Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 5 L 825/21
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 3733/21 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 00.00.0000 anzuordnen, soweit dort eine Pflicht zum Tragen medizinischer Masken außerhalb von Weihnachtsmärkten und des Marktes auf dem E1.--platz angeordnet wird,
4hat keinen Erfolg. Er ist zwar zulässig, aber unbegründet.
51. Der sich bei sachgerechter Würdigung des Begehrens allein gegen die den Antragsteller belastende Regelung unter I. Abs. 1 und 3 der Allgemeinverfügung richtende Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG als ein solcher auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, da er im aktuell vom Regelungsbereich der Allgemeinverfügung erfassten Stadtgebiet sein Büro hat und aufgrund der Notwendigkeit, dieses auf dem Fußweg zu erreichen, hierdurch möglicherweise in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt ist.
62. Der Antrag ist unbegründet. Die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung überwiegt das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung. Der streitgegenständliche Teil der Allgemeinverfügung erweist sich nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung aller Voraussicht nach als rechtmäßig (a). Die hieran anschließende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus (b).
7a) Der streitgegenständliche Teil der Allgemeinverfügung ist voraussichtlich rechtmäßig.
8aa) Ermächtigungsgrundlage der Allgemeinverfügung ist § 28a Abs. 3 Satz 2 IfSG. Hiernach kann zum präventiven Infektionsschutz insbesondere die in § 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG genannte Schutzmaßnahme, die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht), ergriffen werden.
9Vgl. zur durch die gesetzliche Änderung erleichterten Möglichkeit dieser Anordnung OVG NRW, Beschluss vom 24. September 2021 – 13 B 1534/21.NE -, juris, Rn. 26.
10Grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dieser gesetzlichen Regelung hat die Kammer nicht.
11Vgl. zu den Vorläuferregelungen des IfSG OVG NRW, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 13 B 1731/20 -, juris, Rn. 33 – 46, und Beschluss vom 27. Januar 2021 – 13 B 1902/20.NE -, juris, Rn. 8; OVG Thüringen, Beschluss vom 28. Januar 2021 - 3 EN 22/21 -, juris, Rn. 26; VGH BW, Beschluss vom 22. Januar 2021 – 1 S 139/21 -, juris, Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – 20 NE 20.2461 -, juris Rn. 21 ff.; VG Münster, Urteil vom 23. September 2021 – 5 K 938/20 -, juris, Rn. 41 ff.
12§ 3 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 17. August 2021 in der ab dem 27. November 2021 gültigen Fassung knüpft an die gesetzliche Regelung an.
13bb) Die Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Antragsgegnerin zuständig (§ 6 Abs. 1 IfSBG-NRW, § 5 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO). Das Einvernehmen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales wurde – soweit erforderlich – unter dem 24. November 2021 vorab erteilt.
14cc) Die Allgemeinverfügung ist im streitgegenständlichen Umfang materiell rechtmäßig.
15aaa) Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Die Antragsgegnerin darf davon ausgehen, dass die SARS-CoV-2-Pandemie in der gegenwärtigen Situation eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründet, die staatliches Einschreiten aus den genannten Zwecken nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung auch gebietet. Der aktuellen Risikobewertung durch das OVG NRW, Beschluss vom 12. November 2021 - 13 B 1425/21.NE -, juris, Rn. 7 ff., schließt sich die Kammer an. Dies gilt erst recht in Anbetracht der von der neuen Virusvariante Omikron ausgehenden Gefahr (vgl. hierzu Information des RKI zur neuen besorgniserregenden Virusvariante Omikron (B.1.1.529) vom 29. November 2021, abgerufen unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Virusvariante_B11529.html am 1. Dezember 2021) mit Blick auf eine Maßnahme, die dem präventiven Infektionsschutz dient.
16bbb) Die Allgemeinverfügung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere entspricht sie dem ab dem 27. November 2021 gültigen § 3 Abs. 1 Nr. 3 CoronaSchVO.
17ccc) Die Allgemeinverfügung ist im streitgegenständlichen Umfang frei von Ermessensfehlern (§ 114 Satz 1 VwGO), insbesondere ist die Regelung auch in Anbetracht grundrechtlicher Belange des Antragstellers verhältnismäßig.
