Beschluss vom Verwaltungsgericht Minden - 7 L 272/20
Tenor
1. Unter Abänderung des Beschlusses der Kammer vom 31. März 2020 - 7 L 257/20 - wird die aufschiebende Wirkung der zum Aktenzeichen 7 K 801/20 erhobenen Klage angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.
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Gründe:
2Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Die Änderung oder Aufhebung von Amts wegen kann auch ohne Änderung der Sach- und Rechtslage erfolgen, wenn das Gericht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage gekommen ist oder die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig erachtet.
3Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2014 - 15 B 143/14.A -, juris Rn. 4.
4Nach Ausübung des der Kammer als Gericht der Hauptsache zustehenden pflichtgemäßen Ermessens wird der Beschluss der Kammer vom 31. März 2020 - 7 L 257/20 -, mit dem sie den Antrag der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage unter dem Aktenzeichen 7 K 801/20 des erkennenden Gerichts abgelehnt hat, in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang von Amts wegen abgeändert.
5Die Antragsgegnerin hat in ihrer der Kammer erst nach Beschlussfassung zugeleiteten Antragserwiderung vom 31. März 2020 u.a. Folgendes ausgeführt:
6„Aufgabe der örtlichen Ordnungsbehörde ist, auf die Umsetzung der landesrechtlichen Verordnung zu achten und gegebenenfalls auf Fehlverhalten hinzuweisen. So wurde der Hundesalon Q. am 24. März 2020 aufgesucht und gebeten, das Geschäft geschlossen zu halten. Für diese Bitte war die oben erwähnte CoronaSchVO der Rechtsgrund. Ein Verwaltungsakt wurde nicht erlassen.
7Die Vorsprache beim Hundesalon Q. erfolgte vor dem Hintergrund, dass als Dienstleistung immaterielle Güter anzusehen sind, in deren Mittelpunkt eine Leistung steht, welche eine natürliche oder juristische Person zur Bedarfsdeckung, im Rahmen der Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung, erbracht hat. Durch die gleichzeitige Nennung von Dienstleistung und Handwerker hat der Verordnungsgeber eine restriktive Zielsetzung dieser Regelung deutlich gemacht.
8Fazit:
9Ein Hundesalon ist nicht Dienstleister im Sinne der Rechtsverordnung. Der Schließungshinweis erfolgte aufgrund der CoronaSchVO und nicht als Verwaltungsakt der Stadt T. .“
10Nach diesen der Kammer im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 31. März 2020 unbekannten Umständen ist eine Korrektur des Beschlusses angezeigt.
11Auf die Zulässigkeit des Antrages der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO haben die in der Antragserwiderung offenbarten Umstände keinen Einfluss. Die Antragsgegnerin ist zwar der Ansicht, keinen mit der Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO angreifbaren Verwaltungsakt erlassen zu haben – was zu einer Unzulässigkeit des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO führen würde. Diese Annahme ist jedoch unzutreffend. Auch wenn die „Bitte“ zur Schließung des Geschäfts die Durchsetzung der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 22. März 2020 (CoronaSchVO NRW) zum Gegenstand hatte, ist darin ein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG NRW zu erkennen. Nach der genannten Norm ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Sämtliche Merkmale sind hinsichtlich der Aufforderung, das Geschäft geschlossen zu halten, gegeben. Insbesondere regelt diese den Einzelfall des am 24. März 2020 noch geöffneten Geschäfts der Antragstellerin. Dass es sich insoweit um einen nur unverbindlich gemeinten „Hinweis“ bzw. eine unverbindliche „Bitte“ gehandelt haben könnte, ist fernliegend. Die (ordnungs-)behördliche Aufforderung, eine angenommene Zuwiderhandlung gegen ein in einem materiellen Gesetz wie der CoronaSchVO NRW festgelegtes Verbot einzustellen, erfüllt regelmäßig die Merkmale eines Verwaltungsaktes. Die Auffassung der Antragsgegnerin, sie habe am 24. März 2020 keinen mündlichen Verwaltungsakt erlassen, ist daher nicht nachvollziehbar. Insbesondere kommt es für die Annahme eines Verwaltungsakts nicht auf den Willen der Antragsgegnerin an. Insofern kann sich die Antragstellerin dieser – unzutreffenden – Annahme der Antragsgegnerin auch nicht anschließen.
12Unter diesen Umständen bleibt auch der weiter aufrecht erhaltene Hilfsantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, da auch im Klageverfahren die Anfechtungsklage statthaft bleibt.
13Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nach den in der Antragserwiderung offenbarten Umständen auch begründet. Die im Rahmen des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse der Antragstellerin, von der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsakts vorläufig verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts geht nunmehr zu Gunsten der Antragstellerin aus.
