Beschluss vom Verwaltungsgericht Regensburg - RO 14 E 20.687

Tenor

I. Es wird vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache festgestellt, dass der Antragsteller sein Einzelhandelsgeschäft für … im … mit einer Fläche von 566 qm in Regensburg ab 27.4.2020 wieder öffnen darf.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller möchte im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erreichen, dass er sein Einzelhandelsgeschäft ab dem 27.4.2020 wieder öffnen darf.

Die WHO hat am 11.3.2020 die weltweite Ausbreitung von Covid-19 zu einer Pandemie erklärt. Das Robert-Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit als hoch ein, für Risikogruppen sogar als sehr hoch.

§ 32 Infektionsschutzgesetz ermächtigt die Landesregierungen durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Zu diesem Zweck können Grundrechte, insbesondere das Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG eingeschränkt werden.

Mit Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege vom 16.4.2020 und 21.4.2020 wurde die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.4.2020, geändert durch die Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 20.4.2020 erlassen (2. BayIfSMV).

Die Zweite Bayerische Infektionschutzmaßnahmenverordnung sieht umfangreiche Maßnahmen vor, um die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen.

Die Verordnung enthält in § 2 Abs. 4 Satz 1 2. BayIfSMV ein grundsätzliches Verbot, Ladengeschäfte des Einzelhandels zu öffnen. Abweichend von § 2 Abs. 4 Satz 1 und 5 2. BayIfSM ist die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels auch zulässig, wenn

1. deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 qm nicht überschreiten und

2. der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 qm Verkaufsfläche.

Der Antragsteller betreibt im … ein Einzelhandelsgeschäft für … Die Verkaufsfläche beträgt 566 qm, verteilt auf 2 Etagen. Mit Schreiben vom 22.04.2020 hat der Antragsteller der Stadt Regensburg mitgeteilt, dass er sein Ladengeschäft am Montag, 27.04.2020 zu den üblichen Öffnungszeiten wieder für den Publikumsverkehr öffnen werde. Zur Begründung teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, dass die Verkaufsräume seines Ladengeschäfts weniger als 800 qm aufweisen würden. Darüber hinaus werde er durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die Zahl der gleichzeitig in seinem Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 qm Verkaufsfläche. Darüber hinaus würden die in § 2 Abs. 6 2. BayIfSM genannten Maßnahmen eingehalten.

Der Antragsteller trägt vor, er werde folgende Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen ergreifen:

- Am Ladeneingang würden sich Hinweistafeln befinden, um die Kunden auf den Mindestabstand von 1,5 m hinzuweisen,

- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien angehalten, bei Nichteinhaltung des Mindestabstands von 1,5 m einzuschreiten,

- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden einen Mund-Nase-Schutz tragen,

- Kunden, die keinen Mund-Nase-Schutz tragen, dürfen das Ladengeschäft nicht betreten.

Darüber hinaus verweist der Antragsteller auf das Hygiene-Konzept des Betreibers des … Der Betreiber des … sieht vor, dass

- die maschinellen Lüftungsanlagen für einen stetigen Luftaustausch sorgen,

- die Gesamtzahl der verfügbaren Stellplätze von 3300 auf 1500 reduziert werden, um hinreichend Abstand zu gewährleisten,

- an allen Einfahren Hinweisschilder zum Mindestabstand von 1,5 m aufgestellt werden,

- von 19 verfügbaren Eingängen lediglich 4 Eingänge geöffnet werden,

- die max. Anzahl an Kunden im gesamten … 1500 nicht übersteigen darf, die Kontrolle der Kundenzahl erfolge über manuelle sowie automatische Zählung,

- zur Vermeidung von Warteschlagen nicht relevante Serviceleistungen (z.B. Kinderspielgeräte) ausgesetzt werden.

Mit E-Mail vom 23.4.2020 teilte die Antragsgegnerin mit, dass alle Ladengeschäfte im …, welche nicht den Ausnahmen des § 2 Abs. 4 2. BayIfSMV unterfallen, nicht ab 27.4.2020 öffnen dürfen.

