Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 1/18

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Ablehnung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sowie gegen eine Abschiebungsandrohung.

2

Der Antragsteller wurde am …. April 1987 in B-Stadt als Sohn einer jugoslawischen Staatsangehörigen (heutige Staatsangehörigkeit: Bosnien-Herzegowina) und eines türkischen Staatsangehörigen geboren. Er besitzt die türkische Staatsangehörigkeit und hat einen türkischen Pass; über die von ihm behauptete Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina liegen keine Urkunden vor. Die Eltern haben 1991 geheiratet und sind seit 2007 geschieden.

3

Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller in der Vergangenheit zunächst fortlaufend befristete Aufenthaltserlaubnisse. Der Antragsteller beantragte am 23. Mai 2003 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 6. November 2003 wurde der Antragsteller wegen Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Bedrohung jugendrichterlich verwarnt und ihm die Weisung erteilt, mehrere Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller am 13. November 2003 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die später als Niederlassungserlaubnis in den türkischen Reisepass des Antragstellers eingetragen wurde. Der Vater des Klägers wurde im Jahre 2007 nach einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags aus Deutschland ausgewiesen und in die Türkei abgeschoben. Der Vater hatte versucht, mit einer halbautomatischen Pistole einen anderen Menschen zu erschießen. Das Amtsgericht B-Stadt erließ im Jahre 2008 gegen den Antragsteller insgesamt 3 Strafbefehle mit Geldstrafen wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz sowie Gebrauchs einer unechten Urkunde (gefälschter dänischer Führerschein) im Rechtsverkehr und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

4

Der Antragsteller wurde am 28. Mai 2008 wegen eines gemeinschaftlich mit einem Mittäter begangenen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Haft genommen und mit Urteil des Landgerichts Münster vom 25. September 2009 wegen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt.

5

Die Antragsgegnerin teilte nach einer Anhörung des Antragstellers wegen einer beabsichtigten Ausweisung ihm mit Schreiben vom 5. November 2009 mit, dass sie ihm vorschlage, eine Ausweisung zu akzeptieren. Dies hätte zur Folge, dass die erteilte Niederlassungserlaubnis erlösche. Der Antragsteller würde für die Dauer der Inhaftierung eine Duldung nach dem AufenthG auf der Grundlage des Art. 8 EMRK erhalten. Mit der Entlassung aus der Haft erhalte der Antragsteller einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. 7 Jahre nach der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 könne der Antragsteller erneut eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG erhalten. Alle diese Maßnahmen ständen unter dem Vorbehalt, dass der Antragsteller sich straffrei in Deutschland aufhalte. Die Titel würden mit der auflösenden Bedingung versehen, dass die Aufenthaltserlaubnis erlösche, sofern im Falle des Antragstellers eine Anklage wegen einer Straftat erhoben werde, die nicht lediglich eine Bagatelle wäre. Dieses Schreiben ist dem Antragsteller am 10. November 2009 in der Justizvollzugsanstalt Neumünster förmlich durch Postzustellungsurkunde zugestellt worden.

6

Nach einem Vermerk der Antragsgegnerin vom 19. November 2009 sei die Sache mit Rechtsanwalt ... (offenbar telefonisch) besprochen worden. Er möchte noch ein aktuell offenes Strafverfahren abwarten und habe um die Aufnahme einer Ergänzung gebeten. Rechtsanwalt ... teilte mit Schreiben vom 1. Februar 2010, "zurückkommend auf unser Telefonat im vergangenen Jahr und auf den dortigen Verfahrensvorschlag v. 5.11.2009" mit, dass zwischenzeitlich ein anderes Verfahren gegen den Antragsteller eingestellt worden sei. Ob noch mit einer Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu rechnen sei, sei ihm nicht bekannt. Dies vorbehaltend und vorausgeschickt teile er mit, dass der Antragsteller den entgegenkommenden Vorschlag der Antragsgegnerin voraussichtlich anzunehmen gedenke. Allerdings habe er noch Fragen, ob der Antragsteller während der Dauer der Duldung eine Arbeitserlaubnis erhalte und die Möglichkeit von Auslandsaufenthalten gegeben sei. Nach einem Vermerk der Antragsgegnerin vom 2. Februar 2010 seien die letztgenannten Fragen mit Rechtsanwalt ... telefonisch erörtert und geklärt worden. Rechtsanwalt ... legte keine schriftliche Vollmacht des Antragstellers für das Verwaltungsverfahren vor.

7

Die Antragsgegnerin wies den Antragsteller mit Bescheid vom 4. Februar 2010 mit unbefristeter Wirkung aus dem Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes aus. Die Antragsgegnerin bestimmte weiter, dass der Antragsteller für die Dauer der Inhaftierung eine Duldung auf Grundlage des Art. 8 EMRK erhalte und mit dem Datum der Entlassung aus der Haft auf Bewährung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werde. Mit der Haftentlassung werde der Antragsteller ein Vollerwerbsrecht erhalten und er könne mit dem Titel gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG ins Ausland reisen. Die schriftliche Verfügung wurde Rechtsanwalt ... nach einem Vermerk der Antragsgegnerin und einem Faxausdruck, der nur die abgehende Faxnummer enthält, per Telefax bekanntgegeben, weitere Zustellungsnachweise dazu enthält die Akte nicht. Nach einem Vermerk der Antragsgegnerin vom 2. März 2010 über ein Telefonat mit Rechtsanwalt ... werde kein Rechtsmittel eingelegt.

8

Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller nach der Haftentlassung am 9. Dezember 2010 eine zunächst bis zum 28. September 2011 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit dem Vermerk: "Erlischt bei erneuter Klageerhebung wegen einer Straftat, die nicht lediglich mit einer Höchststrafe von 3 Jahren belegt wird." Die Antragsgegnerin verlängerte diese Aufenthaltserlaubnis am 21. Dezember 2012 mit einer Befristung bis zum 20. Februar 2014. Diese Aufenthaltserlaubnis enthält den Zusatz: "Erlischt bei rechtskräftiger Verurteilung zu mehr als 3 Jahren."

9

Die Antragsgegnerin erhielt im August 2013 davon Kenntnis, dass gegen den Antragsteller Anklage wegen versuchten Diebstahls und Sachbeschädigung erhoben worden ist, nach dem Inhalt der Anklageschrift soll er gemeinschaftlich mit einem Mittäter am 16. Mai 2013 versucht haben, in die Geschäftsräume eines Ladens in der Kieler Innenstadt einzubrechen. Dort habe einer der Angeschuldigten mit einem mitgeführten Kuhfuß eine ca. 1 cm starke Sicherheitsglastüre des Hintereingangs zerschlagen, die Täter seien jedoch entdeckt worden. Im Oktober 2013 erhielt die Antragsgegnerin von einer weiteren Anklageschrift gegen den Antragsteller Kenntnis, wonach er Beihilfe zu einer räuberischen Erpressung geleistet haben solle. Der Geschädigte sei laut Anklageschrift seit dem 18. Januar 2013 für den Sicherheitsdienst in einem Diskothekenzentrum in B-Stadt verantwortlich gewesen. Die bisherigen Türsteher, die der Rockergruppe der Scorpions zuzurechnen seien sowie die Angeschuldigten hätten den Plan verfolgt, den Verlust der bisherigen Arbeitsplätze durch Forderungen an den Geschädigten zu kompensieren. Spätestens am 23. Mai 2013 habe der Präsident der Scorpions den Plan gefasst, durch Bedrohungen des Geschädigten auch mit Leibes- bzw. Lebensgefahr diesen dazu zu zwingen, entweder den Sicherheitsdienst wieder an die Gruppierung zu übergeben oder Geldzahlungen zu leisten. Der Antragsteller habe beschlossen, dessen Vorhaben zu unterstützen. Bei dem in türkischer Sprache geführten Gespräch mit den Geschädigten habe der Antragsteller verabredungsgemäß ein kleines Stück entfernt gestanden und eine bedrohliche Haltung eingenommen.

