Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 B 16/20

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 17.6.2020 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19.5.2020 – Az.: 342.30.0325 –, wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert wird auf 17.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Ordnungsverfügung des Antragsgegners, mit der ihr aufgegeben wird, die von ihr betriebene Fischaufstiegsanlage XX wieder herzustellen und eine entsprechende Ausführungsplanung vorzulegen.

2

Mit „Plangenehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Fischaufstiegsanlage XX“ des Kreises C vom 16.10.2009 errichtete und betrieb die Antragstellerin eine Fischaufstiegsanlage am nördlichen Ufer XX bei Stromkilometer XX (im Folgenden: FAA XX). Die Genehmigung erfolgte im Rahmen der Planung und des Betriebs des Heizkraftwerks XX als Maßnahme zur Schadensbegrenzung für Beeinträchtigungen von Langdistanzwanderfischen und Neunaugenarten gem. Anhang II der FFH-RL (Plangenehmigung, S. 11, Beiakte D, S. 163 ff. d. A.). Erst durch die Errichtung und den Betrieb der FAA XX entsprechend der Plangenehmigung ist es der Antragstellerin aufgrund der ihr erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis Nr. 4/5 AI 32 vom 30.9.2008 in der Fassung vom 4.10.2010 der Freien und Hansestadt A-Stadt möglich, zum Betrieb des Kraftwerks XX Kühlwasser aus der Elbe zu entnehmen.

3

In den Auflagen der Plangenehmigung heißt es unter Ziff. 9.3.: „Zur dauerhaften Sicherung der Funktionstüchtigkeit der Fischaufstiegsanlage und der zugehörenden Bauwerke hat der Antragsteller die Überwachung, Unterhaltung und Wartung mit Instandhaltung der Anlagen durchzuführen.“

4

Die von XX errichtete FAA XX beinhaltet unter anderem eine Leit- und Lockströmung, die durch insgesamt 5 Überlaufrinnen über die sogenannte Überlaufschwelle des Wehrs der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) geführt wird. Ohne die Leit- und Lockströmung, welche den Fischen das Auffinden der FAA XX ermöglicht, ist eine ausreichende Funktionsfähigkeit der Fischaufstiegsanlage nicht gegeben.

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Die für den Betrieb der FAA XX erforderlichen Flächen hatte die Bundesrepublik Deutschland der Antragstellerin bereits mit Nutzungsvertrag Nr. XX vom 8./11.8.2008 – zunächst für den Betrieb einer Wasserkraftanlage bzw. vorübergehend für die Errichtung und den Betrieb einer Fischaufstiegsanlage – überlassen. Hierzu heißt es in § 1, dass die WSV der Antragstellerin die auf der Nutzfläche vorhandene WSV-eigene Anlage der Überlaufschwelle sowie der Pfeiler gemäß Baubestandswerk und das der WSV zustehende Recht auf Wasserkraftnutzung überlässt. Am 11.3.2009 wurde sodann zwischen den Beteiligten ein weiterer Vertrag hinsichtlich der Überlassung von Grundstücksflächen zur Errichtung und zum Betrieb der Fischaufstiegsanlage geschlossen. Unter § 5 (Verkehrssicherungspflicht) heißt es, dass die Antragstellerin die Verkehrssicherungspflicht für die nach § 2 Abs. 1 überlassenen Flächen einschließlich der dort befindlichen Anlagen übernimmt.

6

Am Südufer der Elbe im Bereich der Staustufe XX befindet sich eine weitere Fischaufstiegseinrichtung (FAA YY), die von der WSV betrieben wurde. Diese Fischaufstiegsanlage stammt aus dem Jahr 1962.

7

Am 2.8.2019 stellte das Wasser- und Schifffahrtsamt Lauenburg (WSA) einen erheblichen Schaden im Bereich der festen Wehrschwelle im Bereich der FAA XX fest. Da die WSV einen unkontrollierten Bruch der Wehrschelle befürchtete, wurden von ihr umgehende Schadensbeseitigungsmaßnahmen eingeleitet. Nach einer vorläufigen Sicherung Anfang August 2019 wurde ab Mitte September 2019 der Damm des Wehrs mit mehreren tausend Tonnen Sandgemisch und Wasserbausteinen verfüllt. In diesem Zusammenhang wurden auch die Rinnen zur Schaffung der Leit- und Lockströmung zurückgebaut. Gleichzeitig wurde durch die WSV die Verfüllung der FAA YY durchgeführt. Die Maßnahmen erfolgten in der Zeit von Anfang August 2019 bis Ende November/Anfang Dezember 2019.

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Mehrere Einigungsversuche zum Zwecke der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der FAA XX zwischen der Antragstellerin und dem WSA Lauenburg scheiterten. Der Vorschlag der Antragstellerin, die Arbeiten durchzuführen, wenn seitens des WSA eine für die Antragstellerin notwendige Haftungsfreistellung für Schäden und Mängel am Wehr erklärt und die gegebenenfalls erforderliche strompolizeiliche Genehmigung erteilt würde, führte ebenfalls zu keiner Einigung.

