVwZ 1991, 905 [906]). Damit ist die Nutzung der Wohnung durch den Eingewiesenen im Rechtssinne gleichzeitig deren Nutzung durch die Behörde (OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 1990 – 9 B 2864/90 –, NVwZ 1991, 905 [906]). Diese dauert nach Beendigung der Beschlagnahme der Wohnung an, solange die Wohnung nicht geräumt ist, wobei ohne Bedeutung ist, ob die eingewiesenen Personen zur Zeit der Beschlagnahme der Wohnung und der Einweisung im Besitz der Räume waren (OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 1990 – 9 B 2864/90 –, NVwZ 1991, 905 [906]). Mit dem Ende der Beschlagnahme entfällt nur der Rechtsgrund der behördlichen Nutzung, nicht die Nutzung selbst (OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 1990 – 9 B 2864/90 –, NVwZ 1991, 905 [906]). Die grundsätzliche Zubilligung eines Räumungsanspruchs gegen die Behörde kann mithin als Kompensation für die Zeit der Einweisung eingeschränkten zivilrechtlichen Handlungsmöglichkeiten gesehen werden (Bumke, Der Folgenbeseitigungsanspruch, JuS 2005, 22 [27]). So liegt es auch hier. Erst durch die Einweisungsverfügung wurde die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungstitel abgewendet und Herr N. bekam die Möglichkeit in der Wohnung vorerst zu verbleiben.

21

Dieser Zurechnungszusammenhang erstreckt sich allerdings nicht mehr auf diejenigen Folgen einer Amtshandlung, die erst infolge eines Verhaltens des Betroffenen – hier: des Klägers – eingetreten sind, das auf seiner eigenen Entschließung beruht (BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 –, NJW 1985, 817 [819]). Hier ist der Kläger – noch als die Einweisungsverfügung wirksam war – im Mai 2013 mit der Beklagten und Herrn N. in Vertragsverhandlungen eingestiegen. Diese erstreckten sich über einen erheblichen Zeitraum, in dem der Kläger seine grundsätzliche Bereitschaft zum Abschluss eines neuen Mietvertrages signalisierte, aber dies von der Erfüllung verschiedener Forderungen abhängig machte. Daraus folgt zwar – nach den Feststellungen des Amtsgerichts N. im Urteil vom 20. Oktober 2017 (XXX) – keine Fortsetzung des bisherigen Mietverhältnisses oder ein neuer konkludenter Mietvertrag zwischen Herrn N. und dem Kläger. Allerdings hat der Kläger Herrn N. für eine Dauer von ungefähr drei Jahren in der Wohnung geduldet, ohne bei der Beklagten oder über den Gerichtsvollzieher auf eine erneute Räumung entschlossen hinzuwirken. Diese Duldung begann bereits als die Einweisungsverfügung unwirksam wurde. Damit tritt ein eigenständiger Willensentschluss zwischen den durch die behördliche Einweisung zunächst verursachten Zustand und dessen weiteres Fortbestehen über mehr als zwei Jahre.

22

Wie bereits dargelegt besteht die spezifische Gefahr einer behördlichen Obdachloseneinweisung in der temporären Verzögerung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aufgrund eines zivilrechtlichen Räumungstitels. Während des Bestehens einer wirksamen Einweisungsverfügung liegt ein öffentlich-rechtliches Vollstreckungshindernis vor. Eine typische Gefahr realisiert sich – insbesondere in zeitlicher Hinsicht – allerdings dann grundsätzlich nur, soweit die Räumung der Wohnung auf zivilrechtlichem Wege durch die Einweisung verzögert würde. Dabei kommt es stets auf den Einzelfall an. Jedenfalls ist hier anzunehmen, dass der derzeitige Zustand nicht mehr ein typisches Risiko der Einweisung ist, sondern aufgrund der jahrelangen (freiwilligen) Duldung durch den Kläger vielmehr eine atypische Konstellation darstellt, die vornehmlich durch eigenverantwortliches Verhalten des Klägers verursacht worden ist. Der Eintritt des Klägers in Vertragsverhandlungen und die Duldung des Herrn N. während dieser Zeit haben den Zurechnungszusammenhang unterbrochen, sodass sich im weiteren Verbleib von Herrn N. nicht mehr primär die behördliche Einweisung realisiert, sondern die Duldung durch den Kläger selbst. Mit dem Beginn von Vertragsverhandlungen im Mai 2013 und dem damit verbundenen (geduldeten) Verbleib des Herrn N. in der streitgegenständlichen Wohnung über den 1. Juni 2013 hinaus, ist der Kläger selbst das Risiko eingegangen, dass die Vertragsverhandlungen scheitern können und Herr N. weiterhin nicht freiwillig auszieht. Dies ist allerdings dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen und nicht einem spezifischen Risiko, das aus der behördlichen Einweisung resultiert. Dem Kläger kommt jedenfalls ein überwiegendes Mitverschulden zu, das die Geltendmachung eines Folgenbeseitigungsanspruchs – zumindest zum streitgegenständlichen Zeitpunkt – daneben auch als unzulässige Rechtsausübung darstellt.