10

Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller am 25. Februar 2014 eine zunächst bis zum 24. August 2014 gültige Fiktionsbescheinigung. Diese enthält die Nebenbestimmung, dass die Erwerbstätigkeit gestattet sei und die Aufenthaltserlaubnis erlösche für den Fall der Erhebung einer öffentlichen Anklage wegen einer Straftat, welche nicht lediglich mit einer Höchststrafe von 3 Jahren Freiheitsstrafe belegt sei. Ob der Antragsteller noch vor Ablauf der bisherigen Aufenthaltserlaubnis am 20. Februar 2014 einen Verlängerungsantrag gestellt hat, lässt sich der Akte der Antragsgegnerin nicht entnehmen, es finden sich dort keine Hinweise darauf, wann die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragt wurde.

11

Der Antragsteller wurde am 17. August 2014 in Untersuchungshaft genommen.

12

Das Landgericht B-Stadt verurteilte den Antragsteller mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 24. März 2015 wegen eines versuchten Diebstahls in Tateinheit mit einer Sachbeschädigung, wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung und wegen eines versuchten Totschlags in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten. Das Landgericht ordnete weiter die Unterbringung des Antragstellers in einer Entziehungsanstalt an und bestimmte, dass ein Teil der Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten vor dieser Maßregel zu vollziehen sei.

13

In den tatsächlichen Feststellungen des Urteils heißt es, dass der Antragsteller von 1993-1997 die Grundschule besucht habe, wo er schnell durch Verspätungen und komplette Fehlzeiten, durch die unvollständig und fehlerhafte Erledigung der Hausaufgaben sowie durch ein rücksichtsloses und brutales Verhalten gegenüber Mitschülern auffällig geworden sei. Von 1998-2003 habe er sodann eine Förderschule besucht, die er nach dem Ende der Zeit seiner Schulpflicht mit einem Abgangszeugnis verlassen habe, ohne einen regulären Schulabschluss erlangt zu haben. Während seiner Schulzeit sei im Hinblick auf die beschriebenen Auffälligkeiten bereits im Juni 1997 eine Betreuung durch eine studentische sozialpädagogische Lernhilfe veranlasst worden, die allerdings nicht zu einer erkennbaren Veränderung geführt habe. Von Mai 1998 bis zum April 2000 sei sodann an jeweils 3 Nachmittagen pro Woche eine sozialpädagogische Betreuung des Antragstellers in einer Tagesgruppe erfolgt. Auch diese Maßnahme sei wieder abgebrochen worden. Nachdem am 20. Februar 2000 der älteste Halbbruder des Antragstellers an einer Überdosis Heroin verstorben sei, sei für den Antragsteller im November 2000 dann schließlich noch eine Erziehungsbeistandschaft eingerichtet worden, die im Juli 2001 ihr Ende gefunden habe, da weder der Antragsteller noch seine Eltern sich kooperationsbereit gezeigt hätten. Nachdem der Antragsteller die Schule ca. 2003 verlassen habe, habe er neben Zeiten der Arbeitslosigkeit verschiedene Fördermaßnahmen sowie ein Praktikum als Kellner durchlaufen und sei im Übrigen Aushilfstätigkeiten nachgegangen. Es sei ihm jedoch nicht gelungen, auf Dauer beruflich Fuß zu fassen. Bereits damals wie auch danach habe der Antragsteller Drogen in Gestalt von Cannabisprodukten konsumiert und mit Kokain gehandelt. Zudem habe er dem Alkohol zugesprochen. Der Antragsteller habe seinen Vater nach dessen Abschiebung nur ein einziges Mal anlässlich eines Urlaubs in der Türkei im Jahre 2014 wieder gesehen.

14

Der Antragsteller habe sich im Jahre 2011 der Rockergruppe der Scorpions in B-Stadt angeschlossen, um in der Folge im Rahmen dieser Gruppierung Alkohol und Drogen zu konsumieren, Gewalttaten insbesondere gegen konkurrierende Rockergruppen zu verüben und viel Sex mit Frauen zu haben. Er habe seinen Alkoholkonsum gesteigert. Darüber hinaus habe er zunehmend Drogen in Form von Cannabisprodukten und Kokain konsumiert. Seinem Wunsch, mit dem Kokainkonsum aufzuhören, habe er nicht umsetzen können, da es ihm ohne die Drogen schlecht gegangen sei. Auch in der Untersuchungshaft habe er noch weiter Cannabisprodukte konsumiert, da er unter Entzugserscheinungen gelitten habe und sich von dem Anstaltsarzt mit seiner Suchtproblematik alleingelassen gefühlt habe.

15

Der Antragsteller habe zu dem versuchten Einbruch in ein Ladengeschäft angegeben, ca. 3 Stunden zuvor Kokain, Speed, „Gras“ und Heroin in einer nicht spezifizierten Menge sowie eine Tablette Viagra konsumiert zu haben. Auf den die Blutprobenentnahmen durchführenden Arzt habe er dabei nur leicht beeinflusst gewirkt, motorische oder sonstige Unsicherheiten habe er nicht erkennen lassen. Eine später entnommene Blutprobe habe eine Alkoholkonzentration von 0,83 Promille ausgewiesen.

