Beschluss vom Verwaltungsgericht Minden - 3 L 893/21
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Der sinngemäß gestellte Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung ihrer am 30. Dezember 2021 zum Aktenzeichen 3 K 7489/21 des beschließenden Gerichts erhobenen Klage gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2021 bezüglich der Ziffern 1. und 2. wiederherzustellen und bezüglich Ziffer 4. anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der zulässige – insbesondere mit Blick auf die Ziffern 1. und 2. der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2021 als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO und hinsichtlich deren Ziffer 4. als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthafte – Antrag ist unbegründet.
6Das Gericht kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn – wie vorliegend im Hinblick auf die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 112 JustG NRW – die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt. Es kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen, wenn – wie hier in Ziffer 3. für die Ziffern 1. und 2. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung – gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet worden ist. Hierbei hat das Gericht jeweils eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsakts vorläufig verschont zu bleiben, ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegenüberzustellen, wobei hinsichtlich § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO die gesetzgeberische Wertung des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Klage zu beachten ist. Ausgangspunkt dieser Interessenabwägung ist eine – im Rahmen des Eilrechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ergibt diese Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und ist deshalb die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann grundsätzlich kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO allerdings nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Denn die behördliche Vollziehungsanordnung stellt eine Ausnahme vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO dar und bedarf deswegen einer besonderen Rechtfertigung. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen. Hat die Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes angeordnet, ist die Anordnung unabhängig von einer Interessenabwägung aufzuheben, wenn sie formell rechtswidrig ist.
7Die Begründung (Seite 5 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung) für die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziffer 3.) des Widerrufs der Reisegewerbekarte (Ziffer 1.) sowie der Aufforderung zur Einstellung der Reisegewerbetätigkeit und Rückgabe der Reisegewerbekarte (Ziffern 2.a. und 2.b.) genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Der Antragsgegnerin war der Ausnahmecharakter des Sofortvollzuges ersichtlich bewusst und der Begründung lässt sich entnehmen, dass sie eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hielt. Weitergehende Anforderungen stellt § 80 Abs. 3 VwGO nicht.
8Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2015 – 4 B 1480/14 – und vom 9. Juni 2004 – 18 B 22/04 –, jeweils juris, Rn. 2 f., m. w. N.
9Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus, denn der in Ziffer 1. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung ergangene Widerruf der ihr erteilten Reisegewerbekarte erweist sich ebenso wie die in Ziffer 2. enthaltene Aufforderung zur Einstellung der Reisegewerbetätigkeit (Ziffer 2.a.) und Rückgabe der Reisegewerbekarte (Ziffer 2.b.) nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig. Demgegenüber wiegen die privaten Interessen der Antragstellerin an einem vorläufigen Nichtvollzug der Ordnungsverfügung nur gering.
10Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer zunächst in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid, denen sie folgt und die durch das Vorbringen der Antragstellerin nicht entkräftet werden. Ergänzend gilt Folgendes:
11Der Widerruf einer Reisegewerbekarte nach § 55 Abs. 2 GewO findet seine Rechtsgrundlage in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Die jeweilige Behörde ist danach zum Widerruf berechtigt, wenn eine Veränderung der Sachlage vorliegt, aufgrund derer die Versagung des begünstigenden Verwaltungsakts im Zeitpunkt des Widerrufs rechtmäßig wäre und der Widerruf zur Abwehr einer Gefährdung des öffentlichen Interesses geboten ist.
12Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. November 2016 – 4 A 466/14 –, juris, Rn. 30; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 49 Rn. 110, 115 f., 118.
13Die Widerrufsverfügung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin zuvor mit Schreiben vom 15. Juni 2021 gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört.
14Der Widerruf der Reisegewerbekarte ist auch materiell rechtmäßig.
15Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW sind hier erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Reisegewerbekarte nach § 55 Abs. 2 GewO lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung im Widerrufsverfahren nicht (mehr) vor. Nach § 57 Abs. 1 GewO ist die Reisegewerbekarte zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die beabsichtigte Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt.