9

Sowohl aufgrund der Funktionsuntüchtigkeit der FAA XX als auch aufgrund des derzeitigen Fehlens der sofortigen Vollziehbarkeit der wasserrechtlichen Erlaubnis, findet derzeit keine Kühlwasserentnahme für das Heizkraftwerk XX statt.

10

Mit Ordnungsverfügung vom 19.5.2020, der Antragstellerin am 25.5.2020 zugestellt, forderte der Antragsgegner die Antragstellerin dazu auf, die mit Plangenehmigung vom 16.10.2009 geforderte Leitströmung innerhalb von 6 Monaten, jedoch spätestens bis zum 31.12.2020 wieder herzustellen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde der Antragstellerin ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000,- Euro angedroht (Ziffer 1). Darüber hinaus wurde die Antragstellerin aufgefordert, erneut unter Zwangsgeldandrohung in Höhe von 10.000,- Euro, dem Antragsgegner eine mit dem WSA XX abgestimmte Ausführungsplanung zur Wiederherstellung der Leitströmung innerhalb von 4 Monaten nach Bestandskraft des Bescheides, jedoch spätestens bis zum 18.9.2020 vorzulegen (Ziffer 2). Für die geforderten Maßnahmen wurde gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer 4).

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Der Antragsgegner stützte seine Verfügung auf § 107 des Wassergesetzes des Landes Schleswig-Holstein (Landeswassergesetz – LWG) i. V. m. §§ 100, 101 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und den §§ 3, 4 Abs. 3 der Landesverordnung über die Zuständigkeit der Wasser- und Küstenschutzbehörden (WaKüVO). Die Androhung des Zwangsgeldes wurde auf § 236 i. V. m. § 237 Landesverwaltungsgesetz (LVwG) gestützt. Zur Begründung hieß es, die Antragstellerin sei als Inhaberin der wasserrechtlichen Plangenehmigung vom 16.10.2009 für die Unterhaltung und den Betrieb der FAA XX und der zur Anlage gehörenden Bauwerke, darunter die Überlaufschwelle einschließlich der Leitströmungsrinnen, zuständig. Ausschließlich die Antragstellerin sei für die Instandhaltung der FAA XX zuständig und somit auch für die Wiederherstellung der Leitströmungsrinnen. Dies sei auch tatsächlich möglich, da der Bereich des Grundstückes, auf dem die Rinnen wieder hergestellt werden müssten, aufgrund der mit der WSV/WSA geschlossenen Verträge in der dauerhaften Inanspruchnahme der Antragstellerin stünde. Die vom Antragsgegner gestellten Forderungen seien somit geeignet, die Einhaltung der wasserrechtlichen Vorschriften zu gewährleisten und den ordnungsgemäßen bzw. früheren Zustand zum Wohl der Allgemeinheit wieder herzustellen.

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Die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) sei mit den §§ 27, 31 WHG umgesetzt worden. Gegenstand sei das Verschlechterungsverbot sowie das Zielerreichungsgebot. Die ökologische Durchgängigkeit von Fließgewässern sei neben einer natürlichen Gewässermorphologie eine standortgerechte Ausbildung der Fischbiozönose und damit eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele. Würden diese Bedingungen durch Querbauwerke gestört, verliere das Gewässer einen Teil seiner ökologischen Bedeutung im Naturhaushalt. Die Wiederherstellung der vollständigen Funktionsweise der FAA XX sei dringend erforderlich, um eine Verschlechterung des aktuellen Zustandes der Elbe zu verhindern.

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Beim Auswahlermessen seien die Möglichkeiten ebenfalls begrenzt. Nach Prüfung des Sachverhaltes sei der Antragsgegner zu der Feststellung gekommen, dass lediglich die Aufforderung zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände geeignet und erforderlich sei, die Antragstellerin dazu anzuhalten, die wasserrechtlichen Vorschriften einzuhalten.

14

Die Aufforderung sei auch angemessen, weil das öffentliche Interesse mit der ordnungsgemäßen Wiederherstellung einer funktionstüchtigen FAA und damit die Besorgnis einer Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit wesentlich höher zu bewerten sei, als das private Interesse der Antragstellerin an einer weiteren Verzögerung erforderlicher Baumaßnahmen. Somit sei die ausgesprochene Aufforderung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch geeignet, erforderlich und angemessen.

