Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 5 L 276/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
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G r ü n d e
2I. Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
3dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, sie zu verpflichten, ab dem 19. April 2021 die Schülerinnen und Schüler an der B. -G. -Gesamtschule I. bis zu vier Mal wöchentlich bei der Anwendung von Selbsttests auf eine SARS-CoV 2-Infektion anzuleiten und zu beaufsichtigen,
4ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig, weil nicht die Suspendierung eines die Antragstellerin belastenden Verwaltungsakts im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG, sondern die Unterlassung bzw. Rücknahme einer innerdienstlichen Weisung begehrt wird. Er ist aber unbegründet.
5Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind von dem Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
6Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, weil die Antragstellerin die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht hat. Die Anweisung des Schulleiters vom 16. April 2021 zur Beaufsichtigung der Schülerinnen und Schüler bei der Durchführung der Selbsttests auf eine SARS-CoV 2-Infektion verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.
7Die Anweisung beruht auf § 1 Abs. 2b der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur (Coronabetreuungsverordnung – CoronaBetrVO) vom 7. Januar 2021 in der ab dem 12. April 2021 gültigen Fassung. Danach werden für alle in Präsenz tätigen Personen (Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, sonstiges an der Schule tätiges Personal) wöchentlich zwei Coronaselbsttests im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 3 der Corona-Test-und-Quarantäneverordnung vom 8. April 2021 durchgeführt (Satz 1). Für die Schülerinnen und Schüler finden sie ausschließlich in der Schule unter der Aufsicht schulischen Personals statt (Satz 2).
8Durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Regelungen bestehen nicht.
9Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2021 – 13 B 559/21.NE -, juris, Rn. 40 ff. (zu § 1 Abs. 2a CoronaBetrVO).
10Die der Gewährleistung der in § 1 Abs. 2b Satz 2 CoronaBetrVO geregelten Aufsicht dienende Weisung des Schulleiters der B. -G. -Gesamtschule ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Dies gilt zunächst für den von der Antragstellerin erhobenen Einwand, die Anordnung setze sie, so wie ihre Durchführung in der Praxis ausgestaltet sei, einer erheblichen Gesundheitsgefährdung aus.
11Aufgrund der durch Art. 33 Abs. 5 GG garantierten und einfachgesetzlich in § 45 BeamtStG konkretisierten Fürsorgepflicht obliegt es dem Dienstherrn, im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten und ihrer Familien zu sorgen und die Beamtinnen und Beamten bei ihrer amtlichen Tätigkeit und in ihrer Stellung zu schützen. Von der Fürsorgepflicht ist auch die Pflicht des Dienstherrn umfasst, für die Ausübung des Amtes angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der Beamte hat kraft der Fürsorgepflicht des Dienstherrn einen Anspruch gegen diesen auf Schutz nicht nur vor sicheren, sondern schon vor ernstlich möglichen Beeinträchtigungen seiner Gesundheit durch Einwirkungen am Arbeitsplatz.
12Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 5 C 12.12 -, juris, Rn. 24; VG Schleswig, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 12 B 1/21 -, juris, Rn. 5.
13Hierbei ist indes auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin gemäß § 34 Satz 1 BeamtStG grundsätzlich verpflichtet ist, ihre Kernaufgabe der Unterrichtserteilung zu erfüllen. Die Unterrichtserteilung erfolgt grundsätzlich gegenüber den Schülerinnen und Schülern in persönlicher Präsenz. Die nach § 1 Abs. 2b Satz 1 CoronaBetrVO zweimal wöchentlich durchzuführenden Selbsttests dienen der möglichst sicheren Durchführung des Präsenzunterrichts; Gleiches gilt für die in Satz 2 geregelte Aufsicht durch schulisches Personal.
14Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2021 – 13 B 559/21.NE -, juris, Rn. 52 ff.
15Zudem ergibt sich aus dem Anspruch auf Fürsorge kein Anspruch darauf, an der Schule eine „NulIrisiko-Situation“ anzutreffen. Ein allumfassender Gesundheitsschutz während einer pandemischen Lage kann nicht sichergestellt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Schulen Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sind, vgl. § 33 Nr. 3 IfSG. Mithin besteht in einer Gemeinschaftseinrichtung bereits eine allgemeine Infektionsgefährdung in Bezug auf sämtliche Infektionserkrankungen, denen sich eine Lehrkraft aufgrund ihrer Dienstleistungspflicht grundsätzlich auszusetzen hat.
16Vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 12 B 1/21 -, juris, Rn. 16.
17Ausgehend hiervon hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass sie bei Durchführung der ihr abverlangten Aufsicht bei den Coronaselbsttests einer ihr nicht zumutbaren Gesundheitsgefährdung ausgesetzt ist. Die vom Antragsgegner und der Schulleitung vorgenommene konkrete Ausgestaltung der Aufsicht reduziert das Risiko einer Erkrankung auf ein von der Antragstellerin unter Berücksichtigung der obigen Vorgaben hinnehmbares Maß.