16

Der Antragsteller habe sich zusammen mit dem Mitangeklagten in der Nacht vom 16. auf den 17. August 2014 zunächst in einer Diskothek in der Bergstraße in B-Stadt aufgehalten, wo er eine unbekannte Menge Whiskey mit Cola konsumiert habe. Der Antragsteller habe den Mitangeklagten in den frühen Morgenstunden des 17. August 2014 überredet, ihn noch zur Kieler Küste zu begleiten, um dort weitere Gaststätten zu besuchen. Nach dem Besuch einer Gaststätte mit weiterem Alkoholkonsum hätten der Antragsteller und der Mitangeklagte die Gaststätte „…….“ aufgesucht. Der Antragsteller habe im Rahmen eines Konflikts mit einem anderen Gast in der Gaststätte zuvor schon einmal ein Messer gezogen, es dann allerdings wieder weggesteckt. Der Antragsteller habe wieder ein Messer bei sich gehabt. Der Antragsteller habe 2 ihm unbekannte Zeugen in der Gaststätte gegrüßt, ein Zeuge habe den Gruß nicht erwidert. Dieser Zeuge L. habe zu verstehen gegeben, dass er dies nicht wolle. Als der Zeuge weitere Gesprächsanbahnungsversuche des Antragstellers zurückgewiesen und deutlich gemacht habe, dass er von diesem in Ruhe gelassen werden wolle, sei der Antragsteller zunehmend aggressiv und immer lauter geworden. 2 Zeuginnen hätten versucht, ihn von dem Zeugen L. wegzuziehen. Eine Mitarbeiterin der Gaststätte habe ihm den Weg versperrt. Daraufhin habe der Antragsteller ihr mit seiner flachen Hand einen kraftvollen Schlag gegen die rechte Schläfe ihres Kopfes versetzt. Ein Zeuge habe eine Schubserei beobachtet, an der auch der Antragsteller und der Zeuge L. beteiligt gewesen seien. Dieser Zeuge habe den Antragsteller aufgefordert, das Messer weg zu stecken. Er habe den Arm des Antragstellers, der das Messer geführt habe gepackt und weggedreht, es sei ihm allerdings nicht gelungen, das Messer abzunehmen. Nachdem er ihn losgelassen habe, sei der Antragsteller auf den Zeugen L. zugegangen und habe 2 heftige Armbewegungen in Richtung des Zeugen L. vollführt, bei denen es sich um Messerstiche gehandelt habe. Der Zeuge L. habe begonnen, infolge der erlittenen Stichverletzungen im Rückenbereich stark zu bluten. Danach habe der Mitangeklagte dem Zeugen L. mehrere wuchtig von oben geführte Schläge gegen dessen Kopf oder Oberkörper versetzt. Danach habe er den bereits am Boden liegenden Zeugen L. mit dem rechten Fuß Tritte gegen den Oberkörper versetzt. Infolge der beiden Messerstiche habe der Zeuge L. am Rücken 2 Hautdurchtrennungen davongetragen. Ein Stich habe die Haut bis zur Brusthöhle durchdrungen, so dass aus der Wunde blubbernd Luft ausgetreten sei. Ob auch der 2. Stich die Brusthöhle eröffnet habe, habe nicht sicher festgestellt werden können. Insgesamt habe der Zeuge L. infolge der Stichverletzungen einen rechtseitigen Hämatopneumothorax nebst einer angrenzenden Minderbelüftung davongetragen, eine diffuse pulmonale Hämorraghie, sowie ein geringes supraphenisches Mediastinalemphysem. Er sei bis zum 24. August 2014 stationär behandelt und noch bis zum 19. September 2014 arbeitsunfähig für seinen Beruf als Polizeibeamter krankgeschrieben worden. Danach sei er noch bis zum 23. Januar 2015 ambulant behandelt worden. Der Tötungsvorsatz des Antragstellers ergebe sich daraus, dass dieser zweimal in einer jeweils potentiell lebensgefährlichen Art und Weise auf den Zeugen eingewirkt und zudem zuvor bereits damit gedroht habe, den Zeugen abzustechen.

17

Das Landgericht B-Stadt konnte nicht ausschließen, dass der Antragsteller diese Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen hat. Zur Begründung führte es aus, nach den überzeugenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. YYY habe der Antragsteller mit einem Intelligenzquotienten zwischen 83 und 87 leicht unterdurchschnittliche Werte, die von einem Schwachsinn weit entfernt seien. Der Antragsteller habe zur Tatzeit unter Alkoholeinfluss gestanden. Es sei eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,88 Promille für den Tatzeitpunkt ermittelt worden. Der Antragsteller habe keine weitergehenden alkoholtypischen Ausfallerscheinungen in sprachlicher oder motorischer Hinsicht aufgewiesen. Bei dem Antragsteller habe sich nach dem Gutachten eine manifeste Borderline-Störung herausgebildet. Der Antragsteller sei bereits im Jahre 2012 von einem Sachverständigen als unreife Persönlichkeit mit einem großen Geltungsbedürfnis beschrieben worden, der Leistungsanforderungen gegenüber ablehnend reagiere, in den Tag hineinlebe, impulsiv zu einem Schwarz-Weiß-Denken neige. Mittlerweile müsse der Antragsteller, der seine emotionale Instabilität in störungstypischer Weise mittels des Konsums von Alkohol und Drogen zu kompensieren versuche, als emotional verwahrlost angesehen werden. Aus Sicht des Sachverständigen sei inzwischen die Diagnose einer manifesten Persönlichkeitsstörung gerechtfertigt. Die Tat finde ihre Erklärung gerade in der kombinierten Wirkung der persönlichkeitsbedingten emotionalen Labilität des Antragstellers, seiner akuten und ihn enthemmenden Alkoholisierung und seiner die Tat letztlich auslösenden affektiven Erregung. Der Antragsteller sei eine leicht irritierbare Persönlichkeit, die nach einer langen Nacht und ausgeprägtem Alkoholkonsum eine Zurückweisung erfahren habe, die der Antragsteller als Kränkung verarbeitet habe und die bei ihm zu einem Anstieg seines Erregungszustandes und über die Tat sodann zu einer Aggressionsabfuhr geführt habe. In dieser Phase sei er in seinen Steuerungsmöglichkeiten so stark eingeengt gewesen, dass eine Annahme einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit bei einer vollständig erhaltenen Unrechtseinsichtsfähigkeit aus sachverständiger Sicht positiv anzunehmen sei.