16Gewerberechtlich unzuverlässig ist derjenige Gewerbetreibende, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe zukünftig ordnungsgemäß ausüben wird.
17Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 1 C 3.93 –, juris, Rn. 31.
18Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an.
19Vgl. BayVGH, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 22 ZB 11.1473 –, juris, Rn. 7.
20Die Prognose ist ein aus den vorhandenen tatsächlichen Umständen gezogener Schluss auf wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden.
21Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 1997 – 1 B 34.97 –, juris, Rn. 8.
22Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten, insbesondere Steuerhinterziehung, im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben.
23Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. April 2015 – 8 C 6.14 –, juris, Rn. 14, und vom 2. Februar 1982 – 1 C 17.79 –, juris, Rn 24.
24Steuerrückstände rechtfertigen die Annahme einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit, wenn sie sowohl nach ihrer absoluten Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. Auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt, ist von Bedeutung.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. März 2016 – 4 B 1134/15 –, juris, Rn. 8 f., m. w. N.
26Auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit nach objektiven Kriterien bestimmt.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 17.79 –, juris, Rn 24.
28Ferner ist unerheblich, ob die Steuerrückstände auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhen. Steuerschulden, die auf gemäß § 162 AO geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhen, sind von keiner anderen rechtlichen Qualität als Steuerschulden, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergeben.
29Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 1997 – 1 B 72.97 –, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 4. Juni 2014 – 22 C 14.1029 –, juris, Rn. 10.
30Gleiches gilt für gemäß § 240 AO zwingend zu erhebende Säumniszuschläge. Ebenfalls kommt es auf die materielle Rechtmäßigkeit der fälligen und nicht entrichteten Steuern nicht an.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. März 2016 – 4 B 1134/15 –, juris, Rn. 10 f., m. w. N.
32Daran gemessen erweist sich die Antragstellerin aufgrund ihrer erheblichen, steuerrechtlichen Zahlungs- und Erklärungspflichtverletzungen als gewerberechtlich unzuverlässig.
33Schon unter dem 3. März 2020 teilte das Finanzamt Lemgo mit, dass die Antragstellerin Steuerrückstände i. H. v. 22.460,82 € habe, wobei die Vollstreckung im Wesentlichen erfolglos verlaufen sei. Forderungspfändungen hätten nicht zum Erfolg geführt und die Antragstellerin habe eine Vermögensauskunft abgegeben, wonach sie vermögenslos sei. Die letzte freiwillige Zahlung der Antragstellerin sei am 18. Dezember 2019 i. H. v. 1.944,22 € erfolgt. Anzeichen für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin seien nicht erkennbar. Überdies sei die Antragstellerin ihren sonstigen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Steuererklärungen und Steuervoranmeldungen seien nicht bzw. erheblich verspätet eingereicht worden. Zahlungen stünden für Voranmeldungen ab April 2019 aus. Umsatzsteuer-Voranmeldungen seien für Januar 2020 nicht und für die Monate des Jahres 2019 jeweils nicht fristgemäß abgegeben worden. Lohnsteueranmeldungen habe die Antragstellerin seit 2019 nicht eingereicht. Die Umsatzsteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2018 und die Gewerbesteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume bis 2017 seien trotz mehrfacher Aufforderung nicht eingereicht worden, sodass die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege ermittelt worden seien. Zum 30. Juni 2020 hatten sich die Steuerrückstände auf 53.703,11 € und zum 19. Februar 2021 weiter auf 54.165,20 € erhöht. Sie setzen sich insbesondere aus rückständiger Einkommens- und Umsatzsteuer für die Jahre 2015 bis 2019 inkl. Säumniszuschlägen und Nebenforderungen zusammen. Überdies bestanden am 2. September 2021 bei der Antragsgegnerin Rückstände i. H. v. insgesamt 48.791,82 €, wobei es sich insbesondere um Gewerbesteuer aus den Jahren 2015 bis 2021 und Grundbesitzabgaben aus den Jahren 2019 bis 2021 inkl. Säumniszuschlägen und Nebenforderungen handelt. Dass sich die Steuerrückstände der Antragstellerin seither in entscheidungserheblichem Maße verringert hätten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
34Der Antragstellerin fehlte es danach zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt außerdem an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur ordnungsgemäßen Ausübung ihres Gewerbes. Von einem zuverlässigen Gewerbetreibenden muss bei dieser Sachlage erwartet werden, dass er ohne Rücksicht auf die Gründe seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten und unabhängig von etwaigem Verschulden die angemessenen Folgerungen aus seiner Leistungsunfähigkeit zieht und zur Vermeidung einer weiteren Gläubigergefährdung seine gewerbliche Tätigkeit aufgibt. Zu einer anderen Beurteilung würde nur dann Anlass bestehen, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und Erfolg versprechenden Sanierungskonzept arbeitet.
35Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. April 2015 – 8 C 6.14 –, juris, Rn. 14, und vom 2. Februar 1982 – 1 C 146.80 –, juris, Rn. 15.
36Diese Voraussetzungen erfüllte die Antragstellerin bei Erlass der Widerrufsverfügung ersichtlich nicht. Das Vorliegen eines erfolgversprechenden Sanierungskonzepts ist nicht erkennbar. Die ihr seitens der Antragsgegnerin unter dem 26. Juli 2021 eingeräumte Gelegenheit zur Vorlage eines Ratenzahlungsplans hat die Antragstellerin nicht genutzt. Auch wird der Eindruck der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dadurch gestützt, dass das Schuldnerverzeichnis ausweislich einer Abfrage der Antragsgegnerin vom 13. Mai 2020 sechs Eintragungen der Antragstellerin wegen Nichtabgabe einer Vermögensauskunft und eine Eintragung vom 3. März 2020 aufwies, wonach die Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen ist. In Übereinstimmung damit hat die Antragstellerin sowohl gegenüber der Antragsgegnerin als auch im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vorgetragen, Transferleistungen zu beziehen und weder über Rücklagen noch über Einkommen zu verfügen.
37Demgegenüber vermag das Vorbringen der Antragstellerin, wonach sie für die Verletzung ihrer steuerlichen Zahlungspflichten und den Verlust der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kein Verschulden treffe, sondern diese allein auf die mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen für Volksfeste und Jahrmärkte zurückzuführen seien, nicht zu verfangen. Wie bereits dargestellt, sind die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände rechtlich unerheblich. Doch auch selbst ungeachtet dessen handelt es sich im Falle der Antragstellerin im Wesentlichen um Rückstände, welche sich auf vor dem Beginn der Pandemie liegende Zeiträume beziehen. Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein Großteil ihrer Steuerrückstände frühestens im Dezember 2019 und damit während der saisonbedingten Winterpause fällig geworden sei. Denn auch unter Berücksichtigung dieses Umstands fehlte es der Antragstellerin bereits vor Beginn der pandemiebedingten Einschränkungen an der erforderlichen Zuverlässigkeit. Eine für die Antragstellerin positive Prognose kann nicht auf die bloße – nunmehr enttäuschte – Hoffnung der Antragstellerin gestützt werden, bereits zu diesem Zeitpunkt bestehende und fällige Steuerschulden in erheblicher Höhe verspätet durch nach Beginn der Jahrmarktsaison 2020 generierte Einnahmen zurückzahlen zu können. Eine Ursächlichkeit der Covid-19-Pandemie für die Verletzung der steuerlichen Erklärungspflichten kommt überdies ohnehin nicht in Betracht.
38Ohne den Widerruf wäre auch das öffentliche Interesse gefährdet gewesen. Nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG NRW muss der Widerruf zur Verhinderung oder Beseitigung eines ansonsten drohenden Schadens für den Staat, die Allgemeinheit oder wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich sein.
39Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 49 Rn. 118.
