Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 53/18

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der jeweils zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung des Verlusts ihrer Dienstbezüge.

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Die im Jahre 196.. geborene Klägerin ist seit dem 01.08.1987 Beamtin des Landes Schleswig-Holstein und seit 2003 als Steuer….  (Besoldungsgruppe A9) beim Finanzamt …beschäftigt. Sie ist einer Schwerbehinderten gleichgestellt.

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Seit Anfang 2014 ist die Klägerin in erheblichem Umfang erkrankt gewesen.

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Der Beklagte versetzte die Klägerin deshalb mit Bescheid vom 11.05.2015 mit Ablauf des 31.05.2015 in den vorzeitigen Ruhestand. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Finanzministerium Schleswig-Holstein mit Bescheid vom 19.10.2015 zurück.

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Die Klägerin erhob dagegen Klage, die Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits ist (12 A 30/18).

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Die Klägerin hatte Arbeitsunfähigkeits- bzw. Dienstunfähigkeitsbescheinigungen bis einschließlich 05.06.2015 eingereicht.

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In der Zeit vom 08.06. bis 16.12.2015 blieb sie dem Dienst fern und reichte auch keine ärztlichen Bescheinigungen mehr ein.

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Mehrfach betonte die Klägerin allerdings, dass sie dienstfähig sei (vgl. anwaltliche Schriftsätze vom 18.06. und 08.07.2015: „absolut dienstfähig“; Klageschrift im Zurruhesetzungsstreit – 12 A 30/18 - „spätestens Mitte Juli wieder dienstfähig“). Der Hausarzt der Klägerin führte in einem Attest vom 16.12.2015 aus, dass die Klägerin jedenfalls ab dem 01.08.2015 wieder „eingeschränkt“ dienstfähig gewesen sei.

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Nach Anhörung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 06.04.2016 fest, dass die Klägerin vom 01.08. bis zum 16.12.2015 schuldhaft dem Dienst ferngeblieben sei und das Land Schleswig-Holstein für diesen Zeitraum einen Rückforderungsanspruch für die gezahlten Bezüge erlangt habe. Den dagegen erhobenen Widerspruch, den die Klägerin im Wesentlichen damit begründete, dass der Beklagte, namentlich der Vorsteher des Finanzamtes….., verhindert habe, dass sie den Dienst wieder habe aufnehmen können und es der Fürsorgepflicht des Dienstherrn entsprochen hätte, sie zum Dienstantritt aufzufordern bzw. Dienstunfähigkeitsbescheinigungen von ihr zu fordern, wies das Finanzministerium mit Bescheid vom 09.08.2016 zurück. Zur Begründung gab es im Wesentlichen an, dass die Klägerin schuldhaft dem Dienst ferngeblieben sei, weil sie die Kernpflicht der ordnungsgemäßen Diensterfüllung verletzt habe. Ihr Verhalten sei schuldhaft, weil sie gewusst habe, dass ärztliche Bescheinigungen zum Nachweis der Dienstunfähigkeit erforderlich gewesen seien. Im Falle der Dienstfähigkeit hätte sie ihren Dienst wieder antreten müssen. Die Klägerin habe im Übrigen wissen müssen, dass ihr Widerspruch und ihre Klage gegen die Zurruhesetzungsverfügung aufschiebende Wirkung gehabt hätten und sie damit als dienstfähig gegolten habe.

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Die Klägerin hat am 07.09.2016 Klage erhoben.

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Unter Wiederholung ihrer Ausführungen im Widerspruch trägt sie vor, dass allein ihr Dienstvorgesetzter schuldhaft verhindert habe, dass sie ihren Dienst wieder habe antreten können. Ihr Hausarzt habe in seinem Attest vom 27.04.2015 empfohlen, dass sie stufenweise nach dem „Hamburger Modell“ wieder eingegliedert werde. Sie sei zu Unrecht zur Ruhe gesetzt worden. Ihr Dienstvorgesetzter habe nicht – wie von der Amtsärztin in ihrem Gutachten vom 02.07.2015 angeregt – eine Nachuntersuchung bezüglich ihrer Dienstfähigkeit angeordnet. Im Übrigen sei sie gar nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern vielmehr aus dienstlichen Gründen in den Ruhestand versetzt worden. Nicht nachvollziehbar sei, dass sie sich zum Dienstantritt hätte bei ihrem Dienstvorgesetzten melden müssen. Nach den ihr zugänglichen Informationen des Finanzministeriums habe sie nur gegen die Zurruhesetzung, aber nicht gegen die Feststellung der Dienstunfähigkeit Widerspruch erheben können, weil es sich bei letzterer um eine bloße Verfahrenshandlung handle. Ein Hinweis auf die Rechtswirkungen des Widerspruchs und der Klage gegen die Zurruhesetzungsverfügung hätten die Hinweise nicht enthalten. Im Übrigen sei sie vom Beklagten als Ruhestandsbeamtin behandelt worden. Das zeige sich schon daran, dass ihr nur Versorgungsbezüge gezahlt worden seien und sie auch im Urlaubssystem des Finanzamtes als Ruhestandsbeamtin geführt worden sei; ihre Urlaubsansprüche seien nämlich auf null gestellt worden.

