Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 D 2/19

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Vollstreckungsgläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

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Die Kammer gab dem Vollstreckungsschuldner in einem konkurrentenrechtlichen Eilverfahren mit Beschluss vom 05.12.2018 (12 B 59/18 - bestätigt durch OVG Schleswig, Beschluss vom 17.06.2019 - 2 MB 32/18) auf, den Vollstreckungsgläubiger in das Auswahlverfahren betreffend die Besetzung der Stelle der Leiterin oder des Leiters der Justizvollzugsanstalt xxxx vorläufig weiter einzubeziehen. Der Vollstreckungsschuldner kündigte in einem Schreiben vom 21.08.2019 an, das gesamte Stellenbesetzungsverfahren möglicherweise abzubrechen; eine Entscheidung wurde für September 2019 in Aussicht gestellt. Mit Schreiben vom 19.09.2019 wurden alle Bewerber in Kenntnis gesetzt, dass das Auswahlverfahren abgebrochen worden sei. Ob der Vollstreckungsgläubiger davon bereits am 21.09.2019 (per Zustellungsurkunde, so der Vollstreckungsschuldner) Kenntnis erlangt hat, kann dahinstehen. Jedenfalls ist ihm die Abbruchmitteilung - spätestens - als Anlage zum Schriftsatz des Vollstreckungsschuldners vom 18.10.2019 übermittelt worden.

2

Der Vollstreckungsgläubiger hatte indes bereits unter dem 23.08.2019 beim Gericht den Antrag gestellt, ihn in das weitere Auswahlverfahren gemäß dem Tenor der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vorläufig weiter einzubeziehen und im Weigerungsfall dem Vollstreckungsschuldner ein Zwangsgeld bis 10.000 € anzudrohen und nach fruchtlosem Fristablauf festzusetzen und zu vollstrecken.

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Der Vollstreckungsgegner ist dem entgegengetreten.

II.

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Der Antrag hat keinen Erfolg.

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Es kann dabei offenbleiben, ob vorliegend eine Vollstreckung nach der Bestimmung des § 172 VwGO in Betracht kommt. Teilweise wird vertreten, dass dies nur dann in Betracht komme, wenn behördliches Verhalten erzwungen werden solle, das den Rechtscharakter von Verwaltungsakten aufweist (OVG Koblenz, Beschluss vom 18.10.2007 – 1 E 10786/07 – juris Rn. 2 m.w.N.; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, § 172 Rn. 1 zum Streitstand). Danach schiede eine Vollstreckung nach § 172 VwGO bereits deshalb aus, weil es sich bei der dem Vollstreckungsschuldner auferlegten Verpflichtung um ein schlicht – hoheitliches Verwaltungshandeln handelt.

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Dann wäre möglicherweise aber eine Umdeutung des Antrages gemäß §§ 122 Abs. 1 iVm. 88 VwGO in einen solchen auf Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 890 Abs. 2 ZPO in den Blick zu nehmen (vgl. dazu OVG Schleswig, Beschluss vom 17.10.2019 – 2 O 6/19 – juris Rn. 7 mwN).

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Darüber muss die Kammer indes nicht abschließend befinden; denn der Antrag – in welcher Form auch immer – ist jedenfalls unbegründet.

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Der Vollstreckungsschuldner war nicht (mehr) gehalten, seiner Verpflichtung gemäß dem Ausspruch der Kammer in ihrem Beschluss vom 05.12.2019 nachzukommen. Er konnte nämlich das Auswahlverfahren aus sachlichen Gründen abbrechen mit der Folge, dass das Auswahlverfahren gegenstandslos wird und der Bewerbungsverfahrensanspruch des Vollstreckungsgläubigers erlischt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 16).

