Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 B 3/20

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag,

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die aufschiebende Wirkung der mit gleicher Post erhobenen Anfechtungsklage gegen die Duldungsverfügung mit Zwangsgeldandrohung der Antragsgegnerin vom 29. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2020 wiederherzustellen,

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hat keinen Erfolg.

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Der zulässige Antrag ist unbegründet.

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Die in dem Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2020 enthaltene Begründung zur sofortigen Vollziehung genügt in formeller Hinsicht zunächst den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Hiernach ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. September 2001 – 1 DB 26.01 –, Rn. 6, juris). Die zuständige Antragsgegnerin ist der gesetzlichen Verpflichtung, die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu begründen, in ausreichendem Maße nachgekommen. Ihre Ausführung, weshalb eine sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten ist, erschöpft sich nicht in formelhaften Ausführungen oder einem Verweis auf den Wortlaut des § 80 Abs. 3 VwGO. Ein hinreichender Einzelfallbezug sowie die Darlegung der Dringlichkeit sind gegeben, da in der Begründung konkret auf die mit einer Vergrößerung der Schadstofffahne verbundenen Gefahren für die betroffenen Schutzgüter Grundwasser und Boden abgestellt wird, die ohne unverzügliche Untersuchungsmaßnahmen drohen sollen.

6

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet worden ist, ganz oder teilweise wiederherstellen. Im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, bei der das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen hat, sind die widerstreitenden Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Wenn das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt, kann der Antrag in der Sache Erfolg haben. Maßgeblich hierfür sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die das Gericht summarisch überprüft. Ist bei der danach gebotenen summarischen Überprüfung davon auszugehen, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, da an der Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein besonderes Interesse bestehen kann. Ist demgegenüber der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse, wenn ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes besteht. Maßgebend für die Interessenabwägung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung des Gerichts (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Niedersachsen, Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 5 ME 121/07 –, Rn. 19, juris).

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Bei Anwendung der oben dargestellten Maßstäbe geht die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung der streitbefangenen Duldungsverfügung vom 29. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2020, geändert mit Bescheid vom 30. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2020 ist höher zu bewerten als das private Interesse der Antragstellerin, dem Verlangen, zwei von der Beigeladenen zu errichtende Grundwassermessstellen zur Schadenserkundung zu dulden, einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht Folge leisten zu müssen.

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Zunächst begründet eine drohende Eigentumsverletzung aufseiten der Antragstellerin die Notwendigkeit, inzident auch die Rechtmäßigkeit der gegenüber der Beigeladenen erlassenen bodenschutzrechtlichen Anordnung vom 24. Mai 2019 zu prüfen. Dies beruht auf dem Rechtsgedanken, dass die Duldungsverpflichtete – hier die Antragstellerin – in einem Verfahren gegen die durchzusetzende bodenschutzrechtliche Anordnung vom 24. Mai 2019 nicht beteiligt war und daher gegen diese auch keine Einwendungen vortragen konnte (Oberverwaltungsgericht für das Land Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 2 M 13/12 –, Rn. 41, juris). Deren Bestandskraft steht dieser Prüfung dabei nicht entgegen (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 2 A 983/13 –, Rn. 12, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 4 MB 88/19 –, Rn. 12, juris).

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Vorliegend bestehen nach der hier gebotenen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gegenüber der Beigeladenen erlassenen bodenschutzrechtlichen Anordnung vom 24. Mai 2019. Es besteht aufgrund konkreter Anhaltspunkte der hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung.

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Rechtsgrundlage der bodenschutzrechtlichen Anordnung vom 24. Mai 2019 ist – anders als die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid ausführt – § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG.

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Der Anwendungsbereich des § 9 BBodSchG zu § 13 BBodSchG ist wie folgt abzugrenzen: Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung nach § 9 BBodSchG dienen der Feststellung, ob eine Gefahr vorliegt, welches Ausmaß sie hat und in welchem Umfang Sanierungsmaßnahmen oder sonstige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich sind (vgl. BT-Dr 13/6701, S. 24, 40). Die Sanierungsuntersuchung nach § 13 Abs. 1 BBodSchG liefert dagegen Grundlagen für die Entscheidung, auf welche Weise der Verpflichtete die mit der Altlast verbundene Gefahr abwenden soll (BT-Dr a. a. O., 24). Die Anordnung einer Sanierungsuntersuchung setzt damit voraus, dass die grundsätzliche Notwendigkeit der Sanierung bereits feststeht; sie beruht insoweit auf den Ergebnissen einer vorangegangenen Gefährdungsabschätzung (Oberverwaltungsgericht für das Land Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2000 – 10 S 660/00 = NVwZ 2001, 582 ff.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 22 CS 02.3223 –, Rn. 9, juris).

