Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 126/20

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000, -- € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 23. Oktober 2020, soweit darin für das Stadtgebiet von Meldorf das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Bereich Süder- und Nordermarkt, Süderstraße, Roggenstraße, Spreetstraße, Zingelstraße und Raiffeisenplatz angeordnet wurde, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO zulässig, jedoch nicht begründet.

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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO i.V.m § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht in dem vorliegenden Fall des nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges die aufschiebende Wirkung des Widerspruches ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.

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Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und des erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüberzustellen sind. Bei dieser Interessenabwägung ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen als wahr zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, soweit das jeweilige Vorbringen ausreichend substantiiert und die Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennbar ist (OVG Schleswig, Beschluss vom 13. September 1991 – 4 M 125/91 –, Rn. 14, juris; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 11. September 2017 – 1 B 128/17 –, Rn. 28 - 29, juris).

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Die Kammer kann vorliegend weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der ergangenen Allgemeinverfügung vom 23. März 2020 im Hinblick auf die durch die angefochtene Allgemeinverfügung ausgesprochene Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die benannten Gebiete der Stadt Meldorf feststellen.

5

Nach der Ziffer 1 der „Allgemeinverfügung des Antragsgegners über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet des Kreises Dithmarschen aufgrund der Überschreitung des Inzidenzwertes von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen“ vom 23. Oktober 2020 ist in den in Anlage 1 öffentlich zugänglichen Bereichen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gemäß § 2 Abs. 5 der Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2, ersatzverkündet am 1.10.2020, zuletzt geändert durch Ersatzverkündung am 22.10.2020, verpflichtend. Die Anlage ist Teil der Allgemeinverfügung. Die Verpflichtung nach Satz 1 gilt nicht für Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahr und Personen, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen können und dies glaubhaft machen können. Personen, die keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und für die eine Ausnahme nicht zutrifft, sind das Betreten, der Aufenthalt und die Nutzung öffentlich zugänglicher Bereiche nicht gestattet.

6

Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in der Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG in der Fassung des Art. 5 des Gesetzes 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1385). Nach dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29-31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Satz 1). Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen (Satz 2). Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden (Satz 3). Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt (Satz 4).

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Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (sog. gebundene Entscheidung). Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen, – "wie" des Eingreifens – ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkungen ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, "flexiblen" Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 44 - 45, juris). Sind Schutzmaßnahmen erforderlich, so können diese grundsätzlich nicht nur gegen die in Satz 1 genannten Personen, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider getroffen werden, sondern – soweit erforderlich – auch gegenüber anderen Personen (Bales/Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. § 28 Rn. 3).

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Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit dem SARS-CoV-2 um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, so dass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist. Die aktuelle Lage ist nach dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 25. Oktober 2020 dadurch gekennzeichnet, dass nach einer vorübergehenden Stabilisierung der Fallzahlen auf einem erhöhten Niveau Ende August und Anfang September aktuell in fast allen Bundesländern ein weiterer Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung zu beobachten ist. Der Anteil der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung nimmt aktuell zu. Die berichteten R-Werte liegen seit Anfang Oktober deutlich über 1. Bundesweit gibt es in verschiedenen Landkreisen Ausbrüche, die mit unterschiedlichen Situationen in Zusammenhang stehen, u.a. größeren Feiern im Familien- und Freundeskreis und in Betrieben. Es werden auch wieder vermehrt COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gemeldet. Zusätzlich kommt es in zahlreichen Landkreisen zu einer zunehmend diffusen Ausbreitung von SARSCoV-2-Infektionen in die Bevölkerung, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind. Der Anteil der Verstorbenen unter den gemeldeten COVID-19-Fällen liegt seit Ende Juli kontinuierlich unter 1% und hat damit im Vergleich zum Infektionsgeschehen im Frühjahr, insbesondere im April, deutlich abgenommen. Eine mögliche Veränderung des Virus, die zu einem milderen Verlauf führt, wird jedoch nicht als Ursache hierfür gesehen. Stattdessen gibt es für den niedrigeren Anteil an Verstorbenen verschiedene Gründe: Einerseits sind unter den Fällen derzeit vor allem jüngere Menschen, die meist weniger schwer erkranken. Andererseits werden durch die breite Teststrategie auch vermehrt milde Fälle erfasst. Aktuell nehmen jedoch die Erkrankungen unter älteren Menschen wieder zu. Da diese häufiger einen schweren Verlauf durch COVID-19 aufweisen, steigt ebenso die Anzahl an schweren Fällen und Todesfällen. Diese können vermieden werden, wenn mit Hilfe der Infektionsschutzmaßnahmen die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus verhindert wird. Daher ist es weiterhin notwendig, dass sich die gesamte Bevölkerung für den Infektionsschutz engagiert, z.B. indem sie Abstands- und Hygieneregeln konsequent – auch im Freien – einhält, Innenräume lüftet und, wo geboten, eine Mund-Nasen-Bedeckung korrekt trägt. Menschenansammlungen – besonders in Innenräumen – sollten möglichst gemieden und Feiern auf den engsten Familien- und Freundeskreis beschränkt bleiben (Lagebericht RKI vom 25. Oktober 2020).

