Beschluss vom Verwaltungsgericht Regensburg - RO 14 S 20.2760

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Allgemeinverfügung des Landratsamts Schwandorf vom 6.11.2020, die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 enthält.

Am 6.11.2020 erließ das Landratsamt Schwandorf gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), § 65 Satz 1 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV) sowie in Verbindung mit § 25 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30.10.2020 (8. BayIfSMV - BayMBl. 2020 Nr. 616 vom 30.10.2020), geändert durch Verordnung zur Änderung der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 12.11.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 639 vom 12.11.2020), eine Allgemeinverfügung, die im Amtsblatt für den Landkreis Schwandorf Nr. 31 vom 6.11.2020 bekanntgemacht und im Internet, in Rundfunk und Presse am 6.11.2020 veröffentlicht wurde.

Die Nr. 1 dieser Allgemeinverfügung betrifft die Umsetzung von Maßnahmen in Schulen, während sich die Nr. 2 mit der Kindertagesbetreuung sowie heilpädagogischen Tagesstätten befasst.

Ab der Nr. 3 enthält die Allgemeinverfügung folgende Regelungen:

„3. Besuch von Heimen

3.1 Untersagt wird der Besuch von a) vollstationären Einrichtungen der Pflege gemäß § 71 Abs. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch,

b) Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), in denen Leistungen der Eingliederungshilfe über Tag und Nacht erbracht werden,

c) ambulant betreuten Wohngemeinschaften nach Art. 2 Abs. 3 des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes zum Zwecke der außerklinischen Intensivpflege (IntensivpflegeWGs), in denen ambulante Pflegedienste gemäß § 23 Abs. 6a IfSG Dienstleistungen erbringen d) Altenheimen und Seniorenresidenzen.

3.2 Abweichend von 3.1 darf jeder Patient oder Bewohner einmal täglich von einer Person aus dem Kreis der Familienangehörigen, bei Minderjährigen auch von den Eltern oder Sorgeberechtigten gemeinsam, oder einer weiteren festen Person während einer festen Besuchszeit besucht werden. Weitere Ausnahmen von 3.1 sind zu medizinischen, rechtsberatenden oder seelsorgerischen Zwecken oder zur Erbringung sonstiger Dienstleistungen zulässig; sie sind von der Einrichtungsleitung vorab zu genehmigen.

4. Diese Allgemeinverfügung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar.

5. Die Allgemeinverfügung tritt am Tag nach ihrer Bekanntmachung im Amtsblatt des Landkreises Schwandorfin Kraft.

6. Der jederzeitige Widerruf wird vorbehalten.“

Zur Begründung wird ausgeführt, in den vergangenen zwei Wochen sei es in mehreren Altenheimen und Seniorenresidenzen zu erheblichen Ausbruchsgeschehen im Zusammenhang mit COVID-19 mit Todesfällen gekommen. Bereits während des Katastrophenfalles von März bis Juli 2020 seien durch den Freistaat Bayern Besuchsverbote bzw. Beschränkungen angeordnet worden. Derzeit würden die Fallzahlen weit über den Fallzahlen in diesem Zeitraum liegen. Aufgrund der steigenden Fallzahlen sei die Anordnung nötig. Besonders ältere Menschen und solche mit vorbestehenden Grunderkrankungen seien von schweren Krankheitsverläufen betroffen und könnten an der Krankheit sterben. Da derzeit weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie zur Verfügung stehe, seien alle Maßnahmen zu ergreifen, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern und damit durch eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens die Belastung für das Gesundheitswesen insgesamt zu reduzieren, Belastungsspitzen zu vermeiden und die medizinische Versorgung sicherzustellen. Nur durch die Anordnung könne ein Viruseintrag in die genannten Einrichtungen verhindert werden. Die Anordnung sei auch angemessen, da es sich nicht um ein Besuchsverbot, sondern lediglich um eine Besuchseinschränkung handele.