Gegen diesen Umstand wendet sich der Antragsteller mit seinem am 24.4.2020 bei Gericht eingegangenen Eilrechtschutzantrag. Zugleich hat er eine Hauptsacheklage erhoben, die unter dem Aktenzeichen RO 14 K 20.688 geführt wird.

Zur Begründung trägt er vor, bei der Anwendung der Ausnahmevorschrift gemäß § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV dürfen Einkaufszentren nicht als Einheit gesehen werden, sondern das Ladengeschäft müsse als Einzelnes bewertet werden. Unter Zugrundlegung dieser Auslegung sei der Antragsteller von der Ausnahmeregelung erfasst, so dass er sein Ladengeschäft zulässigerweise ab dem 27.4.2020 öffnen dürfe.

Im Einzelnen trägt der Antragsteller hierzu vor, dass sich bereits aus dem Wortlaut der Ausnahmeregelung ergäbe, dass die Flächenbegrenzung von 800 qm sich nicht auf das Einkaufszentrum als solches, sondern auf die jeweiligen Ladengeschäfte beziehe.

Auch aus der Systematik ergebe sich dieses Verständnis. Schließlich habe ein Einkaufszentrum im engeren Sinne selbst keine Verkaufsfläche, sondern verfüge vielmehr nur über Zugangsflächen.

Dafür spreche auch, dass Geschäfte der Grundversorgung, auch innerhalb eines Einkaufszentrums öffnen dürfen, wie es § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV ausdrücklich vorsehe.

Zudem ergebe sich nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dass Einkaufszentren eine entsprechende Größe aufweisen, die deutlich über die von großflächigen Einzelhandelsbetrieben nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO hinausginge.

Schließlich lasse sich die Ansicht, Einkaufszentren als Ganzes zu beurteilen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes begründen.

Im Gegensatz zu Ladengeschäften in Einkaufsstraßen habe das … einen erheblichen Vorteil, da der Zutritt und die Zufahrt besser gesteuert werden könne. Ebenso ließen sich die Abstandsregeln besser sichern. Schließlich trägt der Antragsteller vor, dass er gegenüber Inhabern von Ladengeschäften, deren Verkaufsfläche unter 800 qm liege und die an Einkaufsstraßen liegen, ohne tragbaren Differenzierungsgrund ungleich behandelt und somit in seinem Grundrecht aus Art. 3 GG verletzt werde. Darüber hinaus werde der Antragsteller durch diese Regelung in seiner Berufsausübungsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller am 24.4.2020 erhobenen Anfechtungsklage gegen das von der Antragsgegnerin mit Email vom 23.4.2020 ausgesprochene Verbot, das Geschäft des Antragstellers am 27.4.2020 wiederzueröffnen, anzuordnen,

hilfsweise einstweilig anzuordnen, dass der Antragsteller sein Einzelhandelsladengeschäft im … Regensburg ab dem 27.04.2020 bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig wieder öffnen darf.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Eilantrag kostenpflichtig abzulehnen.

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, der Antrag sei bereits unstatthaft. Das Schreiben der Antragsgegnerin stelle schon keinen Verwaltungsakt dar, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht statthaft sei. Ein Verwaltungsakt liege schon deshalb nicht vor, weil es an einer Willenserklärung der Behörde mit Rechtsfolgensetzung fehle. Bei bloßen Auskünften oder Informationen über die Rechtslage handle es sich um eine schlichte Wissenserklärung und nicht um eine Regelung im Sinn der Legaldefinition des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG. Darüber hinaus komme auch ein Antrag nach § 123 VwGO nicht in Betracht. Der Antragsteller verfolge das Ziel, einzelne Vorschriften der 2. BayIfSMV aufheben zu lassen. Dieses Rechtsschutzziel sei vorrangig mit der Einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu verfolgen. Die 2. BayIfSMV sei als Verordnung eine Rechtsvorschrift, die im Rang unter dem Landesgesetzt stehe, so dass die Einstweilige Anordnung vorrangig zu betreiben sei. Darüber hinaus wird für die Antragsgegnerin ausgeführt, dass sie nicht passivlegitimiert sei, da sie weder eine Regelung erlassen habe, noch dazu befugt sei. Der Antragsgegnerin stünde nach der 2. BayIfSMV kein Spielraum zu, so dass sie keine Kompetenz habe, eine von der Verordnung abweichende Entscheidung zu treffen. Sie könne als zuständige Kreisverwaltungsbehörde keine Ausnahme nach § 2 Abs. 4 Satz 3 der 2. BayIfSMV erteilen.