9

Im Gebiet des Antragsgegners besteht aufgrund des Überschreitens des Inzidenzwertes von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner Anlass für zusätzliche Maßnahmen zur Verzögerung der Ausbreitungsdynamik und zur Unterbrechung von Infektionsketten, letztlich auch, um wesentliche Funktionen des Gesundheitssystems aufrechtzuerhalten. Das Interaktionsgeschehen ist nach Angaben des Antragsgegners im Kreisgebiet nicht überall eingrenzbar. Eine notwendige Schutzmaßnahme, um die Weiterverbreitung der Krankheit zu verhindern, kann auch die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sein. Insbesondere in den Bereichen des öffentlichen Raums, in denen die Hygiene- und Abstandsanforderungen nicht umfassend eingehalten werden können, kann der Schutz der betroffenen Menschen durch die Mund-Nasen-Bedeckung zumindest verbessert werden (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 3 MR 14/20 –, Rn. 19, juris unter Hinweis auf einschlägige Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts).

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Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt aktuell (vgl. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Infektionsschutz.html) das generelle Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen weiteren Baustein, um den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren und somit Risikogruppen zu schützen. Diese Empfehlung beruht auf Untersuchungen, die belegen, dass ein relevanter Anteil von Übertragungen von SARS-CoV-2 unbemerkt erfolgt, d.h. zu einem Zeitpunkt vor dem Auftreten der ersten Krankheitszeichen. Eine teilweise Reduktion der unbemerkten Übertragung von infektiösen Tröpfchen durch das Tragen von MNB könnte auf Populationsebene zu einer weiteren Verlangsamung der Ausbreitung beitragen. Dies betrifft die Übertragung im öffentlichen Raum, wo mehrere Menschen zusammentreffen und sich länger aufhalten (z.B. Arbeitsplatz) oder der physische Abstand von mindestens 1,5 m nicht immer eingehalten werden kann (z.B. Einkaufssituation, öffentliche Verkehrsmittel). Dies gilt auch bei Menschenansammlungen im Freien, wenn der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten wird. Das Tragen von MNB im öffentlichen Raum kann vor allem dann im Sinne einer Reduktion der Übertragungen wirksam werden, wenn möglichst viele Personen eine MNB tragen. Das Tragen einer MNB trägt dazu bei, andere Personen vor feinen Tröpfchen und Partikeln die man z.B. beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstößt, zu schützen (Fremdschutz). Wichtig ist hierbei, dass Mund und Nase bedeckt sind. Für diesen Fremdschutz durch MNB gibt es inzwischen erste wissenschaftliche Hinweise. Den Stellungnahmen des RKI kommt im Zusammenhang mit der Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen eine besondere Bedeutung zu. Dies ergibt sich aus der durch das Gesetz bestimmten Aufgabenzuweisung des Instituts nach § 4 IfSG (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 3 MR 43/20 –, Rn. 26, juris).