15

Zur Begründung der sofortigen Vollziehung hieß es, die Leitströmung sei sofort wiederherzustellen, da zurzeit die ökologische Durchgängigkeit nach der Wasserrahmenrichtlinie am Wehr XX nicht gegeben sei. Es gäbe keine voll funktionsfähige Fischaufstiegsanlage in der XX, da auch die Fischaufstiegsanlage YY aufgrund erheblicher baulicher Mängel komplett verschlossen sei. Die flussaufwärts liegenden Laichgebiete könnten daher zurzeit nicht bzw. nur eingeschränkt erreicht werden. Dies habe einen gravierenden Einfluss auf die Fischpopulation im gesamten Elbegebiet. Die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der FAA XX sei für das gesamte Flussgebiet der Elbe sehr bedeutend, so dass ein besonderes öffentliches Interesse vorliege. Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung müsse damit gerechnet werden, dass sich eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren über einen längerfristigen Zeitraum hinziehe. Dies hätte zur Folge, dass die Passierbarkeit der FAA XX weiterhin eingeschränkt bleibe. Bei einer Abwägung des privaten Interesses der Antragstellerin, von einer sofortigen Vollziehung verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an der Erhaltung der Rechtsvorschriften, insbesondere dem Fischschutz und der dafür erforderlichen kurzfristigen Wiederherstellung des bisherigen funktionstüchtigen FAA überwiege daher das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung.

16

Gegen die Ordnungsverfügung legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 17.6.2020, dem Antragsgegner zugegangen am 18.5.2020, Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.

17

Die Antragstellerin hat am 1.7.2020 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gestellt und beantragt, die Vollziehung einstweilen auszusetzen.

18

Während des laufenden Verfahrens hat der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin am 21.7.2020 eine weitere Ordnungsverfügung dahingehend erlassen, bis zum 30.9.2020 eine provisorische Leitströmung zu errichten und eine entsprechende Ausführungsplanung vorzulegen. Das Verfahren ist bei der Kammer unter dem Az. XX anhängig.

19

Zur Begründung ihres Antrags führt die Antragstellerin aus, es liege eine ermessensfehlerhafte Adressdatenauswahl vor, da der Antragsgegner in der Ordnungsverfügung lediglich erklärt habe, nur die Inanspruchnahme der Antragstellerin sei geeignet und erforderlich zur Wiederherstellung wasserrechtlich rechtmäßiger Zustände. Der Antragsgegner habe in keiner Weise eine Inanspruchnahme des WSA XX in Erwägung gezogen, obgleich dieses hier als Handlungsstörer in Betracht komme, da das WSA XX zum einen durch Sofortmaßnahmen und zum anderen durch die weiteren Arbeiten zur Verfestigung der Verfüllung der Rinnen für die Leit- und Lockströmung der FAA XX diese erst faktisch unbrauchbar gemacht habe. Darüber hinaus komme das WSA XX als Handlungsstörer bzw. zumindest als Zweckveranlasser in Betracht, für die geforderten Maßnahmen herangezogen zu werden, da die Sofortmaßnahmen des WSA XX im Ergebnis nur deshalb erforderlich gewesen seien, weil das WSA XX seinen Unterhaltungspflichten aus der Verwaltungsvorschrift der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes VV-WSV 2101 zu Bauwerksinspektionen nicht nachgekommen sei und nur deshalb das Wehr Geesthacht drohte, zu havarieren.

20

Das WSA XX verfüge zudem über das für die Beseitigung der Gefahren erforderliche Fachpersonal und Fachwissen sowie über die für die Beseitigung der Gefahren erforderliche Ausstattung mit finanziellen Mitteln. Damit hätte sich dem Antragsgegner bei der Ausübung seines Störerauswahlermessens eine Prüfung der Inanspruchnahme des WSA XX für die Gefahrenabwehr nach den Kriterien der Effektivität der Gefahrenabwehr und der Gefahrnähe geradezu aufdrängen müssen.

21

Zudem sei das gewählte Mittel ungeeignet. Mit der Forderung, eine mit dem WSA XX abgestimmte Planung vorzulegen, folge, dass die Erfüllung beider zwangsgeldbewehrter Forderungen an die Antragstellerin von Umständen abhänge, auf welche die Antragstellerin keinen Einfluss habe. Auch sei eine entsprechende Ausführungsplanung schon faktisch nicht möglich. Der Zeitrahmen sei viel zu kurz gewählt. Die vom Antragsgegner verlangten Arbeiten unterfielen im Ergebnis dem europäischen Vergaberecht, was mit zeitlich zu berücksichtigenden Verfahrensläufen einhergeht, die der Antragsgegner hier offenkundig nicht berücksichtigt habe.

22

Völlig außer Betracht gelassen werde auch, dass für die von der Antragstellerin verlangten Handlungen im Zweifel die vorherige Erteilung einer strompolizeilichen Genehmigung nach § 31 des Bundeswasserstraßengesetzes (WaStrG) erforderlich sei. Ob die Antragstellerin eine solche Genehmigung erlangen könnte, sei völlig offen. Zudem berücksichtige die Ordnungsverfügung nicht, dass die von der Antragstellerin verlangten Handlungen im Zweifel auch Arbeiten am Wehr des WSA XX auslösen könnten, die als Unterhaltungsarbeiten an bundeseigenen Schifffahrtsanlagen i. S. d. § 1 Abs. 4 Nr. 1, § 7 WaStrG zu qualifizieren seien.