Darüber hinaus ist der Antrag nach Auffassung der Antragsgegnerin auch unbegründet. Der Antragsteller falle nicht unter die in § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV abschließend aufgelisteten Ladengeschäfte, so dass die Ausnahmeregelung nicht greife. Die Ladegeschäfte innerhalb des … fallen nicht unter die Ausnahme des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV, weil von dieser Ausnahme nur Einkaufszentren erfasst seien, deren Verkaufsräume zusammengenommen eine Fläche von 800 qm nicht überschreiten. Diese Auffassung entspreche auch der des Bayer. Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege sowie der des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebenssicherheit. In den FAQ-Listen des Bayer. Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege befinde sich unter Ziff. 2 die folgende Passage:

„In Einkaufszentren entsprechend § 11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung dürfen alle unter 1. genannten Einzelhandelsgeschäfte und Dienstleister öffnen; sonstige Ladengeschäfte können in Einkaufszentren jedoch nicht von der 800qm-Regel Gebrauch machen.“

Diese Auffassung habe auch das Verwaltungsgericht Ansbach in einer Entscheidung vom 26.4.2020 bestätigt (AN 30 S 20.00775).

Wegen der weiteren Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten in den Verfahren RO 14 E 20.687 und RO 14 K 20.688 verwiesen.

II.

Der Hauptantrag ist unzulässig, der Hilfsantrag jedoch zulässig und begründet.

1. Der Antrag gemäß § 123 VwGO ist statthaft.

a) Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht statthaft. Der Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO ist nur statthaft, wenn ein noch nicht bestandskräftiger Veraltungsakt vorliegt, der keine aufschiebende Wirkung entfaltet.

In dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 24.04.2020 mangelt es an einer Willenserklärung, die auf eine Regelung im Einzelfall gerichtet ist. Folglich liegt kein Verwaltungsakt gem. Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG vor. Die Antragsgegnerin hat lediglich ihre Rechtsauffassung mitgeteilt, ohne diese gegenüber dem Antragsteller verbindlich festsetzen zu wollen. Zudem hat die Antragsgegnerin lediglich ausgeführt, dass die Öffnung des vom Antragsteller vertretenen Ladengeschäfts untersagt sei. Die Antragsgegnerin hat lediglich die Rechtsfolgen der Verordnung beschrieben ohne eine eigene spezifische Regelung zu treffen.

b) Der Antragsteller kann auch ein Rechtsschutzbedürfnis geltend machen. Soweit sich der Antragsteller gegen die 2. BayIfSMV als Ganzes richtet oder sich nicht nur gegen einzelne Vorschriften der Verordnung wendet, ist dieses Rechtsschutzziel mit einer Einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu verfolgen. Im konkreten Fall verfolgt der Antragsteller jedoch Klarheit darüber, ob sein Verständnis bzw. seine Auslegung im Einklang mit der Verordnung steht und sein beabsichtigtes Handeln, die Öffnung des Ladengeschäfts, rechtmäßig ist. Dem Antragsteller ist nicht zuzumuten, auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung das Ladengeschäft zu öffnen und etwaige künftige behördliche Untersagungen in Kauf zu nehmen. Darüber hinaus ist ein Verstoß gegen die Betriebsuntersagung gem. § 2 Abs. 4 2. BayIfSMV bußgeldbewehrt. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es dem Antragsteller nicht zuzumuten, sich dem Risiko auszusetzen, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen.