9

Die Kammer hat in ihrem Beschluss vom 22.08.2019 – 12 B 40/19 – zur Rechtmäßigkeit des Abbruchs eines Auswahlverfahrens Folgendes ausgeführt:

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„Der aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) folgende Bewerbungsverfahrensanspruch gibt Bewerbern um ein öffentliches Amt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in eine Bewerberauswahl. Die Bewerbung darf nur aus Gründen abgelehnt werden, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind. Der Bewerbungsverfahrensanspruch ist auf ein konkretes Stellenbesetzungsverfahren für die Vergabe eines bestimmten (höheren) Statusamtes gerichtet, das möglichst zeitnah nach der Auswahlentscheidung durch Besetzung bzw. Beförderung des ausgewählten Bewerbers besetzt werden soll. Aus dieser Verfahrensabhängigkeit folgt, dass der Anspruch erlischt, wenn das Verfahren beendet wird. Das kann dadurch geschehen, dass der Dienstherr das Verfahren rechtswirksam abbricht.

11

Der Dienstherr ist bei der Entscheidung, ob er ein nach den Grundsätzen der Bestenauslese begonnenes Auswahlverfahren zur Besetzung einer (Beförderungs-) Stelle abbricht, in unterschiedlichem Maße rechtlich gebunden, je nachdem, ob die konkrete Stelle – auf der Grundlage eines neuen Auswahlverfahrens – weiter besetzt werden soll oder nicht.

12

Soll die konkrete Stelle nach dem Abbruch nicht mehr besetzt werden, ist der Dienstherr, auch wenn er das Stellenbesetzungsverfahren bereits begonnen hatte, keinen strengeren Bindungen unterworfen als bei den sonstigen personalwirtschaftlichen Entscheidungen, ob und welche Ämter geschaffen oder wie Dienstposten zugeschnitten werden sollen. Eine solche Entscheidung unterfällt seinem weiten, dem Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsermessen. Das Gericht kann regelmäßig diese Entscheidung nur darauf überprüfen, ob die Abbruchentscheidung willkürlich oder rechtsmissbräuchlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2014 – 2 A 3.13 – juris Rn 26, 37; OVG Münster, Beschlüsse vom 26.04.2018 – 6 B 355/18 – juris Rn 11 und vom 12.07.2018 – 1 B 60/17 – juris Rn 9).

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Die Entscheidung des Dienstherrn, das Stellenbesetzungsverfahren abzubrechen, um die Stelle danach auf der Grundlage eines neuen Auswahlverfahrens zu vergeben, betrifft dagegen nicht mehr nur den Zuschnitt und die Gestaltung des Amtes, sondern stellt bereits die wesentlichen Weichen für die organisatorische Ausgestaltung der nachfolgenden Auswahlentscheidung. Sie muss daher selbst auch den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung tragen und bedarf eines entsprechenden sachlichen Grundes (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.05.2016 – 2 VR 2.5 – juris Rn 16 ff; OVG Münster, Beschlüsse vom 26.04.2018 aaO Rn 13 und vom 12.07.2018 aaO Rn 11).

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Bei der Prüfung, ob ein solch sachlicher Grund für den Abbruch vorliegt, ist allein auf die zur Begründung herangezogenen – dokumentierten – Gründe abzustellen. Ob diese die wahren Beweggründe des Dienstherrn darstellen, ist ebenso ohne Relevanz, wie die Frage, ob sich der Abbruch durch einen anderen Sachgrund rechtfertigen ließe (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.09.2015 – 2 BvR 1686/15 – juris Rn. 14; OVG Münster, Beschlüsse vom 26.04.2018 und vom 12.07.2018, jeweils aaO Rn. 17 und Rn. 13).

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Darüber hinaus muss der Dienstherr die Bewerber in formeller Hinsicht rechtzeitig und in geeigneter Form von dem Abbruch in Kenntnis setzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 – 2 C 6/11 – juris Rn. 19; OVG Münster, Beschluss vom 12.07.2018 aaO Rn. 15; OVG Schleswig, Beschluss vom 21.12.2016 – 2 MB 32/16) . . .

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. . . Ein Abbruch kommt vor allem in Betracht, um auf Verstöße gegen Art. 33 Abs. 2 GG im Auswahlverfahren oder bei der Auswahlentscheidung zu reagieren. Erkennt der Dienstherr, dass das Verfahren fehlerbehaftet ist, . . . darf der Dienstherr grundsätzlich abbrechen. Es kann nämlich nicht von ihm verlangt werden, „sehenden Auges“ eine Auswahlentscheidung zu treffen oder aufrecht zu erhalten, die nach eigener Erkenntnis gegen Art. 33 Abs. 2 GG verstößt. Allgemein anerkannt ist dabei die grundsätzliche Berechtigung zum Abbruch, wenn die Auswahlentscheidung von einem Verwaltungsgericht durch Erlass einer einstweiligen Anordnung beanstandet worden ist, die die Ernennung des ausgewählten Bewerbers verbietet (vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 24.09.2015 – 2 BvR 1686/15 – Rn 18; BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 – 2 C 6.11 – Rn 17 f; OVG Schleswig, Beschluss vom 21.12.2016 a.a.O.) . . .

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. . . Ein Fehler im Verfahren berechtigt grundsätzlich auch dann zum Abbruch, wenn ihn der Dienstherr im Auswahlverfahren „reparieren“ könnte. Die Bestimmung des Art. 33 Abs. 2 GG gibt nicht vor, dass Rechtsfehler möglichst im laufenden Auswahlverfahren zu beseitigen sind, um die Bewerbungsverfahrensansprüche der Bewerber zu erhalten. Sie können sich nach dem Abbruch in einem neuen Verfahren erneut bewerben. Ein Schutz vor neuen, womöglich vom Dienstherrn gezielt angesprochenen Bewerbern besteht weder im laufenden noch im neuen Auswahlverfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 – 2 C 6/11 – juris Rn 31). In solch einem Fall liegt es im Ermessen des Dienstherrn, ein an wesentlichen Fehlern leidendes Auswahlverfahren nicht unter Heilung dieser Fehler weiterzubetreiben und mit einem neuen Verfahren „ganz von vorne“ zu beginnen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.06.2012 – 3 CE 12.675 – juris Rn 74 und vom 16.05.2013 – 3 CE 13.307 – Rn 27; OVG Münster, Beschluss vom 13.09.2012 – 6 B 596/12 - juris Rn 17 f).

18

Der Entscheidung des Dienstherrn, ob er das Verfahren abbricht, dürften allerdings insoweit Grenzen gesetzt sein, als ein Abbruch dann nicht in Frage kommt, wenn es sich um einen eher geringfügigen, einfach behebbaren Rechtsfehler handelt oder feststeht, dass sich der Fehler nicht auf die Auswahlentscheidung auswirken kann. Ein Mangel, der im laufenden Auswahlverfahren noch – leicht – behoben werden kann, rechtfertigt keinen Abbruch zum Zwecke der Neuausschreibung. Dies dient der effektiven Sicherung des Bewerbungsanspruchs, in dem bezogen auf die noch immer anstehende Stellenbesetzung zuverlässig und im rechtlich möglichen Umfang eine Benachteiligung des im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerbers verhindert wird. Es kann nämlich die Gefahr bestehen, dass sich im Falle der Neuausschreibung das Bewerberfeld zu Lasten dieses Bewerbers verändert oder dass dieser auf der Grundlage inzwischen vorliegender neuer dienstlicher Beurteilung nicht mehr zum Zuge kommt. Außerdem kann es sein, dass der Dienstherr die von ihm festgestellte Rechtswidrigkeit der getroffenen Auswahlentscheidung für eine seinen personalpolitischen Zielsetzungen entgegenkommende, abweichend steuernde Reaktion ausnutzt, obwohl eine Behebung des Mangels im bisherigen Auswahlverfahren mit dem bisherigen Bewerberkreis möglich wäre (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 12.07.2018 – 1 B 1160/17 – juris Rn 22 f und 27 ff mwN).“

19

Ausgehend von diesen Vorgaben ist die Abbruchentscheidung des Vollstreckungsschuldners weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden.