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Auch die rechtlichen Voraussetzungen des § 107 LWG lägen nicht vor. Weder handele es sich bei der FAA XX um eine Anlage des Hochwasserschutzes noch enthielten das WHG oder das LWG Vorschriften zu Fischaufstiegsanlagen, noch gingen von der FAA XX Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Bei der FAA XX handele es sich gerade nicht um ein Querbauwerk in der Elbe. Das Querbauwerk, welches die Durchgängigkeit des Fließgewässers Elbe aktuell störe, sei vielmehr das 1960 errichtete Wehr der WSA XX. Zudem habe die Funktionsfähigkeit der FAA XX keinen Einfluss und keine Auswirkung auf die Einhaltung, Beförderung oder Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie. Dies habe auch der Antragsgegner, wie sich der Plangenehmigung entnehmen lassen, so gesehen (Ziff. 6.13.3).

24

Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege selbst bei einer von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache unabhängigen Interessenabwägung gegenüber dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Würde der Sofortvollzug andauern, wäre die Antragstellerin gravierende nachteiligen Vollzugsfolgen ausgesetzt, die eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten würden.

25

Die Antragstellerin beantragt,

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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 17.6.2020 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19.5.2020 – Az.: 342.30.0325 –, der Antragstellerin zugegangen am 25.5.2020 wiederherzustellen,

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im Wege der Zwischenverfügung bis zu einer Entscheidung des Gerichts über den Antrag zu 1) die Vollziehung der im Antrag zu 1) genannten Ordnungsverfügung hinsichtlich deren Ziff. 1 und Ziff. 2 einstweilen auszusetzen.

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Der Antragsgegner beantragt,

29

den Antrag abzulehnen.

30

Der Antragsgegner führt aus, dass sich aus den Planunterlagen zur Genehmigung der Fischaufstiegsanlage XX ergebe, dass sowohl die Fischtreppe, als auch der Teil des Wehrs, der die Leitströmung ermögliche (Überlaufrinne) Bestandteile der Unterhaltungsverpflichtung der Antragstellerin seien. Aufgrund wirksamer Übertragung der Verpflichtungen in Bezug auf Fischtreppe mit Überlaufrinne komme eine Inanspruchnahme der WSV nicht in Betracht. Die Inanspruchnahme der Antragstellerin diene insoweit der effektiven, kurzfristigen Abstellung der Störung der Rechtsordnung. Die Frage hinsichtlich der Verantwortlichkeit für die drohende Havarie des Wehres spiele allenfalls hinsichtlich der „Adressatenauswahl“ eine Rolle und die Streitigkeiten zwischen den „möglichen Adressaten“ würden belegen, dass die Entscheidung, die nach der Plangenehmigung für den ordnungsgemäßen Zustand der Fischtreppe Verantwortliche, hier die Antragstellerin, in Anspruch zu nehmen, sachgerecht sei.

31

Auch sei die Frist zur Umsetzung der Maßnahmen angemessen. Die Antragstellerin habe seit Zugang der Ordnungsverfügung rund 6 Monate Zeit für die Umsetzung der Maßnahmen. Aufgrund der bereits aus der Plangenehmigung bekannten Art und Weise der Umsetzung sei eine Auftragsvergabe in diesem Zeitraum zumutbar.

32

Die Rechtsgrundlage des § 100 Abs. 1 i. V. m. § 107 LWG sei zutreffend gewählt worden. Bei dem von der Antragstellerin betriebenen Wehrteil handele es sich um eine Anlage i. S. d. § 36 WHG, die aufgrund der nicht mehr funktionsfähigen Durchlässigkeit der Rinnen für die Lock- und Leitströmung ein Hindernis für die Durchgängigkeit des Fließgewässers darstelle. Diese Barriere stelle einen Verstoß gegen das in § 27 WHG normierte ökologische Verschlechterungsverbot und Erhaltungsgebot dar, denn ausweislich des aktualisierten Bewirtschaftungsplans für den deutschen Teil der Flussgebietseinheit Elbe für den Zeitraum 2012-2016 sei aufgrund der Ergebnisse des Fischmonitorings belegt, dass durch diese Anlage die Lebenssituation bereits deutlich verbessert worden sei. Durch die bereits seit enem Jahr funktionsuntüchtige Anlage ergäben sich erhebliche Auswirkungen auf die Population der Fischarten.

33

Die Maßnahme stelle eine Durchsetzung der Regelungen der Plangenehmigungen i. V. m. der Ausgleichsmaßnahme für entsprechende Eingriffe aufgrund der Kühlwasserentnahme des Heizkraftwerkes dar. Sie sei geeignet, die bereits bestandene ökologische Verbesserung wieder herzustellen und sei angesichts der bevorstehenden Konsequenzen für die Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes auch erforderlich.