2. Die Antragsgegnerin ist auch passivlegitimiert. Zwar steht der Antragsgegnerin keine Befugnis zu, Ausnahmegenehmigungen vom allgemeinen Verbot, Ladengeschäfte zu öffnen, zu erteilen. Allerdings ist die Antragsgegnerin zuständige Sicherheits- und Bußgeldbehörde. Insoweit ergibt sich unter den in Ziff. 1 b) genannten Gründen die Passivlegitimation der Antragsgegnerin.

3. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).

Erforderlich ist jeweils, dass sowohl ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sind.

a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 der 2. BayIfSMV ist die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels auch zulässig, wenn deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 qm nicht überschreiten. Fraglich ist bereits, ob die Antragstellerin unter die Ausnahme des § 2 Abs. 5 Nr. 1 der 2. BayIfSMV fällt. Dies hängt davon ab, ob für die Anwendung der Ausnahmeregelung hinsichtlich der 800 qm-Grenze auf die Verkaufsfläche der Antragstellerin abzustellen ist oder auf die Verkaufsfläche des gesamten Einkaufszentrums.

Wenn man für diese Frage entscheidungserheblich darauf abstellt, was Ladengeschäfte baurechtlich zu einem Einkaufszentrum werden lässt, dann hat die Kammer bereits Zweifel daran, dass sich die 800 qm auf das gesamte Einkaufszentrum beziehen können.

aa) Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, dass für die maßgebliche Fläche von 800 qm, die nicht überschritten werden darf, auf das jeweilige Ladengeschäft abzustellen ist. Ein Einkaufszentrum ist zu verstehen als einheitlich geplanter Gebäudekomplex, der aus mehreren Einzelhandelsbetrieben verschiedener Branchen und unterschiedliche großer Ladeneinheiten besteht. Außerhalb der Ladengeschäfte befinden sich in der Regel keine Verkaufsfläche in einem Einkaufszentrum. Vielmehr handelt es sich bei einem Einkaufszentrum, wenn man sich die Ladengeschäfte wegdenkt, um ein überdachtes Gebäude, welches lediglich die für den Einkauf notwendige Infrastruktur schafft. Darunter fallen z.B. Serviceeinrichtungen (Kundentoiletten, Informationsstand oder Kinderbetreuungsbereich), Einkaufswege für den Kunden (Flure).

Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit den baurechtlichen Regelungen. Unter den in § 11 BauNVO erfassten Einzelhandelsgroßprojekten nehmen Einkaufszentren nach Satz 1 Nr. 1 eine Sonderrolle ein, weil für sie - anders als für die Vorhaben nach Nr. 2 und 3 - die nachteiligen städtebaulich relevanten Auswirkungen unwiderleglich unterstellt werden (BVerwG, Urt. v. 1.8.2002 - 4 C 5.01 -, BauR 2003, 55). Ausgangspunkt für die Umschreibung der notwendigen Erfordernisse eines Einkaufszentrums in diesem Sinne muss daher die Wertung des Verordnungsgebers der BauNVO sein. Dieser hat Einkaufszentren schon als solche, d. h. ohne weitere tatbestandliche Voraussetzungen, außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zugelassen. Dies scheint nur gerechtfertigt, wenn ein Einkaufszentrum schon per se mit den in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO genannten nachteiligen städtebaulichen Auswirkungen verbunden ist. Diese Sonderrolle ist bei der Begriffsbestimmung zu berücksichtigen. Der Begriff des Einkaufszentrums im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO setzt im Regelfall einen von vornherein einheitlich geplanten, finanzierten, gebauten und verwalteten Gebäudekomplex mit mehreren Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe - zumeist verbunden mit verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben - voraus (BVerwG, U. v. 27.4.1990 - 4 C 16/87 - juris). Die Begriffsmerkmale begründen typischerweise die Umstände, die das Einkaufszentrum für ein breites Publikum attraktiv erscheinen lassen und deshalb die Sogwirkung, die dann die städtebaulichen Schutzgüter beeinträchtigt. Damit dem Einkaufszentrum die vorausgesetzte städtebauliche Relevanz beizumessen ist, muss es nach Größe und Sortimentbreite eine über den unmittelbaren Nahbereich hinaus fühlbare Sog- oder Magnetwirkung ausüben. Angesichts der Systematik in Abs. 3 ist hierfür in aller Regel eine deutlich über der Großflächigkeitsschwelle von 1.200 qm Geschossfläche liegende Größe erforderlich (OVG RhPf, Urt. v. 3.11.2011 - 1 A 10270/11 -, BauR 2012, 206). Die Sortimentsbreite muss zwar nicht notwendigerweise die einer Innenstadt oder eines Warenhauses erreichen, muss jedoch über das Sortiment eines Fachmarktes mit Nebensortimenten hinausgehen.

