Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 189/17

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht zulässig.

2

Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gegen die dem Beigeladenen erteilte Waldumwandlungsgenehmigung vom 1. August 2016 kommt gemäß § 123 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift gelten die Vorschriften über die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1-3 VwGO nicht für die Fälle der §§ 80 und 80 a VwGO, also insbesondere nicht für die Anfechtung von Verwaltungsakten, soweit es um die vorläufige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts geht. Denn gegen den gegenüber dem Beigeladenen erlassenen Bescheid vom 1. August 2016 wäre allenfalls ein Widerspruch nach § 80 Abs. 1 VwGO die richtige Rechtsschutzform und sollte sich die Behörde weigern, eine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 1 VwGO anzuerkennen, käme ein gerichtlicher Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs analog § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht.

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Der Antragsteller hat allerdings selbst gar nicht vorgetragen, dass er für die Gemeinde E-Stadt Widerspruch bei dem Antragsgegner gegen die Waldumwandlungsgenehmigung vom 1. August 2016 eingelegt hat. Nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO ist für das gerichtliche Verständnis eines Antrags allerdings das inhaltliche Klage- bzw. Antragsbegehren maßgeblich und nicht zwangsläufig allein der formulierte Antrag, auch wenn letzterer regelmäßig ein erhebliches Moment zur Bestimmung des Begehrens ist. Nach dem verfassungsrechtlichen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes als Auslegungshilfe ist im Zweifel zugunsten des Rechtsschutzsuchenden anzunehmen, dass er den in der Sache in Betracht kommenden Rechtsbehelf einlegen wollte, wobei Voraussetzung ist, dass dies dem erkennbaren Rechtsschutzziel entspricht und die entsprechende Auslegung vom Rechtsschutzsuchenden nicht bewusst ausgeschlossen wurde (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2001 – 8 C 17/01 –, BVerwGE 115, 302-312, Rn. 40).

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Selbst wenn die Kammer danach davon ausgeht, dass ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 1. August 2016 gestellt werden sollte und unterstellt wird, dass ein Widerspruch bei dem Antragsgegner erhoben worden ist, wäre ein so verstandener Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid vom 1. August 2016 – unabhängig von der Frage, ob ein Widerspruch für die Gemeinde über ein Jahr nach Erlass des Bescheides vom 1. August 2016, über den seinerzeit in der Lokalpresse ausführlich berichtet wurde, überhaupt noch zulässig wäre – bereits aus dem Grunde unzulässig, da es der Gemeinde E-Stadt, für die der Antragsteller handelt, insoweit an einer Antragsbefugnis mangelt.

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Einen Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs kann ebenso wie einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs nur stellen, wer antragsbefugt ist. Der Antragsteller erstrebt die Aufhebung der gegenüber dem Beigeladenen erteilten Waldumwandlungsgenehmigung. Im Verfahren der Hauptsache wäre demnach eine Anfechtungsklage statthaft, für die die Regelungen der Klagebefugnis in § 42 Abs. 2 VwGO, wonach die Klage nur zulässig ist, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein, gelten. Nach § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO zielen Klage- und Antragsverfahren auf die Geltendmachung von Individualrechtsschutz. Eilrechtsschutz kann nur beanspruchen, wer im Verfahren der Hauptsache klagebefugt wäre. Dies ist bei der Gemeinde E-Stadt, für die der Antragsteller handelt, nicht der Fall.

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Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass für die rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs die Anwendung von Rechtsvorschriften in Betracht kommt, die zumindest auch dem Schutz der Interessen von Personen in der rechtlichen Situation, in der sich der Antragsteller befindet, zu dienen bestimmt sind und zumindest die konkrete Möglichkeit besteht, dass angesichts der zur Begründung vorgetragenen oder sonst in Betracht kommenden Tatsachen Rechte des Antragstellers verletzt werden. Eine Gemeinde ist im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht befugt, als Sachwalterin von Rechten Dritter bzw. des Gemeinwohls Belange ihrer Bürger, wie Lärmschutzinteressen oder den Schutz vor visuellen Beeinträchtigungen, geltend zu machen oder die Unvereinbarkeit des Vorhabens mit den Belangen von Natur und Landschaft gerichtlich überprüfen zu lassen. Dies gilt auch für eine einem Dritten erteilte Waldumwandlungsgenehmigung. Ein Klagerecht und damit Antragsrecht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren steht ihr nur im Hinblick auf ihre eigenen Rechte und schutzwürdigen Belange zu. Die gemeindliche Planungshoheit vermittelt nach ständiger Rechtsprechung eine wehrfähige Rechtsposition gegen fremde Fachplanungen und Maßnahmen auf dem eigenen Gemeindegebiet, wenn das Vorhaben nachhaltig eine bestimmte Planung der Gemeinde stört oder wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder gemeindliche Einrichtungen erheblich beeinträchtigt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - 9 VR 6.03 - juris Rn. 17 und Urteil vom 6. November 2013 - 9 A 9.12 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 165 Rn. 19; BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 – 9 A 8/15 –, Rn. 14, juris). Abwehransprüche können der Gemeinde aus dem in den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG fallenden so genannten Selbstgestaltungsrecht dann erwachsen, wenn die Gemeinde durch Maßnahmen betroffen wird, die das Ortsbild entscheidend prägen und hierdurch nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2012 – 9 A 35/10 –, Rn. 36, juris). Die Planungshoheit umfasst damit das Recht der Gemeinde, das örtliche Gepräge und die örtlichen Strukturen jedenfalls im Kern selbst zu bestimmen und grundlegende Veränderungen insoweit abzulehnen. Sie schützt die Gemeinde vor planerischen Maßnahmen, die die bestehenden Planungen oder hinreichend konkreten planerische Vorstellungen derselben nachhaltig beeinträchtigen oder unabhängig davon jedenfalls unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art für die klagende Gemeinde haben (Urteil der Kammer vom 04. Juli 2017 – 1 A 6/16 –, Rn. 63, juris).

