Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 45/17

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der vorliegende Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners mit Datum vom 23.01.2017, zugestellt am 25.03.2017, ist nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 04.04.2017 gegen die Anordnungen der Ziffern 1) bis 12) und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017 begehrt. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung entfällt die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 248 Abs. 1 Satz 2, 229 ff. LVwG, so dass die Kammer den Suspensiveffekt nur anordnen und nicht wiederherstellen kann.

2

Hinsichtlich der unter Ziffer 1) der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017 erlassenen Anordnung, wonach der Antragsteller verpflichtet wurde, seinen Hund wegen des festgestellten Kopfschüttelns bei einem Tierarzt vorzustellen, ist der Antrag bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 05.04.2017 besteht bezüglich dieser Anordnung kein Bedürfnis mehr. Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 06.04.2017 ausdrücklich erklärt, dass die Anordnung aus Ziffer 1) der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017 erfüllt sei. Damit hat er zu erkennen gegeben, diese Anordnung nicht mehr vollziehen zu wollen.

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Im Übrigen ist der Antrag zulässig, jedoch unbegründet.

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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Sie entspricht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist. Erforderlich ist dabei eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses daran, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen, zunächst nicht von den Wirkungen des angegriffenen Verwaltungsaktes betroffen zu werden, zurückzutreten hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 80 Rn 85 m.w.N.). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in der angegriffenen Ordnungsverfügung verwiesen, § 117 Abs. 5 VwGO. Die Kammer schließt sich den dortigen – nicht zu beanstandenden – Ausführungen des Antragsgegners an.

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Der Antragsgegner hat, neben der Herausstellung der Bedeutung eines effektiven Tierschutzes auch im Falle des Einlegens eines Rechtsbehelfs durch den Antragsteller, die Notwendigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung für die einzelnen Verfügungspunkte begründet und damit eine ausreichende Einzelfallprüfung vorgenommen (vgl. S. 4 der Ordnungsverfügung). Sowohl das Eingehen auf die Gewährleistung eines effektiven Tierschutzes als Folge der bei dem Antragsteller festgestellten tierschutzrechtlichen Mängel als auch der Verweis auf die besondere Dringlichkeit zur Durchsetzung dieses Ziels während eines eventuellen Rechtsbehelfsverfahrens zeigen, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst gewesen ist. Er hat das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides dem Interesse des Antragstellers, von einer sofortigen Vollziehung verschont zu bleiben, gegenübergestellt und diese Interessen gegeneinander abgewogen. Im Übrigen kommt es auf die inhaltliche Richtigkeit der Erwägungen zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht an. Vielmehr trifft das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Würdigung aller relevanten Umstände eine eigene Entscheidung über die Rechtfertigung des Sofortvollzugs.

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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann durch das Gericht die aufschiebende Wirkung im Falle des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, also insbesondere in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wurde, ganz oder teilweise wiederhergestellt werden. In den Fällen (unter anderem) des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruches ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei regelmäßig auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (wieder-) herzustellen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist. Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, die Klage im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und der erfolgreichen Klage gegenüberzustellen sind (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 06.08.1991 – 4 M 109/91 –, juris Rn. 5).

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Gemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich Anordnungen unter den Ziffern 2) bis 12) der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017 und der darauf beruhenden Zwangsgeldandrohung unbegründet.

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Die Kammer ist nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Ansicht, dass die dem Antragssteller auferlegten Handlungspflichten offensichtlich rechtmäßig sind. Rechtsgrundlagen für die getroffenen Anordnungen sind § 16a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 TierSchG. Nach § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG kann sie insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen.

9

Nach § 2 Nr. 1 TierSchG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, dieses seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Er darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (§ 2 Nr. 2 TierSchG). Er muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen (§ 2 Nr. 3 TierSchG).

10

Das Gericht schließt sich zur Vermeidung von Wiederholungen den tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Antragsgegners in der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017 an, soweit es um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnungen unter Ziffer 2) bis 12) in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung geht, § 117 Abs. 5 VwGO. Der Antragsgegner hat insoweit ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass die entsprechenden Verfügungspunkte erforderlich sind, um tierschutzgerechte Zustände i.S.d. § 2 TierSchG bei der Tierhaltung des Antragstellers sicherzustellen.