18Die Anordnung, in bestimmten Außenbereichen Mund und Nase mit einer medizinischen Maske zu bedecken, verfolgt ein legitimes Ziel (Art. 2 Abs. 2 GG) und ist geeignet, einer Ansteckungs- oder Verbreitungsgefahr vorzubeugen. Dies gilt für immunisierte und nicht-immunisierte Personen gleichermaßen, da sich auch immunisierte Personen anstecken oder ihrerseits das Virus übertragen können. Das Gericht schließt sich bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung den Bewertungen des RKI – zu dessen besonderer Bedeutung vgl. § 4 IfSG – zur Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von COVID-19 an (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin vom 7. Mai 2020, Strategie-Ergänzung zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Zielen (3. Update), https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20.pdf?__blob=publicationFile, abgerufen am 1. Dezember 2021). Nach der Bewertung des RKI ist in Außenbereichen das Infektionsrisiko zwar grundsätzlich wesentlich geringer, insbesondere wenn der Abstand von 1,5 m eingehalten wird. Hier ist das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der Regel allerdings in bestimmten Situationen sinnvoll, z. B. wenn der Mindestabstand nicht sicher eingehalten werden kann, längere Gespräche und gesichtsnahe Kontakte erfolgen, oder in unübersichtlichen Situationen mit Menschenansammlungen (vgl. RKI, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19, Gesamtstand: 14.10.2021, https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html;jsessionid=63DCDA24D99A9EEBAAF7BD8618015ADA.internet071?nn=13490888, abgerufen am 1. Dezember 2021). Bezogen auf diese besonderen örtlichen Verhältnisse im räumlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Begründung zu I. der Allgemeinverfügung Bezug genommen.
19Eine Beweiserhebung zu den vom Antragsteller zitierten Ansichten „führender Aerosolforscher“ erfolgt im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht. Ungeachtet dessen belegen die vom Antragsteller zitierten Passagen nicht die Nichteignung einer Mund-Nasen-Bedeckung im bestimmten Außenbereichen, wie sie die Antragsgegnerin in ihre Allgemeinverfügung einbezogen hat. Zum einen zielt die Maßnahme auf präventiven Infektionsschutz (vgl. § 28a Abs. 3 Satz 2 IfSG), sodass es auf die Frage einer konkreten Ansteckungsgefahr nicht ankommt; zum anderen kommt es in den von der Allgemeinverfügung erfassten räumlichen Innenstadtbereichen zu Begegnungsverkehr und der Ansammlung mehrerer, ggf. auch vieler Personen auf engem Raum. Die zitierte Äußerung von Gerhard Scheuch zur Bewegung an der frischen Luft (vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/corona-aerosole-risiko-draussen-100.html, abgerufen am 1. Dezember 2021) erfasst eine solche Konstellation nicht.
20Die Allgemeinverfügung ist erforderlich, da gleich geeignete, mildere Mittel nicht ersichtlich sind. Insbesondere hat die Antragsgegnerin den räumlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung und ihre zeitliche Dauer (bis 00.00.0000) eng begrenzt, die tägliche Dauer der Anordnung auf die Zeit zwischen 10.00 und 22.00 Uhr befristet und Ausnahmen von der Tragepflicht vorgesehen (I. Abs. 4 und 5, II. der Allgemeinverfügung).
21Die Allgemeinverfügung ist in der gegenwärtigen Situation, in der die 7-Tage-Inzidenz in Nordrhein-Westfalen (1. Dezember 2021: 289,1), aber auch im Bereich der Stadt N. ( 00.00.0000: 167,5) und der 7-Tage-Hospitalisierungsindex mit 4,14 hoch sind (vgl. https://www.lzg.nrw.de/inf_schutz/corona_meldelage/index.html, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Kum_Tab.html;jsessionid=CD700C387029852643D2246A216C93BF.internet051?nn=13490888, jeweils abgerufen am 1.12.2021), auch angemessen. Angemessen ist eine freiheitseinschränkende Regelung, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Hierbei ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, deren Wahrnehmung der Eingriff in Grundrechte dient, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen notwendig. Die Interessen des Gemeinwohls müssen umso gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Zugleich wird der Gemeinschaftsschutz umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können.
22Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 –, juris, Rn. 265.
23Davon ausgehend ist die fragliche Regelung nicht zu beanstanden, weil die Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Regelungszweck steht. Die Regelung greift zwar in die allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Dieser hier vorliegende Eingriff erweist sich aber gemessen an dem damit bezweckten präventiven Gesundheitsschutz (Art. 2 Abs. 2 GG) als angemessen. In diese Abwägung ist – neben den bereits zur Eignung und Erforderlichkeit thematisierten Aspekten – überdies einzustellen, dass der Antragsteller, um sein Büro in der L.-----straße 00 vom M.------platz und über die M1.------straße kommend erreichen zu können, erst ab der N1.-------gasse eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen muss. Hierbei handelt es sich um wenige Meter, sodass die vom Antragsteller betonten Lästigkeiten – wie das Beschlagen der Brille, das Verstopfen der Nase und die Unnatürlichkeit des Laufens mit einer Maske – erst recht zumutbar sind.
24b) Die hieran anknüpfende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, da sich die Allgemeinverfügung in ihrem streitgegenständlichen Umfang aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird, jedenfalls aber eine Interessenabwägung in Anbetracht der gesetzlichen Intention der §§ 28 Abs. 3 i. V. m. 16 Abs. 8 IfSG zu seinen Lasten ausfällt. Anhaltspunkte, die im Einzelfall eine abweichende Bewertung rechtfertigen könnten, sind weder dargelegt noch ersichtlich.
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