14Die nach den obigen Ausführungen als Verwaltungsakt zu qualifizierende Anordnung zur vollständigen Schließung des Hundesalons erweist sich nach erneuter summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als offensichtlich rechtswidrig.
15Auf § 7 CoronaSchVO NRW kann die Antragsgegnerin die vollständige Schließungsanordnung weiterhin nicht stützen. Diesbezüglich verweist die Kammer auf ihren Beschluss von 31. März 2020, mit dem sie die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt hat. Im Hinblick auf die Antragserwiderung ist hinzuzufügen, dass die von der Antragsgegnerin angenommene Einschränkung des § 7 Abs. 1 CoronaSchVO NRW auf versorgungsrelevante Dienstleistungen in der Verordnung keinen Anhalt findet. Eine andere Bewertung ist auch nicht durch die Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 30. März 2020 (GVBl. NRW. S. 202) angezeigt. § 7 CoronaSchVO NRW ist in den entscheidungserheblichen Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 unverändert geblieben.
16Sofern danach die Schließungsanordnung weiterhin nur unabhängig von der CoronaSchVO NRW in Betracht kommt, ist diese nach den in der Antragserwiderung offenbarten Umständen rechtswidrig.
17Die tatbestandlichen Voraussetzungen für über die Gebote und Verbote der CoronaSchVO NRW hinausgehende Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen weiterhin vor. Diesbezüglich wird erneut auf den Beschluss der Kammer vom 31. März 2020 verwiesen.
18Zu beachten ist dabei, dass auch nach der Neufassung der CoronaSchVO NRW solche Maßnahmen nur an den in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Voraussetzungen zu messen sind. Dem steht § 13 Satz 2 CoronaSchVO n.F. nicht entgegen. Unbeschadet von Satz 1, wonach die CoronaSchVO NRW weiterhin widersprechenden und inhaltsgleichen Allgemeinverfügungen der zuständigen Behörden vorgeht, sollen danach die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des IfSG zuständigen Behörden befugt bleiben, im Einzelfall zur Abwehr einer konkreten Gefahr auch von der CoronaSchVO NRW abweichende Anordnungen zu treffen. Diese Vorschrift der CoronaSchVO NRW ist jedoch nicht von der Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 IfSG gedeckt und damit rechtswidrig. Danach werden die Landesregierungen (nur) ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Durch § 13 Satz 2 CoronaSchVO NRW n.F. modifiziert die nordrhein-westfälische Landesregierung als Verordnungsgeber auf Landesebene jedoch den Tatbestand des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG – einem Bundesgesetz – dahingehend, dass die zuständigen Behörden nur noch zur Abwehr einer konkreten Gefahr von der CoronaSchVO NRW abweichende Maßnahmen treffen können. Eine Berechtigung dazu findet sich weder in § 32 IfSG noch in anderen Regelungen.
19Können die zuständigen Behörden danach gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG weiterhin über die CoronaSchVO NRW hinausgehende Maßnahmen treffen, steht ein solches Vorgehen auf Rechtsfolgenseite im Ermessen der Behörde. Im vorliegenden Fall ist allerdings nunmehr von einem vom Gericht zu berücksichtigenden Ermessensfehler auszugehen (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Antragsgegnerin hat das ihr nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zustehende Ermessen nicht ausgeübt, denn sie hat nach ihrem eigenen Vorbringen bereits überhaupt nicht erkannt, dass sie einen Verwaltungsakt erlassen hat. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass die Antragsgegnerin den ihr nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zustehenden Spielraum erkannt hätte.
20Von daher überwiegt nun das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
21Eine Abänderung der Kostenentscheidung des Beschlusses vom 31. März 2020 kommt nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO nicht in Betracht.
22Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 1995 - 13 S 494/95 -, juris Rn. 5; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 183
23Eine Neuregelung der Vollziehung durch eine abweichende Entscheidung im Abänderungsverfahren führt ebenfalls nicht zu einer Kassation der im Ausgangsverfahren getroffenen Kostengrundentscheidung. Diese bleibt vielmehr auch bei abweichender Entscheidung im Abänderungsverfahren mit der Folge bestehen, dass für das Ausgangsverfahren und das Abänderungsverfahren unterschiedliche Kostengrundentscheidungen zu beachten sind.
24Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Juli 2018 - 13 B 275/18.A -, juris Rn. 9.
25Die Kostenentscheidung des Abänderungsverfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
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Referenzen
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- IfSG § 31 Berufliches Tätigkeitsverbot 1x
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- IfSG § 32 Erlass von Rechtsverordnungen 2x
- § 7 Abs. 1 CoronaSchVO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 7x
- 13 S 494/95 1x (nicht zugeordnet)
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- 7 L 257/20 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 30 Quarantäne 1x
- 13 B 275/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 7 CoronaSchVO 2x (nicht zugeordnet)
- § 13 Satz 2 CoronaSchVO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- IfSG § 29 Beobachtung 1x