Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (4. Kammer) - 4 A 692/17

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 12. September 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 07. November 2017 werden aufgehobenen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen von dem Beklagten erlassenen Klärschlammgebührenbescheid, welcher den Kläger zur Erstattung von Kosten einer Bedarfsabfuhr durch einen Drittunternehmer heranzieht.

2

Der Kläger betreibt als Geschäftsstellenleiter eine Generalagentur der Concordia-Versicherung in A-Stadt. Das Grundstück ist nicht an eine zentrale Abwasserbeseitigungsanlage angeschlossen, sondern verfügt über eine Kleinkläranlage.

3

Die Klärschlammabfuhr nimmt der Beklagte auf Grundlage der Satzung über die Abwasserbeseitigung aus Grundstücksentwässerungsanlagen des Amtes C in der Ursprungsfassung vom 23. November 2004 war (im Folgenden: „AbwS“). Die Eingangsformel der AbwS vom 23. November 2004 zitiert dabei folgende Vorschriften:

4

„Aufgrund des § 34 a Amtsordnung für Schleswig-Holstein in Verbindung mit §§ 4 und 17 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein (GO), der §§ 31 und 31 a des Landeswassergesetzes Schleswig-Holstein (LWG) und des Art. II des Gesetzes zur Regelung abgabenrechtlicher Vorschriften vom 24.11.1998 wird nach Beschlussfassung durch den Amtsausschuss vom 23.11.2004 folgende Satzung erlassen:“

5

Die für den streitgegenständlichen Zeitraum anzuwendende Abwassersatzung in der Fassung der 2. Nachtragssatzung vom 01. Dezember 2016 zitiert darüber hinaus die §§ 1 und 6 Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein. Zudem sieht die Abwassersatzung zum Entstehungszeitpunkt der Gebührenpflicht in § 16 Abs. 1 Satz 1 AbwS vor:

6

§ 16
Entstehung und Beendigung der Gebühren- bzw. Abgabenpflicht
(1) Die Benutzungsgebührenpflicht entsteht jeweils am Beginn eines Kalenderjahres, frühestens jedoch mit dem 1. des Monats, der auf die Inbetriebnahme der Grundstücksentwässerungsanlage folgt.

7

Zur Wahrnehmung der durch die Abwassersatzung begründeten Aufgaben führte der Beklagte eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb mit Aufforderung an vier Unternehmen zur Abgabe von Angeboten durch. Nach Auftragserteilung an den preisgünstigsten Bieter passte der Amtsausschuss mit Beschluss vom 28. November 2016 die Abgabenhöhe in der zugrundeliegenden Satzung dergestalt an, dass u.a. für die Entleerung einer Kleinkläranlage im Rahmen der Bedarfsentleerung statt ursprünglich x € nunmehr xxxx € pro m3 als erstattungsfähige Kosten veranschlagt wurden.

8

Am 29. August 2017 saugte der beauftragte Drittunternehmer Klärschlamm im Umfang von 11 m3 aus der Kleinkläranlage des Klägers ab und stellte dies dem Beklagen in Rechnung.

9

Mit Bescheid vom 12. September 2017 forderte der Beklagte den Kläger zur Erstattung der angefallenen Kosten für die durchgeführte Entsorgung in Höhe von x € (11 m3 x x €) auf.

10

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 04. Oktober 2017 Widerspruch ein. Zur Begründung führt er an, dass eine Erhöhung um nahezu 300 % im Vergleich zur letztmaligen Abrechnung unwirtschaftlich sei. Zudem sei ein Verstoß gegen das in § 6 KAG verankerte Kostenüberschreitungsverbot gegeben. Es sei nicht geprüft worden, ob Drittunternehmer die Entleerung kostengünstiger hätten durchführen können.

11

Mit Widerspruchsbescheid vom 07. November 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung trägt dieser im Wesentlichen vor, dass eine beschränkte Ausschreibung stattgefunden habe, da nur Firmen aus der näheren Umgebung aufgrund der schnellen Erreichbarkeit des Anlagenstandortes in Frage gekommen seien. Auch sei der Gesamtbetrag des Auftrags nicht so hoch gewesen, um zwingend eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen. Da der ausgewählte Drittunternehmer das kostengünstigste Angebot abgegeben habe, habe dieser den Auftrag erhalten.

12

Der Kläger hat am 23. November 2017 Klage erhoben.

