Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (17. Kammer) - 17 B 2/21

Tenor

Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung vom 26.03.2021 wird ausgesetzt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen ihre vorläufige Dienstenthebung.

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Sie ist als Studienrätin (Bes.Gr. A 13 SHBesO) am ... ... A-Stadt tätig und unterrichtet die Fächer Latein und Griechisch. Wegen der Corona-Pandemie war das ... ... bereits am 12.03.2020 und alle anderen Schulen in A-Stadt ab 13.03.2020 geschlossen. Die Schulleitung des ... ...s informierte ab dem 11.03.2020 auf der Homepage u.a. über die Schulschließung, die Notbetreuung und die Abiturprüfung. In ihrem Erlass vom 13.03.2020 unterrichtete die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur die Schulleiterinnen und Schulleiter, die Lehrkräfte und Schulaufsichten u.a. darüber, dass die Lehrkräfte grundsätzlich verpflichtet seien, zum Dienst zu erscheinen. Zwischen dem 16.03. und 27.04.2020 blieb die Antragstellerin ohne Genehmigung ihres Dienstvorgesetzten dem Dienst fern. Sie befand sich in dieser Zeit mit ihrem damals 14-jährigen Sohn, den sie allein erzieht, auf ....

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Mit Schreiben vom 24.04.2020 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zu seiner Absicht an, den Verlust der Dienstbezüge für den Zeitraum zwischen dem 16.03.2020 und dem Tag, an dem sie wieder in den Dienst zurückkehre, festzustellen.

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In ihrer Stellungnahme vom 04.05.2020 führte die Antragstellerin im Wesentlichen aus: Sie habe die Reise nach ... in den Osterferien zusammen mit ihrem 14-jährigen Sohn seit mehr als einem halben Jahr geplant. Das Schuljahr 2019/20 sei sehr anstrengend verlaufen. Erst nach der Überlastungsanzeige vom 12.11.2019 sei ihr Stundenplan, der sie körperlich und psychisch in die Erschöpfung getrieben habe, geändert worden. Ihre Entscheidung wegzufliegen sei eine Kurzschlussreaktion gewesen. Bis dahin habe sie ihre Dienstpflichten trotz Überlastungsgefühls gewissenhaft erfüllt und sei 2020 nur einen Tag krank gewesen. In den Monaten Januar bis März/April sei die Arbeitsbelastung für alle Lehrer kulminiert. Sie hätte ihren Urlaub auf ... vergessen können, wenn sie nicht am 14.03. in das Flugzeug gestiegen wäre. Die Hotelbesitzerin habe sie darüber informiert, dass Flüge aus Europa nur noch bis 23.59 Uhr am 15.03.2020 landen dürften.                   Die Anweisung des Schulleiters vom 13.03.2020 zum Umgang mit der Schulschließung ab 16.03. habe lediglich den Hinweis enthalten, dass das Ministerium einen Notfallplan vorbereite und kurzfristig informiere. Sie habe keine Notwendigkeit zur Stellung eines Urlaubsantrags gesehen, weil sie beabsichtigt habe, ihren Dienstpflichten, wie in den Anweisungen vom 13.03.2020 beschrieben, von ihrem Aufenthaltsort aus nachzukommen. Dies habe sie auch in vollem Umfang getan (wird ausgeführt). Ihre zwei Termine zur Notfallbetreuung im Zeitraum vom 16. bis 27.03. habe ein Kollege für sie übernommen. Die Übernahme der Notbetreuung in den Osterferien sei von der Schulleitung ausdrücklich als „freiwillig“ bezeichnet worden. Am 19.04. habe sie ihre Arbeit mit den Schülern wiederaufgenommen (wird ausgeführt).