11

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der tierschutzrechtlichen Anordnungen ist vor allem zu berücksichtigen, dass bei der Beantwortung der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG erfüllt sind, den verbeamteten Tierärzten vom Gesetz eine vorrangige Beurteilungskompetenz eingeräumt ist. Hierdurch wird die dem Kläger gegenüber bestehende Rechtsschutzgarantie nicht beeinträchtigt. Denn das Gericht überprüft, ob sich die Beurteilungen der zuständigen Amtstierärzte innerhalb der rechtlichen Vorgaben bewegen und unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers fachlich vertretbar sind.

12

Die Einschätzung des zugezogenen beamteten Tierarztes wird vom Gesetz in § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG im Regelfall als maßgeblich angesehen. Als gesetzlich vorgesehene Sachverständige sind die Amtstierärzte für Aufgaben wie diese eigens bestellt (vgl. § 15 Abs. 2 TierSchG). In einem exakten Nachweisen nur begrenzt zugänglichen Bereich einzelfallbezogener Wertungen kommt ihrer fachlichen Beurteilung daher besonderes Gewicht zu (siehe BVerwG, Beschl. v. 02.04.2014 – 3 B 62/13 –, juris Rn. 10; OVG Lüneburg, Urt. v. 20.04.2016 – 11 LB 29/15 –, juris Rn. 39; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 – OVG 5 S 27.12 -, juris Rn. 4 m.w.N.; VGH München, Urt. v. 30.01.2008 – 9 B 05.3146 –, juris Rn. 29). Die vorgenommenen amtstierärztlichen Wertungen und die ihnen zugrundeliegenden, zum Teil durch Fotos belegten, Feststellungen können nicht durch schlichtes Bestreiten entkräftet werden (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.06.2010 – OVG 5 S 10.10 –, juris Rn. 9). Diese Maßstäbe gelten auch für die Beurteilung tierschutzrechtlicher Anordnungen gem. § 16a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 TierSchG, soweit sie – wie im vorliegenden Fall – auf einer amtstierärztlichen Stellungnahme bzw. Beurteilung beruhen.

13

Unter Beachtung der dargestellten Maßstäbe und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers ist Folgendes ergänzend auszuführen:

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Die Anordnungen der Ziffern 2) bis 12) der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017 konnten nach § 16a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 TierSchG ergehen, um tierschutzwidrigen Zuständen in der Tierhaltung des Antragstellers zu begegnen (a-d). Die Anordnungen ergingen ermessensfehlerfrei und sind verhältnismäßig (e).

15

a) Die Anordnung zu den Ziffern 7) und 8) der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017, allen Tieren ständig Wasser in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung zu stellen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Ziel dieser Anordnung ist es die Einhaltung der Tierhalterpflicht zur art- und bedürfnisgerechten Ernährung nach § 2 Nr. 1 TierSchG sicherzustellen. Die Anordnung bezieht sich dabei auf elementare Anforderungen, die ein Tierhalter stets und gewissenhaft zu erfüllen hat. Der Vortrag des Klägers, es sei eine regelmäßige Wasserversorgung aller Tiere sichergestellt, ist nicht geeignet, die Notwendigkeit der Sicherstellung der Haltungsanforderungen mittels einer Ordnungsverfügung durch den Antragsgegner in Frage zu stellen. Bei der Kontrolle am 14.02.2017 wurde festgestellt, dass den Kaninchen kein Wasser zur Verfügung gestanden hätte und das Wasser für den Hund eingefroren gewesen sei. Der Vortrag des Antragstellers, die Wasserflaschen der Kaninchen seien zum Zeitpunkt der Kontrolle gerade zum Auftauen entfernt gewesen, kann nicht die Feststellung tierschutzwidriger Zustände beseitigen. Denn eine Wasserversorgung der Tiere in ausreichender Qualität und Menge muss zu jeder Zeit gewährleistet sein. Im Fall von Störungen – wie hier dem Einfrieren des Wassers in den Flaschen – ist der Tierhalter zu entsprechenden Ersatzmaßnahmen verpflichtet.

16

Soweit zwischenzeitlich von der teilweisen Befolgung der genannten Haltungsanforderung durch regelmäßige Wasserzufuhr ausgegangen wird, rechtfertigen die festgestellten Verstöße die getroffene Anordnung, um eine Befolgung auch in Zukunft sicherzustellen (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 04.09.2013 – 1 B 32/13 –, n.v. S. 11 der Beschlussausfertigung).