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Dies zugrunde gelegt beschränkt sich die bodenschutzrechtliche Anordnung vom 24. Mai 2019 vorliegend auf die Erkundung des Untergrundes hinsichtlich einer vertikalen Ausbreitung der auf dem Grundstück der Beigeladenen festgestellten Grundwasserbelastung. Dem steht nicht entgegen, dass die auf dem Grundstück der Antragstellerin zu errichtenden Grundwassermessstellen in das laufende Monitoring einbezogen werden und ihnen im Rahmen einer späteren Sanierung ggf. eine Bedeutung zukommen kann. Die Errichtung dient primär der Schadens- und Belastungsermittlung und ist somit der Untersuchung zuzuordnen, weshalb § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG die taugliche Rechtsgrundlage darstellt.

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Die bodenschutzrechtliche Anordnung ist auch materiell rechtmäßig. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG kann die zuständige Behörde anordnen, dass die in § 4 Abs. 3, 5 und 6 BBodSchG genannten Personen die notwendigen Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung durchzuführen haben, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte der hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder einer Altlast besteht.

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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

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Es besteht aufgrund konkreter Anhaltspunkte der hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG. Konkrete Anhaltspunkte, die den hinreichenden Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung begründen, liegen jedenfalls dann vor, wenn Untersuchungen eine Überschreitung von Prüf- oder von Maßnahmewerten ergeben haben (Landmann/Rohmer UmweltR/Ewer, 92. EL Februar 2020, BBodSchG § 9 Rn. 56).

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Da die BBodSchV für die hier durchgeführten Untersuchungen keine einschlägigen Werte enthält, kann zur Beurteilung von schädlichen Bodenbelastungen und Grundwasserschäden auf die bisher anerkannten und in der Rechtsprechung auch angewandten allgemeinen Regelwerke, vgl. Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA), Empfehlungen für die Erkundung, Bewertung und Behandlung von Grundwasserschäden (1994), zurückgegriffen werden (vgl. VG Minden, Urteile vom 26. Mai 2010 – 11 K 1271/09 –, vom 2. Februar 2005 – 11 K 7572/03 –, vom 4. Dezember 2002 – 11 K 91/01 – unter Bezugnahme auf Oberverwaltungsgericht für das Land Niedersachsen, Beschluss vom 3. Mai 2000 – 7 M 550/00 –; ebenso VG Aachen, Urteil vom 16. Februar 2005 – 6 K 2235/01 –; VG Frankfurt/Main, Urteil vom 5. Oktober 2001 – 14 E 4124/99 – unter Bezugnahme auf Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 13. Juli 2001 – 6 TG 1761/99 – alle zitiert nach juris).

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Im vorliegenden Fall belegen die Erkenntnisse aus dem Gutachten „Altstandort AS 69 A-Stadt x x, Bericht zu weiterführenden Grundwasseruntersuchungen“ vom 18. September 2017 sowie die nachfolgenden Monitoringberichte der Firma xx von 2017 bis 2019, dass sowohl auf dem Grundstück der Antragstellerin als auch auf dem der Beigeladenen eine schädliche Bodenveränderung vorliegt. Insbesondere die Grundwassermessstellen (GWM) 5 und 12 belegen bereits eine erhebliche Grundwasserverunreinigung. Bei Anwendung der LAWA-Empfehlungen erreichen die Summe der Gehalte der in der GWM 5 hauptsächlich vertretenen Parameter PER und TRI (Per- und Trichlorethen) das 230-400-fache des Geringfügigkeitsschwellenwertes. In der Abstrommessstelle GWM 12 dominiert das Vinylchlorid und die dort gemessenen Gehalte erreichen das 1.660 bis 3000-fache des Geringfügigkeitsschwellenwertes. Diese Werte erfordern weitere Aufklärungsmaßnahmen in Gestalt weiterer Grundwassermessstellen zur Eingrenzung des Schadens.