34

Die Anordnung sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne, da es hier lediglich darum gehe, wer die Kosten für die Wiederherstellung tragen müsse. Dem gegenüber stünden die erheblichen Auswirkungen auf Natur und Umwelt. Angesichts der vertraglichen und genehmigungsrechtlichen Lage überwiege das Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes das Interesse der Gegenseite an der Wiederherstellung des Suspensiveffektes. Die Abstimmung mit dem WSA diene nur dazu, die Aufhebung der als Ersatzvornahme wegen durch Auskolkungen bestehender Gefahr für das gesamte Wehr durch das WSA vorgenommenen vorläufigen Sicherungsmaßnahmen unter Wiederherstellung der Rinnen für die Lock- und Leitströmung sinnvoll umsetzen, wobei lediglich einzelne Details abzustimmen seien. Davon, dass effektiver Rechtsschutz zu spät käme, könne nicht die Rede sein, da die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden könnten.

35

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie die der Kammer vorliegenden Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

36

Der zulässige Antrag ist begründet.

37

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, also insbesondere in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird, ganz oder teilweise wiederherstellen; in den Fällen u. a. des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise anordnen.

38

Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse einerseits und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen der Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen. Lässt sich bei summarischer Prüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so bedarf es in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde im Einzelfall angeordnet wurde, noch eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung, das mit dem Interesse am Erlass eines Verwaltungsaktes in der Regel nicht identisch ist, sondern vielmehr ein qualitativ anderes Interesse ist. Dieses besondere öffentliche Vollzugsinteresse, das von der Behörde gem. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gesondert zu begründen ist, ist in den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung konstituiert und bedarf damit keiner weiteren Darlegung durch die Behörde. In den letztgenannten Fällen führt regelmäßig die offensichtliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist. Lässt sich bei der Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nach dem oben dargelegten Maßstab weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides feststellen, bedarf es zur Entscheidung einer weiteren Interessenabwägung. Dabei sind die Folgen zu würdigen, die eintreten würden, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache dagegen Erfolg hätte. Diese Auswirkungen sind zu vergleichen mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg versagt würde (vgl. OVG Schleswig, Beschluss v. 06.08.1991 – 4 M 109/91 –, SchlHA 1991, 220).

39

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall Folgendes festzustellen:

40

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 19.5.2020 nicht das entgegengesetzte Verschonungsinteresse der Antragstellerin. Denn der fragliche Bescheid ist nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand der Kammer voraussichtlich rechtswidrig.

41

Die angefochtene Ordnungsverfügung lässt sich zwar grundsätzlich auf die Vorschrift des § 100 Abs. 1 Satz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) in Verbindung mit § 107 Abs. 3 des Landeswassergesetzes des Landes Schleswig-Holstein (LWG) stützen. Es kann letztendlich jedoch dahinstehen, ob die getroffenen Anordnungen die Tatbestandsvoraussetzungen der wasserrechtlichen Generalklausel erfüllen, da die Kammer bereits durchgreifende Zweifel hat, ob der Antragsgegner mit der angegriffenen Verfügung eine ermessensfehlerfreie Störerauswahl vorgenommen hat.

42

Weder die Vorschrift des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG noch die Regelung in § 107 LWG regeln, gegen wen die Maßnahme zu richten ist. Diesbezüglich gelten die zum allgemeinen Ordnungsrecht ermittelten Grundsätze der Störerauswahl (vgl. Schwind in Berendes/Frenz/Müggenborg (Hrsg.), WHG, 2. Auflage 2017, § 100, Rn. 28). Dabei gilt die allgemeine Theorie der unmittelbaren Verursachung, wonach derjenige eine Gefahr verursacht, der „bei wertender Betrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls die Gefahrengrenze überschritten und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr“ gesetzt hat (vgl. Schwind, aaO, Rn. 28 unter Hinweis auf OVG Münster, Beschluss v. 11.1.1985 – 4 B 1434/84, NVwZ 1985, 355 ff.). Dies gebieten auch die insbesondere im Umweltrecht anerkannten Grundsätze des Verursacherprinzips, des Effektivitätsgrundsatzes sowie der allgemeinen umweltpolitischen Verteilungsgerechtigkeit mit der Folge, dass Maßnahmen sowohl gegen Personen gerichtet werden können, die die Gefahr einer Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes zu verantworten haben (Handlungsstörer) als auch gegen denjenigen, der für den Zustand von Sachen verantwortlich ist, also insbesondere der Grundstückseigentümer (Zustandsstörer) (vgl. Schwind, aaO, Rn. 28).

43

Dies zugrunde gelegt lässt die Ordnungsverfügung des Antragsgegners eine tragfähige Ermessensentscheidung über die Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Verantwortlichen nicht erkennen.

44

Denn in der Begründung des Bescheides vom 19.5.2020 heißt es lediglich, dass die Möglichkeiten beim Auswahlermessen eng begrenzt seien und der Antragsgegner nach Prüfung des Sachverhaltes zu der Feststellung gekommen sei, dass lediglich die Aufforderung an die Antragstellerin zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände geeignet und erforderlich sei, die Antragstellerin dazu anzuhalten, die wasserrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Weshalb und auf welcher Prüfungsgrundlage der Antragsgegner zu dieser Auffassung gelangt ist, geht aus der Ordnungsverfügung nicht hervor und erschließt sich auch aus der sonstigen Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht.

45

Vielmehr hat der Antragsgegner im angefochtenen Bescheid die Möglichkeit, dass eine Inanspruchnahme der WSV als Handlungs- bzw. Zustandsstörerin in Betracht kommen könnte, offensichtlich nicht in seine Erwägungen einbezogen, obgleich sich dem Verwaltungsvorgang entnehmen lässt, dass eine Verantwortlichkeit der WSV von Seiten des Antragsgegners zunächst durchaus angenommen worden war.

46

So heißt es in einer E-Mail des Antragsgegners vom 5.8.2019 an einen Mitarbeiter der WSV, dass der Antragsgegner erst durch die Medien vom Schadensfall am Wehr XX erfahren habe. Es wurde insoweit um Mitteilung gebeten, wie die Schadensbeseitigung erfolgen solle (Bl. 25 Beiakte F (Schriftverkehr IV)). In einer weiteren E-Mail vom 6.8.2019 von Seiten des Antragsgegners an die WSV heißt es sodann, dass der Antragsgegner die WSV darauf aufmerksam gemacht habe, dass die Lockströmung in jedem Fall wieder zeitnah herzustellen sei. Deshalb werde die WSV aufgefordert, kurzfristig Überlegungen zur Wiederherstellung der Lockströmung anzustellen und diese mit den zuständigen Institutionen, der Wasserbehörde des Kreises sowie mit dem Landesamt XX abzusprechen (s. Bl. 24 der Beiakte F (Schriftverkehr IV)).

47

Weshalb der Antragsgegner sich in der Folgezeit ausschließlich auf die Antragstellerin als Störerin konzentriert hat und eine Verantwortlichkeit der WSV ausgeschlossen hat, lässt sich dem Verwaltungsvorgang nicht entnehmen.

48

Soweit der Antragsgegner im einstweiligen Rechtsschutzverfahren weitere Begründungselemente dafür liefert, weshalb vorliegend nur die Antragstellerin als Störerin – und nicht die WSV – heranzuziehen war, ist dieses Vorbringen nicht berücksichtigungsfähig. Denn der angefochtene Bescheid leidet insoweit an einem Ermessensausfall, der einem Nachschieben von Ermessensgründen mit „heilender Wirkung“ gem. § 114 Satz 2 VwGO nicht zugänglich ist. Dieser Ermessensausfall liegt darin, dass vom Antragsgegner in Bezug auf einen – nicht von vornherein ausscheidbaren – möglichen Pflichtigen überhaupt keine Erwägungen dazu angestellt worden sind, ob und warum dieser Pflichtige gegebenenfalls nicht in Anspruch genommen wird. Eine Begründung, die solche Erwägungen erstmals überhaupt enthält, geht jedoch über ein nach § 114 Satz 2 VwGO zulässiges Nachschieben weiterer Ermessensgründe hinaus (vgl. VGH München, Urteil v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099, NVwZ-RR 2018, 606, 611, beck-online). Im Anwendungsbereich des § 114 Satz 2 VwGO liegen vielmehr nur die Fälle, in welchen bei einem Ermessensverwaltungsakt unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt wurden, nicht hingegen jene, in denen es an Ermessenserwägungen bisher fehlte, das Ermessen also noch gar nicht ausgeübt wurde oder wesentliche Teile der Ermessenserwägungen ausgetauscht oder erst nachträglich nachgeschoben wurden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 114, Rn. 50). Das bedeutet, dass in den Fällen, in denen die für den Vollzug zuständige Behörde erwägt, ob ein anderer Pflichtiger in Betracht kommt und für die fachlich gebotene Maßnahme in Anspruch genommen werden soll, dies (auch) eine abwägende Gegenüberstellung des bisher Betroffenen einerseits mit dem – möglicherweise „vorzugswürdigen“ – anderen Adressaten eines gegebenenfalls neu zu erlassenden belastenden Verwaltungsakts andererseits erfordert (vgl. VGH München, Urteil v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099, NVwZ-RR 2018, 606, 611, beck-online). Tut sie dies nicht, so führt die Einbeziehung eines weiteren Pflichtigen in die Auswahlentscheidung zu einer neuen (zusätzlichen) Ermessensentschließung darüber, ob die bisherige Wahl des Adressaten auch bei Berücksichtigung eines anderen potenziell in Anspruch zu Nehmenden Bestand haben kann (vgl. VGH München, Urteil v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099, NVwZ-RR 2018, 606, 611, beck-online). In Bezug auf einen bisher nicht in die Auswahl einbezogenen „Störer“ handelt es sich dann um den – nach § 114 Satz 2 VwGO nicht gedeckten – Austausch der Begründung für die Störerauswahl (vgl. VGH München, Urteil v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099, NVwZ-RR 2018, 606, 611, beck-online; OVG Schleswig, XXÖR 2002, 122 = BeckRS 2000, 14447).So liegt es hier. Es handelt sich nämlich im Grunde nicht lediglich um eine Anreicherung der bisher schon gegebenen Begründung dafür, weshalb die Behörde den Betroffenen als Adressaten des angefochtenen belastenden Verwaltungsakts ansieht. Denn die vom Antragsgegner im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abgegebene Begründung ihrer Ermessensentscheidung enthält erstmalig Gründe für eine Ermessensbetätigung zu Lasten der Antragstellerin anstelle der WSV, nachdem sie in ihrer Ordnungsverfügung zuvor in der Begründung auch nicht ansatzweise die Notwendigkeit einer Auswahlentscheidung zwischen der Antragstellerin und der WSV erörtert hat bzw. insoweit gar eine Abwägung hätte stattfinden lassen.