Schon aus diesen Rahmenbedingungen ist ersichtlich, dass es sich bei einem Einkaufszentrum damit immer um eine Ansammlung von Läden mit mehr als 800 qm Verkaufsfläche handeln wird. Die Ausnahmemöglichkeit des § 2 Abs. 5 Nr. 1 2. BayIfSMV liefe damit komplett ins Leere. Dies spricht dafür, dass auch hier auf die Größe der einzelnen in dem Einkaufszentrum vorhandenen Ladengeschäfte abzustellen ist.

bb) Auch nach der Systematik ergibt sich, dass bei der Verkaufsfläche auf das jeweilige Ladengeschäft und nicht auf das Einkaufszentrum abzustellen ist. § 7 der 2. BayIfSMV regelt die Ordnungswidrigkeiten, für den Fall, dass vorsätzlich oder fahrlässig gegen bestimmte Vorschriften der 2. BayIfSMV verstoßen wird. Hiernach handelt ordnungswidrig gem. § 7 Nr. 5 2. BayIfSMV, wer entgegen § 2 Abs. 4 und 5 2. BayIfSMV Ladengeschäfte des Einzelhandels öffnet. Hätte der Verordnungsgeber nicht nur an die reine Verkaufsfläche, sondern auch auf die sog. Sogwirkung der Einkaufszentren abgestellt, so hätte er bei der Festlegung der Ordnungswidrigkeiten nicht nur auf das „Ladengeschäft“ abgestellt, sondern einen Verstoß gegen die Verordnung an die Räumlichkeit anknüpfen müssen (z.B. Kaufhaus oder Einkaufszentrum). Hieran fehlt es jedoch. Der Verordnungsgeber hat bei den Regelungen zur Ordnungswidrigkeit ausschließlich auf den Begriff Ladengeschäft abgestellt.