18

Eine weitere Ausbreitung der Schadstofffahne in nordöstlicher Richtung vom Grundstück der Beigeladenen ist nicht nur theoretisch möglich, sondern auch wahrscheinlich. Dies ergibt sich aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Grundwassermodellierung sowie aus den Monitoringberichten der Firma Xx, die von einer Ausbreitung der Schadstofffahne in nordöstlicher Richtung ausgehen. Der bloße Einwand der Antragstellerin, der auf die von ihr eingeholte Stellungnahme vom 20. Februar 2020 der Xxx zurückgeht, die Ausbreitung der Schadstofffahne in nordöstlicher Richtung sei nicht belegt, stellt die Ausführungen der Antragsgegnerin und die Ergebnisse der Monitoringberichte nicht durchgreifend in Frage. Insbesondere lassen die Stellungnahmen eine eingehende Auseinandersetzung mit den von der Antragsgegnerin vorgetragenen Argumenten vermissen. Die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar dargelegt, weshalb andere Flächen für die Errichtung der Grundwassermessstellen nicht in Betracht kommen. So führt sie zutreffend aus, dass die von der Xxx angesprochene GWM 3 nur das Wasser aus dem LCKW-Schaden in der oberflächennahen Sandlinse, nicht aber das hier allein relevante Wasser aus dem 1. Grundwasserleiter erfasst. Sie befindet sich ca. 10 m und die GWM 5 ca. 2 m westlich der Grundstücksgrenze AS69. Die GWM 5 ist bekanntermaßen mit LCKW belastet. Da sich östlich der Grundstücksgrenze eine in Betrieb befindliche Bahntrasse befindet, sind Bohrungen in diesem Bereich nicht ohne weiteres möglich. Bei einer Verschiebung nach Westen würden die Grundwassermessstellen zudem nicht mehr in dem zu untersuchenden Abstrombereich liegen. Eine Verschiebung nach Norden oder Osten kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil hierdurch keine belastbaren Erkenntnisse gesammelt werden könnten. Da die GWM 12 und 5 erhebliche Grundwasserbelastungen bereits belegen, müssen weitere Grundwassermessstellen grundsätzlich in derselben Fließrichtung liegen. Diese dürfen auch nicht zu weit weg von den bisherigen entfernt sein, da der belastete Bereich ansonsten nicht erreicht werden könnte.

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Die Beigeladene gehört als Eigentümerin des kontaminierten Grundstückes zum Personenkreis des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und konnte deshalb als Verantwortliche im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG zur Durchführung der Untersuchungen in Anspruch genommen werden.

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Die der Beigeladenen in der bodenschutzrechtlichen Anordnung vom 24. Mai 2019 auferlegten Maßnahmen sind auch zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig, angemessen und verhältnismäßig. Sonstige Anhaltspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

21

Die gegenüber der Antragstellerin erlassene Duldungsverfügung der Antragsgegnerin vom 29. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2020, geändert mit Bescheid vom 30. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2020 findet ihre Rechtsgrundlage in § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG.

22

Dass sich die Antragsgegnerin auf die zutreffende Ermächtigungsgrundlage erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens berufen hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung. Welche Rechtsgrundlage heranzuziehen ist, ist unabhängig von den Rechtsansichten der Beteiligten vom Gericht zu entscheiden. Die Verwaltungsgerichte haben im Rahmen des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO von Amts wegen zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht. Hierzu gehört – in rechtlicher Hinsicht – die Prüfung, ob ein angegriffener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. August 1988 – 8 C 29.87 –, BVerwGE 80, 96-99; Urteil vom 30. Juni 1989 – 4 C 40.88 –, BVerwGE 82, 185-189, Rn. 20; Urteil vom 12. April 1991 – 8 C 92.89 –, Rn. 9, juris). Wird die in einem Bescheid (im „Bescheidtenor“) verfügte Regelung auf einer anderen Rechtsgrundlage als der im Bescheid genannten aufrechterhalten, lässt dies die Identität der im Bescheid getroffenen behördlichen Regelung unberührt, wenn sie – wie vorliegend – auf dasselbe Regelungsziel gerichtet bleibt und infolge des „Austauschs“ der Rechtsgrundlage keine Wesensänderung erfährt. Letzteres ist vorliegend nicht ersichtlich.