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Die Justizvollzugsanstalt A-Stadt teilte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 1. Juni 2017 mit, dass der Antragsteller sich vom 17. August 2014 bis zum 16. Juni 2015 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Neumünster befunden habe. Er sei am 25. Juni 2015 in die Fachklinik Schleswig verlegt worden. Mit Beschluss des Landgerichts B-Stadt vom 20. Juli 2016 sei die Maßregel für erledigt erklärt und der Antragsteller am 4. August 2016 dem Strafvollzug zugeführt worden. Der Therapieverlauf im Maßregelvollzug sei nicht ohne Beanstandungen verlaufen. So hätten sich insgesamt 3 internetfähige Medien im Besitz des Antragstellers befunden. Auch die Einstellung zur Therapie habe sich durch eine ablehnende Haltung ausgezeichnet. Dies habe von negativen Äußerungen über die Therapie und Therapeuten bis hin zu subkulturellen Aktivitäten (unerlaubte Geschäfte) gereicht. Eine Fortsetzung der Therapie sei nicht erfolgversprechend erschienen, so dass der Erledigungsbeschluss erfolgt sei. Aus Sicht des hiesigen psychologischen Dienstes weise der Antragsteller sowohl eine fehlende Impulskontrolle als auch ein erhebliches Gewaltpotenzial auf. Hierbei sei vor allem der erhebliche Alkoholkonsum von Bedeutung. Als Empfehlung für den Vollzug spreche sich der psychologische Dienst für die Anbindung an den psychologischen Dienst aus, ebenso eine frühzeitige Entlassungsvorbereitung zum Aufbau einer Tagesstruktur. Dazu gehörten die berufliche Eingliederung, der Kontakt zur Familie und das Erlernen angemessener Freizeitaktivitäten. Genauso wichtig erscheine auch der Kontakt zu einer Suchtberatungsstelle zur Bearbeitung seiner Drogen- und Problematik. Der Antragsteller gebe hierzu an, dass er das Suchtproblem im Griff habe, da er bereits seit fast 3 Jahren abstinent sei. Daher habe er auch keinen Kontakt zur Suchtberatung aufgenommen. Hinsichtlich der Anbindung an den psychologischen Dienst sei festzustellen, dass der Antragsteller derzeit seit März 2017 am Anti-Gewalt-Training teilnehme, sowie seit dieser Kalenderwoche an einer Behandlungsgruppe Motivation- und Therapietechniken. Ab dem 6. Juni 2017 solle der Gefangene an einem Kurs für berufliche Grundbildung teilnehmen. Der Antragsteller besitze nach eigenen Angaben die türkische und die bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit. Von seiner Verlobten, nach eigenen Angaben mazedonischer Herkunft, erhalte er regelmäßig Besuch auch in Form von nicht überwachten Langzeitbesuchen. Zu seiner in B-Stadt lebenden Familie habe er nur noch unregelmäßigen Kontakt. Dieser bestehe in Telefonaten und selten Besuchen (zuletzt im Dezember 2016). Er habe dazu angegeben, dass das Verhältnis derzeit sehr schwierig sei. Bei einer Entlassung plane er die Rückkehr nach B-Stadt. Er arbeite auf eine Entlassung zum Zwei-Drittel-Termin hin; dieser sei auf den 26. Mai 2018 vornotiert. Das absolute Strafende liege auf dem 18. April 2020. Der Antragsteller gehe selbst nicht von einer Ausweisung/Abschiebung aus.

19

Die Antragsgegnerin gab dem Antragsteller mit Schreiben vom 13. Juni 2017 Gelegenheit zu einer beabsichtigten Ausweisung Stellung zu nehmen. Der Antragsteller teilte daraufhin mit Schreiben vom 25. Juni 2017 mit, er habe keine Anbindung zur Türkei oder Bosnien, er spreche beide Sprachen nicht, er denke und spreche Deutsch, seine Heimat sei B-Stadt. Seine Eltern seien seit 2007 geschieden, er habe 6 Geschwister, er lebe in B-Stadt mit seiner Mutter und Geschwistern und seiner bosnischen Oma und Tante einschließlich Onkel, Neffen und dem Rest der Familie. Bei einer Abschiebung wäre er somit in der Türkei oder Bosnien der Ausländer. Er nehme keine Drogen mehr, nehme an Resozialisierungsprogrammen sowie Anti-Aggression-Training, Motivationstraining und Drogenberatung teil. Er bedaure seine Straftat zutiefst. Seine Familie und seine Verlobte unterstützten ihn mit aller Kraft. Er verhalte sich im Vollzug tadellos. Zurzeit nehme er an einem Schulvorbereitungskurs teil. Ende des Jahres werde er seine Verlobte heiraten. In 13 Monaten strebe er eine Entwöhnungstherapie nach § 35 Betäubungsmittelgesetz an, dies sei eine vollstationäre Klinik. Nach der Maßnahme beginne er eine Ausbildung als Maler und Lackierer. Er wolle ein friedliches Leben in Deutschland führen.

20

Die Antragsgegnerin erließ gegenüber dem Antragsteller am 5. Dezember 2017 einen Bescheid, der überschrieben ist mit „Eintritt der auflösenden Bedingung/Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis, Ablehnung des Antrages auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, Abschiebungsandrohung, Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland, die Wiedereinreise wird beginnend mit der Ausreise für 5 Jahre untersagt.“

21

In dem verfügenden Teil des Bescheides wird in Ziff. 1 festgestellt, dass die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers durch Eintritt der auflösenden Bedingung mit Erhebung der öffentlichen Anklage zum Landgericht B-Stadt Aktenzeichen 8 Ks 9/14 erloschen ist, unter Ziff. 2 wird der gestellte Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, unter Ziff. 3 wird gemäß § 59 Abs. 5 AufenthG die Abschiebung angeordnet und soll nach Freigabe durch die Staatsanwaltschaft aus der Haft heraus erfolgen, in Ziff. 4 wird der Antragsteller aufgrund §§ 53 Abs. 1, Abs. 2 und 3 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 a AufenthG erneut aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und in Ziff. 5 wird die Wiedereinreise beginnend mit der Ausreise für 5 Jahre untersagt.

22

Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, das Ausweisungsinteresse wiege besonders schwer, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren verurteilt worden sei. Ein Bleibeinteresse ergebe sich daraus, dass der Antragsteller 1987 im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sei und sich seit seiner Geburt hier aufhalte. Zwar wiege in Fällen einer solchen Verwurzelung das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet schwer, aber aufgrund der gravierenden Verletzung von Rechtsgütern und der von ihm ausgehenden schweren Gefahr, überwiege im Falle des Antragstellers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse. Der Antragsteller habe mehrfach schwerwiegende Straftaten begangen und sich mehrfach mit Unterbrechungen in Haft befunden. Er sei man bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, was ihn nicht langfristig beeindruckt habe. Aufgrund der Fülle an begangenen Straftaten sei davon auszugehen, dass er wiederholt straffällig werde. Besonders schützenswerte familiäre Bindungen bestünden nicht, der Antragsteller sei volljährig, nicht verheiratet und habe keine Kinder. Eine wirtschaftliche Integration in der Bundesrepublik Deutschland sei ihm nicht gelungen. Im Heimatland werde er zwar Schwierigkeiten haben, sich einzugewöhnen, er sei aber in einem Alter, in dem er in der Lage sei, beruflich neu zu beginnen. Es könne ihm zugemutet werden, neue Bindungen und Beziehungen in der Türkei aufzubauen und sie dort mit Leben zu erfüllen. Seit der Eheschließung der Eltern im Jahre 1991 besitze der Antragsteller lediglich die türkische Staatsangehörigkeit, bis zum heutigen Tage lägen keine Nachweise für eine Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina vor. Es liege keine Anmeldung zu einer Eheschließung mit der Verlobten vor. Der Ausweisung stehe auch nicht ein Ausweisungsschutz aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei entgegen. Das bisherige Verhalten und die bestehende Wiederholungsgefahr stellten eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Ob und wie lange seine Eltern Arbeitnehmer in Deutschland gewesen seien, sei nicht bekannt und auch nicht vorgetragen worden. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei wegen der Wirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG abzulehnen. Letztendlich wäre die Verlängerung des Aufenthaltstitels im Rahmen des Ermessens auch aus den gleichen Gründen zu versagen, weil der Aufenthalt aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt und gefährdet (§ 5 Abs. 1 Nummer 3 AufenthG).

