Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (4. Kammer) - 4 B 19/18

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der am 15.01.2018 erhobenen Klage (Az.: 4 A 62/18) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2017 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert wird auf 28,97 € festgesetzt.

Gründe

1

Der am 15.01.2018 beim Verwaltungsgericht Hamburg sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der am selben Tag bei Gericht eingegangenen Klage (Az.: 4 A 62/18) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2017 anzuordnen, ist zulässig und begründet.

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Der Antrag ist zulässig.

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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az.: 4 A 62/18) stellt die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Alt. 1 VwGO statthafte Rechtsschutzform dar. Die Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte, mit denen zu zahlende Rundfunkbeiträge festgesetzt werden, hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Rundfunkbeiträge zählen insoweit zu öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinne der Norm.

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Gleiches gilt in Bezug auf den in dem Bescheid vom 02.11.2015 festgesetzten Säumniszuschlag in Höhe von 8,00 €. Nach Ansicht der Kammer erfüllen die Säumniszuschläge im Bereich des Rundfunkbeitragsrechts, die zum Rundfunkbeitrag selbst streng akzessorisch sind, jedenfalls auch eine Finanzierungsfunktion, die sie in den Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO fallen lässt (vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 02.11.2017, Az.: 4 B 109/17, juris Rn. 41 ff.; VG Saarlouis, Beschluss vom 20.12.2016, Az.: 6L2496/16, juris Rn. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.03.2011, Az.: 9 S 50.10, juris Rn. 7).

5

Für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2017 besteht im vorliegenden Fall auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin hat insbesondere vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes mit Schriftsatz vom 20.11.2015 bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, vgl. dazu § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO. Diesen Antrag hat der Antragsgegner im Widerspruchsbescheid vom 20.12.2017 abgelehnt.

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Der Antrag ist auch begründet.

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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Alt. 1 VwGO ist begründet, wenn das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Interesse am Vollzug der in der Hauptsache angegriffenen Entscheidung überwiegt. Dies ist regelmäßig nach Durchführung einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage in Abhängigkeit von den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu beurteilen.

8

Den Maßstab für die gerichtliche Entscheidung bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, die sich gegen die Anforderung öffentlicher Abgaben oder Kosten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) richtet, stellt der Maßstab dar, den das Gesetz für das vorgelagerte behördliche Aussetzungsverfahren vorsieht. Nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO soll die Aussetzung des Sofortvollzuges bei Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten unter Anderem dann erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes liegen vor, wenn die geltend gemachten Bedenken an der Rechtmäßigkeit so gewichtig sind, dass ein Obsiegen des Betroffenen im Klageverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen.

9

Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Im vorliegenden Fall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts, hier dem Bescheid vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2017.

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Der Antragsgegner stützt den Erlass des Festsetzungsbescheids vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2017 auf die § 10 Abs. 5, § 2 Abs. 1 und Abs. 2, § 3 und § 7 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages i.V.m. dem Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 16.12.2011 (GVOBl. SH 2011 Nr. 18, S. 345 ff., vgl. dort Art. 1 des Fünfzehnten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge), im Folgenden RBStV.

11

Es bestehen ernstliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2017. Dem Antragsgegner fehlte nach Auffassung der Kammer die Zuständigkeit zum Erlass des Bescheides in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 20.12.2017 erhalten hat.

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Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner als Landesrundfunkanstalt (vgl. § 1 Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk vom 17./18.12.1991 i.V.m. dem Gesetz zu dem Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk (NDR) vom 26.02.1992, GVOBl. 1992, 120, GVOBl. 2005, S. 254) gegenüber der Antragstellerin mit Bescheid vom 02.11.2015 für den Zeitraum von April 2014 bis einschließlich September 2014 Rundfunkbeiträge unter Zugrundelegung der Inhaberschaft einer Wohnung unter der im Rubrum genannten Adresse festgesetzt. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 20.12.2017 hat der Antragsgegner den Regelungsgehalt des Ausgangsbescheides vom 02.11.2015 geändert, indem er in dem verfügenden Teil des Widerspruchsbescheides regelte, dass er den Festsetzungsbescheid dahingehend ändere, dass Rundfunkbeiträge für den Zeitraum April 2014 bis September 2014 nicht für die im Bescheid genannte Wohnung ..., sondern für die Wohnung ..., ... festgesetzt würden.

13

Für den Erlass eines Festsetzungsbescheides mit einem derartigen Regelungsgehalt, d.h. für eine Festsetzung von Rundfunkbeiträgen aufgrund der Berücksichtigung einer von der Antragstellerin bewohnten Wohnung in ... als Veranlagungsgegenstand ist der Antragsgegner örtlich nicht zuständig.

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Gemäß § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV werden rückständige Rundfunkbeiträge durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt. Aus einer Zusammenschau von § 10 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 RBStV i.V.m. § 10 Abs. 1 RBStV ergibt sich, dass grundsätzlich die Landesrundfunkanstalt für die Festsetzung rückständiger Rundfunkbeiträge originär zuständig ist, in deren Anstaltsbereich sich die Wohnung oder die Betriebsstätte des Beitragsschuldners im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides befindet. § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV und § 10 Abs. 1 Satz RBStV verbinden die Frage der Zuständigkeit einer Landesrundfunkanstalt zum Erlass von Festsetzungsbescheiden bzw. die Gläubigerstellung der Landesmedienanstalten mit deren Anstaltsbereich sowie dem Ort, an dem die Wohnung des Beitragspflichtigen belegen ist.

15

Der Anstaltsbereich des Antragsgegners umfasst die Gebiete der Länder Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, sowie das Gebiet der Freie und Hansestadt Stadt Hamburg (vgl. § 1 Abs. 1 Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk). In diesem Anstaltsbereich befindet sich die von der Antragstellerin bewohnte Wohnung unter der im Rubrum angegebenen Adresse, nicht jedoch die von der Antragstellerin im hier maßgeblichen Zeitraum von April 2014 bis September 2014 als Zweitwohnung genutzte Wohnung in B-Stadt, für die der Antragsgegner gemäß des Bescheides vom 02.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2017 Rundfunkbeiträge festsetzte.

16

Nach Auffassung der Kammer greift vorliegend auch die in § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV enthaltene Ausnahmevorschrift nicht. Gemäß § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV können Festsetzungsbescheide auch von der Landesrundfunkanstalt erlassen werden, in deren Anstaltsbereich sich die Wohnung des Beitragsschuldners zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides befindet. Bereits der Wortlaut von § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV spricht gegen eine Anwendung dieser Regelung im vorliegenden Fall. Die Norm begründet die Zuständigkeit der Landesrundfunkanstalt, in deren Anstaltsbereich sich „die Wohnung“ des Beitragsschuldners befindet. § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV geht insofern ersichtlich davon aus, dass der Beitragsschuldners lediglich über eine Wohnung verfügt. Die Norm stellt gerade nicht darauf ab, dass eine (von mehreren) Wohnung​(en) im Anstaltsbereich einer Rundfunkanstalt liegt, um die Zuständigkeit einer Landesrundfunkanstalt zum Erlass von Festsetzungsbescheiden zu begründen.

17

Dieses Verständnis von § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV deckt sich mit der Gesetzesbegründung. Danach wollte der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Möglichkeit eröffnen, dass im Falle eines Umzugs eines Rundfunkteilnehmers statt der originär zuständigen Landesrundfunkanstalt auch die örtlich neu zuständige Rundfunkanstalt befugt ist, rückständiger Rundfunkbeiträge für einen Zeitraum vor dem Umzug des Gebührenschuldners festzusetzen (vgl. dazu Schleswig-Holsteinischer Landtag, LT Drucks. 17/1336, S. 66). Dies ist insoweit plausibel, als dass im Falle der Verlagerung eines Wohnsitzes in einen anderen Anstaltsbereich mit dem Umzug auch zwingend eine Veränderung der originären Zuständigkeit nach § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV für die Zeit nach dem Umzug eintritt. In diesem Fall dient es der Verfahrensvereinfachung, wenn ausnahmsweise dann auch die in der Zukunft originär zuständige Landesrundfunkanstalt sämtliche rückständige Rundfunkbeiträge festsetzen kann.