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Die Klägerin beantragt,

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den Feststellungsbescheid vom 06.04.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2016 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochten Widerspruchsbescheid. Ergänzend weist er nochmals darauf hin, dass die Klägerin ihren Dienst spätestens am 01.08.2015 hätte antreten müssen. Dies folge schon daraus, dass durch Erhebung des Widerspruchs und der Klage die aufschiebende Wirkung gegenüber der Zurruhesetzung eingetreten sei. Obwohl die Klägerin nur bis zum 05.06.2015 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigen vorgelegt habe, habe er zu ihren Gunsten berücksichtigt, dass ihre volle Dienstfähigkeit erst nach einer sechswöchigen Eingewöhnung an das Mitte Juni ausgelieferte Atemtherapiegerät wieder hergestellt gewesen sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie auf die Verfahrensakte 12 A 30/18 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Maßgebliche – zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides - geltende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge für den streitgegenständlichen Zeitraum (05.06. bis 16.12.2015) ist § 11 des Schleswig-Holsteinischen Besoldungsgesetzes (SH BesG).

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Gemäß dieser Vorschrift verliert der Beamte oder die Beamtin, wenn er oder sie ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst fernbleibt, für die Zeit des Fernbleibens die Dienstbezüge; der Verlust der Dienstbezüge ist festzustellen (§ 11 Satz 3 SH BesG). Ergänzt wird diese Regelung für den Bereich Schleswig-Holstein durch § 67 Satz 1 Landesbeamtengesetz Schleswig-Holstein (LBG), wonach der Beamte oder die Beamtin dem Dienst nicht ohne Genehmigung fernbleiben darf.

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Die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge gemäß § 11 SH BesG stellt eine Ausnahme von der Pflicht des Dienstherrn zur fortlaufenden Besoldung des Beamten dar. Grund dieses Verlustes ist das ungerechtfertigte und verschuldete Nichterscheinen zum Dienst und die damit verbundene Verweigerung der Dienstleistung. Das Gebot, zum Dienst zu erscheinen, ist eine Grundpflicht jedes Beamten. Diese Grundpflicht fordert von einem Beamten, sich während der vorgeschriebenen Zeit an dem vorgeschriebenen Ort aufzuhalten und dort die ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben wahrzunehmen. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erfasst der gesetzliche Begriff des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst iSv § 11 SHBesG daher (nur) Verstöße gegen die im vorstehenden Sinne nach Zeit und Ort konkretisierte („formale“) Dienstleistungspflicht (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 – 2 C 1.13 – Juris Rn. 22).

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Solange ein Beamter dienstunfähig ist, ist er indes von der Dienstleistungspflicht befreit, weil er sie nicht erfüllen kann. Befindet er sich im genehmigten (Erholungs-) Urlaub, liegt ebenfalls eine Befreiung von der Dienstleistungspflicht vor. In beiden Fällen scheidet eine

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Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge iSv § 11 SH BesG aus.

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Der Beamte ist dienstunfähig, wenn er infolge von Krankheit nicht in der Lage ist, die mit dem ihm übertragenen Amt verbundenen konkreten Dienstleistungspflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Dies ist dann der Fall, wenn der Beamte aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes für die Dienstleistung schlechterdings außerstande ist. Dienstunfähig ist auch, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst mehr getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt (Schleswig-Holstein: 6 Monate), die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist.

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Die Klägerin war in der streitgegenständlichen Zeit ohne Genehmigung dem Dienst ferngeblieben, obwohl sie zur Dienstleistung verpflichtet war.

