Beschluss vom Verwaltungsgericht Mainz (4. Kammer) - 4 L 474/18.MZ
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. April 2018 wird hinsichtlich der in Ziffer 3 des Bescheids verfügten Abschiebungsandrohung angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag hat hinsichtlich der Abschiebungsandrohung Erfolg. Im Übrigen ist der ausdrücklich auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2018 gerichtete Antrag bereits unzulässig, aber auch unbegründet. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bleibt insoweit aber auch dann ohne Erfolg, wenn er umgedeutet wird in einen Antrag, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung der Antragstellerin vorläufig auszusetzen.
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I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nur teilweise zulässig.
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Zulässig – insbesondere statthaft – ist er im Hinblick auf die in Ziffer 3 des Bescheids vom 26. April 2018 verfügte Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist (in Ziffer 2) nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –, da es sich insoweit um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 des Landesgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – handelt.
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Im Übrigen, also hinsichtlich der in Ziffer 1 des Bescheids vom 26. April 2018 verfügten Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, ist der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichtete Antrag hingegen nicht statthaft. Zwar kommt dem Widerspruch der Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2018 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – Aufenthaltsgesetz, AufenthG – keine aufschiebende Wirkung zu, sodass die Ausreisepflicht der Antragstellerin nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ist. Allerdings würde durch die beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht der Antragstellerin bzw. im Falle des § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG die Abschiebung nicht (erneut) ausgesetzt, da zugunsten der Antragstellerin die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG nicht greift (vgl. allgemein hierzu OVG RP, Beschluss vom 19.6.2009 – 7 B 10468/09 –, InfAuslR 2009, 345 und juris Rn. 2; SächsOVG, Beschluss vom 20.7.2017 – 3 B 118/17 –, juris Rn. 2). Nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, und der die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Der Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet war jedoch nicht rechtmäßig, da die Antragstellerin ohne das erforderliche Visum eingereist und ihre Einreise daher im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerlaubt ist. Zwar ist die Antragstellerin wohl Inhaberin einer befristeten polnischen Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer vom 21. August 2017 bis zum 26. Juli 2018, die damit sowohl bei ihrer letzten Einreise als auch zum Zeitpunkt der Beantragung eines deutschen Aufenthaltstitels mit Schreiben vom 5. Dezember 2017 noch gültig war. Außerdem hat sie wohl einen gültigen vietnamesischen Reisepass. Demnach war die Antragstellerin nach § 15 Aufenthaltsverordnung – AufenthV – i.V.m. Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens – SDÜ – als Inhaberin eines gültigen, von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und eines gültigen Reisedokuments grundsätzlich berechtigt, sich bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zu bewegen und durfte sich grundsätzlich in Deutschland aufhalten. Es ist hier auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin die erlaubte Aufenthaltsdauer von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen im Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis bereits überschritten hätte. Nachweislich hielt sie sich jedenfalls ab dem 18. September 2017 in Deutschland auf, wie sich aus der Sprachkursbestätigung vom 30. Oktober 2017 ergibt. Damit wären die 90 Tage zum Zeitpunkt der Antragstellung aber noch nicht überschritten gewesen. Für einen längeren Aufenthalt in Deutschland bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dennoch greift die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht zugunsten der Antragstellerin. Ihre Einreise in das Bundesgebiet war nämlich deshalb im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerlaubt, da sie jedenfalls bei der letzten Einreise aus Dänemark nach ihrer Eheschließung erkennbar einen Daueraufenthalt beabsichtigte. Die Einreise eines Drittausländers, der im Besitz eines Aufenthaltstitels eines anderen Mitgliedstaats ist, ist aber nur dann erlaubt im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, wenn der beabsichtigte Aufenthaltszweck bei der Einreise auf einen Kurzaufenthalt im Sinne von Art. 21 Abs. 1 SDÜ gerichtet ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 14.2.2018 – 10 CS 18.350, 10 C 18.351 –, juris Rn. 26; zu nationalen Visa für einen längerfristigen Aufenthalt eines anderen Schengen-Mitgliedstaats vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7.7.2014 – 2 M 23/14 –, juris Rn. 12 ff.; HessVGH, Beschluss vom 4.6.2014 – 3 B 785/14 –, AuAS 2014, 206 und juris Rn. 6 ff.; a.A. VG Aachen, Urteil vom 13.4.2016 – 8 K 669/15 –, juris Rn. 48 ff.). Dies ergibt sich aus Art. 21 Abs. 1 SDÜ, wonach das Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat u.a. an das Vorliegen der Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. a, c und e der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (Schengener Grenzkodex) – jetzt Art. 6 Abs. 1 lit. a, c und e Schengener Grenzkodex – gebunden ist. Vorausgesetzt ist danach ein geplanter Aufenthalt im Hoheitsgebiet von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, was bei einem beabsichtigten längeren Aufenthalt gerade erfüllt ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 14.2.2018 – 10 CS 18.350, 10 C 18.351 –, juris Rn. 26; zu nationalen Visa für einen längerfristigen Aufenthalt eines anderen Schengen-Mitgliedstaats vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7.7.2014 – 2 M 23/14 –, juris Rn. 12 ff.; HessVGH, Beschluss vom 4.6.2014 – 3 B 785/14 –, AuAS 2014, 206 und juris Rn. 6 ff.; a.A. VG Aachen, Urteil vom 13.4.2016 – 8 K 669/15 –, juris Rn. 48 ff.). Ist von vornherein ein längerer Aufenthalt beabsichtigt, ist demgegenüber ein nationales Visum für einen längerfristigen Aufenthalt in der Bundesrepublik erforderlich, über das die Antragstellerin nicht verfügte. Für eine solche Auslegung spricht auch, dass ansonsten ein Wertungswiderspruch zu der Fallgruppe des Art. 20 SDÜ – der den ebenfalls auf 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen zeitlich begrenzten freien Aufenthalt der besonders privilegierten, sichtvermerksfreien Drittausländer regelt – entstünde, für die auch auf die Dauer des beabsichtigten Aufenthaltszwecks abgestellt wird (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 7.5.2014 – 5 K 4470/13 –, juris Rn. 6; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Januar 2018, AufenthG § 5 Rn. 68b; a.A. VG Aachen, Urteil vom 13.4.2016 – 8 K 669/15 –, juris Rn. 51 ff.).
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II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2018 ist hinsichtlich der Abschiebungsandrohung begründet (1.). Hinsichtlich der Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs ist der Antrag dagegen nicht nur – wie gezeigt – unzulässig, sondern wäre auch unbegründet (2.).
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1. Im Hinblick auf die in Ziffer 3 des Bescheids vom 26. April 2018 verfügte Abschiebungsandrohung überwiegt das Suspensivinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollziehungsinteresse. Die Abschiebungsandrohung ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig. Die Abschiebungsandrohung wurde nämlich entgegen § 50 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erlassen, ohne dass die Antragstellerin zuvor – oder zugleich mit der Abschiebungsandrohung – aufgefordert wurde, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet Polens zu begeben. Vor oder spätestens zugleich mit einer Rückkehrentscheidung sind Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats sind, aber zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben (vgl. Art. 6 Richtlinie 2008/115/EG – RückführungsRL –). Grundsätzlich können die Mitgliedstaaten gegen einen sich illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen demnach erst dann eine Rückkehrentscheidung erlassen, wenn der Ausländer dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 RückführungsRL); eine ohne entsprechende Aufforderung erlassene Rückkehrentscheidung ist rechtswidrig, wobei es sich auch bei der Abschiebungsandrohung um eine Rückkehrentscheidung in diesem Sinne handelt (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 3.6.2016 – 19 L 275.15 –, juris Rn. 34; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 1.2.2016 – 7 K 2404/15 –, juris Rn. 16 f.; VG Hamburg, Urteil vom 14.1.2015 – 17 K 1758/14 –, Asylmagazin 2015, 166 und juris Rn. 28 ff.). Da der polnische Aufenthaltstitel der Antragstellerin noch bis zum 26. Juli 2020 gültig ist, hätte ihr gegenüber demnach spätestens mit der Abschiebungsandrohung eine Aufforderung ergehen müssen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet Polens zu begeben. Daran fehlt es hier. Die in den Schreiben des Antragsgegners vom 20. Dezember 2017 und vom 9. Februar 2018 geäußerte bloße Bitte, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückzunehmen und in Polen das erforderliche Visumverfahren nachzuholen, genügt dem nicht. Eine Aufforderung, sich in das Hoheitsgebiet Polens zu begeben, ergibt sich auch nicht wenigstens konkludent aus dem Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2018, da Polen auch in der Abschiebungsandrohung nicht bezeichnet ist (vgl. dazu Tanneberger, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.8.2017, AufenthG § 50 Rn. 7a; OVG NRW, Beschluss vom 25.8.2015 – 18 B 635/14 –, BeckRS. 2016, 41087). Die Abschiebungsandrohung ist deshalb rechtswidrig.