cc) Schließlich ergibt sich auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift nichts Anderes. Der Verordnungsgeber beabsichtigt mit den Ausnahmeregelungen vom Öffnungsverbot kontrollierte Lockerungen, soweit sie aus Gründen des Infektionsschutzes vertretbar sind. Aus diesem Grund knüpft die Ausnahmevorschrift § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV nicht nur an die reine Verkaufsfläche an (Nr. 1), sondern verlangt kumulativ, dass der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 qm Verkaufsfläche (Nr. 2). Zusätzlich sind weitere Maßnahmen zum Infektionsschutz nach § 2 Abs. 6 2. BayIfSMV zu treffen. Ziel ist es, trotz der sich stetig verändernden Infektionslage in Bayern, die Grundrechtseinschränkungen soweit zu lockern, dass es gerade noch mit dem Schutz der Bevölkerung vor einer weiteren Infektionswelle vertretbar ist. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er sowohl innerhalb seines Ladengeschäfts ein umfassendes Hygienekonzept ausführt, darüber hinaus hat auch der Betreiber des Einkaufszentrums ein solches Hygienekonzept vorgelegt. Beide Konzepte ergänzen sich und gehen über die gesetzlichen Mindestanforderungen gem. § 2 Abs. 5 und 6 2. BayIfSMV hinaus. Dem Gericht ist nicht ersichtlich, weshalb das Infektionsrisiko innerhalb eines Einkaufszentrums, wobei jedes Ladengeschäft eine Verkaufsfläche von unter 800 qm hat, höher sein soll, als bei Ladengeschäften, die sich in einer Einkaufs straße befinden. Das Argument, Einkaufszentren hätten eine Sogwirkung, so dass viele Kunden auch überregional in das Einkaufszentrum strömen, überzeugt das Gericht nicht. Dem durchschnittlichen Kunden dürften die jeweiligen Verkaufsflächen der Geschäfte ohnehin nicht bekannt sein. Vielmehr geht es darum die Anzahl an Kunden auf einer bestimmten Fläche zu begrenzen. Grund dafür ist, dass nach Angaben des Robert-Koch-Instituts der Hauptübertragungsweg von Covid-19 feine Tröpfchen in der Luft sind. Sofern ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird, reduziert sich das Infektionsrisiko erheblich. Außerdem sind sowohl das Verkaufspersonal als auch die Kunden seit dem 27.04.2020 zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes verpflichtet. Daraus ergibt sich, dass das Infektionsrisiko in einem Einkaufszentrum unter Beachtung der in § 2 Abs. 5 und 6 2. BayIfSMV genannten Anforderungen nicht höher sein dürfte als bei Ladengeschäften außerhalb von Einkaufszentren. Dafür spricht auch, dass sog. „Grundversorger“, die sich in einem Einkaufszentrum oder Kaufhaus befinden, unabhängig von ihrer Verkaufsfläche geöffnet sein dürfen (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV). Demnach ergibt sich auch bei einer infektionsrechtlichen Betrachtung, dass die Verkaufsfläche nach dem jeweiligen Ladengeschäft und nicht nach dem Einkaufszentrum als solches zu beurteilen ist (Davon geht offenbar auch die Gemeinsame Richtlinie des Baden-Württembergischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau und des Baden-Württembergischen Ministeriums für Soziales und Integration von Öffnung von Einrichtungen des Einzelhandels, vgl. A. 3., https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-wm/intern/Dateien_Downloads/Gemeinsame_Richtlinie_Oeffnung_des_Einzelhandels_aufgrund_Corona-VO.pdf,).

Der Antragsteller hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass sein Ladengeschäft eine Fläche von 800 qm nicht überschreitet (566 qm) und die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden (28 Kunden) nicht höher ist als ein Kunde je 20 qm Verkaufsfläche. Darüber hinaus ergibt sich auch aus dem Hygienekonzept des Antragstellers sowie dem des Betreibers des …, dass die weiteren Anforderungen an den Infektionsschutz gem. § 2 Abs. 6 Satz 1 2. BayIfSMV erfüllt werden können.

dd) Nach summarischer Prüfung ergibt sich auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG ein Verstoß. Die Untersagung der Öffnung sämtlicher Einkaufszentren über 800 qm ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Größe des betroffenen Ladengeschäfts mag zur Vermeidung der Verbreitung des Coronavirus geeignet sein, die Maßnahme ist jedoch in ihrer Umsetzung - ohne jede Ausnahmemöglichkeit und ohne Unterscheidung nach der tatsächlich bestehenden Gefahr der Verbreitung des Virusin Abwägung mit den Grundrechten des Antragstellers weder angemessen noch erforderlich (vgl. BayVGH, B. v. 27.4.2020 - 20 NE 20.793 - noch nicht veröffentlicht).

§ 2 Abs. 5 der 2. BayIfSMV verstößt nach Auffassung der Kammer gegen den in Art. 3 GG normierten Gleichbehandlungsgrundsatz und ist daher im vorliegenden Fall nicht anzuwenden.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, B. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40; BVerfG, B. v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 - juris Rn. 119 m.w.N.). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfG, B. v. 11.10.1988 - 1 BvR 777/85- juris; BVerG, B. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 - juris; BVerfG, B. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 76).

Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfG, B. v. 7.7.2009 - 1 BvR 1164/07 - juris; BVerfG, B.v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, B. v. 18.7.2012 - 1 BvL 16/11 -, juris Rn. 30; BVerfG, B. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07, juris Rn. 65; BVerfG, B. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 - juris Rn. 79).

Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, U. v. 6.3.2002 - 2 BvL 17/99 - juris; BVerfG, B. v. 4.12.2002 - 2 BvR 400/98 - juris; BVerfG, B. 8.6.2004 - 2 BvL 5/00 - juris; BVerfG, B.v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77).

Unter Anwendung dieses Maßstabs ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung des Antragstellers als Inhaber eines Einzelhandelsgeschäfts unter 800 qm in einem Einkaufszentrum im Vergleich zu einem Inhaber eines Einzelhandelsgeschäfts unter 800 qm im Innenstadtbereich gegeben.

Soweit die Verordnung eine Öffnungsmöglichkeit für ein Ladengeschäft mit einer Verkaufsfläche von unter 800 qm allein aufgrund dessen Lage in einem Einkaufszentrum ausgenommen hat, ist diese Maßnahme nicht geeignet, dem Zweck des Infektionsschutzes zu dienen. Es liegt auf der Hand, dass die für alle für den Publikumsverkehr geöffneten Verkaufsstellen geltenden spezifischen Vorgaben auch in Einzelhandelsgeschäften in einem Einkaufszentrum umsetzbar sind. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, warum die Umsetzung besonderer Hygieneund Zugangsmaßnahmen in einem Einkaufszentrum nicht mindestens ebenso zu gewährleisten ist wie in Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen. Die Antragstellerin hat diesbezüglich ein umfangreiches Steuerung-, Kontrollund Hygienekonzept vorgelegt.

Wenn der Verordnungsgeber ein „Anfahren“ der wirtschaftlichen Betätigung für vertretbar hält, dann muss er vergleichbare Sachverhalte auch vergleichbar regeln, sich im Übrigen die Grundrechtsposition potentiell Betroffener vor Augen führen und sorgsam prüfen, ob es gegenüber einem absoluten Öffnungsverbot mildere, aber gleich wirksame Mittel gebe. Dies ist vorliegend nicht gelungen.

Die durch Art. 2 Abs. 5 2. BayIfSMV bewirkte Ungleichbehandlung von Einzelhandelsgeschäften in einem Einkaufszentrum und solchen außerhalb eines Einkaufszentrums ist nach den vorgenannten Grundsätzen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar, weil es der Regelung auch in Anerkennung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers an einem legitimen Zweck fehlt, der die Benachteiligung von Einzelhandelsgeschäften in einem Einkaufszentrum tragen könnte und dem zu dienen die Regelung in Art. 2 Abs. 5 2. BayIfSMV geeignet wäre.

Um die Infektionsgefahr zu reduzieren, die durch eine große Zahl von Menschen ausgeht, die sich im öffentlichen Raum bewegen, sind mildere Mittel vorhanden. Der Betreiber jedes geöffneten Geschäfts ist bereits nach § 2 Abs. 6 2. BayIfSMV angehalten, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden eingehalten werden kann, dass Personal eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen hat und die Kunden und ihre Begleitpersonen ab dem 7. Lebensjahr ebenfalls eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen.

Außerdem hat jeder Betreiber ein Schutzund Hygienekonzept und ein Parkplatzkonzept auszuarbeiten. Dieses Konzept ist für das betroffene Ladengeschäft vorhanden und wurde dem Verwaltungsgericht im Rahmen des streitgegenständlichen Verfahrens auch vorgelegt.

Unter Beachtung dieser Maßgaben ist nicht einzusehen, warum ein Betreiber eines Einzelhandelsgeschäfts in einem Einkaufszentrum nicht öffnen können soll, ein Betreiber im Innenstadtbereich aber schon. Aus Infektionsschutzgesichtspunkten ist diese Unterscheidung nicht gerechtfertigt.

b) Der Anordnungsgrund ergibt sich aufgrund der Eilbedürftigkeit der Sache und den drohenden wirtschaftlichen Schäden, die im Falle einer fortdauernden Schließung des Ladengeschäfts zu befürchten sind.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da das Rechtschutzziel des Hilfsantrags im Wesentlichen dem des Hauptantrags entspricht.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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