13

Zu deren Begründung wird zunächst erneut auf den Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren eingegangen. Ergänzend führt er an, dass in Ermangelung der Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens eine Verletzung des § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG anzunehmen sei und dadurch die Erstattungsfähigkeit der Kosten entfalle. Es hätte keine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden dürfen.

14

Darüber hinaus sei, mit Verweis auf die Rechtsprechung des OVG Schleswig, von dem Einrichtungsträger darzulegen und zu beweisen, dass eine Missachtung von Vergabevorschriften nur dann unbeachtlich sei, wenn ausgeschlossen werden könne, dass die Leistung nicht kostengünstiger hätte erbracht werden könnten.

15

Der Kläger beantragt,

16

den Bescheid vom 12. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. November 2017 aufzuheben.

17

Der Beklagte beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Zur Begründung führt er vertiefend aus, dass ein Verstoß gegen § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG nicht zu besorgen sei. Er habe die Klärschlammbeseitigung unter Beachtung vergaberechtlicher Vorschriften vergeben.

20

Ferner enthalte § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG keine ausdrückliche Bestimmung über die gebührenrechtlichen Folgen für den Fall, dass das Vergabeverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Ein Verstoß gegen das Vergaberecht führe nicht zu einer Nichtberücksichtigung bei der Gebührenkalkulation, weil dieses mit dem Selbstfinanzierungskonzept öffentlicher Einrichtungen unvereinbar sei. Die Verpflichtung zur Ausschreibung sei nicht Selbstzweck, sondern trage im Gebührenrecht dem Grundsatz der Erforderlichkeit Rechnung. Das Gericht müsse vielmehr prüfen, ob der von dem beweisbelasteten Einrichtungsträger eingestellte Betrag dem Grundsatz der Erforderlichkeit entspreche. Dies geschehe anhand der Leitsätze zur Preisermittlung.

21

Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2019 reichte der Beklagte ein Privatgutachten zur Angemessenheit der Kostenermittlung im Zusammenhang mit der Festlegung einer Klärschlammgebühr ein. Das Gutachten kommt dabei u.a. zu dem Ergebnis, dass die Kostenermittlung im Zusammenhang mit der Festlegung der Klärschlammgebühr angemessen erfolgt sei. Die für das Wirtschaftsjahr 2017 angesetzten Klärschlammabfuhrgebühren würden die erforderlichen Kosten nicht überschreiten. Der Kläger bestreitet das Ergebnis des Gutachtens.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze sowie auf den beigefügten Verwaltungsvorgang Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

23

Die zulässige Klage ist begründet.

24

Der Bescheid vom 12. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. November 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

25

Rechtsgrundlage des Bescheides vom 12. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. November 2017 ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG in Verbindung mit der Abwassersatzung in der Fassung der 2. Nachtragssatzung vom 01. Dezember 2016. Hiernach erhebt der Beklagte von dem Gebührenpflichtigen Eigentümer des Grundstücks (§ 14 Abs. 1 AbwS) für die Benutzung der durch den Beklagten betriebenen öffentlichen Einrichtung u.a. zur unschädlichen Beseitigung des in Kleinkläranlagen anfallenden Fäkalschlamms (§ 1 Abs. 2 Var. 1 AbwS) eine Benutzungsgebühr nach den Maßgaben der Satzung (§ 12 Satz 1 AbwS). Sie ist zur Deckung der Kosten der Abwasserbeseitigung bestimmt (§ 12 Satz 2 AbwS). Die Benutzungsgebühr wird nach der Menge des aus der Grundstücksentwässerungsanlage abgefahrenen Abwassers berechnet und beträgt für die Entleerung der Kleinkläranlage bei der Bedarfsentleerung x € pro m3 (§ 15 Abs. 1 Buchst. b) AbwS).

26

Die Abwassersatzung ist jedoch zumindest im Hinblick auf die Gebührenvorschriften (§§ 12 ff. AbwS) unwirksam.

27

Die Kammer vermag nicht aus den ihr durch den Beklagten nach Aufforderung (gerichtliche Verfügung vom 21. Oktober 2020) zur Übersendung aller im Zusammenhang mit einer etwaigen Aufgabenübertragung der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgabe der Abwasserbeseitigung durch die Gemeinde D auf den Beklagten zugrundeliegenden Akten überzeugende Rückschlüsse auf die Verbandszuständigkeit des Beklagten im entscheidungserheblichen Zeitpunkt zu ziehen.

