Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 65/20

Tenor

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert wird auf 26.036,82 Euro festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Antragstellers,

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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die Stelle einer hauptamtlichen Stadträtin (Senatorin)/eines hauptamtlichen Stadtrates (Senator) mit der Beigeladenen oder anderweitig endgültig zu besetzen,

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hat keinen Erfolg.

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Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, und einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verb. mit § 920 Abs. 2 ZPO).

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Hier ist bereits zweifelhaft, ob mit der Wahl der Beigeladenen nicht bereits vollendete Tatsachen geschaffen worden sind und dem Antragsteller insoweit überhaupt noch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Die Wahl eines Zeitbeamten ist im Verhältnis zu der außerdem erforderlichen nachfolgenden Ernennung nicht nur eine unselbständige Vorbereitungshandlung. Ihr kommt insofern Außenwirkung zu, als der Gewählte, wenn er die Wahl annimmt und die übrigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, einen Rechtsanspruch auf Ernennung hat. Damit entfallen zugleich Rechtsansprüche der nicht gewählten Bewerber (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.06.1992 - 5 M 2798/92 - juris Rn. 22 m.w.N.).

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Selbst wenn sich das Verfahren durch die Wahl des Beigeladenen nicht in der Hauptsache erledigt hat, fehlt es jedoch an einem Anordnungsanspruch des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er durch die von der Antragsgegnerin bzw. ihrem Bürgermeister vorzunehmende Ernennung der Beigeladenen zur Senatorin in eigenen Rechten verletzt wird.

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Handelte es sich bei dem ausgeschriebenen Amt um das eines Laufbahnbeamten, so hätte allerdings jeder Mitbewerber nach Art. 33 Abs. 2 GG einen Anspruch darauf, dass die Behörde ihre Auswahl nach fehlerfreiem Ermessen und in einem gesetzmäßigen Verfahren trifft. Dieser Anspruch könnte durch einstweilige Anordnung gesichert werden.

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Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen. Die Geltung dieses Grundsatzes wird durch Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet. Art. 33 Abs. 2 GG vermittelt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl. Ein Bewerber um ein öffentliches Amt kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen wird, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch, vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.11.2012 - 2 VR 5/12 - juris Rn. 23). Zwar ist der Begriff des öffentlichen Amts in Art. 33 Abs. 2 GG weit zu verstehen. Er umfasst alle beruflichen und nebenamtlichen Funktionen staatlicher Organisation und ist nicht auf die Ausübung hoheitlicher Befugnisse beschränkt. Dazu werden die Amtspositionen in Bund und Ländern gezählt, die mit Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Richtern oder Soldaten besetzt werden (Hense, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 33 Rn. 9; Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 33 Rn. 23; Battis, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 33 Rn. 24).

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Art. 33 Abs. 2 GG erfasst jedoch nicht bzw. nur sehr eingeschränkt solche Ämter auf staatlicher oder kommunaler Ebene, die durch demokratische Wahlen der Wahlbürger oder durch eine Wahl des von diesen gewählten Wahlkörpers besetzt werden, wie z.B. das Amt eines kommunalen Wahlbeamten (BVerfG, Beschluss vom 20.09.2016 - 2 BvR 2453/15 - juris Rn. 21; Hense, a.a.O.; Badura, a.a.O., Rn. 24, Battis, a.a.O., Rn. 25). Um ein solches Amt handelt es sich auch bei dem bzw. der hier in Rede stehenden Senator bzw. Senatorin, der bzw. die von der Bürgerschaft der Antragsgegnerin gewählt wird.

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Bei einem Kommunalbeamten auf Zeit, bei der die Bewerberauswahl durch eine Wahl vollzogen wird, ist vom Gesetzgeber in Kenntnis der politischen Ausrichtung der meisten Kommunalvertretungen ein faktischer Einfluss der politischen Position der Bewerber auf die Auswahlentscheidung in Kauf genommen worden. Die Tätigkeit kommunaler Wahlbeamter ist u.a. durch eine enge Verzahnung mit dem kommunalen politischen Raum gekennzeichnet, ferner durch das Agieren auf der Grundlage eines Vertrauensvorschusses, durch das Überzeugen und Gewinnen von Mehrheiten.