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Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass durch die beabsichtigte Waldumwandlung nachhaltig bestimmte Planungen der Gemeinde gestört werden oder dass wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung dadurch entzogen würden. Es ist auch weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die nur etwa 2 ha der Gemeindefläche betreffende Maßnahme der Waldumwandlung nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken könnte; dazu ist der betroffene Bereich erheblich zu klein. Es ist auch nicht erkennbar, dass die für eine Waldumwandlung maßgebende Vorschrift des § 9 Landeswaldgesetz (LWaldG) im vorliegenden Zusammenhang andere subjektive Rechte für die Gemeinde begründen könnte. Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 LWaldG ist die Umwandlungsgenehmigung zu versagen, wenn die Erhaltung des Waldes im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt. Dies zeigt, dass durch eine Waldumwandlungsgenehmigung in aller Regel nicht Rechte Dritter berührt werden, etwas anderes könnte möglicherweise bei einer Gefährdung benachbarten Waldes (§ 9 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 LWaldG) gelten. Die neue Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 3 LWaldG, wonach die Umwandlung von Wald zur Errichtung von Windenergieanlagen mit einer Höhe von mehr als 10 m unzulässig ist, betont das öffentliche Interesse an der Walderhaltung gegenüber einem Interesse an der Errichtung von Windenergieanlagen, begründet jedoch keine subjektiven Rechte Dritter oder der Gemeinde.

8

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch im Übrigen unzulässig. Der Antragsteller hat wörtlich im einstweiligen Anordnungsverfahren die Aufhebung des Bescheides vom 1. August 2017 (gemeint ist der 1. August 2016) in Gestalt des Widerspruchsbescheides beantragt. Es gibt jedoch gegenüber dem Bescheid vom 1. August 2016 keinen gegenüber dem Beigeladenen erlassenen Widerspruchsbescheid. Der erlassenen Widerspruchsbescheid betrifft ein anderes Verwaltungsverfahren, nämlich ein Verfahren auf Rücknahme der Waldumwandlungsgenehmigung nach § 116 LVwG. Soweit der Antragsteller insoweit eine Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erstreben sollte, die Waldumwandlungsgenehmigung in vollem Umfang zurückzunehmen, wäre dieser Antrag ebenfalls unzulässig. Die Zulässigkeit eines entsprechenden gerichtlichen Antrages setzt grundsätzlich einen vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme der von der Behörde geforderten Handlung, hier eines Verwaltungsakts, voraus, da es wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit der Sache zu befassen (BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 – 5 C 11.94 – BVerwGE 99, 158,160 und vom 28. November 2007 – 6 C 42/06 – BVerwGE 130, 39, 46). Liegt kein gegenüber der Behörde gestellter Antrag vor, so fehlt es an einer Sachurteilsvoraussetzung; dies gilt sowohl für das Klageverfahren als auch für das vorläufige Rechtsschutzverfahren. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass er zuvor bei dem Antragsgegner einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Im Übrigen mangelt es jedoch auch im einstweiligen Anordnungsverfahren an der erforderlichen Antragsbefugnis, da die Gemeinde nicht geltend machen kann, durch eine unterlassene (vollständige) Rücknahme der Waldumwandlungsgenehmigung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht hat aus Gründen der Billigkeit davon abgesehen, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, da der Antrag wegen der besonderen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung des Beigeladenen abgelehnt worden ist und er deshalb keinen eigenen Antrag stellen und damit auch das Risiko einer Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VwGO nicht eingehen konnte.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 2 GKG.


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