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Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

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Der von der Klägerin gegen ihre Zurruhesetzungsverfügung vom 11.05.2015 erhobene Widerspruch und nachfolgend die von ihr gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.10.2015 erhobene Klage lösten den sogenannten Suspensiveffekt aus. Das bedeutet, dass die Zurruhesetzungsverfügung in ihren Rechtswirkungen gehemmt, sie also nicht vollzogen werden konnte. Durch Einlegung der Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel galt die Klägerin weiter als – aktive – Beamtin mit der daraus folgenden Pflicht, ihre Dienstleistung zu erbringen. Die Klägerin war, um den Zustand des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst gar nicht erst eintreten zu lassen, verpflichtet, (zumindest) durch eine Erklärung gegenüber ihrem Dienstvorgesetzen sichtbar zu machen, dass sie den Dienst wieder aufnehmen wollte. Sie hätte ihrem Dienstvorgesetzten anzeigen müssen, ab wann sie den Dienst wieder aufzunehmen bereit ist. Dies ist jedoch – das haben beide Beteiligte auch nochmals in der mündlichen Verhandlung bestätigt – zu keinem Zeitpunkt geschehen.

28

Damit ist sie ohne Genehmigung dem Dienst ferngeblieben.

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Die Klägerin hat auch schuldhaft gehandelt. Als Beamtin des gehobenen Dienstes hätte die Klägerin wissen müssen, welche Rechtswirkungen ihrem Widerspruch bzw. ihrer Klage zukommen und dass die von ihr bemühten Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel zur Außervollzugsetzung der Zurruhesetzungsverfügung führen würden und sie nach dem 05.06.2015, jedoch spätestens am 01.08.2015 ihre Dienstleistung wieder hätte anbieten müssen.

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Die von ihr bemühten Informationen des Finanzministeriums ändern daran nichts. Dort ist ausgeführt, dass gegen die Zurruhesetzung Rechtsbehelfe bzw. Rechtmittel eingelegt werden können. Zwar ist erst später, möglicherweise aufgrund dieses Verfahrens, der Hinweis auf die Rechtswirkungen der gegen die Zurruhesetzung erhobenen Rechtsbehelfe in die Hinweise aufgenommen worden. Dies entlastet die Klägerin ebenso wenig wie ihre - in der mündlichen Verhandlung behauptete – Nachfrage beim Personalrat. Selbst wenn die Klägerin seinerzeit sich (noch) nicht über die Wirkung ihres Widerspruchs und der nachfolgenden Klage im Klaren war, ist entscheidend, dass sie bereits im Widerspruchsverfahren anwaltlich beraten und vertreten war und deshalb über die Rechtswirkungen der Rechtsbehelfe und ihre daraus folgende Dienstleistungsverpflichtung hätte Kenntnis haben und danach handeln müssen.

31

Da es maßgeblich auf die Zurruhesetzung und die dagegen erhobenen Rechtsbehelfe ankommt, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, ob und inwieweit gegen die Feststellung der Dienstunfähigkeit vorgegangen werden konnte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27.06.1991 – 2 C 26.89 – Juris).

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Die Klägerin entlastet auch nicht, dass ihr Dienstvorgesetzter von ihrer Dienstunfähigkeit ausgegangen ist; denn der Suspensiveffekt des eingelegten Rechtsbehelfs ist bzw. wäre unabhängig von der Einschätzung des Dienstvorgesetzten eingetreten. Dessen ungeachtet ging die Klägerin selbst davon aus, dass sie dienstfähig ist. Sie hat sich in ihren Schriftsätzen vom 18.06. und 08.07.2015 als „absolut dienstfähig“ bezeichnet. Auch das hausärztliche Attest vom 16.12.2015 geht – retrospektiv – davon aus, dass sie ab dem 01.08.2015 (zumindest) „eingeschränkt“ (gemeint ist: begrenzt) dienstfähig gewesen ist.

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All das konnte für die Klägerin nur den Schluss zulassen, wenigstens ihre Dienstleistung – entweder bereits nach Ablauf des aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsatteste bescheinigten Zeitraums der Dienstunfähigkeit (05.06.2015), spätestens aber im Zeitraum bis zum 01.08.2018 (wieder) anzubieten. Darauf, ob sie dann tatsächlich auch Dienst hätte leisten müssen oder ob der Dienstvorgesetzte – ausgehend von seiner Rechtsauffassung – sie gleichwohl „nach Hause geschickt hätte“ (oder sie unterwertig beschäftigt hätte), kommt es nicht an.

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Auch die Tatsache, dass die Klägerin in dem Urlaubssystem des Beklagten als Ruhestandsbeamtin geführt wurde, ändert daran nichts. Die Klägerin hat dies offensichtlich erst viel später (nach Akteneinsicht) erfahren, so dass dies jedenfalls an ihrem schuldhaften Verhalten zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt nichts ändert. Unerheblich ist letztlich, dass die Klägerin ab dem Zeitpunkt ihrer Zurruhesetzung (01.06.2015) nur noch Versorgungsbezüge erhalten hat. Diese Folge tritt kraft Gesetzes ein (vgl. § 41 Abs. 4 LBG).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; sie ist gemäß §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.


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