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2. Demgegenüber wäre der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. April 2018 hinsichtlich der Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug auch unbegründet. Insoweit überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse das Suspensivinteresse der Antragstellerin.
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Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO hat Erfolg, soweit das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse an der gesetzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehung überwiegt. Da die sofortige Vollziehbarkeit bereits gesetzlich angeordnet ist, kann das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung grundsätzlich nur dann überwiegen, wenn und soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder andere, besondere Aufschubgründe vorhanden sind. Dies ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist der Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2018 hinsichtlich der in Ziffer 1 verfügten Versagungsentscheidung nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung offensichtlich rechtmäßig und besondere Aufschubgründe sind nicht gegeben.
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Die Antragstellerin hat derzeit keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Einem solchen Anspruch dürfte bereits entgegenstehen, dass die Antragstellerin die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Sie ist nicht mit dem für den von ihr beabsichtigten längerfristigen Aufenthalt erforderlichen nationalen Visum eingereist (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Für den beabsichtigten Daueraufenthalt genügte demgegenüber die polnische befristete Aufenthaltserlaubnis, die die Antragstellerin nur zu einem Aufenthalt von 90 Tagen im Bundesgebiet berechtigte (vgl. Art. 21 Abs. 1 SDÜ, § 15 AufenthV), nicht. Die Antragstellerin durfte ihren Aufenthaltstitel auch nicht ausnahmsweise nach § 99 AufenthG i.V.m. § 39 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 6 AufenthV im Bundesgebiet einholen. § 39 Satz 1 Nr. 3 AufenthV ist nicht einschlägig, da die Antragstellerin weder Staatsangehörige eines in Anhang 2 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 – EU-VisaVO – aufgeführten Staates ist noch ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte besitzt. Außerdem sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – hier die Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen – nicht nach der insoweit maßgeblichen letzten Einreise in das Bundesgebiet (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11.1.2011 – 1 C 23.09 –, BVerwGE 138, 353 und juris Rn. 25; OVG RP, Beschluss vom 27.6.2012 – 7 B 10566/12.OVG –) entstanden, sondern vor der letzten Einreise aus Dänemark, wo die Ehe am 4. November 2017 geschlossen wurde. Auch die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 6 AufenthV liegen nicht vor. Danach kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und aufgrund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 AufenthV findet Anwendung. Auf § 39 Satz 1 Nr. 6 AufenthV kann sich die Antragstellerin aber, obwohl sie im Besitz eines noch gültigen, durch einen anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitels ist, nicht berufen, da sie bereits zum Zeitpunkt ihrer Einreise in das Bundesgebiet einen Daueraufenthalt beabsichtigt hatte und ihre Einreise daher unerlaubt war (siehe dazu oben). Im Übrigen sind auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 39 Satz 1 Nr. 6 AufenthV nicht erfüllt. Dies setzt nämlich einen strikten Rechtsanspruch voraus, der bei der gebotenen einheitlichen Auslegung im Aufenthaltsrecht nur dann vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat; Regelansprüche oder Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften genügen dem nicht. Etwas anderes gilt selbst dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall auf Null reduziert wäre oder ein Fall einer Ausnahme von einer regelhaft zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzung gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.2015 – 1 C 31/14 –, BVerwGE 153, 353 und juris Rn. 20 ff. zu § 10 Abs. 1 AufenthG; BVerwG, Urteil vom 10.12.2014 – 1 C 15/14 –, InfAuslR 2015, 135 und juris Rn. 15 zu § 39 Nr. 5 AufenthV; BVerwG, Urteil vom 16.12.2008 – 1 C 37/07 –, BVerwGE 132, 382 und juris Rn. 21 zu § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG; OVG RP, Beschluss vom 17.8.2010 – 7 B 10804/10.OVG –, ESOVG zu § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG; VG Aachen, Urteil vom 13.4.2016 – 8 K 669/15 –, juris Rn. 67 ff. ausdrücklich für § 39 Satz 1 Nr. 6 AufenthV). Einen solchen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat die Antragstellerin nicht. Zwar sieht § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 für den Ehegatten eines Deutschen grundsätzlich einen gebundenen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor. Dies setzt jedoch das Vorliegen sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen voraus, woran es hier fehlt. So hat die Antragstellerin bislang nicht nachgewiesen, dass sie sich im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Zwar hat sie eine Kursbestätigung der Deutsch-Akademie in München vom 30. Oktober 2017 vorgelegt, wonach sie an dem Deutsch-Intensiv-Kurs A1 (1 und 2) Grundstufe 1, insgesamt 24 Stunden, regelmäßig und erfolgreich teilgenommen hat. Daraus ergibt sich aber nicht, dass sie im Anschluss daran eine Deutschprüfung erfolgreich bestanden hätte oder auch nur tatsächlich über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen würde. Dies hat sie auch nicht auf andere Weise – etwa durch persönliche Vorsprache bei dem Antragsgegner – nachgewiesen. Einem strikten Rechtsanspruch steht außerdem entgegenstehen, dass die Antragstellerin die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach der Lebensunterhalt gesichert sein muss, nicht nachgewiesen hat. Zwar soll die Aufenthaltserlaubnis im Falle des Familiennachzugs zu einem deutschen Ehegatten nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden. Da es sich hierbei aber „nur“ um eine „Soll“-Regelung handelt, der es an der für einen strikten Rechtsanspruch erforderlichen, abschließenden abstrakt-generellen, die Verwaltung bindenden Entscheidung fehlt, liegt ein strikter Rechtsanspruch nicht vor (so ausdrücklich für § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG OVG RP, Beschluss vom 1.2.2017 – 7 B 11567/16.OVG – ESOVG Rn. 5 und 7 f.; VG Aachen, Urteil vom 13.4.2016 – 8 K 669/15 –, juris Rn. 87 ff.). Schließlich ist nicht ersichtlich, dass von der Nachholung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 abzusehen wäre. Von der Nachholung des Visumverfahrens kann danach nur dann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ein auch hier erforderlicher strikter Rechtsanspruch (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2014 – 1 C 15/14 –, InfAuslR 2015, 135 und juris Rn. 19 und Urteil vom 16.11.2010 – 1 C 17/09 –, BVerwGE 138, 122 und juris Rn. 27; OVG RP, Beschluss vom 1.2.2017 – 7 B 11567/16.OVG – ESOVG Rn. 5 und 7 f. ausdrücklich zu § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) steht der Antragstellerin – wie gezeigt – nicht zu. Den Eheleuten ist die Nachholung des Visumverfahrens hier auch nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar. Vielmehr kann den Eheleuten auch unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eine vorübergehende Trennung zur Nachholung des Visumverfahrens während seiner üblichen Dauer grundsätzlich zugemutet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 –, juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 11.1.2011 – 1 C 23/09 –, BVerwGE 138, 353 und juris Rn. 34; OVG RP, Beschluss vom 4.11.2015 – 7 B 10879/15.OVG – und vom 15.12.2010 – 7 B 11220/10.OVG –, esovg). Die Antragstellerin hat nichts dafür vorgetragen und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass dies in ihrem Fall anders zu beurteilen wäre.
- 10
III. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bleibt auch dann ohne Erfolg, wenn er – entgegen des ausdrücklich gestellten Antrags der anwaltlich vertretenden Antragstellerin – umgedeutet wird in einen Antrag, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung der Antragstellerin vorläufig auszusetzen. Es fehlt insoweit an dem nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin hat insbesondere nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Eine solche rechtliche Unmöglichkeit ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 6 GG, da den Eheleuten jedenfalls eine vorrübergehende Trennung für die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragsgegner ist unter Berücksichtigung des primären Rechtschutzziels der Antragstellerin nur zu einem geringen Teil unterlegen (so auch VG Berlin, Beschluss vom 3.6.2016 – 19 L 275.15 –, juris Rn. 37).
- 12
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 53 Abs. 2 GKG, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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