23

Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG kann die zuständige Behörde die zur Erfüllung der Verpflichtungen aus § 4 BBodSchG notwendigen Maßnahmen treffen. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG sind der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück verpflichtet, den Boden und Altlasten sowie durch schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten verursachte Verunreinigung von Gewässern so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belastungen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen. Hierzu kommen bei Belastungen durch Schadstoffe neben Dekontaminations- auch Sicherungsmaßnahmen in Betracht, die eine Ausbreitung der Schadstoffe langfristig verhindern (§ 4 Abs. 3 Satz 2 BBodSchG). Dem Einwand der Antragstellerin, § 10 Abs. 1 BBodSchG setze voraus, dass die zu duldende Untersuchung tatsächlich der Sanierung des von der Altlast betroffenen Grundstücks dient mit der Folge, bloß sanierungsvorbereitenden Untersuchungen, die die Erstellung eines abschließenden Sanierungskonzeptes dienen, ist entgegenzuhalten, dass mit Anordnungen nach § 10 Abs. 1 BBodSchG grundsätzlich ein Handeln verlangt werden kann, sei es zur Gefahrenabwehr oder zur Sanierung. Die Vorschrift schließt aber auch die Anordnung einer Duldung nicht aus. Der Begriff der Maßnahme wird in § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG nicht näher konkretisiert. Voraussetzung ist lediglich, dass die Maßnahme der Erfüllung von Pflichten u. a. aus § 4 BBodSchG dient. Der Erfüllung solcher Pflichten können jedoch sowohl Handlungen als auch Duldungen dienen (Oberverwaltungsgericht für das Land Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 2 M 13/12 –, juris Rn. 42).

24

Dies ist hier der Fall. Die gegenüber der Antragstellerin erlassene Duldungsanordnung vom 29. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2020, geändert mit Bescheid vom 30. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2020 dient vorliegend der Ermöglichung einer gegenüber der Beigeladenen erlassenen bodenschutzrechtlichen Anordnung vom 24. Mai 2019, mit der der Beigeladenen aufgegeben wurde, im Rahmen eines Sanierungsplanes auf dem Grundstück der Antragstellerin zwei Grundwassermessstellen zu errichten. Das Grundstück der Beigeladenen ist bestandskräftig als Altlast festgestellt worden. Vorliegend ist – wie bereits oben ausgeführt wurde – nicht auszuschließen, dass sich die Schadstofffahne in nordöstlicher Richtung ausbreitet.

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Die Duldungsanordnung ist auch verhältnismäßig, insbesondere führt sie bei der Antragstellerin nicht zu unzumutbaren Nachteilen, die zu ihrem Zweck außer Verhältnis stehen.

26

Soweit die Antragstellerin die Duldung der Grundwassermessstellen nachträglich mit Bescheid vom 30. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2020 bis zum 29. Februar 2024 befristet hat, begegnet dies ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin konnte die Duldungsverfügung entgegen der Auffassung der Antragstellerin gemäß § 116 Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (LVwG) teilweise zurücknehmen, soweit die Duldungspflicht unbefristet war. Es handelt sich bei dem Bescheid der Antragsgegnerin entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht um eine wiederholende Verfügung. Es hat eine erneute Sachprüfung durch die Antragsgegnerin stattgefunden, die zur teilweise Aufhebung der Duldungsverfügung geführt hat.