23

Der Antragsteller legte gegen diesen Bescheid am 8. Dezember 2017 Widerspruch ein und hat am selben Tag um einstweiligen Rechtsschutz und Gewährung von Prozesskostenhilfe nachgesucht. Zur Begründung macht er geltend, dass er zu keinem Zeitpunkt nach Eingang des Verfahrensvorschlages der Antragsgegnerin vom 5. November 2009 seine Zustimmung zum Vorschlag der Antragsgegnerin zur Beschränkung eines Aufenthaltstitels erteilt habe. Die Zustimmung habe auch der damalige Verteidiger, Rechtsanwalt ..., nicht erteilen dürfen, weil dieser allein für die strafrechtliche Angelegenheit und nicht für die ausländerrechtliche Angelegenheit mandatiert gewesen sei. Zudem sei der Bescheid vom 4. Februar 2010 niemals an ihn noch an Rechtsanwalt ... zugestellt worden. Ein Zustellungsnachweis fehle. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem handschriftlichen Vermerk, wonach angeblich keine Rechtsmittel eingelegt werden sollten. Er sei mithin weiter im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Voraussetzungen einer Ausweisung lägen nicht vor. Die Prognose der Antragsgegnerin sei fehlerhaft. Es bestehe gerade nicht die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten. Es stehe vielmehr zu vermuten, dass er aufgrund seiner positiven Prognose vorzeitig aus der Haft entlassen werde. Er habe am 4. August 2017 ein Zertifikat über die Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training erhalten, das er mit großem Engagement im Zeitraum von März 2017 bis August 2017 absolviert habe. Am 25. September 2017 habe er eine weitere Therapiemaßnahme Motivation- und Therapietechniken mit Erfolg beendet. Es bestehe eine positive Prognose für eine Aussetzung der verbleibenden Haftstrafe zur Bewährung. Die Justizvollzugsanstalt habe es jedoch bis heute pflichtwidrig unterlassen, das notwendige Lockerungsgutachten einzuholen, weshalb dies auf gerichtlichem Wege beantragt werde. Er sei faktischer Inländer. Es könne ihm keinesfalls zugemutet werden, in die Türkei abgeschoben zu werden. Der Antragsteller hat eine Bescheinigung der psychosozialen Dienste der AWO vom 19. Dezember 2017 vorgelegt, nach der aufgrund mehrerer Einzelgespräche im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit im Strafvollzug keine Kokainproblematik vorliege. Weitere Gespräche seien nicht erforderlich.

24

Der Antragsteller beantragt,

25

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 8. Dezember 2017 gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Ausreiseaufforderung sowie die Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin vom 5. Dezember 2017 anzuordnen.

26

Die Antragsgegnerin beantragt,

27

den Antrag zurückzuweisen.

28

Das Gericht hat die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 21. Dezember 2017 um Übersendung einer begründeten Antragserwiderung gebeten, diese ist bis heute nicht eingegangen.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

30

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig.

31

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO ist darauf gerichtet, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die in dem Bescheid vom 5. Dezember 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung sowie die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis begehrt.

32

Bezüglich der Abschiebungsandrohung (Überschrift in Verbindung mit Ziffer 3 der Verfügung vom 5. Dezember 2017) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 2 iVm Abs. 5 VwGO statthaft, da der Widerspruch hiergegen nach § 248 Abs. 1 S. 2 LVwG als Maßnahme des Verwaltungsvollzuges kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Der die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis betreffende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zulässig, denn die Ablehnung des Antrags führt zum Verlust einer durch § 81 Abs. 4 AufenthG vorläufig eingeräumten Rechtsposition, denn der bisherige Aufenthaltstitel galt durch den – wahrscheinlich rechtzeitig – gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hat eine belastende Rechtsfolge ausgelöst, die im Sinne von § 80 Abs. 5 VwGO durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung suspendierbar wäre, da der Antragsteller mit der Ablehnung des Antrags vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist.

33

Der Antrag erweist sich jedoch als unbegründet.

34

Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ergeht regelmäßig auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Voll-ziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (wieder-)herzustellen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 06. August 1991 – 4 M 109/91 –, juris Rn. 5).

35

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt hier das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung das private Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung. Die Abschiebungsandrohung erweist sich nämlich ebenso wie die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als offensichtlich rechtmäßig. Es bedarf allerdings für die Durchführung einer Abschiebung noch gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG einer konkreten Bestimmung des Zielstaats der Abschiebung, diese ist in dem Bescheid vom 5. Dezember 2017 noch nicht mit der hinreichenden Bestimmtheit enthalten. Dies berührt jedoch die Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht.

36

Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach §§ 50, 58, 59, AufenthG sind erfüllt. Der Antragsteller ist unabhängig von der verfügten Ausweisung kraft Gesetzes zur Ausreise verpflichtet (§ 50 Abs. 1 AufenthG), weil er einen Aufenthaltstitel nicht mehr besitzt.

37

Der Antragsteller ist insbesondere nicht mehr in Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Denn ein Aufenthaltstitel erlischt nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit der Ausweisung des Ausländers. Widerspruch und Klage lassen nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt. Eine Niederlassungserlaubnis wäre daher spätestens mit der Bekanntgabe des Bescheides vom 5. Dezember 2017 erloschen. Darüber hinaus war die Niederlassungserlaubnis schon durch die mit Bescheid vom 4. Februar 2010 verfügte Ausweisung erloschen. Der Bescheid vom 4. Februar 2010 ist Rechtsanwalt ... bekannt gegeben worden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk über das Gespräch mit Rechtsanwalt ..., an dessen inhaltlicher Richtigkeit zu zweifeln die Kammer keinen Anlass hat. Das Gesetz schreibt zwar für eine Ausweisungsverfügung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die Schriftform vor, es sieht jedoch keine Verpflichtung der Behörde zu einer förmlichen Zustellung vor, so dass die bloße Bekanntgabe genügt. Die Kammer hat auch keinen Zweifel daran, dass Rechtsanwalt ... von dem Antragsteller bevollmächtigt gewesen ist, ihn in dem Verwaltungsverfahren, das zur Ausweisung führte, zu vertreten. Eine Vollmacht wird – soweit sich aus dem Vollmachtsvertrag selbst nichts anderes ergibt – für ein (Verwaltungs-) Verfahren erteilt (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 2 LVwG). Die Vollmacht ist nur auf Verlangen der Behörde schriftlich nachzuweisen (§ 79 Abs. 1 Satz 3 LVwG). Unter Verwaltungsverfahren ist gemäß § 74 LVwG die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf der Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist, zu verstehen. Das Verwaltungsverfahren schließt den Erlass des Verwaltungsaktes ein, woraus folgt, dass das Verwaltungsverfahren bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes dauert, dessen Erlass das Ziel des Verfahrens ist. Ist für das Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt, so soll nach § 79 Abs. 3 LVwG die Behörde sich an ihn wenden. Die Bevollmächtigung für Rechtsanwalt ... lässt sich vorliegend daraus schließen, dass der Antragsteller Rechtsanwalt ... das Anhörungsschreiben vom 5. November 2009, dass an den Antragsteller persönlich in der Justizvollzugsanstalt gerichtet war, übergeben hat und dieser sich daraufhin telefonisch bei der Antragsgegnerin meldete, um den weiteren Verfahrensablauf zu besprechen. Auch in dem Schreiben von Rechtsanwalt ... vom 10. Februar 2010 wird auf dieses Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Ausweisung Bezug genommen. Die Übergabe dieses Schreibens von dem Antragsteller an Rechtsanwalt ... kann nur dann Sinn machen, wenn sich der Rechtsanwalt verantwortlich um die Sache kümmern sollte. Der Antragsteller hat zumindest damit zurechenbar den Rechtsschein einer Bevollmächtigung von Rechtsanwalt ... gesetzt. Es kommt damit nicht darauf an, ob man im Verwaltungsverfahren, wie im gerichtlichen Verfahren eine Vertretungsanzeige eines Rechtsanwalts oder einer Rechtsanwältin für das Entstehen einer (Empfangs)-vollmacht ausreichen lässt. Eine solche Vertretungsanzeige allein könnte schon die Wirkung einer Bevollmächtigung entfalten, wenn keine besonderen Umstände Anlass dazu geben, die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts in Zweifel zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1985 – 9 C 105.84 –, BVerwGE 71, 20 <23 f.>; BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2017 – 8 B 23/16 –, Rn. 13, juris).