28

Grundsätzlich abwasserbeseitigungspflichtig nach der im streitgegenständlichen Zeitpunkt geltenden 2. Nachtragssatzung vom 01. Dezember 2016 ist gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 LWG in der Fassung vom 19. März 2010 (im Folgenden: LWG 2010) die Gemeinde D. Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 LWG 2010 können Gemeinden die Aufgabe der Abwasserbeseitigung zusammen mit dem Satzungsrecht durch öffentlich-rechtlichen Vertrag auf Wasser- und Bodenverbände, in denen sie Mitglied sind, übertragen. Zudem können Gemeinden, wenn es aus Gründen des Allgemeinwohls erforderlich ist, die Aufgabe der Abwasserbeseitigung zusammen mit dem Satzungsrecht ortsnah auf andere Körperschaften des öffentlichen Rechts oder auf rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts durch öffentlich-rechtlichen Vertrag, der der Genehmigung der Kommunalaufsichtsbehörde bedarf, übertragen. § 18 Abs. 1 und 3 bis 7 sowie die §§ 19 und 21 GkZ finden insoweit Anwendung (§ 31a Abs. 3 Satz 1 und 2 LWG 2010).

29

Eine Anwendung der Übertragungsvorschriften des § 31a Abs. 1 und 3 Satz 1 und 2 LWG 2010 scheidet jedoch für den Beklagten aus, da hinsichtlich einer Aufgabenübertragung von dem grundsätzlich Abwasserbeseitigungspflichtigen die für die Ämter speziellere Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AmtsO anzuwenden ist (vgl. Wolf, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Stand: 08/2019, § 5 AmstO, Nr. 1.1, S. 155). Hiernach können mehrere amtsangehörige Gemeinden gemeinsam dem Amt die Trägerschaft von Selbstverwaltungsaufgaben ganz oder teilweise u.a. für die Abwasserbeseitigung (Nr. 1) übertragen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 AmtsO muss der Übertragungsbeschluss unter Bezugnahme auf den Katalog nach Satz 1 die betroffene Aufgabe sowie den Umfang der Übertragung genau bezeichnen (Satz 2). Die Übertragung der Aufgabe kann hier zunächst in dem vorgelegten Beschluss der Gemeindevertretung vom 27. November 1980 gesehen werden. Dort heißt es zu Tagesordnungspunkt 5 (Abwasserabgabe und Klärschlammbeseitigung) unter b):

30

„Gemäß § 5 Abs. 1 der Amtsordnung überträgt die Gemeinde D die Klärschlammbeseitigung ab 01.01.1982 auf das Amt.“

31

§ 5 AmtsO ist in Reaktion auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts neu gefasst worden, vor dem Hintergrund, dass sich die Ämter in Folge zunehmender Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben durch die Gemeinden zu Gemeindeverbänden entwickelten (LVerfG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Februar 2010    – LVerfG 1/09 –, juris, LS 1). Mit dem neu eingeführten § 5 Abs. 1 Satz 3 AmtsO (durch Gesetz zur Änderung kommunalverfassungs- und wahlrechtlicher Vorschriften vom 22. März 2012, GVOBl, S. 371ff.) darf das Amt höchstens Träger von fünf der in Satz 1 enumerativ aufgeführten Selbstverwaltungsaufgaben werden.

32

Hinsichtlich des quantitativen Höchstmaßes der Aufgabenübertragung ist nicht – entgegen der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung – auf die Gemeinden, sondern allein auf das Amt abzustellen. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 3 AmtsO („Durch Übertragungsbeschlüsse darf das Amt Träger von höchstens fünf der in Satz 1 enumerativ aufgeführten Selbstverwaltungsaufgaben werden“). Aus der Vorschrift ergibt sich gerade nicht, dass die Gemeinden jeweils fünf Aufgaben übertragen können. Hierfür spricht auch der Sinn und Zweck der Norm, welche als Reaktion auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts eingeführt wurde und eine zu starke Aufgabenübertragung auf die Ämter verhindern will. Bezugspunkt sind damit auch aus diesem Gesichtspunkt die Ämter und nicht die Gemeinden.