49

Der Ermessensausfall wäre nur dann unschädlich, wenn das Ermessen dahingehend auf Null reduziert gewesen wäre, dass das Ergebnis der Ermessensausübung – also die angefochtenen Anordnungen gegenüber der Antragstellerin – auch ohne die Defizite der Entscheidungsfindung dasselbe hätte sein müssen, oder wenn offensichtlich ist, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. VGH München, Urteil v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099, NVwZ-RR 2018, 606, 611, beck-online; VGH München, BayVBl 2011, 762 = BeckRS 2010, 55989; vgl. auch BVerwG vom 3.10.1988 Buchholz 316 § 40 VwGO Nr. 8). Dies ist dann der Fall, wenn nach Lage der Dinge angesichts der besonderen Umstände des konkreten Falls jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre; in einem solchen Fall ist die Entscheidung der Behörde - trotz des sonst bestehenden Ermessensspielraums - rechtlich zwingend vorgezeichnet, so dass für behördliche Ermessenserwägungen kein Anlass besteht (vgl. VGH München Beschluss v. 18.10.2010 – 22 CS 10.439, BeckRS 2010, 55989 Rn. 14, beck-online). Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben.

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Vielmehr hätte es nahegelegen, sowohl eine Verhaltensverantwortlichkeit der WSV als auch eine mögliche Zustandsverantwortlichkeit der WSV zu prüfen. Schließlich war es die WSV, die durch das vollständige Verfüllen der Überlaufrinnen die Funktionsunfähigkeit der FAA XX herbeigeführt hat. Zwar ist die Verantwortlichkeit für die Havarie des Wehres des WSV weiterhin ungeklärt. So werfen sich die WSV und die Antragstellerin wechselseitig vor, ihre Wartungs- und Instandsetzungspflichten im Hinblick auf die Überlaufschwelle bzw. das Gesamtbauwerk (Wehr) verletzt zu haben. Letztlich kann die Verantwortlichkeit für die drohende Havarie am Wehr hier jedoch dahinstehen. Denn unstreitig ist, dass die WSV die Leitströmung verfüllt hat und diese Handlung unmittelbar zur Beeinträchtigung der FAA XX geführt hat. Es ist hinsichtlich dieser Handlung auch nicht erkennbar, weshalb es der WSV während der gesamten „Not“-Sicherung der Stauanlage von August 2019 bis Anfang Dezember 2019 nicht möglich gewesen sein soll, die Antragstellerin als aus dem Vertrag Nutzungsberechtigte und aus der Plangenehmigung Verpflichtete in ihre Baumaßnahmen einzubinden, obgleich die Antragstellerin der WSV mit E-Mail vom 27.9.2019 mitgeteilt hatte, dass sie eine Woche zuvor über die baulichen Maßnahmen unterrichtet worden sei und ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass aufgrund des angekündigten Betonverschlusses der fünf Rinneneingänge die Funktionsfähigkeit der FAA XX nicht mehr gegeben sei und insoweit um Berücksichtigung bei den weiteren Bauausführungen (Bl. 33, 34 Beiakte F (Schriftverkehr IV)) gebeten hatte.

