Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 6 L 506/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der zulässige Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 1315/20 gegen die Ziffer 1 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 19. Mai 2020 wiederherzustellen,
4ist unbegründet.
5Das Gericht legt den von der Antragstellerin ausdrücklich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Antrag wegen der in Ziffer 8 der Ordnungsverfügung erfolgten Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 bis 7 der Ordnungsverfügung gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO sachgerecht dahingehend aus, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Untersagung des Zutrittsverbotes von Personen unter zehn Jahren zu den Räumlichkeiten des „Paintball N. “ begehrt wird.
6Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vom 19. Mai 2020 ist formell rechtmäßig.
7Gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ist bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die schriftliche Begründung muss in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen lassen, die die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben. Dabei ist die Behörde verpflichtet, abgestellt auf den konkreten Fall das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung sowie die Ermessenserwägungen, die sie zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen haben, darzulegen. Formelhafte und pauschale Begründungen oder Wendungen, mit denen lediglich der Gesetzestext wiederholt wird, reichen nicht aus.
8OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2014 – 15 B 69/14 -, juris, unter Verweis auf Puttler, in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, München 2010, § 80 Rn. 97 m. w. N..
9Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Antragsgegnerin für den Sofortvollzug der Ordnungsverfügung vom 19. Mai 2020. Die Antragsgegnerin hat darauf abgestellt, dass es nicht hingenommen werden könne, dass durch das Einlegen eines Rechtsmittels während der Dauer der gerichtlichen Überprüfung das Wohl der Minderjährigen ungemindert gefährdet werde. Es könne zu Beeinträchtigungen der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen führen, da die Kinder und Jugendlichen Ängste entwickeln können und Situationen ausgesetzt würden, mit denen sie noch nicht im erforderlichen Maß allein umgehen könnten. Gegenüber dem Schutz der Kinder und Jugendlichen hätten die privaten und wirtschaftlichen Interessen zurückzutreten. Diese Begründung lässt erkennen, dass die Antragsgegnerin Ermessenserwägungen angestellt und den konkreten Einzelfall gewürdigt hat und ihr der Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung bewusst war.
10Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 der streitigen Ordnungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig. Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen, wenn das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Aufschub der Vollziehbarkeit des ihn belastenden Verwaltungsaktes gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsaktes überwiegt. Erweist sich der angegriffene Verwaltungsakt bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtswidrig, so überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Ist die sofort vollziehbare Verfügung offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse.
11Entsprechend dieser Maßstäbe geht hier die Interessenabwägung zulasten der Antragstellerin aus, weil sich die angegriffene jugendschutzrechtliche Verfügung der Antragsgegnerin in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vom 19. Mai 2020 voraussichtlich als rechtmäßig erweist und auch sonst öffentliche Interessen am Sofortvollzug das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegen.
12Die Antragsgegnerin hat in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vom 19. Mai 2020 Personen unter zehn Jahren den Zutritt zu den Räumlichkeiten des „Paintball N. “ untersagt. Diese Verfügung erweist sich bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig.
13Rechtsgrundlage für diese Anordnung ist § 7 JuSchG. Nach § 7 Satz 1 JuSchG kann die zuständige Behörde anordnen, dass der Gewerbetreibende Kindern und Jugendlichen die Anwesenheit nicht gestatten darf, wenn von einem Gewerbebetrieb eine Gefährdung für das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern oder Jugendlichen ausgeht. Nach Satz 2 kann die Anordnung Altersbegrenzungen, Zeitbegrenzungen oder andere Auflagen enthalten, wenn dadurch die Gefährdung ausgeschlossen oder wesentlich gemindert wird. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG sind Kinder im Sinne dieses Gesetzes Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind und gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 JuSchG sind Jugendliche Personen, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind.