33

Nach Art. 12 (Übergangsvorschrift) des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungs- und wahlrechtlicher Vorschriften vom 22. März 2012 heißt es u.a., dass

34

„die amtsangehörigen Gemeinden derjenigen Ämter, die durch die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben oder durch Übergang nach dem bisherigen § 23 des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit (GkZ) Aufgaben unter Überschreitung des Rahmens des neuen § 5 Abs. 1 der Amtsordnung (AO) übernommen haben, (…) darüber (entscheiden), welche der von ihnen übertragenen Aufgaben in der Trägerschaft des Amtes verbleiben (Nr. 1 Satz 1 Buchst. a)). Die Ämter bleiben Träger der Aufgaben, die nach den Beschlüssen der Gemeindevertretungen dem Amt übertragen bleiben sollen (…) (Nr. 1 Satz 4 1. HS). Im Übrigen bleiben sie Träger der Aufgaben bis zur Wirksamkeit der erforderlichen Gemeindebeschlüsse über die Rückübertragung in die eigene Trägerschaft oder die Übertragung auf einen anderen Träger, längstens bis zum 31. Dezember 2014 (Nr. 1 Satz 5). Sofern durch Beschlüsse der Gemeindevertretungen bis zum 31. Dezember 2014 nicht der Zustand eingetreten ist, dass das betreffende Amt Aufgabenträger in dem gemäß § 5 Abs. 1 AO zulässigen Rahmen ist, fallen alle vom Amt übernommenen Selbstverwaltungsaufgaben mit Ablauf dieses Tages an die jeweiligen amtsangehörigen Gemeinden zurück (…) (Nr. 1 Satz 6 1. HS).“
(Unterstreichung durch das Gericht.)

35

Gemäß § 5 Abs. 6 AmtsO hat das Amt unverzüglich der zuständigen Kommunalaufsicht die Aufgabenübertragung bzw. Rückübertragung anzuzeigen.

36

Solche Unterlagen hat der Beklagte vorliegend trotz Aufforderung des Gerichts nicht eingereicht.

37

Es ist nicht erkennbar, ob dem Amt im Höchstmaß mehr als fünf Aufgaben durch die amtsangehörigen Gemeinden übertragen worden sind. Ferner kann nicht nachvollzogen werden, ob bis zum 31. Dezember 2014 ein weiterer Beschluss durch die Gemeindevertretung gefasst worden ist, um die Abwasserbeseitigungspflicht weiterhin bei dem Beklagten zu belassen. Wird eine quantitativ unzulässige Übertragung von Aufgaben unterstellt, wären alle vom Amt übernommenen Selbstverwaltungsaufgaben, in Ermangelung eines weiteren Beschlusses, mit Ablauf dieses Tages an die jeweiligen amtsangehörigen Gemeinden zurückgefallen und dem Beklagten fehlte im streitgegenständlichen Zeitpunkt die Verbandszuständigkeit für die Teilaufgabe der Abwasserbeseitigung in Form der Klärschlammbeseitigung (einschließlich der Abgabenerhebung).

38

Einer abschließenden Bewertung dieser Frage bedarf es allerdings nicht, da die Abwassersatzung gegen das Zitiergebot gem. § 66 Abs. 1 Nr. 2 LVwG sowie gegen § 2 Abs. 1  Satz 2 KAG verstößt.

39

Die streitgegenständliche Satzung gibt nicht die Rechtsvorschriften an, welche zum Erlass der Satzung berechtigen, § 66 Abs. 1 Nr. 2 LVwG. Dies ist aber insbesondere bei belastenden Eingriffen wie der Abgabenerhebung erforderlich (VG Schleswig, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 4 B 245/17 –, juris, Rn. 25; Friedersen/Stadelmann, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Stand: 02/2020, § 66 LVwG, Erl. 2, Nr. 2). Die Exekutive muss durch Angabe ihrer Ermächtigungsgrundlage sich selbst des ihr aufgegebenen Normsetzungsprogramms vergewissern und hat sich auf dieses zu beschränken. Es kommt daher nicht nur darauf an, ob sie sich überhaupt im Rahmen der delegierten Rechtssetzungsgewalt bewegt, vielmehr muss sich die in Anspruch genommene Rechtssetzungsbefugnis gerade aus den von ihr selbst angeführten Vorschriften ergeben. Außerdem dient das Zitiergebot der Offenlegung des Ermächtigungsrahmens gegenüber dem Adressaten der Satzung. Das soll ihm die Kontrolle ermöglichen, ob die Satzung mit dem ermächtigenden Gesetz übereinstimmt (ebenso für Verordnungen: BVerfG, Beschluss vom 29. April 2010 – 2 BvR 871/04 –, juris, Rn. 51; zum Ganzen: OVG Schleswig, Urteil vom 14. September 2017 – 2 KN 3/15 –, juris, Rn. 59; OVG Schleswig, Urteil vom 27. Juni 2019 – 2 KN 1/19 –, juris, Rn. 34).