38

Die Ausreisepflicht des Antragstellers ist auch vollziehbar (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), weil trotz des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Aufenthaltstitel nach der Ablehnung der Verlängerung durch die Antragsgegnerin nicht mehr nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gilt. Die Abschiebungsandrohung erfüllt die formellen Voraussetzungen nach § 59 AufenthG. Insbesondere bedurfte es gemäß § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG keiner Fristsetzung, da der Antragsteller aus der Haft abgeschoben werden soll. Die Bezeichnung eines Staates als dem Staat, in den abgeschoben werden soll (§ 59 Abs. 2 AufenthG), fehlt jedoch. Weder im Tenor noch in der Überschrift des Bescheides noch in der Begründung wird angeführt, in welchen Zielstaat der Antragsteller abgeschoben werden soll. Dies macht die Abschiebungsandrohung jedoch nicht rechtswidrig. Nach der Sollvorschrift in § 59 Abs. 2 AufenthG erfolgt ein Hinweis auf einen (bestimmten) Abschiebezielstaat „im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung“, um das „vorrangige Abschiebezielland für die vollziehende Behörde eindeutig zu kennzeichnen und möglichst frühzeitig die Prüfung von Abschiebehindernissen bzgl. dieses Staates vorzunehmen“ (BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 – 9 C 42.99 –, BVerwGE 111, 343). Eine fehlende Zielstaatsbestimmung kann subjektive Rechte des Antragstellers nicht verletzen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31. Juli 2008 – 1 LA 48/08 –, Rn. 14, juris). Zur Durchführung einer Abschiebung, etwa in die Türkei, bedürfte es allerdings noch einer vorherigen Bestimmung des Zielstaates der Abschiebung durch die Antragsgegnerin.

39

Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach Ziffer 2 des angegriffenen Bescheids vom 5. Dezember 2017 erweist sich als offensichtlich rechtmäßig, da die in Ziffer 4 des Bescheides verfügte Ausweisung des Antragstellers die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 AufenthG auslöst. Danach darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Dies betrifft demnach auch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Der auch gegen die Ausweisung eingelegte Widerspruch lässt gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt. Wird der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG einer gleichzeitig verfügten Ausweisung abgelehnt, so hat dies zur Folge, dass insoweit auch die Ausweisungsverfügung mittelbar vollzogen wird. Unerlässlich ist es deshalb, um den Anforderungen eines wirksamen Rechtsschutzes des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu genügen, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Ausweisungsverfügung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft wird (BayVGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 – 19 CS 16.2376 –, Rn. 4, juris). Die Ausweisung selbst wiederum erweist sich jedoch vorliegend als offensichtlich rechtmäßig.

40

Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3/16 –, BVerwGE 157, 325-356, Rn. 22). Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3/16 –, BVerwGE 157, 325-356, Rn. 24). Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3/16 –, BVerwGE 157, 325-356, Rn. 25).

41

Nach § 53 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlingsgenie, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Es kommt vorliegend ernsthaft in Betracht, dass der Antragsteller grundsätzlich nach dem genannten Assoziationsabkommen ein Aufenthaltsrecht zusteht, weil er diese Rechtsstellung in seiner Kinder- und Jugendzeit bereits erworben haben könnte. Der Erwerb der Rechtsstellung aus Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/180 durch ein Kind eines türkischen Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehört und dass das Kind bei diesem seit mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hat. Diese beiden Voraussetzungen müssen gleichzeitig vorliegen. Der Arbeitnehmer muss demnach zumindest während der dreijährigen Dauer des Zusammenlebens mit dem Kind die Voraussetzungen der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt erfüllt haben (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 4. Dezember 2009 – 7 A 10881/09 –, juris Rn. 27; EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – C-337/07 –, juris Rn. 33 u. 37). Es kommt ernsthaft in Betracht, dass etwa der Vater des Antragstellers vor seiner Ausweisung berechtigter Arbeitnehmer in diesem Sinne gewesen ist und über den genannten Zeitraum mit dem Antragsteller zusammengelebt hat. Eine abschließende Klärung müsste gegebenenfalls im Verfahren der Hauptsache erfolgen. Die Kammer unterstellt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zugunsten des Antragstellers, dass grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen für ihn gegeben ist. § 53 Abs. 3 AufenthG stellt verschärfte Anforderungen an die Ausweisung des dort genannten privilegierten Personenkreises. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – C-371/08 –, Rn. 79, 86). Nach Art. 12 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt (Abs.1), die Verfügung darf nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen (Abs. 2) und bevor sie gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes: a) Dauer des Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet, b) Alter der betreffenden Person, c) Folgen für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen, d) Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat.

42

Der Gesetzgeber hat den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3/16 –, BVerwGE 157, 325-356, Rn. 46). Der mit der grundlegenden Neuregelung des Ausweisungsrechts einhergehende Systemwechsel von einer Ermessensausweisung zu einer gebundenen, am Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu messenden Abwägungsentscheidung beinhaltet bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung im Sinne der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80.

43

Der Antragsteller dürfte danach nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Abwägung der widerstreitenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist, d.h. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt.