18Die von der Antragstellerin bei der Aufsicht der Tests wahrzunehmenden Aufgaben gestalten sich nach den Ausführungen des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 27. April 2021 wie folgt:
19„Vor der ersten Unterrichtsstunde entnehmen die Lehrkräfte die Testmaterialien aus einem dafür vorgesehenen Raum, der ausschließlich zur Lagerung der Testmaterialien genutzt wird ( … ). Der Raum wird regelmäßig gelüftet und die·Arbeitsflächen regelmäßig desinfiziert. In dem Testlagerungsraum sind vier Abholstationen aufgebaut, an denen die Lehrkräfte die Testmaterialien entweder als verschlossenes Set (20 Stück) oder in geöffneten Sets (Anzahl handschriftlich auf der Verpackung notiert) entnehmen können. Die Abholstationen sind so aufgebaut, dass ein ausreichender Abstand der anwesenden Lehrpersonen eingehalten werden kann. Es ist per Aushang an der Eingangstür vorgegeben, dass·sich an jeder·der vier Abholstationen nur eine Lehrperson aufhalten darf. Das schränkt die Gesamtzahl der im Testlagerungsraum gleichzeitig anwesenden Lehrkräfte auf vier Personen ein. Die Lehrpersonen sind angehalten, den Testlagerungsraum mit Mund-Nasen-Schutz (FFP) zu betreten und direkt nach Eingang Einmalhandschuhe anzuziehen. Parallel zu den Testmaterialien liegen im Testlagerungsraum weitere Einmalhandschuhe für die Nutzung im Klassenraum, Mülltüten zum Transport der Testmaterialien bzw. zum Einsammeln der Abfallprodukte nach den Testungen, Protokollbögen und Visiere für den Gesichtsschutz während der Testbegleitung zur Entnahme durch die Lehrpersonen aus.
20In den Klassenräumen stellen sich die Aufgaben der Lehrpersonen bei der Begleitung der Selbsttestungen wie folgt dar: Die Lehrpersonen verteilen die Testmaterialien an die Schülerinnen und Schüler: Testkassette (steril verpackt), Wattestäbchen zur Abstrichentnahme (steril verpackt), Extraktionsröhrchen, Extraktionsspitzen. Die Schüler*innen positionieren an ihrem Sitzplatz das Extraktionsröhrchen mit Hilfe einer Wäscheklammer, die jedem/jeder Schüler/in von der Schule vorab ausgehändigt worden ist, in einer aufrechten Position und·die Lehrpersonen füllen aus zwei Flaschen Extraktionspufferlösung jeweils 10 Tropfen der Lösungsflüssigkeit in die Extraktionsröhrchen. Für kurze Zeit kann es also dazu kommen, dass der Sicherheitsabstand von 1,5m nicht eingehalten wird. Währenddessen tragen alle Anwesenden medizinische Masken und es besteht die Möglichkeit des Querlüftens.
21Die Schüler*innen führen im Anschluss selbstständig die Testung durch. Die Lehrperson gibt unter Einhaltung der Abstandregeln bei Unsicherheiten der Schüler*innen verbale Unterstützung bei der Durchführung. Eine Unterschreitung des Sicherheitsabstands oder gar ein körperlicher Kontakt ist nicht erforderlich. Nach der Durchführung der Selbsttests durch die Schüler*innen sammelt die Lehrperson mit dem mitgeführten Müllsack im Klassen- bzw. Fachraum die benutzen Testmaterialien ein, protokolliert die Testergebnisse für die Lerngruppe und überwacht die Testergebnisse. Im Fall eines positiven Schnelltests informiert die Lehrperson telefonisch das Sekretariat und schickt die/den positiv getestete/n Schüler*in an einen durch die Schulleitung vorgegeben Ort auf dem Schulgelände zur Abholung durch die Eltern. Den Müllbeutel mit den benutzen Testmaterialien, in den nach Ablauf der 15 Minuten Testzeit auch die benutzen Testkassetten deponiert werden, bringt die Lehrperson nach Abschluss der Unterrichtsstunde in den Testlagerungsraum zu einer zentralen Müllsammelstation. Das ausgefüllte Protokoll wird im Schulsekretariat abgegeben.“
22Diesen umfassenden Darlegungen hinsichtlich des Ablaufs und der einzuhaltenden Schutzmaßnahmen hat die Antragstellerin nichts Maßgebliches entgegengesetzt. Unter Einhaltung der konkret beschriebenen Vorgaben ist ein von ihr befürchteter „Kontakt zu den Schülerinnen und der Umgang mit den von ihnen benutzten und kontaminierten Testutensilien sowie den von ihnen erzeugten Testabfällen“ bei der Durchführung der Selbsttests in einem für sie nicht hinnehmbaren Ausmaß nicht zu besorgen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des von ihr hervorgehobenen Umstands, dass sie noch nicht geimpft ist. Tragfähige Anhaltspunkte für in ihrer Person liegende und gegebenenfalls zu berücksichtigende besondere Risikofaktoren hat die Antragstellerin nicht dargetan.
23Soweit die Antragstellerin meint, sie solle zu einer Tätigkeit verpflichtet werden, die außerhalb ihrer Ausbildung, ihres Berufsbildes und ihrer Qualifikation liege und vielmehr eine Tätigkeit auf dem allgemeinstaatlichen Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege sei, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. In zutreffender Weise hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die Beratungs-, Betreuungs- und Aufsichtspflicht gemäß § 5 Abs. 1 der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen (ADO) auch die hier in Rede stehende Durchführung der Selbsttests umfasst. Von einer Tätigkeit im Bereich der allgemeinen Gesundheitspflege kann angesichts der obigen Ausführungen keine Rede sein. Im Übrigen hat es insoweit mit dem durchgeführten Remonstrationsverfahren nach § 36 Abs. 2 BeamtStG sein Bewenden.
24II. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei der Regelstreitwert mit Blick auf die hier in der Sache begehrte Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu halbieren ist.
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Referenzen
- VwVfG § 35 Begriff des Verwaltungsaktes 1x
- § 1 Abs. 2b Satz 2 CoronaBetrVO 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 33 Gemeinschaftseinrichtungen 1x
- BeamtStG § 36 Verantwortung für die Rechtmäßigkeit 1x
- 13 B 559/21 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 123 4x
- §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 2b Satz 1 CoronaBetrVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 2a CoronaBetrVO 1x (nicht zugeordnet)
- 12 B 1/21 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- BeamtStG § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten 1x
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x