40

Insofern gehört zur zutreffenden Angabe der zum Erlass der Satzung berechtigenden Rechtsvorschriften im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 2 LVwG nicht nur die genaue Angabe der zur Erhebung der Abgabe berechtigenden Norm des Kommunalabgabengesetzes, sondern bei kommunalen Abgaben auch deren nach dieser Norm namentlich zutreffende Bezeichnung (VG Schleswig, Urteil vom 06 März 2019 – 4 A 115/16 –, juris, Rn. 24). Berechtigt eine Norm zur Erhebung unterschiedlicher Abgaben – wie zur Erhebung der Kurabgabe und der Tourismusabgabe –, so gehört zur genauen Bezeichnung der zum Erlass der Satzung berechtigenden Rechtsvorschriften im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 2 LVwG auch die Nennung des zutreffenden Absatzes bzw. der zutreffenden Absätze der Norm, gegebenenfalls einschließlich des dazugehörenden Satzes oder der dazugehörenden Sätze, die zur Erhebung der gewählten Abgabe berechtigen (OVG Schleswig, Urteil vom 27. Juni 2019 – 2 KN 1/19 –, juris, Rn. 35ff.; vgl. auch OVG Schleswig, Urteil vom 14. September 2017

41

2 KN 3/15 –, juris, Rn. 59). Das Zitiergebot umfasst jedenfalls dann, wenn dem Bürger neue Pflichten auferlegt werden und die Satzung auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, nicht nur die Bezeichnung der allgemeinen Rechtsgrundlagen, sondern die Pflicht, diese Ermächtigungsgrundlagen vollständig zu zitieren, gemeinsam anzugeben und insbesondere konkret zu benennen, welche einzelne Vorschrift welchen Gesetzes die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage enthält (OVG Schleswig, Urteil vom 18. Januar 2018

42

3 KN 4/14 –, juris, Rn. 33). Bei einer Übertragung einer gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgabe sind zudem die Rechtsvorschriften zu nennen, die dazu berechtigen die zur Gebührenerhebung berechtigende Aufgabe und die dazugehörige Satzungsbefugnis zu übertragen (OVG Schleswig, Urteil vom 27. Juni 2019 - 2 KN 1/19 -, juris, Rn. 52).

43

Gemessen an diesen Vorgaben verstößt die Abwassersatzung gegen § 66 Abs. 1 Nr. 2 LVwG.

44

Die Abwassersatzung in der Fassung vom 23. November 2004 und 1. Nachtragssatzung vom 17. Dezember 2009 zitieren die

45

§ 24a AmtsO in Verbindung mit §§ 4 und 17 der GO, §§ 31 und 31a LWG, Art. II des Gesetzes zur Regelung abgabenrechtlicher Vorschriften vom 24. November 1998.

46

Die Abwassersatzung in der maßgeblichen Fassung der 2. Nachtragssatzung vom 01. Dezember 2016 zitiert darüber hinaus die

47

§§ 1 und 6 KAG.

48

Einen Verstoß gegen das Zitiergebot begründet zunächst nicht die Angabe fehlerhafter oder überflüssiger Vorschriften, da der Sinn und Zweck des § 66 Abs. 1 Nr. 2 LVwG ebenfalls erreicht wird, wenn die zutreffenden Vorschriften zumindest (auch) benannt werden (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 26. September 2018 – 4 A 209/17 –, juris, Rn. 48). Die fehlerhafte Zitierung darf allerdings nicht irreführend für den Normadressaten sein (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 13.02.2020 – 2 LB 16/19 –, juris, Rn. 25; VG Schleswig, Beschluss vom 16. Juli 2020 – 4 B 24/20 –, juris, Rn. 23). Fehlerhaft ist insoweit die Benennung von § 31a LWG in der Ursprungssatzung vom 2004, in der 1. Nachtragssatzung von 2009 und der 2. Nachtragssatzung von 2016. Während § 31a LWG in der Fassung vom 6. Januar 2004 die Beseitigung von Niederschlagswasser regelt, ist § 31a LWG in der Fassung vom 11. Februar 2008 gestrichen worden und § 31a LWG 2010 für das Amt nicht heranzuziehen. Zudem ergibt sich die grundsätzliche Abwasserbeseitigungspflicht hinsichtlich der 2. Nachtragssatzung vom 28. November 2016 nicht aus § 31 LWG 2010, sondern § 30 Abs. 1 LWG 2010. Zutreffend ist lediglich die Nennung von § 31 LWG 2004 und 2008. Hierdurch werden aber nicht alle zutreffenden Vorschriften benannt.