27

Die Antragstellerin erhält durch die Befristung bis zum 29. Februar 2024 eine klare Perspektive, wann mit einem Ende der zu duldenden Maßnahmen zu rechnen ist, vorausgesetzt die befürchtete Ausbreitung der Schadstofffahne in nordöstlicher Richtung realisiert sich nicht. Der pauschale Einwand der Antragstellerin, eine Duldung der Grundwassermessstellen – vorausgesetzt eine Ausbreitung der Schadstofffahne auf ihr Grundstück werde nicht bestätigt – über einen Zeitraum von mehr 12 Monaten sei nicht verhältnismäßig, ist nicht geeignet die plausiblen Ausführungen der Antragsgegnerin in Frage zu stellen. Die Antragsgegnerin hat in der erforderlichen substantiierten Weise nachvollziehbar dargelegt, weshalb eine Befristung mindestens bis zum 29. Februar 2024 unter Berücksichtigung weiterer Faktoren wie die Ausschreibung, Beauftragung, Errichtung, Koordination und Durchführung des Rückbaus erforderlich ist. So werden die Grundwassermessstellen erst neun Monate nach Abschluss des Gerichtsverfahrens errichtet. Für die bloße Probenahme hat die Antragsgegnerin 27 Monate in Ansatz gebracht. Die erste Probenahme an den neuen Messstellen soll frühestens einen Monat nach der Errichtung der Grundwassermessstellen erfolgen. Denn nach den Angaben der Antragsgegnerin ist nach Errichtung der Grundwassermessstelle eine Ruhezeit nach dem Eingriff in den Grundwasserkörper erforderlich, da die Errichtungsarbeiten zu temporären und lokalen Veränderungen führen können. Die nächste Probenahme erfolgt dann nach 18 Monaten. Da das Grundwassermonitoring nur im März und Oktober stattfindet, beträgt die Mindestlaufzeit allein wegen dieses Umstandes ca. 1,5 Jahre. Letztlich kommt auch der von der Antragstellerin beauftragte Gutachter – eine Ausbreitung der Schadstofffahne vorausgesetzt – zu dem Ergebnis, dass eine Duldung der Grundwassermessstellen über einen Zeitraum von drei Jahren oder länger gerechtfertigt erscheint. Dies deckt sich mit der von der Antragsgegnerin errechneten Laufzeit. Da eine Ausbreitung der Schadstofffahne in nordöstlicher Richtung nicht ausgeschlossen ist, ist eine Befristung der Duldung bis zum 29. Februar 2024 nach alledem nicht zu beanstanden.

28

Die schützenswerten Interessen der Antragstellerin wurden von der Antragsgegnerin sowohl im Hinblick auf die Positionierung als auch bei der späteren Errichtung der Grundwassermessstellen hinreichend berücksichtigt. So entstehen der Antragstellerin zunächst weder im Rahmen der Errichtung noch während der Durchführung der Messungen noch durch den Rückbau der Grundwassermessstellen Kosten, da hierfür allein die Beigeladene aufkommt. Das Gericht verkennt nicht, dass die Antragstellerin in der Phase der Errichtung und des Rückbaus der Grundwassermessstellen mit Beeinträchtigungen und/oder Verzögerungen im Hinblick auf den Betriebs- und Geschäftsablauf rechnen muss. Die von der Antragstellerin geltend gemachten massiven Störungen und Beeinträchtigungen des Geschäftsbetriebes dürften nach Auswertung der in den Akten enthaltenen Lichtbildern und Luftaufnahmen sowie der im Internet allgemein zugänglichen Satellitenbilder (Digitaler Altas Nord, google-maps und bing) indes nicht zu erwarten zu sein.

29

Die westlich gelegene Grundwassermessstelle soll ausweislich der eingereichten Planungsunterlagen und Lichtbilder auf einem Grünstreifen errichtet werden. Das hierfür erforderliche Bohrgerät kann sowohl auf dem östlich von dem Grünstreifen vorhandenen asphaltierten Streifen oder auf der westlich von dem Grünstreifen vorhandenen Parkplatzausfahrt platziert werden. Mit letzterem würde zwar eine Behinderung des abfahrenden Kundenverkehrs einhergehen. Dies ist aber unschädlich, da das Parkhaus der Antragstellerin über eine weitere Ausfahrt in südlicher Richtung verfügt. Die Erschließungsstraße der Antragstellerin wird überhaupt nicht beeinträchtigt, sodass der anreisende Kunden- und Lieferverkehr gewährleistet ist. Die östlich gelegene Grundwassermessstelle – so versichert es die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 2. September 2020 – ist nicht unmittelbar vor einer Laderampe positioniert. Von den zum Einsatz kommenden Gerätschaften (Bohrgerät, Container etc.) dürften mit Blick auf ihre Größenverhältnisse ebenfalls keine nennenswerten Beeinträchtigungen ausgehen. Diese Einschätzung der Antragsgegnerin wird insbesondere durch die von der Beigeladenen eingereichte und als Anlage BL 1d (Blatt 190 d. Gerichtsakte) bezeichnete Lageaufnahme bestätigt. Sonstige Lichtbilder oder Lageaufnahmen, die eine andere Beurteilung im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse rechtfertigen, sind von der Antragstellerin nicht vorgelegt worden.