17

b) Auch die Anordnungen der Ziffern 4) und 5), dem Hund sowohl eine wärmegedämmte Schutzhütte sowie außerhalb der Hütte eine witterungsgeschützte, schattige, wärmegedämmte Liegefläche zur Verfügung zu stellen ist rechtmäßig. Die Anordnung findet ihre Grundlage in § 4 Abs. 1 und 2 Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV), wonach bei der Haltung von Hunden im Freien wärmegedämmte Schutzhütten und wärmegedämmte Liegeflächen zur Verfügung gestellt werden müssen. Dass die Haltung des Hundes des Antragstellers diesen Anforderungen entspricht wurde weder nach dem Kontrollvermerk des Antragsgegners vom 14.02.2017, noch nach dem amtstierärztlichen Vermerk vom 21.04.2017 festgestellt und konnte auch vom Antragsteller im vorliegenden Eilverfahren nicht glaubhaft gemacht werden.

18

c) Auch die in den Ziffern 2) und 3) der Ordnungsverfügung getroffene Anordnung, dem Hund ausreichend Auslauf im Freien außerhalb eines Zwingers oder einer Anbindehaltung sowie täglich mehrmals ausreichend Umgang mit der Betreuungsperson zu gewähren ist verhältnismäßig. Eine verhaltensgerechte Unterbringung im Sinne des § 2 Nr. 1 TierSchG muss das zu den einzelnen Funktionskreisen des Tieres gehörende Verhalten ermöglichen, insbesondere zu den Funktionskreisen Nahrungssuche, Fortpflanzung und Eltern-Kind-Beziehung, Gruppenbeziehung, Bewegung, Ruhe und Ausscheidung (Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl., 2016, § 2 TierSchG, Rn. 30). Diesem Ziel entspricht die Anordnung. Nach den allgemeinen Anforderungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 TierSchHuV an die Hundehaltung ist einem Hund ausreichend Auslauf im Freien außerhalb eines Zwingers sowie ausreichend Umgang mit der Betreuungsperson zu gewähren. Damit werden die Verhaltensfunktionskreise Bewegungs- und Sozialverhalten angesprochen.

19

d) Die Anordnungen der Ziffern 9) bis 12) der Ordnungsverfügung orientieren sich in nicht zu beanstandender Weise an den Empfehlungen der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT), die das Gericht als antizipierte Sachverständigengutachten heranziehen kann (VG Würzburg, Urt. v. 21.06.2016 – W 5 K 14.1123 –, juris Rn. 68 f. m.w.N.).

20

Nach den Feststellungen der Amtstierärztin Dr. S. in ihrem Kontrollvermerk vom 21.04.2017 entsprachen die Abmessungen der Kaninchenställe nicht den Empfehlungen des TVT-Merkblatts Nr. 78 für mittelgroße Rassen. Die Tabelle unter Nr. 3.1 des TVT-Merkblatts Nr. 78 gibt für die Rasse der Wiener, zu denen die vom Antragsteller gehaltenen Kaninchen unstreitig gehören, Maße von 85 cm Breite und 80 cm Tiefe sowie 60 cm Höhe vor. Laut den Feststellungen der Amtstierärztin wurden auch bei der Kontrolle nach Erlass der angegriffenen Ordnungsverfügung bei keinem der Kaninchenställe die Empfehlungen für die Höhe und für die Tiefe des TVT-Merkblatts eingehalten. Zwar wurden in der angegriffenen Ordnungsverfügung mit der Anordnung zu Ziffer 9) Stallgrößen mit den Mindestmaßen für große Kaninchenrassen laut TVT-Merkblatt Nr. 78 gefordert, zu denen die vom Antragsteller gehaltenen Wiener nicht gehören. Der Antragsgegner hat jedoch im laufenden Eilverfahren mit Schriftsatz vom 26.04.2017 erklärt, dass die Anforderungen an die Stallmaße im Widerspruchsverfahren an die tatsächlich vorhandene mittelgroße Rasse angepasst würden. Damit hat der Antragsgegner zu erkennen gegeben, dass für ihn eine Vollziehung der Ziffer 9) der Ordnungsverfügung nur nach den in der Tabelle unter Nr. 3.1 des TVT-Merkblatts Nr. 78 für mittelgroße Kaninchenrassen vorgegebenen Stallabmessungen in Betracht komme. Dass die Vorgaben hinsichtlich der Stallgröße eingehalten wurden, hat der Antragsteller im vorliegenden Eilverfahren nicht glaubhaft gemacht.