49

Aus den vorstehenden in der Eingangsformel zitierten Normen ergibt sich außerdem nicht umfassend, welche Vorschriften zur Erhebung kommunaler Abgaben durch den Beklagten berechtigen. Die Befugnis zum Erlass der vorliegenden Abwasserbeseitigungssatzung ergibt sich nicht aus den in der Eingangsformel zitierten § 24a AmtsO, §§ 4 und 17 GO. § 4 GO beschreibt lediglich den Erlass von Satzungen als zulässige Handlungsform. § 17 GO sieht nur Bestimmungen zum Anschluss- und Benutzungszwang vor und berechtigt, diesen für öffentliche Einrichtungen durch Satzung vorzuschreiben. Die im vorliegenden Fall in der Abwassersatzung getroffenen Regelungen zur Gebührenerhebung (§§ 12 ff. AbwS) sind losgelöst von Anschluss- und Benutzungszwang (§ 3 AbwS) isoliert zu betrachten.

50

Erst eine Zitierung der

51

§ 1 Abs. 2, §§ 2 und 6 KAG, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AmtsO

52

gibt den Ermächtigungsrahmen vollständig wieder.

53

Aus § 1 Abs. 2 KAG ergibt sich, dass u.a. Ämter in Erfüllung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben – um eine solche handelt es sich hier, da sich der Charakter der Aufgabe durch den Übergang nicht ändert – kommunale Abgaben erheben können. Die Vorschrift ist auch absatzgetreu zu zitieren, da die Norm hinsichtlich der zur Abgabenerhebung berechtigten Körperschaft des öffentlichen Rechts in den Absätzen 1 und 2 differenziert (zum Zweckverband: OVG Schleswig, Urteil vom 27. Juni 2019 – 2 KN 1/19 –, juris, Rn. 41).

54

§ 2 KAG schränkt den Ermächtigungsrahmen ein, indem eine Abgabenerhebung unter den Vorbehalt satzungsrechtlicher Regelung gestellt wird. Fehlt eine Zitierung der Vorschrift, wird dem Normadressaten nicht klar, dass eine kommunale Abgabe nur auf der Grundlage einer Satzung erhoben werden darf. Gleiches gilt insoweit für § 6 KAG. Die Rechtsnorm konkretisiert den Ermächtigungsrahmen für die Erhebung von Benutzungsgebühren und stellt für diesen Fall besondere Anforderungen an den Satzungsgeber.

55

Ferner begründet erst die Zitierung von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AmtsO, dass mehrere amtsangehörige Gemeinden gemeinsam dem Amt die Trägerschaft u.a. der Abwasserbeseitigung (Nr. 1) ganz oder teilweise übertragen können. Unterbleibt die Nennung dieser Vorschrift wird nicht klar, dass in Abweichung von der grundsätzlichen Abwasserbeseitigungspflicht der Gemeinden aus § 30 Abs. 1 LWG 2010 durch Übertragung der Aufgabe ein Amt kommunale Abgaben erheben kann.

56

Ein Verstoß gegen § 66 Abs. 1 Nr. 2 LVwG führt zur Rechtswidrigkeit und damit Unwirksamkeit der Satzung (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 27. Juni 2019 - 2 KN 1/19 -, juris,

57

Rn. 33, und vom 14. September 2017 - 2 KN 3/15 -, juris, Rn. 57; vgl. auch OVG Schleswig, Urteil vom 18. Januar 2018 - 3 KN 4/14 -, juris, Rn. 32; vgl. für Verordnungen: BVerfG, Urteil vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 3/90 -, BVerfGE 101, 1-45, juris, Rn. 159). § 66 Abs. 1 LVwG ist keine bloße Ordnungsvorschrift, wie der Vergleich mit den Soll-Vorgaben des § 66 Abs. 2 LVwG zeigt (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 21. Juni 2000 - 2 L 80/99 -, juris, Rn. 39).