Am 13.11.2020 erhob die Antragstellerin „Klage“. Die derzeit durchgeführten Maßnahmen zum Infektionsschutzgesetz seien nicht zulässig. Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 28 bis 31 IfSG seien nicht gegeben. Das Gericht werde gebeten, die tatbestandlichen Voraussetzungen zur Ergreifung von Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG zu überprüfen. Das Gericht werde gebeten, die vom Landratsamt Schwandorferlassene Allgemeinverfügung vom 6.11.2020 aufzuheben und alle Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu beenden.

Mit Schreiben vom 16.11.2020 teilte das Gericht den Beteiligten mit, dass wohl davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin um Eilrechtschutz nachsuchen wolle. Aufgrund der Kurzfristigkeit von Corona-Maßnahmen diene ihr eine Klage wohl nicht. Im Hinblick auf die Nrn. 1 und 2 der angegriffenen Allgemeinverfügung sei der Antrag wohl schon unzulässig. Die Nr. 1 der Allgemeinverfügung sei bereits durch Allgemeinverfügung vom 6.11.2020 (Amtsblatt für den Landkreis SchwandorfNr. 32 vom 6.11.2020) widerrufen worden. Dies gelte auch für die Nr. 2 der Allgemeinverfügung, die mit Allgemeinverfügung vom 11.11.2020 widerrufen worden sei (Amtsblatt für den Landkreis SchwandorfNr. 33 vom 11.11.2020). Mithin verbleibe nur noch die Regelung in Nr. 3, bezüglich derer die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift jedoch nicht vorgetragen habe, in subjektiven Rechten betroffen zu sein. Die Antragstellerin möge bis zum 20.11.2020 substantiiert mitteilen, warum sie konkret von der angegriffenen Regelung betroffen sei.

Mit Schreiben vom 18.11.2020 stellte die Antragstellerin klar, dass sich ihr Antrag gegen die Nr. 3 in der Allgemeinverfügung vom 6.11.2020 richte. Die am …1933 geborene Mutter der Antragstellerin befinde sich in einer Pflegeeinrichtung in N. im Landkreis Schwandorf. Diesbezüglich legte sie eine Bestätigung der Einrichtung vor. Am 9.11.2020 habe die Mutter nur mit einer Schwester der Antragstellerin ihren 87. Geburtstag feiern dürfen. Aus der Ehe der Eltern der Antragstellerin seien sechs Kinder hervorgegangen und daraus wiederum weitere Enkelkinder und Urenkel. Unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes (fortgeschrittene Demenzerkrankung) der Mutter seien die durch das Landratsamt angeordneten Maßnahmen nicht haltbar. Damit sich der Gesundheitszustand der Mutter nicht noch weiter verschlechtere und damit diese in Würde ihren Lebensabend verbringen dürfe, sei eine regelmäßige Beschäftigung durch die Angehörigen und durch das Pflegepersonal sehr sinnvoll und dringend notwendig. Aufgrund der vom Landratsamt getroffenen Maßnahmen sei es den Angehörigen nicht gestattet, zusätzliche Beschäftigungen mit der Mutter durchzuführen wie etwa Aufenthalte außerhalb der Einrichtung, Gesellschaftsspiele usw. Mit Blick auf die Zahl der Infizierten im Landkreis Schwandorfseien die angeordneten Maßnahmen unverhältnismäßig.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die Nr. 3 der Allgemeinverfügung des Landratsamts Schwandorfvom 6.11.2020 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 der Allgemeinverfügung fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit sei die Allgemeinverfügung bereits wieder aufgehoben worden.

Bezüglich der Nr. 3 der Allgemeinverfügung werde auf deren Begründung verwiesen und zudem darauf, dass der Inzidenzwert im Landkreis Schwandorf derzeit bei 200,2 (Stand: 23.11.2020, 0:00 Uhr) liege. Dies stelle den höchsten Inzidenzwert im Regierungsbezirk Oberpfalz dar. Im Landkreis Schwandorf seien bereits vier Pflegeeinrichtungen von Corona-Infektionen betroffen. Infiziert seien sowohl Bewohner als auch Pflegepersonal. Die Folgen reichten schon so weit, dass bei der Bundeswehr um Hilfe nachgesucht worden sei, damit Soldaten als Unterstützung für das noch verbleibende Pflegepersonal vor Ort zur Verfügung gestellt werden.