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Mit dem Wesen der Wahl als einer freien, nur den Bindungen des Gesetzes und des Gewissens unterworfenen Entscheidung ist es nicht zu vereinbaren, ihr dieselben Grenzen wie einer Ermessensentscheidung zu setzen. Eine Wahl nach Ermessen wäre keine echte Wahl. Eine Anfechtung wegen Ermessensmissbrauchs ist deshalb mit dem Wesen der Wahl unvereinbar (vgl. zum Ganzen: OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.06.1992 a.a.O. Rn. 24 mit zahlreichen Nachweisen).

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Insoweit können die bei der Konkurrenz von Laufbahnbeamten von der Rechtsprechung entwickelten Vorgaben (wie z. B. die vom Antragsteller geforderte - ausreichend - begründete Mitteilung an die nicht berücksichtigten Bewerber - sog. Konkurrentenmitteilung) vorliegend keine Geltung beanspruchen. Unbeschadet dessen hat die Antragsgegnerin in ihrem Erwiderungsschriftsatz nachvollziehbar dargelegt, dass der Antragsteller über alle die Wahl betreffenden Verfahrensschritte hinreichend und rechtzeitig informiert worden ist.

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Allerdings darf die Bürgerschaft der Antragsgegnerin die Wahlbeamten nicht willkürlich und unter vollständiger Außerachtlassung der Grundsätze des Art. 33 Abs. 2 GG oder allein nach der Parteizugehörigkeit der Bewerber auswählen. Auch wenn Art. 33 Abs. 2 GG infolge der Einflüsse des Kommunalverfassungsrechts auf die Stellung des kommunalen Wahlbeamten nur in eingeschränktem Maße gilt, haben kommunale Wahlkörperschaften eine fachbezogene Wahlentscheidung zu treffen. Der Wahlbeamte braucht zwar nicht die Laufbahnvorschriften zu erfüllen. Er muss indes gemäß § 67 Abs. 2 SHGO die für sein Amt erforderliche Eignung, Befähigung und Sachkunde besitzen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.06.1992 a.a.O. Rn. 25 m.w.N. zum vergleichbaren niedersächsischen Recht).

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Ob diesen Anforderungen durch die Wahl der Beigeladenen Genüge getan ist, unterliegt indessen nicht der Überprüfung im vorliegenden Verfahren. Denn die erwähnte Vorschrift dient -- anders als Art. 33 Abs. 2 GG -- allein öffentlichen Interessen, nicht aber dem Interesse der Mitbewerber. Zu einer gerichtlichen Überprüfung kann es deshalb nur im Kommunalverfassungsstreit oder dann kommen, wenn die Aufsichtsbehörde die Wahl beanstandet hat (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.06.1992 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.)

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Da der Antragsteller mithin durch die Wahl der Beigeladenen nicht in eigenen Rechten verletzt sein kann, fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (so ausdrücklich OVG Lüneburg Beschluss vom 27.06.1992 a.a.O. Rn. 27).

16

Selbst wenn man - entgegen diesen Ausführungen - von einer möglichen Rechtsverletzung des Antragstellers ausginge, könnte eine, insoweit auch von ihm zu rügende fehlende Eignung der Beigeladenen nur dann bejaht werden, wenn ein sog. konstitutives Anforderungsprofil vorliegt und die Beigeladene dieses nicht erfüllt. Allenfalls dann erscheint denkbar, dass sich ein unterlegener Bewerber unmittelbar darauf berufen kann.