58

Unabhängig davon verstößt die Abwassersatzung gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG.

59

Hiernach muss die Satzung den Gegenstand der Abgabe, die Abgabenschuldnerinnen und Abgabenschuldner, die Höhe und die Bemessungsgrundlage der Abgabe sowie den Zeitpunkt ihrer Entstehung und ihrer Fälligkeit angeben. Diesen Anforderungen wird die Abwassersatzung nicht gerecht, da es an einer wirksamen Regelung zu dem Entstehungszeitpunkt fehlt.

60

Zwar regelt § 16 Abs. 1 Satz 1 AbwS den Entstehungszeitpunkt der Abgabenschuld.

61

§ 16 Abs. 1 Satz 1 AbwS verstößt jedoch gegen höherrangiges Recht und ist daher unwirksam, denn die Norm steht im Widerspruch zu § 11 Abs. 1 Satz 2 KAG in Verbindung mit § 38 AO. Die Frage der Entstehung ist allein nach Landesrecht zu beurteilen. Im KAG findet sich keine Regelung zur Entstehung der Benutzungsgebühr. Anwendung findet daher § 11 Abs. 1 Satz 2 KAG in Verbindung mit § 38 AO (zur Zweitwohnungssteuer vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 18. Oktober 2000 – 2 L 112/99 –, Rn. 24, juris m. w. N.; zu Straßenreinigungsgebühren vgl. VG Schleswig, Urteil vom 6. Februar 2019 – 4 A 167/16; VG Schleswig, Urteil vom 06. März 2019 – 4 A 115/16 –, juris, Rn. 30). Danach entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.

62

Hierzu steht die Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 1 AbwS im Widerspruch, wonach die Benutzungsgebührenpflicht jeweils am Beginn eines Kalenderjahres, frühestens jedoch mit dem 1. des Monats, der auf die Inbetriebnahme der Grundstücksentwässerungsanlage folgt, entsteht. Zu diesem Zeitpunkt ist der Tatbestand, an den die Abwassersatzung die Benutzungsgebührenpflicht anknüpft, noch nicht vollständig verwirklicht, denn diese entsteht nach § 1 Abs. 2 AbwS in Verbindung mit § 12 AbwS für die unschädliche Beseitigung des in Kleinkläranlagen anfallenden Fäkalschlamms. Diese findet jedoch erst ein- bis zweimal jährlich sukzessive durch Entleerung oder Entschlammung der Kleinkläranlagen im Wege der Regel- oder Bedarfsentleerung statt (§ 8 Abs. 1 und 2 AbwS).

63

Sind die Regelungen in einer Satzung, die die gesetzlich geforderten Mindestangaben enthalten, unwirksam, führt auch dies nach Auffassung der Kammer im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Abgabensatzung, zumindest im Hinblick auf den die Gebührenerhebung betreffenden Teil (§§ 12 ff. AbwS). Die Satzung enthält dann im Ergebnis nicht die von § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG geforderten Mindestangaben (VG Schleswig, Urteil vom 06. März 2019 – 4 A 115/16 –, juris, Rn. 34; i. E. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Januar 2009

64

– OVG 9 A 1.07 –, juris, Rn. 40 f.; VG Greifswald, Urteil vom 1. November 2013 – 3 A 535/11 –, juris, Rn. 11 f.; VG Cottbus, Urteil vom 25. Januar 2007 – 6 K 1584/03 –, juris, Rn. 127; VG Koblenz, Urteil vom 27. Juni 2005 – 8 K 2493/​04.​KO –, juris, Rn. 44 f.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 12. Juni 2003 – 13 K 6442/99 –, juris, Rn. 65).

65

Eine geltungserhaltende Auslegung der Abwassersatzung unter (direkter) Heranziehung von § 38 AO scheidet aus, weil § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG ausdrücklich fordert, dass die Satzung selbst den Zeitpunkt der Entstehung der Abgabe regelt, (VG Schleswig, Urteil vom

66

6. März 2019 – 4 A 115/16 –, juris, Rn. 33).

67

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

68

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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