23

Der Anspruch auf Folgenbeseitigung kann nämlich ausgeschlossen sein, soweit den Betroffenen in analoger Anwendung des § 254 BGB ein Mitverschulden trifft (BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 – 4 C 34/88 –, juris, Rn. 14 ff.). Bei einer – wie hier – unteilbaren Leistung führt ein überwiegendes Mitverschulden des Betroffenen nur dann zu einem gänzlichen Ausschluss des Folgenbeseitigungsanspruchs, wenn sich seine Verwirklichung als unzulässige Rechtsausübung darstellt (BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 – 4 C 34/88 –, juris, Rn. 21). Gegen Treu und Glauben zu verstoßen, erlaubt die Rechtsordnung niemandem (BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 – 4 C 34/88 –, juris, Rn. 21 m.w.N.). Das treuwidrige Element ist hier im Sinne einer Verwirkung zu sehen (vgl. dazu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 53, Rn. 22). Diese setzt voraus, dass ein Recht über längere Zeit nicht geltend gemacht worden ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, sog. Umstandsmoment (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 53, Rn. 23).

24

Der jetzige Zustand, dass Herr N. sich immer noch in der streitgegenständlichen Wohnung befindet, ist jedenfalls mittlerweile vorwiegend auf den freiwilligen Entschluss des Klägers zurückzuführen, da der Kläger Herrn N. zur Durchführung von Vertragsverhandlungen freiwillig in der streitgegenständlichen Wohnung geduldet hat. Hier hat der Kläger seinen grundsätzlich bestehenden „Räumungsanspruch“ für eine Dauer von über drei Jahren nicht ausgeübt. Erst mit Schreiben vom 10. November 2016 verlangte der Kläger unmissverständlich die Räumung und Herausgabe der Wohnung durch die Beklagte. Er wies zwar im Januar 2015 darauf hin, dass der Verbleib von Herrn N. „keinesfalls gesichert“ sei, jedoch führte dies nicht zum endgültigen Abbruch der Vertragsverhandlungen – wohl in der Hoffnung, seine finanziellen Forderungen doch noch erfüllt zu bekommen. Das hinreichende Umstandsmoment wird hier wesentlich durch die freiwillige Duldung von Herrn N. in der Wohnung begründet. Daran ändert auch die prinzipielle „Gefahr“ einer Wiedereinweisung durch die Behörde nichts. Sie gehört zum allgemeinen Lebensrisiko.

25

Zumindest hätte der Kläger gegenüber der Beklagten die Verhandlungen abbrechen und Räumungsansprüche gegen sie oder direkt gegen Herrn N. geltend machen können. Insgesamt ist daher der Verbleib von Herrn N. – jedenfalls für die hier vorliegende Dauer – primär durch ein eigenverantwortliches Dazwischentreten des Klägers begründet worden. Der Kläger sah wohl in den Vertragsverhandlungen die Möglichkeit, auf diese Weise etwaige Mietrückstände und sonstige Forderungen aus dem Mietverhältnis begleichen zu können, die ansonsten gegenüber Herrn N. selbst möglicherweise nur schwer vollstreckbar sein würden. Dass die Vertragsverhandlungen letztlich scheiterten, ist auch dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen. Insgesamt ist die Geltendmachung des Räumungsanspruchs gegenüber der Beklagten zum jetzigen Zeitpunkt als unbillig anzusehen, da der Kläger zur Begleichung seiner Forderungen durch die Beklagte eigenverantwortlich das Risiko des weiteren Verbleibs von Herrn N. durch dessen Duldung – auch bei Scheitern der Vertragsverhandlungen – eingegangen ist. Diese Bewertung ist unabhängig von einer möglicherweise anderen zivilrechtlichen Beurteilung hinsichtlich des Abschlusses eines konkludenten Mietverhältnisses zwischen Herrn N. und dem Kläger als Folge der Duldung.

26

Dem Kläger ist es allerdings – jedenfalls nach Auffassung des Amtsgerichts N. – weiterhin unbenommen, von seinem zivilrechtlichen Räumungstitel Gebrauch zu machen und die Vollstreckung einzuleiten.

27

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.

28

Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Kostentragungspflicht unanfechtbar (§§ 92 Abs. 3 Satz 2 entsprechend, 158 Abs. 2 VwGO) und hinsichtlich der Festsetzung des Streitwerts nach Maßgabe von § 68 GKG mit der Beschwerde anfechtbar.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen