Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (15. Kammer) - 15 A 11/14

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung ungedeckter Krankenhauskosten für die Behandlung des am --- geborenen Kindes ---.

2

Das Kind wurde mit einem schweren Herzfehler geboren und musste sich am 01.02.2012 im Universitätsklinikum in Kiel einer erfolgreichen Herztransplantation unterziehen. Da sich der Gesundheitszustand des Kindes in der Folgezeit erfreulich gut entwickelte, war eine stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen nur bis zum 01.05.2012 einschließlich angezeigt.

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In der Erwartung der Entlassung aus dem Krankenhaus und aufgrund der Tatsache, dass die Familie dem Jugendamt bekannt war, nahm sich die Beklagte im April 2012 des Falles an. Eine Überprüfung der elterlichen Wohnung in A-Stadt ergab, dass diese erheblich schimmelbelastet war und deshalb für ein immungeschwächtes Kleinkind als Aufenthaltsort nicht in Frage kam. Aufgrund dieser Tatsache und darüber hinausgehender amtsbekannter Defizite insbesondere der Mutter bei der Fähigkeit zur Kindererziehung, fasste die Beklagte eine Hilfe zur Erziehung in Form einer Vollzeitpflege (§§ 27, 33 SGB VIII) ins Auge und begab sich auf die Suche nach einer passenden Pflegefamilie.

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Mit Beschluss des Amtsgerichts Kiel (57 F 134/12) ist die elterliche Sorge für --- für die Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Beantragung von Hilfen zur Erziehung sowie Gesundheitsfürsorge den Kindeseltern entzogen und auf die Beklagte als Ergänzungspflegerin übertragen worden.

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Ab dem 01.06.2012 ist sodann Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege bei einer Familie — in — gewährt worden. Am 13.06.2012 wurde festgestellt, dass die angedachte Pflegefamilie sich doch nicht in der Lage sah, sich im notwendigen Umfang um das Kind zu kümmern, so dass die Jugendhilfe ab dem 14.06.2012 wieder eingestellt worden ist. Ab 28.06.2012 ist sodann erneut Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege bei einer Familie — in --- gewährt worden. --- ist am 02.07.2012 aus dem Krankenhaus entlassen und in die Obhut der Pflegeeltern gegeben worden.

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Knapp 15 Monate später, am 18.09.2013, stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Kostenübernahme für den Zeitraum vom 02.05.2012 bis zum 02.07.2012. Für diesen Zeitraum sei durch die Techniker-Krankenkasse aufgrund fehlender leistungsrechtlicher Bewertung eine Kostenübernahme für das stationäre Verbleiben des Kindes abgelehnt worden. Eine geplante Entlassung habe nicht erfolgen können, da durch den Beklagten festgestellt worden sei, dass die Wohnsituation der Eltern für die weitere Versorgung des Kindes nicht geeignet gewesen seien. Der Kostenübernahmeantrag werde mit § 8 a SGB VIII iVm § 33 SGB VIII begründet.

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Mit Bescheid vom 25.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme mit der Begründung ab, gemäß § 8 SGB I iVm § 27 Abs. 1 SGB VIII sei die Klägerin nicht antragsberechtigt.

8

Hiergegen legte die Klägerin am 06.11.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.09.2007 (GS 1/06), wonach die Frage, ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, sich nach den medizinischen Erfordernissen richte. Reiche nach den Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie aus, so habe die Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufenthaltes auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen, eine spezielle Unterbringung oder Betreuung benötige und wegen des Fehlens einer geeigneten Einrichtung vorübergehend im Krankenhaus bleiben müsse. Unter Bezugnahme auf dieses Urteil habe die Krankenkasse eine Kostenübernahme ab dem 02.05.2012 abgelehnt. Am 29.05.2012 sei vom Familiengericht Kiel entschieden worden, dass die Vormundschaft für Gesundheitsfürsorge, das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Antragsrecht beim Jugendamt der Stadt Flensburg liege. Im äußersten Fall müsse das Jugendamt Kinder in Obhut nehmen und für eine kurze Zeit unterbringen, um ihr Wohlergehen sicherzustellen. Erst nach längerer Suche sei eine geeignete Pflegefamilie gefunden worden. Aufgrund der richterlichen Entscheidung vom 29.05.2012 werde die Beklagte weiterhin als Kostenträger für die Betreuung im Zeitraum vom 02.05. bis 02.07.2012 angesehen.

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Den eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2013 zurück und verwies zur Begründung erneut auf die nach ihrer Sicht fehlende Antragsbefugnis der Klägerin hin.