Die Allgemeinverfügung regele Besuchsbeschränkungen für die dort genannten Einrichtungen, um einen Viruseintrag in die Einrichtungen möglichst zu verhindern. Ein derartiges Besuchsverbot sei bereits in der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 19.6.2020 enthalten gewesen. Aufgrund der sinkenden Infektionszahlen in den Sommermonaten seien die Beschränkungen in den neuen Verordnungen nicht übernommen worden. Aufgrund der nunmehr steigenden Infektionszahlen im Landkreis Schwandorf seien Beschränkungen der Besuche dringend erforderlich, um dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken. Diese Erforderlichkeit sei auch vom zuständigen Gesundheitsamt Schwandorf als Fachstelle für notwendig erachtet worden. Viele der Einrichtungen würden zudem bereits Besuchsbeschränkungen anwenden, die über das Hausrecht geregelt seien. Um eine einheitliche Regelung für den ganzen Landkreis zu finden und alle vulnerablen Gruppen in den Einrichtungen gleichsam zu schützen, sei die streitgegenständliche Allgemeinverfügung erlassen worden. Auch sei das mildeste Mittel gewählt worden, um die genannten Ziele zu erreichen. Es handele sich schließlich lediglich um eine Besuchsbeschränkung und nicht um ein Besuchsverbot.

Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass die Allgemeinverfügung nicht regele, welche Beschäftigungen in den Einrichtungen zwischen Besuchern und Bewohnern stattfinden dürfen. Der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin sei somit irrelevant.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und hier insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Der Eilrechtsschutzantrag der Antragstellerin richtet sich - wie von ihr mit Schreiben vom 18.11.2020 ausdrücklich klargestellt - ausschließlich gegen die Nr. 3 der Allgemeinverfügung vom 6.11.2020. Insoweit ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.

1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn die aufschiebende Wirkung einer Klage aufgrund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen entfällt. Vorliegend hat das Landratsamt die Allgemeinverfügung auf die §§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, 25 der 8. BayIfSMV gestützt. Nach §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung, weshalb der Antrag statthaft ist.

Die Antragstellerin hat darüber hinaus ein Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf die einschränkende Besuchsregelung. Sie konnte darlegen, dass sich ihre Mutter in einer Pflegeeinrichtung im Landkreis Schwandorf aufhält und die Antragstellerin somit von der einschränkenden Regelung persönlich betroffen ist. Die Antragstellerin hat fünf Geschwister, die wiederum zum Teil Kinder und Enkelkinder haben. Aufgrund dieser Situation kann die Antragstellerin ihre Mutter nur noch in größeren Abständen besuchen, weshalb sie unmittelbar von der Regelung betroffen ist.

Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO auch schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Das Gebot effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung gebieten es, dass die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes nicht erst dann einsetzt, wenn auch ein Rechtsbehelf in der Hauptsache eingelegt ist. Diese Möglichkeit sieht § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO explizit vor und dies ergibt sich auch aus einer entsprechenden Anwendung des Rechtsgedankens des §§ 123 Abs. 1 VwGO (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80, Rn. 139). Das Gericht weist im vorliegenden Fall jedoch ausdrücklich darauf hin, dass die Allgemeinverfügung keine zeitlich begrenzte Geltung aufweist und damit gegenüber der Antragstellerin bestandskräftig werden kann, wenn diese nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist, die mit der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung beginnt, Klage erhebt.

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Im Rahmen der vom Gericht zu treffenden Entscheidung über den Eilrechtsschutzantrag ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei ist das Interesse der Antragstellerin, ihre Mutter uneingeschränkt besuchen zu dürfen, dem Interesse der Allgemeinheit gegenüberzustellen, welches daran besteht, die Kontaktzahlen vor allem bei älteren und damit vulnerablen Personen auf ein Minimum zu reduzieren, um die Ausbreitung des Coronavirus so weit wie möglich einzuschränken und vor allem einen Ausbruch der COVID-19 Erkrankung in sensiblen Einrichtungen - wie Alten- und Pflegeheimen - soweit als möglich zu verhindern. Im Rahmen dieser Interessenabwägung spielen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine maßgebliche Rolle.

Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage stellt sich die streitgegenständliche Allgemeinverfügung aller Voraussicht nach als rechtmäßig dar.

Grundsätzlich hat das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in § 9 der 8. BayIfSMV spezielle Besuchsregelungen für Pflegeeinrichtungen sowie Altenheime und Seniorenresidenzen etc. erlassen. Danach gibt es grundsätzlich keine Einschränkungen im Hinblick auf die Anzahl der Besucher. Es gilt jedoch Maskenpflicht und das Gebot, nach Möglichkeit durchgängig einen Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten. Die jeweilige Einrichtung hat ein Schutz- und Hygienekonzept auf der Grundlage eines vom Staatsministerium für Gesundheit und Pflege bekannt gemachten Rahmenkonzepts auszuarbeiten, zu beachten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. Nach § 25 Satz 1 der 8. BayIfSMV bleiben jedoch weitergehende Anordnungen der örtlich für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden unberührt. Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden können danach, auch soweit in dieser Verordnung Schutzmaßnahmen oder Schutz- und Hygienekonzepte vorgeschrieben sind, im Einzelfall ergänzende Anordnungen erlassen, soweit es aus infektionsschutzrechtlicher Sicht erforderlich ist.

Vorliegend hat das Landratsamt nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG solche weitergehenden Maßnahmen erlassen. Nach der genannten Vorschrift trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder wenn sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Gerichts erfüllt.

Zunächst ist festzuhalten, dass das Landratsamt gemäß § 65 Satz 1 ZustV die für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes zuständige Behörde ist und somit berechtigt ist, entsprechende Anordnungen zu treffen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegeben sind. Nach der Einschätzung des Robert Koch-Instituts, denen der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 - Vf. 6-VII-20 - juris, Rn. 16; BayVGH, B.v. 26.3.2020 - 20 NE 20.1065 - juris, Rn. 31), handelt es sich beim Ausbruch der Corona-Pandemie weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit und in angrenzenden Ländern Europas nimmt die Anzahl der Fälle rasant zu. Seit Ende August (KW 35) werden wieder vermehrt Übertragungen in Deutschland beobachtet. Darüber hinaus werden wieder vermehrt COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gemeldet und die Zahl der Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen, ist in den letzten Wochen stark angestiegen (Robert Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 11.11.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Im Zuständigkeitsbereich des Landratsamts Schwandorfwurden alleine am 5.11.2020 51 Fälle von neu an SARS-Cov-2 Erkrankten festgestellt. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung am 6.11.2020 lag die 7-Tage-Inzidenz bei 110,91, d.h. im Zeitraum der letzten 7 Tage hatten sich zu diesem Zeitpunkt 110,91 Personen von 100.000 Einwohnern im Landkreis neu mit SARS-CoV-2 infiziert. Im S.er Seniorenheim wurden bis zum 6.11.2020 18 Bewohner und 7 Mitarbeiter positiv getestet. Eine Bewohnerin verstarb. In einem weiteren Pflegeheim, das ebenfalls von einem Ausbruch betroffen war, waren am 6.11.2020 18 Bewohner und 8 Mitarbeiter positiv getestet. Auch in diesem Wohnheim gab es bereits einen Todesfall (vgl. Pressemitteilung des Landratsamts SchwandorfNr. 169 vom 6.11.2020, https://www.landkreis-schwandorf.de/media/custom/3300_625_1.PDF?1605017064). Nach alledem steht fest, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG gegeben waren.

Nachdem es sich bei der Allgemeinverfügung und den darin geregelten Besuchseinschränkungen für Pflegeheime um einen Dauerverwaltungsakt handelt, müssen die Tatbestandsvoraussetzungen auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch gegeben sein. Auch dies ist offensichtlich der Fall; denn das Landratsamt Schwandorfhat mit Schreiben vom 23.11.2020 mitgeteilt, dass die 7-Tage-Inzidenz nunmehr bereits fast doppelt so hoch liegt, wie zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung. Am 23.11.2020 um 0:00 Uhr betrug sie 200,2.

Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG stehen allerdings unter einem strengen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt; denn sie sind nur möglich, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Im Ergebnis müssen die angeordneten Maßnahmen daher zu jedem Zeitpunkt ihrer Geltung sowohl inhaltlich als auch zeitlich erforderlich sein.

Insoweit ist zunächst zu bedenken, dass der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel ist, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen. Das Robert Koch-Institut, dem nach § 4 IfSG eine besondere Stellung bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen zukommt, führt zum Verbreitungsweg des Virus folgendes aus (Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 11.11.2020):

„SARS-CoV-2 ist grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Das Infektionsrisiko ist stark vom individuellen Verhalten (AHA-Regel: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken tragen), der regionalen Verbreitung und von den Lebensbedingungen (Verhältnissen) abhängig. Hierbei spielen Kontakte in Risikosituationen (wie z.B. langer face-to-face Kontakt) eine besondere Rolle. Dies gilt auch in Situationen im privaten Umfeld mit Familienangehörigen und Freunden außerhalb des eigenen Haushalts und im beruflichen Umfeld. Die Aerosolausscheidung steigt bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an. In Innenräumen steigt hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich, auch über einen größeren Abstand als 1,5 m. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten wird, z. B. wenn Gruppen von Personen an einem Tisch sitzen oder bei größeren Menschenansammlungen, besteht auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko.

Die drei Säulen der Strategie bestehen in der Eindämmung (Containment, dazu gehört auch die Kontaktenachverfolgung), Protection (Schutz vulnerabler Gruppen) und Mitigation (Milderung der Folgen). Bei der Bewältigung der Pandemie müssen die verschiedenen Maßnahmen der Strategie zusammenwirken und sich gegenseitig verstärken, um die Folgen der COVID-19-Pandemie für Deutschland zu minimieren.

Die massiven Anstrengungen auf allen Ebenen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) stellen die Grundlage dar, die Infektionen in Deutschland so früh wie möglich zu erkennen und Ausbrüche und Infektionsketten einzudämmen. Um Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich so weit wie möglich zu vermeiden, ist eine Intensivierung der gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen nötig. Hier können junge Erwachsene und Jugendliche und Personen mit vielen sozialen Kontakten durch Einhaltung der empfohlenen Maßnahmen (AHA + Lüften Regeln) in ganz besonderer Weise dazu beitragen, Übertragungen zu verhindern. Dazu zählen Hygienemaßnahmen, das Abstandhalten, das Einhalten von Husten- und Niesregeln, das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung/Alltagsmaske in bestimmten Situationen (AHA-Regeln). Dies gilt auch bei Menschenansammlungen im Freien, wenn der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten wird. Beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen ist zusätzlich eine gute Belüftung wichtig, um eine mögliche Anreicherung von infektiösen Aerosolen zu reduzieren.“

(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html)

Nach alledem liegt es auf der Hand, dass eine möglichst umfangreiche Einschränkung von persönlichen Kontakten - insbesondere in geschlossenen Räumen - ein wirksames Mittel ist, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Die vom Landratsamt durch Allgemeinverfügung angeordnete Beschränkung der Besucherzahl je Bewohner auf eine Person aus dem Kreis der Familienangehörigen ist nach alledem jedenfalls geeignet, um die Ausbreitung des Virus in Pflegeeinrichtungen, Altenheimen, Seniorenresidenzen und ähnlichen Einrichtungen zu vermeiden.

Sie ist auch erforderlich, da insbesondere im Landkreis Schwandorf ein Ausbruchsgeschehen in Alten- und Pflegeheimen zu beobachten war. In diesem Zusammenhang ist zudem zu bedenken, dass der Verlauf der Erkrankung zwar in den meisten Fällen mild ist. Die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nimmt jedoch mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu (Robert Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 11.11.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html), weshalb es nicht zu beanstanden ist, dass in Einrichtungen, die überwiegend von älteren, zum Teil vorerkrankten Menschen bewohnt werden, Besuchsbeschränkungen seitens des Antragsgegners angeordnet wurden. Die entscheidende Kammer kann jedenfalls bei der im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens nur möglichen summarischen Überprüfung der Sachlage nicht erkennen, dass es eine weniger einschneidende aber gleich geeignete Maßnahme gibt, um das Infektionsgeschehen innerhalb der besonders vulnerablen Gruppe der älteren und zum Teil krankheitsbedingt vorbelasteten Menschen einzuschränken, was gerade auch im Interesse der Mutter der Antragstellerin liegt.

Ferner beachtet die Regelung auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insoweit ist zu bedenken, dass die Nr. 3.2 der Allgemeinverfügung eine abgestufte Regelung enthält. Grundsätzlich darf zwar jeder Patient oder Bewohner nur einmal täglich von einer Person aus dem Kreis der Familienangehörigen besucht werden. Die Regelung lässt aber Ausnahmen zu, die von der jeweiligen Einrichtung vorab zu genehmigen sind. Ausnahmen sind danach zulässig aus medizinischen, rechtsberatenden oder seelsorgerischen Zwecken oder zur Erbringung sonstiger Dienstleistungen.

Auch in zeitlicher Hinsicht ist die Regelung nicht zu beanstanden. Die Allgemeinverfügung selbst enthält zwar keinen konkreten Zeitpunkt, an dem ihre Geltungsdauer endet. Andererseits ist der jederzeitige Widerruf vorbehalten, wobei sich aus den Gründen der Allgemeinverfügung ergibt, dass die Aufnahme des Widerrufsvorbehalts aufgrund des dynamischen Infektionsgeschehens erfolgt ist, also um auf veränderte Situationen reagieren zu können. Um die Verhältnismäßigkeit der Regelung zu wahren, wird das Landratsamt ständig zu überprüfen haben, ob die angeordneten Maßnahmen noch notwendig sind. Sollte dies nicht mehr der Fall sein, wird es die Regelung ändern oder aufheben müssen.

Die Einschränkungen des Besuchsrechts greifen zwar in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV) sowohl der in den Einrichtungen untergebrachten Menschen als auch derjenigen ein, die sie besuchen wollen, aber nicht dürfen. Gleichwohl hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 26.5.2020 (20 NE 20.1065 - juris, Rn. 42) das nach der damaligen 4. BayIfSMV allgemein und ausnahmslos geltende Besuchsverbot von Bewohnern von Altenheimen verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Er hat insoweit ausgeführt, die mittelbaren Folgen einer Isolierung könnten gravierend sein und ihrerseits zu massiven Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Da jedoch bei einer Aussetzung des Vollzugs des Besuchsverbots die Gefahr einer Einbringung des Virus in die u.a. durch das Berufsverbot geschützten Einrichtungen durch einen nicht reglementierten Besuchsverkehr stark erhöht sei, komme eine Aussetzung nicht in Betracht. Patienten in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen sowie Bewohner von Altenheimen und Seniorenresidenzen würden aufgrund ihrer persönlichen Konstitution und/oder ihres Lebensalters, aber auch aufgrund ihrer gemeinsamen räumlichen Unterbringung, zu den von der Erkrankung mit COVID-19 besonders gefährdeten Personengruppen gehören. Der nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu gewährleistende Schutz des Lebens und der Gesundheit der von einer Ansteckung mit dem Virus Betroffenen wiegt nach alledem höher als die Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit der von den eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten betroffenen Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen sowie deren Angehörigen.

Nach alledem sind die durch die Allgemeinverfügung des Landratsamts vom 6.11.2020 angeordneten Beschränkungen des Besuchsrechts voraussichtlich nicht zu beanstanden.

Soweit die Antragstellerin darüber hinaus vorträgt, sie fühle sich auch durch die Einschränkungen der Aktivitäten zwischen Bewohnern und Besuchern innerhalb und außerhalb des Pflegeheims ihrer Mutter beeinträchtigt, weil Aufenthalte außerhalb der Einrichtung, Gesellschaftsspiele usw. nicht mehr durchgeführt würden, so weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass dies keine Folge der vom Landratsamt erlassenen Allgemeinverfügung ist, sondern Ausfluss des vom jeweiligen Pflegeheims ausgeübten Hausrechts und des eigenverantwortlich nach § 9 Abs. 1 Satz 2 der 8. BayIfSMV von der Einrichtung zu erstellenden Schutz- und Hygienekonzepts.

Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG).

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