40Dies ist hier der Fall, zumal bei einer fortgesetzten Gewerbeausübung durch die zu prognostizierende fortgesetzte Verletzung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten weitere Schäden für die Allgemeinheit zu erwarten sind. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des Vorbringens der Antragstellerin, wonach sie sich derzeit in der Winterpause befinde und aufgrund der Pandemiesituation derzeit keine Betätigungsfelder für sie als Schaustellerin ersichtlich seien. Insbesondere hat die Antragstellerin nicht vorgetragen, ihr Gewerbe endgültig aufgegeben zu haben. Dagegen spricht auch, dass die Antragstellerin ausführt, sie habe ihr Fahrgeschäft im Jahr 2021 „so gut wie überhaupt nicht zum Einsatz bringen“ und „kaum nennenswerte Einnahmen“ erzielen können. Vielmehr lassen die gesamten Ausführungen der Antragstellerin ihren Willen erkennen, ihrem erlaubnispflichtigen Reisegewerbe weiter nachzugehen, soweit es die äußeren Umstände zulassen.
41Weiter begegnet auch die Ausübung des in § 49 Abs. 2 VwVfG NRW eröffneten Widerrufsermessens keinen rechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin war sich dieses Ermessens bewusst und hat dieses beanstandungsfrei ausgeübt, indem sie hier dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung des Anwachsens der öffentlich-rechtlichen Zahlungsrückstände den Vorrang gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin eingeräumt hat.
42Schließlich hat die Antragsgegnerin die Genehmigung innerhalb der Jahresfrist aus § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG NRW i. V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW widerrufen.
43Auch die in Ziffer 2.a. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung nach § 60d GewO ausgesprochene Aufforderung zur Einstellung der Reisegewerbetätigkeit bietet keinen Anlass zu rechtlicher Beanstandung. Insbesondere hat die Antragsgegnerin das ihr insoweit zustehende Ermessen erkannt und fehlerfrei ausgeübt. Eine endgültige Einstellung der erlaubnispflichtigen Reisegewerbetätigkeit liegt wie bereits dargestellt nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass die der Antragstellerin für die Einstellung ihrer Reisegewerbetätigkeit eingeräumte Frist von einem Monat nicht ausreicht, sind weder vorgetragen noch sonst zu erkennen.
44Die in Ziffer 2.b. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene Aufforderung zur Rückgabe der der Antragstellerin erteilten Reisegewerbekarte beruht auf § 52 Satz 1 VwVfG NRW und lässt ebenfalls keine Rechtsfehler erkennen. Insbesondere ist die Wirksamkeit der Reisegewerbekarte aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit des – noch nicht unanfechtbaren – Widerrufs „aus einem anderen Grund“ nicht mehr gegeben.
45Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 2015 – 4 B 480/15 –, juris, Rn. 29 f.
46Auch hat die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen sachgerecht ausgeübt und nachvollziehbar darauf verwiesen, dass die Rückgabe der Reisegewerbekarte erforderlich ist, um eine missbräuchliche Verwendung zu verhindern und sicherzustellen, dass die Antragstellerin das Reisegewerbe nicht weiter ausübt.
47Es besteht auch das erforderliche besondere öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der Ziffern 1. und 2. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung, da bei weiterer Gewerbeausübung der Antragstellerin wie bereits ausgeführt durch die zu prognostizierende fortgesetzte Verletzung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten weitere Schäden für die Allgemeinheit zu erwarten sind.
48Auch mit Blick auf die in Ziffer 4. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene Androhung eines Zwangsgelds i. H. v. jeweils 5.000,00 € für den Fall der Nichtbefolgung von Ziffer 2.a. bzw. 2.b. der Ordnungsverfügung überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Die Zwangsgeldandrohung ist offensichtlich rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 58, 60 und 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Ausübung des der Antragsgegnerin dabei eingeräumten Ermessens bietet keinen Anlass zu rechtlicher Beanstandung. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Höhe des angedrohten Zwangsgelds unverhältnismäßig wäre. Auch die der Antragstellerin für die Einstellung ihrer Reisegewerbetätigkeit und die Rückgabe der Reisegewerbekarte eingeräumte Frist von einem Monat begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
49Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
50Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Ziffern 1.5 und 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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