30

Selbst wenn es für die geschätzte Dauer der Errichtung der beiden Grundwassermessstellen von ca. zwei Wochen zu Einschränkungen der Nutzbarkeit der Laderampen kommen sollte, wäre dies mit Blick auf den mit den Grundwassermessstellen verfolgten Sanierungszweck hinzunehmen. Entsprechendes gilt für die angeblichen Schadensersatz- und/oder Mietminderungsforderungen der Mieter der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin führt zutreffend aus, dass diese bereits im Hinblick auf ein fehlendes Verschulden der Antragstellerin nicht gerechtfertigt wären.

31

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass von den einmal unterirdisch errichteten und sonst oberirdisch nicht störenden Grundwassermessstellen keine unzumutbaren Beeinträchtigungen mehr ausgehen. Die Grundwassermessstellen sind von außen kaum erkennbar, können überfahren werden und haben sonst keinen Einfluss auf den Betriebs- und Geschäftsablauf.

32

Die Antragstellerin gehört als Eigentümerin des Grundstückes zum Personenkreis des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und konnte deshalb als Verantwortliche im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG zur Duldung der zu errichtenden Grundwassermessstellen verpflichtet werden.

33

Die auf § 228 Abs.1, § 232 Abs.1 Nr. 1, § 235 Abs. 1 Nr. 1, § 236, § 237 LVwG beruhende Zwangsgeldandrohung ist nicht zu beanstanden.

34

Schließlich besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der streitbefangenen Duldungsverfügung. Hier steht das hochrangige Interesse an der Aufklärung von schädlichen Bodenveränderungen zur Ermöglichung von Sanierungsmaßnahmen in Rede. Dahinter stehen letztlich, wegen der zu besorgenden Reinheit des Grundwassers, die überragend wichtigen Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit. Steht – wie im vorliegenden Fall – fest, dass der Boden eines Grundstücks mit gesundheitsgefährdenden Stoffen durchsetzt ist und dass auch das Grundwasser im Bereich dieses Grundstücks erhebliche Verschmutzungen mit Stoffen dieser Art aufweist, wird dem Interesse des Gemeinwesens, möglichst rasch die Ursachen und das Ausmaß der Verunreinigung zu erkunden und die gegebenen Möglichkeiten einer Sanierung zu klären, besonders großes Gewicht zukommen. Die Grundentscheidung des Gesetzgebers, in erster Linie die nach § 4 BBodSchG Verantwortlichen zur Erkundung und Sanierung von Altlasten heranzuziehen, aber auch die Begrenztheit der verfügbaren öffentlichen Mittel und der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebieten es ferner, dem Interesse der Allgemeinheit großes Gewicht zuzumessen, dass die für eine Altlast Verantwortlichen ihren Erkundungs- und Sanierungspflichten zeitnah nachkommen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. September 2002 – 10 S 957/02 –, Rn. 9, juris).

35

Einer Dringlichkeit steht nicht entgegen, dass die Altlast auf dem Grundstück der Beigeladenen seit mehreren Jahren bekannt ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich für die Antragsgegnerin erst seit 2015 ein eindeutiges Bild der Grundwasserbelastungen ergeben hat. So wurde die Antragstellerin im Mai 2015 von der Antragsgegnerin dahingehend informiert, dass sich für die 2011 bekannten Belastungen im 1. Grundwasserleiter keine anderen möglichen Eintragsquellen ergeben haben. Die Grundwasserstellen GWM 12 und 5 wurden sodann Anfang 2017 errichtet. Da mit den baubedingten Erschütterungen eine Mobilisierung des LCKW einhergeht, wurde erst im März 2017 mit Beginn des begleitenden Grundwassermonitorings die heute bekannte Grundwasserbelastung ersichtlich. Im Übrigen sind Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin in Kenntnis der Grundwasserbelastung untätig geblieben ist, nicht erkennbar.

36

Abschließend sei lediglich darauf hingewiesen, dass die Duldungspflicht der Antragstellerin selbstverständlich entfällt, sobald sich wider Erwarten herausstellen sollte, dass die Grundwasserwerte unauffällig sind. Eine Notwendigkeit der Grundwassermessstellen wäre dann über den Februar 2024 hinaus dann nicht mehr gegeben und diese wären zurückzubauen.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem eigenen Prozessrisiko ausgesetzt hat.

38

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat den vollen Auffangstreitwert (5.000,00 €) eines möglichen Hauptsacheverfahrens angesetzt. Eine Halbierung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kommt nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts mangels gesetzlichem Anhalt nicht in Betracht (Beschluss vom 13. Januar 2020 – 4 O 2/20 –).


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