Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 26/21

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000, -- € festgesetzt.

Gründe

1

Der Hauptantrag der Antragstellerinnen, mit dem festgestellt werden soll, dass es den Antragstellerinnen und dem Ehemann der Antragstellerin zu 1. gestattet ist, im Zeitraum vom 1. April bis 20. Juni 2021 einen Stellplatz für einen Wohnwagen auf einem näher bezeichneten Campingplatz durch Abstellung eines Wohnwagens in Besitz zu nehmen und in diesem Wohnwagen im genannten Zeitraum zu übernachten, ist unzulässig.

2

Den Antragstellerinnen fehlt für einen auf die derzeit geltenden Regeln der Corona-Bekämpfungsverordnung des Landes Schleswig-Holstein bezogenen Feststellungsantrag das allgemeine Rechtsschutzinteresse, weil die Regelungen ab dem 29. März 2021 keine Geltung mehr beanspruchen. Soweit sich der Antrag auf möglicherweise danach geltende Regelungen bezieht, ist der Antrag ebenfalls unzulässig. Die besonderen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des insoweit auf vorbeugenden Rechtsschutz gerichteten Antrags sind vorliegend nicht erfüllt.

3

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Der Hauptantrag ist vorliegend auf die vorläufige Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gerichtet. Im Verfahren der Hauptsache wäre dazu die Feststellungsklage statthaft. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren einer der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 – 8 C 19.94 – BVerwGE 100, 262). Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987 – 3 C 53.85 – BVerwGE 77, 207).

4

Die Antragstellerinnen und der Antragsgegner als zuständige Infektionsschutzbehörde streiten vorliegend um die Anwendung des § 17 Corona-Bekämpfungsverordnung des Landes Schleswig-Holstein auf die von den Antragstellerinnen ab dem 1. April 2021 beabsichtigte Übernachtung und den Aufenthalt in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz. Die Corona-Bekämpfungsverordnung, also auch die streitige Regelung des § 17, beansprucht jedoch für den für die Antragstellerinnen bedeutsamen Zeitraum ab dem 1. April 2021 keine Geltung mehr. Die Verordnung tritt nämlich nach der Regelung des § 22 mit Ablauf des 28. März 2021 außer Kraft. Den Antragstellerinnen fehlt für einen Feststellungsantrag, der sich auf die derzeit geltenden Regeln bezieht, das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil ihnen mit einer darauf bezogenen Feststellung nicht gedient wäre. Ein solches Interesse kann auch nicht daraus folgern, dass damit schon eine Klärung von Rechtsfragen im Hinblick auf künftig zu erwartende Regelungen erfolgen könnte. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist lediglich auf den Erlass einer einstweiligen, also vorläufigen, Regelung gerichtet und führt nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer beanstandeten Maßnahme (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2012 – OVG 2 S 36.12 –, juris Rn. 2). Demnach wäre – spiegelbildlich zu vorbeugenden Feststellungsanträgen – auch die Stellung von Fortsetzungsfeststellungsanträgen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht statthaft (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2012 – OVG 2 S 36.12 –, juris; OVG Bautzen, Beschluss vom 3. Juni 2014 – OVG 5 D 90/13 –, juris).

5

Soweit der Antrag sich auch auf möglicherweise künftig geltende vergleichbare Regelungen einer noch zu erlassenden Landesverordnung beziehen sollte, wäre er ebenfalls unzulässig. Der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz ist aus Gründen der Gewaltenteilung nicht vorbeugend konzipiert (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016 – 2 C 18.15 –, juris Rn. 19). Vielmehr ist verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz vor diesem Hintergrund und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nachträglich ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO – ebenso wie für eine in der Hauptsache erhobene vorbeugende Feststellungsklage – ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Es ist in der Regel zumutbar, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend Rechtsmittel hiergegen einzulegen sowie – falls erforderlich – um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist nur dann zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (Bayerischer VGH, Beschluss vom 28. November 2019 – 10 CE 19.2234 –, juris Rn. 5).

6

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Es ist schon nicht konkret absehbar, in welcher Weise eine zu erwartende neue Landesverordnung die Übernachtung auf Campingplätzen regeln wird und in welcher Weise dann zwischen den Beteiligten unterschiedliche Rechtsstandpunkte zu deren Anwendung bestehen werden. Im Übrigen würden keine unzumutbaren Nachteile für die Antragstellerinnen drohen, wenn sie den Erlass einer neuen Landesverordnung abwarten, um dann zu entscheiden, ob sie etwa bei dem Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen Regelungen einer neuen Verordnung stellen möchten, oder ob sie bei sich möglicherweise wieder ergebenden Meinungsverschiedenheiten mit dem Antragsgegner als zuständiger Infektionsschutzbehörde bei der Anwendung der neuen Verordnung einen Antrag nach § 123 VwGO bei dem Verwaltungsgericht stellen möchten.

7

Die gestellten Hilfsanträge sind ebenfalls unzulässig. Die Antragstellerinnen beantragen insoweit die Verpflichtung des Antragsgegners, die Inbesitznahme eines Stellplatzes für einen Wohnwagen auf dem Campingplatz durch Abstellung eines Wohnwagens sowie die Übernachtung darin zu gestatten. Eine Gestattung kann sich jedoch nur auf ein geltendes Verbot beziehen, da ohne rechtliches Verbot eine Gestattung keine weitergehende rechtliche Wirkung entfalten kann. Ein solches Verbot ist für den hier streitigen Zeitraum ab 1. April 2021 noch nicht festgesetzt worden, vgl. hierzu oben. Eine Ausnahme nach § 20 Abs. 2 der derzeit geltenden Corona-Bekämpfungsverordnung könnte sich nur auf die durch die derzeit geltende Corona-Bekämpfungsverordnung geregelten Gebote und Verbote aus §§ 5-18 beziehen. Damit wäre den Antragstellerinnen mit Blick auf den erst ab 1. April 2021 beabsichtigten Aufenthalt nicht gedient, sodass ihnen auch insoweit das allgemeine Rechtsschutzinteresse fehlt.

8

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (Auffangwert von 5.000 €) festgesetzt.


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