44

Vorliegend sind diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Bei der Prüfung, ob das persönliche Verhalten des Antragstellers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ist zu berücksichtigen, dass § 53 Abs. 3 AufenthG wegen der Bezugnahme auf das „persönliche Verhalten“ eine Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen erlaubt. Das persönliche Verhalten des Antragstellers betrifft vorliegend ein überragend wichtiges Interesse der Gesellschaft. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr gegen Leib und Leben von anderen Personen nicht auf andere Weise gleich wirksam begegnet werden kann als durch die Beendigung des Aufenthalts. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (EuGH, Urteil vom 23. November 2010 – Tsakouridis, C-145/9 – juris Rn. 45 ff.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. Dezember 2015 – 10 ZB 15.1394 –, Rn. 7, juris auch zu Betäubungsmitteldelikten). Das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu erfüllende Erfordernis einer gegenwärtigen "konkreten Gefährdung" der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – C-371/98 –, Rn. 84) bedeutet, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht allein auf vergangenes strafbares Verhalten gestützt werden dürfen, sondern gegenwärtig noch eine konkrete Bedrohung für hochrangige Rechtsgüter ausgehen muss. Eine "konkrete Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts wird damit nicht gefordert (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2017 – 1 VR 7/17 –, Rn. 45, juris). Es ist nicht erforderlich, mit der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose bis zum Zeitpunkt der Haftentlassung – etwa nach Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung oder nach Vollstreckung der gesamten Strafe – abzuwarten. Dass sich jemand ohne konkrete Aussicht auf eine bevorstehende Entlassung in Haft befindet, schließt nicht aus, dass sein Verhalten eine gegenwärtige, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr im Sinn des hier anwendbaren § 53 Abs. 3 AufenthG bilden kann, weil dieser Umstand keinen Bezug zu seinem persönlichen Verhalten hat (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27. Oktober 2017 – 10 ZB 17.993 –, juris).

45

Anlass der Ausweisung ist die Verurteilung des Antragstellers durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 24. März 2015 wegen eines versuchten Diebstahls in Tateinheit mit einer Sachbeschädigung, wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung und wegen eines versuchten Totschlags in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten.

46

Eine ausweisungsrechtlich erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit geht von dem Antragsteller auch gegenwärtig noch aus.

47

Jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose liegt nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Das bedeutet nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB über eine Aussetzung der Vollstreckung einer Reststrafe sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus (BVerwG, Urteile vom 28. Januar 1997 - 1 C 17.94 -, Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 S. 41; vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <193> m.w.N. und zuletzt vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 -, Rn. 23). Im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren geht es um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zugrunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer einer möglichen Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Betroffenen während der Haft und nach einer etwaigen vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Maßgeblich ist jedoch, ob der Täter auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während einer möglichen Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2013 – 1 C 10/12 –, Rn. 21, juris).

48

Vorliegend geht es insbesondere um schwerwiegende Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, insgesamt also um ein sehr hochrangiges Rechtsgut, daneben auch die Rechtsgüter des Eigentums und des Vermögens. Bei dem Antragsteller sprechen die Art und Weise insbesondere der zuletzt begangenen Tatausführung sowie die bereits im Alter von 16 Jahren (2003) begonnene und in den nachfolgenden 11 Jahren bis zur letzten Tat erhebliche strafrechtliche Auffälligkeit dagegen, dass eine Wiederholungsgefahr im aufenthaltsrechtlichen Sinn nicht mehr besteht. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch der Umstand, dass der Antragsteller im Jahr 2009 bereits einmal zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt worden ist, die er teilweise verbüßt hat. Die Strafaussetzung zur Bewährung hat er durch die erneute Tat verwirkt; der Antragsteller hat sich mithin auch durch diese Strafhaft nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen.

49

Eine solche Wiederholungsgefahr wird auch nicht durch die geschilderten Anhaltspunkte für eine positive Entwicklung des Antragstellers entkräftet. Zwar hat er nunmehr in der Strafhaft im letzten Jahr 2017 an einem Anti-Gewalttraining sowie einer Behandlungsgruppe „Motivations-und Therapietechniken“ und an einem Kurs „berufliche Grundbildung“ teilgenommen. Nach Aussage des psychologischen Dienstes der JVA A-Stadt über die Teilnahme an dem Motivationskurs bleibe jedoch eine ausreichende Verfestigung der Inhalte zweifelhaft.

50

Entscheidend gegen eine Entkräftung der Wiederholungsgefahr spricht jedoch insbesondere, dass der Antragsteller sich in dem der Strafhaft vorangehenden Maßregelvollzug in der Fachklinik Schleswig als nicht vollständig therapiewillig und –fähig erwiesen hat, sodass diese Maßnahme für erledigt erklärt worden ist. Gerade angesichts der gutachterlichen Feststellungen von Dr. YYY im Verfahren vor dem Landgericht B-Stadt, dass der Antragsteller an einer manifesten Borderline-Störung leide, ist davon auszugehen, dass es einer weitergehenden und grundlegenden Therapiebereitschaft bedürfte, um dauerhaft einer strafrechtlichen Wiederholungsgefahr zu begegnen.

51

Ebenso ist das Vorbringen des Antragstellers, er sei (nunmehr) bereit, sich nach der Haftentlassung einer Entwöhnungstherapie nach § 35 BtMG zu unterziehen, kritisch zu betrachten. Noch in dem Bericht zum Vollzugsverlauf vom 01.06.2017 heißt es hierzu, der Antragsteller habe sich hinsichtlich der Suchtproblematik dahingehend eingelassen, dass er diese „im Griff“ habe, seit 3 Jahren abstinent lebe und deshalb keinen Kontakt zur Suchtberatung aufgenommen habe. Angesichts der Ausführungen des landgerichtlichen Urteils vom 24.03.2015 (Bl. 85 UA), der Antragsteller habe gegenüber dem Sachverständigen Dr. YYY angegeben, er habe den Drogenkonsum auch während der aktuellen Inhaftierung weiter fortgesetzt, erscheint die Angabe zur Drogenabstinenz fragwürdig. Der Sachverständige Dr. YYY hat hierzu festgestellt, dass der Antragsteller der Drogenproblematik hilf- und ideenlos gegenüberstehe und in einem passiven Warten darauf verharre, dass er diesbezüglich Hilfe von dritter Seite erfahre. Ein Kontakt zur Suchtberatung wurde demgegenüber vom Antragsteller gerade nicht aufgenommen. Vielmehr lässt dieser Verlauf den Schluss zu, dass beim Antragsteller weiterhin keine Einsichtsfähigkeit in die bei ihm bestehenden psychosozialen und emotionalen Grundprobleme vorhanden ist, die jedoch eine Voraussetzung für eine durchgreifende persönliche Stabilisierung und Verhaltensänderung wäre.

52

Auch das Vorbringen des Antragstellers im Widerspruchsverfahren, er habe sich im Rahmen des Strafvollzugs tadellos verhalten, dringt nicht durch. Zum einen ist ein solches Verhalten grundsätzlich den Bedingungen des Strafvollzugs geschuldet, ohne dass hieraus Schlussfolgerungen auf eine grundlegende Verhaltensänderung unter den Bedingungen der Freiheit gezogen werden können.

53

Auch soweit der Antragsteller geltend macht, eine Wiederholungsgefahr werde durch die zu erwartenden persönlichen Lebensumstände nach der Haftentlassung nicht zu befürchten sein – er werde seine mazedonische Verlobte heiraten, eine Ausbildung beginnen und eine Entwöhnungstherapie machen - kann dieses Vorbringen nicht überzeugen.