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Aber selbst wenn man hier eine Verhaltensverantwortlichkeit der WSV ablehnen wollte, so wäre es jedenfalls erforderlich gewesen, zu erwägen, die WSV als Zustandsstörerin heranzuziehen, da – neben der Antragstellerin als Nutzungsberechtigte – die WSV Eigentümerin der festen Wehrschwelle ist und der Zustand der Wehrschwelle einschließlich Überlauf in Form der Verfüllung der Überlaufrinnen die Gefahrenlage für die FAA XX geschaffen hat. Etwaige entgegenstehende Nutzungsberechtigungen der Antragstellerin hätten insoweit durch eine Duldungsanordnung gegenüber der Antragstellerin überwunden werden können (vgl. BayVGH vom 27.5.1993, BayVBl 1994, 531/533). Ob die Antragstellerin selbst auf einfacherem und schnellerem Weg zu einer Wiederherstellung der Leit- und Lockströmung in der Lage ist, erscheint angesichts des erhöhten Abstimmungsbedarfs im Hinblick auf die gesamte Wehranlage zweifelhaft. Nach dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr liegt daher die Inanspruchnahme des WSV jedenfalls ebenso nahe wie eine Inanspruchnahme der Antragstellerin.

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Im Ergebnis scheidet damit eine Ermessensreduzierung auf Null aus. Dies gilt auch unter dem Aspekt des Tätigwerdens gegenüber einem anderen Hoheitsträger. Das materielle Wasserrecht gilt auch für Bund, Länder und andere Träger hoheitlicher Aufgaben und ihre Organe mit der Folge, dass in diesem Rahmen auch Hoheitsträger der wasserrechtlichen Überwachung unterliegen und Adressat von Ordnungsverfügungen sein können (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 11. Auflage 2014, § 100, Rn. 68). Zwar ist es den Wasserbehörden versagt, zur Durchsetzung wasserrechtlicher Anforderungen mit befehlenden Anordnungen und deren Vollstreckung in die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben einzugreifen. Die Beschränkungen für den Eingriff in die Tätigkeit der anderen Hoheitsverwaltungen gelten jedoch nicht, wenn diese Hoheitsverwaltung lediglich als Grundstücks-, Gewässer- oder Anlageneigentümer angesprochen wird, ohne dass dadurch in die hoheitliche Tätigkeit eingegriffen wird (vgl. SZDK/Gößl, 53. EL August 2019 Rn. 140, WHG § 100 Rn. 140; BVerwG, Urteil v. 8. 5. 2003, 7 C 15.02, DÖV 2003, 951, 953 = DVBl. 2003, 1076, 1078 zum Vorgehen gegen die Bundesrepublik Deutschland als Besitzerin von Abfällen, die auf ihren Betriebsgrundstücken entlang von Bundeswasserstraßen abgelegt werden; OVG Schleswig Urteil v. 3.4.1998 – 4 L 133/96, BeckRS 1998, 22926 Rn. 32, 33, beck-online zu Ölverunreinigungen in der Bundeswasserstraße; Landmann/Rohmer UmweltR/Kubitza, 92. EL Februar 2020, WHG § 100, Rn. 35). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass eine Anordnung gegenüber der WSV zur Wiederherstellung der von ihr verfüllten Überlaufrinnen in den Hoheitsbereich der WSV eingreifen würde mit der Folge, dass diese als Störerin nicht berücksichtigungsfähig wäre. Denn, wie der Antragsgegner mehrfach betont hat, handelt es sich bei der festen Wehrschwelle, die als Platzhalter für ein ursprünglich zu errichtendes Wasserkraftwerk dienen sollte, welches gemäß § 34 WHG und damit der Zuständigkeit der Länder unterfällt, nicht um einen Bestandteil der bundeseigenen Stauanlage i. S. d. § 35 Abs. 3 WHG, für welche der Bund die ausschließliche Zuständigkeit hätte.

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Nach alldem war dem Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht gem. § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, da sie keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i. V. m. Ziff. 1.7.2, Satz 2 und Ziff. 51.2.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05. / 01.06.2012 und am 18.7.2013 beschlossenen Änderungen. Die Kammer hat für Ziffer 1 und Ziffer 2 der Ordnungsverfügung jeweils das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 25.000,- Euro bzw. 10.000,- Euro zugrunde gelegt, da dieses höher ist als der für die Grundverfügung mangels anderer Anhaltspunkte zu bemessende Auffangstreitwert. Es erscheint angemessen, den Gesamtwert in Höhe von 35.000,- Euro zu halbieren mit der Folge, dass der Streitwert auf 17.500,- Euro festgesetzt wurde. Der Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung, über den vorliegend aufgrund der Erklärung des Antragsgegners, vor einer Entscheidung der Kammer keine Vollzugsmaßnahmen zu ergreifen, nicht mehr zu entscheiden war, löst keine eigenen Kostenfolgen aus (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2017, 951 Rn. 10 mwN) mit der Folge, dass dieser Antrag bei der Festsetzung des Streitwerts nicht zu berücksichtigen war (vgl. Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 123 Rn. 60).


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