10

Am 10.01.2014 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie führt zur Begründung aus, es sei zwischen einem Antrag Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe, insbesondere der Hilfe zur Erziehung und einem Antrag auf Erstattung der durch eine solche Maßnahme entstandenen Kosten zu unterscheiden. Vorliegend begehre sie die Erstattung der Kosten, welche ihr durch den Aufenthalt und die Behandlung von --- entstanden seien. Unabhängig davon, ob der durch das Jugendamt veranlasste Aufenthalt ab Mai 2012 als Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII oder als Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII zu qualifizieren sei, bestehe ein Anspruch auf Übernahme der entstandenen Kosten gemäß § 91 Abs. 5 SGB VIII. In beiden Alternativen sei die Beklagte als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zur Vorleistung verpflichtet. Hilfsweise ergebe sich ein Anspruch aus allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht, da sie als Nichtstörerin iSv § 221 Abs. 1 LVwG in Anspruch genommen worden sei.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.10.2103 und des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2013 zu verurteilen, an die Klägerin 102.470,40 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verweist zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor, § 91 Abs. 5 SGB VIII sei eine Norm des Kostenbeitragsrechts und regele nur, dass die dort aufgeführten Leistungen nicht von einem Kostenbeitrag der Kostenbeitragspflichtigen abhängig gemacht werden dürften. Ein subjektiv-rechtlicher Anspruch der Klägerin könne daraus nicht abgeleitet werden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

18

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung ungedeckter Krankenhauskosten für den Zeitraum vom 02.05. bis zum 02.07.2012.

19

Die Beklagte weist in den angefochtenen Bescheiden zunächst zu Recht darauf hin, dass der Klägerin schon die Antragsbefugnis für die Beantragung einer vorliegend allein in Frage kommenden jugendhilferechtlichen Hilfe zur Erziehung iSv §§ 27 ff. SGB VIII fehle. Antragsbefugt für eine derartige Maßnahme wären im vorliegenden Fall für den Zeitraum bis zum 28.05.2011 die Eltern des Kindes, ab dem 29.05.2012 der gemäß § 55 SGB VIII gerichtlich bestellte Amtsvormund.

20

Da Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII als Sozialleistung grundsätzlich nur ab Antragstellung gewährt wird, scheidet im gegebenen Fall schon mangels Vorliegens eines Antrages die Einstufung des Verbleibs --- im Krankenhaus über das medizinisch notwendige Maß hinaus als Jugendhilfemaßnahme aus. Selbst wenn man aber den Verbleib im Krankenhaus inhaltlich als Sonderform einer Hilfe zur Erziehung ansehen wollte, ergäbe sich hieraus kein öffentlich-rechtlicher Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte. Im Rahmen des sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses ist nämlich allein das Verhältnis Personensorgeberechtigte/Jugendamt öffentlich-rechtlich ausgestaltet, während das Verhältnis zum Leistungserbringer (sei es zu den Personensorgeberechtigten, sei es zum Jugendamt) privat-rechtlich ausgestaltet ist. Das bedeutet, dass selbst bei unterstellter Charakterisierung des Verbleibs im Krankenhaus als Jugendhilfemaßnahme ein Kostenerstattungsanspruch nicht öffentlich-rechtlich gegen die Beklagte geltend zu machen wäre, sondern zunächst privat-rechtlich gegen die jeweiligen Personensorgeberechtigten.

21

Der Verbleib ---s im Krankenhaus kann auch nicht als jugendhilferechtliche Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII gewertet werden. Abgesehen davon, dass für derartige Inobhutnahme nicht die Beklagte, sondern gemäß § 87 SGB VIII das Jugendamt der Landeshauptstadt Kiel zuständig gewesen wäre, lagen auch die Voraussetzungen für eine Inobhutnahme nicht vor. Zum einen erfordert eine Inobhutnahme schon begrifflich ein Tätigwerden der Behörde, zum anderen lag bereits das Tatbestandsmerkmal einer dringenden Gefahr für das Wohl des Kindes iSv § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht vor. Eine derartige Gefahr ist nämlich nur dann gegeben, wenn im Rahmen einer prognostischen ex-ante-Betrachtung bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens der Eintritt des Schadens hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, § 42, Rdnr. 11). Eine derartige Gefährdung war jedoch zu keinem Zeitpunkt anzunehmen. Sie hätte möglicherweise vorgelegen, wenn die Klägerin sich am 01.05.2012 geweigert hätte, --- weiter zu versorgen. Dies stand jedoch zu keiner Zeit in Rede. Ein sehr viel später aufgetretener, am 01.05.2012 noch gar nicht absehbarer Konflikt hinsichtlich der Kostentragungspflicht kann jedoch nicht rückwirkend in eine dringende Gefahr iSv § 42 SGB VIII umgedeutet werden.

22

Aus denselben Gründen scheitert auch ein Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht. Die Klägerin ist mangels einer vorliegenden Gefahr nicht als Nichtstörerin vom Beklagten iSv § 220 LVwG in Anspruch genommen worden und kann deshalb auch keine Entschädigungsansprüche nach § 221 LVwG geltend machen.

23

Als Anspruchsgrundlage kommt letztlich auch nicht § 91 Abs. 5 SGB VIII in Betracht. Diese Vorschrift des Kostenbeitragsrechts regelt allein, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten einer näher genannten Leistung unabhängig von der Erhebung eines Kostenbeitrags leisten. Damit wird sichergestellt, dass bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen -und zwar nur dann- die Kostenübernahme nicht von der Erhebung eines Kostenbeitrages etwaig Verpflichteter abhängig gemacht werden kann. Subjektive Rechte eines Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger ergeben sich daraus selbst bei Vorliegen einer - hier verneinten - Jugendhilfemaßnahme nicht.

24

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.

25

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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