17

Konstitutiv (zwingend) sind solche Kriterien, die objektiv überprüfbar, insbesondere ohne die ansonsten gebotene Rücksichtnahme auf Wertungsspielräume des Dienstherrn eindeutig und unschwer festzustellen sind. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es für die Bestenauslese einen ganz neuen, von den dienstlichen Beurteilungen jedenfalls vom Ausgangspunkt her abgekoppelten Maßstab enthält. Bei einem solchen speziellen konstitutiven Anforderungsprofilmerkmal einerseits und der dienstlichen Beurteilung andererseits handelt es sich vom Ansatz her um unterschiedliche Modelle und Maßstäbe für die Auswahl nach dem Leistungsprinzip. Wer ein solches konstitutives Anforderungsprofilmerkmal nicht erfüllt, kommt für die Auswahl von vornherein nicht in Betracht, mag er auch besser dienstlich beurteilt sein. Erst wenn es darum geht, ggf. eine Auswahl unter mehreren, das konstitutive Anforderungsprofilmerkmal erfüllenden Bewerbern zu treffen, kommt den dienstlichen Beurteilungen oder ggf. anderen zur Bewertung der Eignung maßgeblichen Aspekten Bedeutung zu. Die Abgrenzung zwischen einem konstitutiven und einem deklaratorischen Anforderungsprofilmerkmal ist eine Frage der Auslegung des Ausschreibungstextes, welche entsprechend § 133 (BGB) danach zu erfolgen hat, wie die Erklärung aus Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist (vgl. Beschluss der Kammer vom 09.09.2015 - 12 B 29/20 - juris Rn. 13 m.w.N.)

18

Handelt es sich hingegen um nicht konstitutive, sondern um deklaratorische (beschreibende) Anforderungsmerkmale, ist die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Wahlentscheidung der Bürgerschaft darauf beschränkt zu prüfen, ob die Wertungen der Mitglieder der Bürgerschaft im Ergebnis vertretbar sind oder (objektiv) auf Willkür beruhen (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 09.01.2015 - 2 M 102/14 - juris Rn. 18).

19

Dass die Beigeladene die in der Ausschreibung genannten - konstitutiven - Anforderungen, die insoweit konstituierend für ihre Eignung sein dürften, nicht erfüllt, ist nicht ersichtlich.

20

Sie hat das erforderliche wissenschaftliche Hochschulstudium in Form des Lehramtsstudiums für Realschulen absolviert. Daran ändert auch nichts, dass ein Studium der Kultur-oder Sozialwissenschaften „vorzugsweise“ gewünscht wird, weil dieses Attribut nicht konstitutiv ist, d.h. nicht zwingend gefordert wurde.

21

Die Beigeladene kann auch eine mindestens fünfjährige Führungserfahrung aufweisen. Dabei ist es unerheblich, dass sie nicht an der Spitze ihres Dezernats gestanden hat; denn Führungserfahrung erlangt man auch als Abteilungsleiterin mit einer unbestimmten Anzahl Beschäftigter, denen gegenüber sie weisungsbefugt war.

22

Die übrigen in der Ausschreibung enthaltenen Profilmerkmale sind lediglich deklaratorischer Natur, so dass die Wahlentscheidung der Bürgerschaft der Antragsgegnerin hinsichtlich der Frage, ob die Beigeladene dem Anforderungsprofil in der Stellenausschreibung entspricht, nur darauf zu überprüfen ist, ob die Wertungen, die in dem Wahlergebnis zum Ausdruck gebracht worden sind, im Ergebnis nicht vertretbar sind oder (objektiv) auf Willkür beruhen. Beides ist vor dem Hintergrund des allen Beteiligten bekannten Lebenslaufes mit den bisherigen beruflichen Tätigkeiten der Beigeladenen zu verneinen, da Anhaltspunkte für ein willkürliches Verhalten der Bürgerschaft bzw. deren Mitglieder bei ihrer Wahlentscheidung nicht ersichtlich sind.

23

(Dass es im Vorfeld der Wahl möglicherweise eine Absprache zwischen den der Bürgerschaft angehörenden politischen Parteien bzw. Gruppierungen gegeben hat, begründet keine Willkür; sie entlässt das Wahlgremium insbesondere nicht aus seiner Verantwortung, seine Entscheidung an § 67 Abs. 2 SHGO zu orientieren).

24

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keinen eigenen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen hat.

25

Der Wert des Streitgegenstandes beträgt gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 6 Satz 1 Nr. 2 GKG die Hälfte der Summe der für sechs Monate zu zahlenden Bezüge des angestrebten Amtes mit Ausnahme nicht ruhegehaltfähiger Zulagen (Bes.Gr. B 4, monatliches Endgrundgehalt i.H.v. 8678,94 Euro x 6: 2 = 26.036,82 Euro).


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