18

Einem derartigen Verständnis steht auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber entsprechend der Gesetzesbegründung mit der Regelung von § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV „unter anderem“ den soeben beschriebenen Fall des Umzugs eines Rundfunkteilnehmers erfassen wollte. Daraus mag sich zwar ableiten lassen, dass der Gesetzgeber mit der Norm nicht ausschließlich den Fall, in dem der Beitragspflichtige umzieht, regeln wollte (so VG München, Urteil vom 25.11.2015, Az.: M 6b K 15.489, juris Rn. 23). Es kann allerdings aus der Gesetzesbegründung auch nicht geschlossen werden, dass § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV über den Wortlaut der Norm und die Fälle des Übergangs der originären Zuständigkeit hinaus die Zuständigkeit einer weiteren Landesrundfunkanstalt neben der nach § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV originär zuständigen Landesrundfunkanstalt begründen soll (a.A. i.E. VG München, Urteil vom 25.11.2015, Az.: M 6b K 15.489, juris Rn. 23). Einem derartigen Verständnis steht im Übrigen auch entgegen, dass eine etwaige Kollision der Zuständigkeiten zweier Landesrundfunkanstalten nicht durch eine entsprechende gesetzliche Regelung aufgelöst wird.

19

Im vorliegenden Fall bewohnte die Antragstellerin im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 20.12.2015 zwei Wohnungen in Anstaltsbereichen verschiedener Landesrundfunkanstalten. Es ist für das Gericht weder ersichtlich noch von einem der Beteiligten vorgetragen, dass die Antragstellerin im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides einen ihrer Wohnsitze aufgegeben hatte. Zwar war der Antragsgegner zwischenzeitlich aufgrund eines Antrages der Antragstellerin auf Nachsendung ihrer Post nach ... davon ausgegangen, dass sie die Wohnung in ... aufgegeben habe. Allerdings trug die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren selbst vor, einen Erstwohnsitz in ... und einen Zweitwohnsitz in ... zu unterhalten. Gegen die Aufgabe des Wohnsitzes in ... spricht darüber hinaus die von der Antragstellerin im Rubrum der Klag- und Antragsschrift angegebene Adresse. Die Antragsgegnerin ist auch insbesondere nicht, wie der vom Gesetzgeber bei der Entwicklung von § 10 Abs. 5 Satz 2 RBStV in den Blick genommene Regelfall es vorsieht, aus dem Gebiet eines anderen Anstaltsbereiches in den Anstaltsbereich des Antragsgegners, d.h. hier von ... nach ... verzogen. Es hat sich daher im vorliegenden Fall gerade keine Verlagerung der originären Zuständigkeit einer Landesrundfunkanstalt für die Zukunft ergeben. Vielmehr besteht die originäre Zuständigkeit zweier Landesrundfunkanstalten für die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen für zwei Wohnungen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 4 VwGO.

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Die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Mehrkosten hat der Antragsgegner gemäß § 155 Abs. 4 VwGO zu tragen. Nach § 155 Abs. 4 VwGO können die Kosten, die durch ein Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. § 155 Abs. 4 VwGO geht § 83 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG als Sonderregelung vor (vgl. BT Drucks. 11/7030, S. 38). In den Fällen, in denen die Behörde dem Widerspruchsbescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung beifügt, die ein örtlich unzuständiges Gericht benennt, hat regelmäßig die Behörde die Klageerhebung bzw. Stellung eines Eilantrag bei dem örtlich unzuständigen Gericht zu vertreten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.11.1988, Az.: 1 WB 115.88, juris, Orientierungssatz 1; Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, 33. EL 2017, § 17b GVG, Rn. 10). Die Antragstellerin hat den vorliegenden Antrag am 15.01.2018 gemäß der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides beim Verwaltungsgericht Hamburg gestellt. Mit Beschluss vom 02.02.2018 hat das Verwaltungsgericht Hamburg das Verfahren an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht verwiesen.

22

Im Übrigen trägt der Antragsgegner als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.

23

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Danach ist für die Festsetzung des Streitwertes das Interesse der Antragstellerin an der vorläufigen Regelung – hier der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Festsetzungsbescheid des Antragsgegners – maßgebend. Dieses Interesse ist bei Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen Abgabenforderungen im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO mit einem Viertel der in dem Bescheid genannten Beträge, hier 1/4 von 115,88 €, zu bewerten.


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