21

Die Anordnung des Antragsgegners, den Kaninchen erhöhte Liegeflächen zur Verfügung zu stellen, die Bodenfläche so zu gestalten, dass sie rutschfest, trittsicher und trocken ist und arttypische Bewegungen zulässt sowie die Anordnung, den Kaninchen Beschäftigungsmaterial zum Abnutzen der Nagezähne zur Verfügung zu stellen, entspricht den Empfehlungen nach dem TVT-Merkblatt für Tierhalter „Heimtiere – Kaninchen“. Sowohl nach dem Kontrollvermerk des Antragsgegners vom 14.02.2017 als auch nach dem amtstierärztlichen Vermerk vom 21.04.2017 waren keine entsprechenden Ausgestaltungs- und Strukturierungselemente in den Kaninchenställen vorhanden.

22

Die Anordnungen im Bescheid mit Datum vom 23.01.2017, mit denen der Antragsgegner als zuständige Behörde auf die vorstehend dargelegten tierschutzrechtlichen Verstöße nach § 16a Abs. 1 TierSchG reagiert hat, waren insgesamt notwendig und verhältnismäßig. Für Anordnungen nach § 16a Satz 2 Nr. 1 TierSchG besteht – wie sich aus Abs. 1 Satz 1 ergibt – kein Entschließungsermessen (bei der Feststellung von Verstößen muss die Behörde somit einschreiten), jedoch besteht ein Auswahlermessen („wie“ des Einschreitens) hinsichtlich des Handlungsmittels. Die Wahl des Handlungsmittels wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet und beschränkt. In der Begründung des Verwaltungsakts muss zum Ausdruck kommen, dass die Behörde ihren Ermessensspielraum erkannt und genutzt hat. Das Ermessen ist seitens des Gerichts nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar (§ 114 VwGO). Notwendige Anordnungen im Sinne des § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG sind diejenigen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. sie müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein (Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl., 2016, § 16a TierSchG, Rn. 6). „Geeignet“ bedeutet, dass die Maßnahme zweckgerecht sein muss. „Erforderlich“ bedeutet, dass von mehreren Maßnahmen, die die Beendigung bzw. Verhütung des Verstoßes mit gleicher Sicherheit erwarten lassen, diejenige zu wählen ist, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten belastet; es darf kein milderes Mittel in Betracht kommen. „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne“ meint die Relation zwischen Nutzen und Schaden: Unverhältnismäßigkeit liegt vor, wenn der Nachteil, den die Anordnung dem Betroffenen auferlegt, schwerer wiegt als der Verstoß, der damit beendet bzw. verhindert werden soll (Abwägung der betroffenen Rechtsgüter).

23

Im vorliegenden Fall waren die Anordnungen unter den Ziffern 2) bis 12) der Ordnungsverfügung notwendig im oben genannten Sinne. Sie waren geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig im engeren Sinne, um tierschutzkonforme Zustände in der Tierhaltung des Antragstellers herzustellen. Die Gründe des Bescheides lassen ausreichende Ermessenserwägungen, insbesondere zur Verhältnismäßigkeit der Anordnungen, erkennen.

24

Da die Anordnungen unter den Ziffern 2) bis 12) nach Auffassung der Kammer rechtmäßig sind, ist auch die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 100,- € bei etwaigen Verstößen gegen die Ordnungsverfügung nicht zu beanstanden. Die Zwangsgeldandrohung beruht auf §§ 228, 229 Abs. 1 Nr. 2, 235 Abs. 1 Nr. 1, 236, 237 LVwG. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.

25

Schließlich ist auch das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnungen unter Ziffer 2) bis 12) der Ordnungsverfügung mit Datum vom 23.01.2017 gegeben. Im Wesentlichen ergibt sich dieses bereits aus den Gründen, die zum Erlass des Bescheides geführt haben. Der Antragsgegner geht zu Recht davon aus, dass zum Zwecke der Gewährleistung eines effektiven Tierschutzes, eine Verzögerung des Verfahrens durch die Einlegung eines Rechtsbehelfes gegen die Ordnungsverfügung nicht hingenommen werden kann. In diesem Zusammenhang rechtfertigen sowohl die festgestellten Defizite bei der Tierhaltung des Antragstellers als auch das besondere Gewicht eines effektiven Tierschutzes (vgl. Art. 20a GG und § 1 TierSchG) die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Das Interesse des Antragstellers an einer Tierhaltung ohne behördliche Auflagen hat demgegenüber zurückzustehen.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs.1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 63 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Eine Halbierung des Auffangstreitwertes von 5.000 € erfolgt nicht.


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