20

Er hat in seinem Vermerk vom 19.09.2019 unter Hinweis auf die Gründe der genannten gerichtlichen Entscheidungen die Erwägungen dargelegt, die ihn zum Abbruch bewogen haben. Diese hat er sodann mit Schreiben vom gleichen Tag allen Bewerbern mitgeteilt. Wenn dem Vollstreckungsgläubiger dieses Schreiben – wie er behauptet – tatsächlich nicht zugestellt worden sein sollte, ist dies unschädlich. Denn er hat vom Inhalt spätestens durch den Schriftsatz des Vollstreckungsschuldners vom 18.10.2019, dem die Abbruchmitteilung als Anlage beigefügt war, Kenntnis erlangt.

21

Auch in der Sache weist die Abbruchentscheidung keine Rechtsfehler auf.

22

Die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens und der darauf beruhende Ausschluss des Vollstreckungsgläubigers waren mit Art. 33 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Nach der Stellenausschreibung bzw. nach dem dort enthaltenen Anforderungsprofil sollten die geforderten „umfassende(n) Kenntnisse im Vollzugs-und Verwaltungsrecht“ ein konstitutives Anforderungsmerkmal darstellen, das von allen Bewerbern zwingend erwartet wird, um im Auswahlverfahren berücksichtigt werden zu können. Dies war unzulässig. Das haben die Kammer und ihr folgend das Oberverwaltungsgericht in den Beschlüssen vom 05.12.2018 und vom 17.06.2019, auf deren Begründungen Bezug genommen wird, festgestellt.

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Diese Fehlerhaftigkeit des Anforderungsprofils führt nicht dazu, dass die Abbruchentscheidung rechtswidrig ist. Vielmehr hat der Fehler zur Folge, dass das Auswahlverfahren aus diesem Grund abgebrochen werden musste.

24

Macht ein Dienstherr im Rahmen der Stellenausschreibung Vorgaben für die Vergabe eines Beförderungsdienstpostens, bleiben diese für das laufende Auswahlverfahren verbindlich. Unzulässig ist es deshalb, die Auswahlkriterien nachträglich mit der Folge einer Erweiterung des Bewerberkreises zu ändern, ohne dass mögliche Interessenten hiervon Kenntnis erhielten. Hat der Dienstherr im Rahmen der Stellenausschreibung zwingende Vorgaben gemacht, die weder durch Art. 33 Abs. 2 GG noch als dienstpostenbezogene Ausnahme im Interesse der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung gerechtfertigt sind, ist das Auswahlverfahren fehlerhaft.Fehler im Anforderungsprofil führen grundsätzlich auch zur Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens, weil die Auswahlerwägungen dann auf sachfremden, nicht am Grundsatz der Bestenauslese orientierten Gesichtspunkten beruhen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 - 2 VR 1.13 – juris Rn 27 unter Hinweis auf BVerfG, Kammerbeschluss vom 02.10.2007 - 2 BvR 2457/04 - juris Rn. 18). Dieser Mangel kann nachträglich nicht geheilt werden. Das Auswahlverfahren muss daher (im Sinne einer Ermessensreduzierung auf null) (vgl. dazu OVG Münster, Beschluss vom 13.05.2019 – 6 B 1753/18 – juris Rn. 21) abgebrochen und das gesamte Stellenbesetzungsverfahren mit einer zulässigen Ausschreibung neu begonnen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 a.a.O. und Rn. 32 f.; OVG Magdeburg Beschluss vom 15.09.2014 - 1 M 76/14 - juris Rn. 18; OVG Münster, Beschluss vom 13.05.2019 – 6 B 1753/18 – juris Rn. 14).

25

Die begehrte Verpflichtung des Vollstreckungsschuldners, das (rechtswidrige) Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen, kommt deshalb nicht (mehr) in Betracht; es durfte abgebrochen werden.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

27

Eine Streitwertfestsetzung erübrigt sich, da nach Ziffer 5301 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) für Vollstreckungsverfahren unabhängig von der Schwierigkeit und Bedeutung der Rechtssache lediglich eine Festgebühr von 20 Euro erhoben wird.


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