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Erfahrungsgemäß kann es insbesondere in zentralen Ortslagen mit Geschäften und anderen Einrichtungen mit Publikumsverkehr auch draußen zu Begegnungen kommen, bei denen die Menschen nicht immer den zum Infektionsschutz erforderlichen Mindestabstand einhalten können. Die durch die Allgemeinverfügung des Antragsgegners ausgewiesenen Gebiete gehören zur zentralen Ortslage in Meldorf mit zahlreichen Geschäften, Restaurants und Dienstleistungsangeboten in der Nähe des Marktplatzes mit dem Meldorfer Dom. Dies spricht für einen verstärkten Fußgängerverkehr, bei dem auf den Wegen zumindest bei stärkerem Andrang nicht immer der erforderliche Abstand eingehalten werden kann. Selbst bei weniger starkem Andrang muss immer damit gerechnet werden, dass einzelne Personen, obwohl ausreichend Platz vorhanden ist, unnötig dicht an anderen Menschen vorbeigehen oder stehenbleiben, um in Schaufenster zu sehen, wogegen man sich auch mit Umsicht kaum vollständig schützen kann. Das Abstandhalten hängt in solchen Situationen auch von den anderen Menschen ab. Der Antragsteller bestreitet jedoch überhaupt einen dichteren Fußgängerverkehr bis auf die Wochenmarkttage und macht ausreichende Ausweichmöglichkeiten geltend. Die Kammer kann diese tatsächliche Frage im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend klären. Zweifelhaft bleibt insbesondere aber, ob die Regelung auch außerhalb der üblichen Geschäfts- und Restaurantzeiten, etwa nachts, erforderlich ist. Da der Antragsteller nach eigenen Angaben die strittigen Bereiche aber ausschließlich tagsüber in der Mittagspause nutzt, er sich demnach für eine sich auf die Nachtzeit beschränkte Anordnung nicht auf ein Rechtsschutzbedürfnis berufen könnte, hat die Kammer von einer entsprechenden Regelung für die Nachtzeit der insoweit teilbaren Allgemeinverfügung abgesehen. Das Tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung in Fußgängerbereichen ist gegenwärtig in Schleswig-Holstein noch nicht durch eine Landesverordnung geregelt, insoweit unterscheidet sich der Fall in seiner Ausgangslage von dem durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe entschiedenen Fall (Beschluss vom 26. Oktober 2020 – 7 K 4209/20 –, wo nach der Presseerklärung des VG Karlsruhe keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass die Allgemeinverfügung über die bereits in der Landes-Corona-Verordnung geregelte Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Fußgängerbereichen hinaus erforderlich sei).

12

Da im vorläufigen Rechtschutzverfahren nicht die offensichtliche Rechtmäßigkeit der betroffenen Teile der Allgemeinverfügung festgestellt werden kann, sind in einer weitergehenden Interessenabwägung die Folgen gegenüberzustellen, die im Hinblick auf das öffentliche Interesse in dem Fall einträten, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung seines Antrags.

13

Gemessen an diesen Maßstäben überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des sich aus der Allgemeinverfügung ergebenden Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in dem betroffenen Bereich der Stadt Meldorf.

14

Vorliegend streiten auf Seiten des öffentlichen Interesses überragende Gründe der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der ärztlichen, insbesondere krankenhausärztlicher (Intensiv-)Versorgung für die Bevölkerung. Die Infektionsgefahr ist durch das steigende Infektionsgeschehens im Bereich des Antragsgegners, das teilweise nicht eingegrenzt werden konnte, dadurch besonders risikobehaftet, dass bislang unentdeckt infizierte Personen sich im öffentlichen Raum bewegen und andere unwissentlich infizieren.

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Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse setzt ein im Rahmen der Folgenabwägung überwiegendes privates Interesse voraus, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist.

16

Die von dem Antragsteller geltend gemachten Belange wiegen zwar schwer, insbesondere deshalb, weil es sich auch um einen Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) handelt und die Folgen des Eingriffs für einen bestimmten Zeitraum irreversibel sind. Der Antragsteller nutzt die betroffenen Bereiche, um von seinem Arbeitsplatz am Amtsgericht Meldorf mittägliche Spaziergänge, Einkäufe und Restaurantbesuche zu unternehmen. Das in der Antragsschrift beschriebene Bedürfnis nach Erholung an der frischen Luft kann der Antragsteller allerdings auch in unmittelbarer Nähe seines Arbeitsplatzes in den nicht betroffenen Bereichen befriedigen. Die Beschränkung trifft den Antragsteller im Gegensatz zu anderen von den derzeitigen einschränkenden Regelungen Betroffenen nicht wirtschaftlich existenziell. Mit den von dem Antragsgegner durch die Allgemeinverfügung getroffenen Maßnahmen kommt dieser seiner grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nach. Der möglichen Verlangsamung der Ansteckungsrate und die mögliche Unterbrechung von Infektionsketten sind bei der Abwägung angesichts der konkreten Lage im Kreis Dithmarschen mit einem aktuell deutlich erhöhten Infektionsgeschehens entscheidende Bedeutung beizumessen, auch um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern und Leben und Gesundheit der Bevölkerung wirksam zu schützen. Vor diesem Hintergrund müssen die grundrechtlich geschützten Freiheiten des Antragstellers für einen begrenzten Zeitraum und einen begrenzten örtlichen Bereich zurückstehen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 iVm § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt.


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