14Die Voraussetzungen des § 7 Satz 1 JuSchG sind voraussichtlich erfüllt. Die Antragstellerin betreibt gewerblich eine Paintball-Anlage. Das Gericht geht davon aus, dass von dieser Paintball-Anlage aller Voraussicht nach eine Gefährdung für das geistige und seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen – jedenfalls für die hier maßgebliche Gruppe der Kinder unter zehn Jahren – im genannten Sinne ausgeht. Diese Einschätzung beruht auf der fachlichen Stellungnahme zu „Paintball N. “ gemäß § 7 JuSchG des Jugendamtes der Stadt N. vom 7. Januar 2020. Darin wird bezüglich der Teilnahme von Kindern unter zehn Jahren am Paintballspiel folgendes ausgeführt:
15„Kinder setzen sich weitgehend noch mit der Wirklichkeit auseinander wie sie ist. Bei (Grundschul-) Kindern lässt sich kein klarer Plan beim konkret-operationalem Denken erkennen. Es mangelt den Kindern noch an Systematik. Sie benötigen gegenwärtige visuelle, auditive und haptische Reize und Anschauungen, um zu verstehen, entscheiden und entsprechend partizipieren zu können. (…) Kinder im Alter von 8, 9 Jahren haben nicht die Konzentrationsfähigkeit, die Regeln für ein Paintballspiel durchgehend einzuhalten. Sie sind z.B. nicht in der Lage, durchgehend den Mindestabstand von 2 m zum nächsten Spieler einzuhalten oder nicht auf die Hindernisse klettern zu wollen. Gegebenenfalls nehmen sie Maske und Helm auf dem Spielfeld ab. Des Weiteren werden die Westen den jüngeren Kindern nicht passen. Die Westen müssen aber einigermaßen zur Körpergröße passen, damit sie vor dem Markieren schützen und gleichzeitig ausreichend Bewegungsspielraum für die Spieler ermöglichen. Kinder im Alter von 8, 9 oder zehn Jahren haben die Kleidergrößen von ungefähr 128-140, sie sind ungefähr 123-140 cm groß. Kinder, die noch keine zehn Jahre alt sind, können nicht ausreichend vor den Gefahren einer Verletzung geschützt werden. (…) Die Bestandteile der Spiele Paintball können Ängste oder auch Erinnerungen an Kontrollverlust auslösen, wobei jedes Kind, jeder Jugendliche die Elemente auf dem Spielfeld unterschiedlich erleben wird. (…) Auch wenn Paintball Sport- und Wettkampfanteile beinhaltet, bleibt dem Spiel dennoch immanent: Gewehre, sich gegenseitig beschießen, sich zu jagen, sich vor Farbkugeln schützen zu müssen, mit entsprechenden Bewegungsabläufen und affektiven Äußerungen sowie Gruppendynamiken. Kinder benötigen aber Spiele, die gegenüber anderen Kindern freundlich bzw. familienfreundlich gestaltet sind, die eine klare Distanz zu Kampfhandlungen haben. Paintball ist für Kinder, die noch keine zehn Jahre alt sind, nicht geeignet. Bezüglich Altersbegrenzungen empfiehlt das Amt für Kinder, Jugendliche und Familien: Kinder, die noch keine zehn Jahre alt sind, dürfen Paintball nicht spielen.“
16Es bestehen keine Bedenken an der Richtigkeit der Einschätzung des Jugendamtes der Stadt N. . Angesichts dessen, dass sich die Spieler bei dem Paintballspiel unter anderem auch gegenseitig beschießen und die Treffer farbig markiert werden und damit die Benutzung echter Schusswaffen nachempfunden wird, ist ohne Weiteres anzunehmen, dass schon das Zusehen – ähnlich wie z.B. das Betrachten von Kriegsfilmen – eine Gefährdung im genannten Sinne darstellt.
17Unter Berücksichtigung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung mit den in den Urteilen in Bezug genommenen Sachverständigengutachten,
18vgl. Beschluss des VG Oldenburg vom 10. Januar 2018 – 13 B8 1506/17 – juris, wonach von dem Spiel Paintball für Kinder und Jugendliche im Alter bis 17 Jahre eine Gefährdung für das geistige und seelische Wohl ausgeht; Urteil des VG Würzburg vom 14. April 2016 – W 3 K 14.438 -, juris, wonach von dem Spiel Lasertag für Kinder und Jugendliche im Alter bis 17 Jahre eine Gefährdung für das geistige und seelische Wohl ausgeht,
19ist davon auszugehen, dass für Kinder und Jugendliche - jedenfalls für die in diesem Fall maßgebliche Altersgruppe der Kinder unter zehn Jahren - von dem Spiel Paintball eine Gefährdung für das geistige und seelische Wohl ausgeht, weil das Kampfgeschehen ein Bedrohlichkeitsgefühl erzeugt und aggressive Überzeugungen und Einstellungen erzeugt und verstärkt werden.