54

Zwar hat der sogenannte Erwartungsraum nach der Entlassung aus der Haft in aller Regel Einfluss auf die Wiederholungsgefahr. Diese im Raum stehende Reduzierung der Wiederholungswahrscheinlichkeit reicht jedoch angesichts des Wertes der in Gefahr stehenden Rechtsgüter, insbesondere der körperlichen Unversehrtheit, nicht aus, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verneinen. Das familiäre Umfeld des Antragstellers hat es bislang nicht bewirken können, den Antragsteller von Straftaten abzuhalten; der Lebenslauf des Antragstellers ist seit dem 16. Lebensjahr erheblich durch die fortlaufende Begehung von Straftaten geprägt gewesen. Von einem gesicherten familiären Umfeld kann nicht ausgegangen werden; nach dem Vollzugsbericht hat der Antragsteller nur noch sporadischen Kontakt zu seiner Familie, der letzte Besuch fand im Dezember 2016 statt. Der Antragsteller hat selbst hierzu angegeben, dass das Verhältnis zu seiner Familie aktuell sehr schwierig sei. Eine Heirat Ende des Jahres (2017), wie sie der Antragsteller in seinem Widerspruchsschreiben angegeben hatte, hat bislang nicht stattgefunden. Insgesamt ist auch derzeit für den Zeitraum nach einer Entlassung von einem instabilen, beruflich und sozial ungesicherten Umfeld auszugehen.

55

Eine ausweisungsrechtlich erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt mithin vor.

56

Bei der sodann vorzunehmenden Abwägung des unerlässlichen Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse verlangt § 53 Abs. 1 AufenthG ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie – in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung – die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in § 53 Abs. 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen.

57

Bei dieser erforderlichen Abwägung ist zu Gunsten des Antragstellers insbesondere in den Blick zu nehmen, dass er seit seiner Geburt in der Bundesrepublik Deutschland lebt und er ausschließlich in Deutschland zur Schule gegangen ist. Seine Mutter und alle 6 Geschwister leben im Bundesgebiet. Der Antragsteller hat bislang mit der Mutter und einigen Geschwistern zusammengelebt. Für den Antragsteller ist seinem Vorbringen zufolge Deutsch die regelmäßig benutzte Umgangssprache. Zu der Türkei besitzt der Antragsteller nur geringe Bindungen; offenkundig lebt dort lediglich als naher Verwandter sein Vater, zu dem indes eine sehr geringe soziale Beziehung besteht.

58

Selbst wenn man vorliegend indes von einer Verwurzelung des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland und einer Entwurzelung im Staat seiner Staatsangehörigkeit, der Türkei, ausgeht und damit insoweit eine besondere Eingriffsintensität annimmt, die zu einem Eingriff in die nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Rechte führt, wäre dieser Eingriff vorliegend gerechtfertigt (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

59

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Bereich des Drogenhandels Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung beteiligt sind, doch hat er in Hinblick auf wegen Drogenkonsums Verurteilte einen anderen Zugang gewählt und hat entscheidend auf das junge Alter, in dem der Beschwerdeführer die Straftaten begangen hat und auf ihre (abgesehen von einer Ausnahme) nicht gewalttätige Natur abgestellt. Bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen einen jugendlichen Straftäter schließt die Verpflichtung zur Beachtung des Kindeswohls auch die Pflicht mit ein, seine Resozialisierung zu erleichtern (EGMR, Urteil vom 23. Juni 2008 – 1638/03 –, juris).

60

Hiervon kann bei dem Antragsteller indes nicht die Rede sein; zwar ist dieser bereits im Alter von 16 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere die Begehung von Drogendelikten (Handel mit Kokain in nicht unerheblicher Menge) ist allerdings im Erwachsenenalter erfolgt.

61

Die weitere Gefahr der Begehung von Straftaten durch den Antragsteller ist danach auch mit Blick auf seine Bindungen an das Bundesgebiet und die fehlenden Bindungen in der Türkei nicht hinzunehmen, die Ausweisung erweist sich trotz des erheblichen Eingriffs in den Rechtskreis des Antragstellers als verhältnismäßig. Der mit der Ausweisung möglicherweise verbundene Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens und des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ist gemessen an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Anforderungen (zu den Kriterien weiter insbesondere EGMR, Urteile vom 18. Oktober 2006 – 46410/99 <Üner> –, NVwZ 2007, 1279 und vom 02. August 2001 – 54273/00 –, InfAuslR 2001, 476; ausführlich Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG Vorb §§ 53-56 Rn. 95 ff.) mit Blick auf die erheblichen vom Aufenthalt des Antragstellers ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt. Der Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten kommt nach der Rechtsprechung des EGMR für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung besondere Bedeutung zu. Die hohe Gefahr der Wiederholung von Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, die in der Vergangenheit auch noch deutlich schwerere Folgen für die Opfer hätten haben können, und von Drogendelikten begründet ein für das Grundinteresse der Gesellschaft unerlässliches Ausweisungsinteresse. Es handelt sich um Straftaten von erheblichem Gewicht und einer ebensolchen Folgenschwere, die von einer Gesellschaft nicht hingenommen werden müssen.

62

Aus den fehlenden Bindungen an den Herkunftsstaat allein folgt nicht, dass eine Ausweisung sich deshalb stets als unverhältnismäßig erweisen würde. Dem Antragsteller muss es angesichts der von ihm ausgehenden Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zugemutet werden, neue Bindungen und Beziehungen in der Türkei aufzubauen und sie dort mit Leben zu erfüllen, sich um Arbeit für den Lebensunterhalt zu bemühen und Sprachkenntnisse aufzubauen oder zu ergänzen. Weiter wesentlich für dieses Abwägungsergebnis ist auch, dass es zwar Bindungen an die Familienangehörigen in Deutschland gibt, jedoch keine Familienangehörigen auf die Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet angewiesen sind. Der Kontakt mit den engeren Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland kann durch Briefverkehr und moderne Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG.

64

Prozesskostenhilfe kann dem Antragsteller nicht bewilligt werden, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166,114 ZPO).

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Rechtsmittelbelehrung

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Gegen die Entscheidung in der Sache und gegen die Kostenentscheidung sowie gegen die Streitwertfestsetzung ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft. Gegen die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe findet lediglich die Beschwerde der Staatskasse statt.

67

Die Beschwerde gegen die Entscheidung in der Sache, gegen die Kostenentscheidung sowie über die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, Brockdorff-Rantzau-Straße 13, 24837 Schleswig einzulegen.

68

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb dieser Frist beim Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht, Brockdorff-Rantzau-Straße 13, 24837 Schleswig eingeht.

69

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen.

70

Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Beschwerde erfolgt, bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht, Brockdorff-Rantzau-Straße 13, 24837 Schleswig einzureichen.

71

Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

72

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 € übersteigt. Sie ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, Brockdorff-Rantzau-Straße 13, 24837 Schleswig einzulegen.

73

Im Beschwerdeverfahren - außer gegen die Streitwertfestsetzung - müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte im Sinne von § 67 VwGO vertreten lassen.

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