20Liegen damit die Voraussetzungen des § 7 Satz 1 JuSchG vor, kann die zuständige Behörde anordnen, dass der Gewerbetreibende Kindern und Jugendlichen die Anwesenheit nicht gestatten darf, wobei die Anordnung nach § 7 S. 2 JuSchG Altersbegrenzungen, Zeitbegrenzungen oder andere Auflagen enthalten darf, wenn dadurch die Gefährdung ausgeschlossen oder wesentlich gemindert wird. Diesen Anforderungen genügt die hier in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vom 19. Mai 2020 verfügte Untersagung des Zutritts zu den Räumlichkeiten des Gewerbebetriebes „Paintball N. “ für Kinder unter zehn Jahren. Die Anordnung steht im Ermessen der Behörde. Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht bei Ermessensentscheidungen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die hier streitige Untersagungsverfügung lässt keinen derartigen Ermessensfehler erkennen.
21Die streitige Ordnungsverfügung vom 19. Mai 2020 enthält ausreichende Ermessenserwägungen zu dem Zutrittsverbot der Räumlichkeiten für Kinder unter zehn Jahren. So wird darin das Kindeswohl gegen die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin abgewogen (S. 4 und 5 der Ordnungsverfügung).
22Die von der Antragsgegnerin gewählte Maßnahme des generellen Zutrittsverbotes des gesamten Gewerbebetriebes für Kinder unter zehn Jahren ist nicht zu beanstanden. Insoweit trägt die Antragstellerin vor, dass sie sich nicht gegen das Spielverbot für Kinder unter zehn Jahren wende, dass sie jedoch die Rechtmäßigkeit des Zutrittsverbotes zu sämtlichen Räumlichkeiten ihres Gewerbebetriebes, also auch des Aufenthaltsbereiches, für rechtswidrig halte. Die Untersagung könne in dem Fall, in dem sich Minderjährige in dem Aufenthaltsraum bewegen und betreut würden, nicht begründet werden, insbesondere wenn aus dem Aufenthaltsraum der überwiegende Teil des Spielbetriebes nicht gesichtet werden könne. Die von der Antragsgegnerin gewählte Maßnahme des Zutrittsverbotes zu sämtlichen Räumlichkeiten des Gewerbebetriebes, also auch des Aufenthaltsbereiches, ist nicht zu beanstanden, da das Gesetz in § 7 S. 1 JuSchG die Nichtgestattung der Anwesenheit der gefährdeten Kinder oder Jugendlichen in dem Gewerbebetrieb ausdrücklich vorsieht. Die von dem Gesetzgeber in das Ermessen der Behörde gelegte Möglichkeit der jugendschutzrechtlichen Anordnung bezieht sich mithin auf die bloße Anwesenheit der gefährdeten Personen im Gewerbebetrieb. Damit ist zum einen die bloße - passive - Anwesenheit und nicht nur die – aktive – Teilnahme und zum zweiten in räumlicher Hinsicht der gesamte Gewerbebetrieb umfasst. Im Hinblick darauf, dass in dem Gewerbebetrieb „Paintball N. “ zwar nicht das kleinere Spielfeld, jedoch das größere Spielfeld zu ca. 75 % durch eine Scheibe vom Aufenthaltsraum aus einsehbar ist, ist der jugendschutzgefährdende Tatbestand, der oben festgestellt worden ist, auch für den Aufenthaltsbereich erfüllt. Hierzu finden sich die entsprechenden ausreichenden Ermessenserwägungen in dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 9. Juli 2020, mit der sie ihre Ermessenserwägungen nach § 114 S. 2 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt hat. Darin wird im Einzelnen näher ausgeführt, dass alleine das Zusehen bei Gefechtssituationen, auch wenn sie einem spielerischen Charakter zugrunde liegen, geeignet erscheinen, kognitive Skripte zu bewaffneten Gefechtssituationen zu lernen, zu festigen und weiter auszudifferenzieren.
23Das öffentliche Interesse an dem Sofortvollzug der Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vom 19. Mai 2020 überwiegt das Interesse der Antragstellerin an dem vorläufigen Aufschub der Vollziehung. Die von der Antragstellerin angeführten finanziellen Interessen treten hinter dem Schutz der seelischen und geistigen Gesundheit von Kindern unter zehn Jahren zurück. Damit hat die Antragstellerin etwaige Umsatzeinbußen, die durch das Zutrittsverbot für Kinder unter zehn Jahren entstehen könnten, bis zur gerichtlichen Klärung in der Hauptsache hinzunehmen.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
25Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt nach § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Wert im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutz zu halbieren ist.
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- 6 K 1315/20 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 114 2x
- VwGO § 80 3x
- JuSchG § 1 Begriffsbestimmungen 2x
- JuSchG § 7 Jugendgefährdende Veranstaltungen und Betriebe 7x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 15 B 69/14 1x (nicht zugeordnet)