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Ihr Drang, unbedingt wegzumüssen, könne auch als panischen Reaktion im Hinblick auf die unheimliche Situation in A-Stadt zu jener Zeit gesehen werden. Zudem hätten sich ihre Eltern seit Januar 2020 auf einem Kreuzfahrtschiff befunden. Sie hätten sich Anfang April in Colombo treffen wollen. Da Berichte über Coronainfektionen auf Kreuzfahrtschiffen aufgetaucht seien, habe sie sich von der Gesundheit ihrer Eltern selbst überzeugen wollen.                   Bis zum 30.03. habe sie sich auf ... in einem Quarantäne-Camp befunden. Sie habe sich dagegen entschieden, den letzten von der deutschen Botschaft organisierten Rückholflug am 03.04. in Anspruch zu nehmen, da sie noch drei Ferienwochen gehabt habe. Die Regierung von ... habe zugesichert, dass eine Ausreise jederzeit möglich bliebe. Sie habe dann erfahren, dass Fluggesellschaften die Flüge immer erst kurz vor dem Abflug strichen und das Geld jedes Mal einbehielten. Sie habe gehofft, dass sich die Situation wieder beruhigen würde. Als sie ihre Schulleitung davon informiert habe, dass sie wahrscheinlich nicht pünktlich nach den Ferien zurück am Dienstort sein würde, habe man sie damit beruhigt, dass die Schule nach dem momentanen Stand nicht vor dem 04.05. losgehen würde. Zu diesem Zeitpunkt sei die Entwicklung für niemanden vorhersehbar gewesen. Am 27.04.2020 sei es ihr und ihrem Sohn möglich gewesen, nach Deutschland zurückzukehren. Dort habe sie sich erneut in Quarantäne begeben müssen.

6

Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin führte unter dem 04.05.2020 im Wesentlichen aus: Vom Zeitpunkt der landesweiten Schulschließung an habe die Antragstellerin alles getan, um die ihr zugeteilten Schülerinnen und Schüler bestmöglich weiter zu unterrichten. Sie habe ihren Schülerinnen und Schülern für die verbliebenen zwei Schulwochen bis zu den Osterferien unterschiedliche Aufgaben übermittelt. Dabei habe sie Wert auf eine durchgängige Kommunikation via Internet gelegt. Daher sei ihre physische Anwesenheit am Dienstort nicht zwingend erforderlich gewesen. Seitens der Regierung von ... sei zugesichert worden, ausländischen Staatsbürgern die Ausreise weiterhin zu gestatten. Sie habe in fortlaufendem Kontakt zu ihrer Fluggesellschaft gestanden, um einen rechtzeitigen Rückflug sicherzustellen. Man habe ihr mitgeteilt, dass der Rückflug wie geplant stattfinden werde. Erst am Tag des Rückflugtermins sei ihr mitgeteilt worden, dass der Flug gestrichen sei. Daraufhin habe sie ihre Schulleitung über ihre voraussichtliche Verspätung informiert und sich weiterhin um eine unverzügliche Heimkehr bemüht. Am 19.04.2020 habe sie ihre Arbeit wiederaufgenommen. Sie habe individuelle Rückmeldungen für übermittelte Aufgaben erteilt, neue Aufgaben zusammengestellt und für Rückfragen zur Verfügung gestanden. Das derzeit herrschende massive Element einer generellen Unwägbarkeit der Geschehnisse bedinge kein schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst.

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Mit Schreiben vom 25.05.2020 leitete der Antragsgegner gegen die Antragstellerin gemäß § 17 Landesdisziplinargesetz (LDG) ein Disziplinarverfahren ein. Es bestehe der Verdacht, dass die Antragstellerin schuldhaft die ihr obliegenden allgemeinen Beamtenpflichten und ihre besonderen Dienstpflichten verletzt und somit ein Dienstvergehen (§ 47 Beamtenstatusgesetz - BeamtStG) begangen habe, indem sie unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben sei. Das Disziplinarverfahren wurde im Hinblick auf ein zwischenzeitlich eingeleitetes Verfahren zum Verlust der Besoldung der Antragstellerin gemäß § 23 Abs. 3 LDG ausgesetzt.

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Mit Bescheid vom 25.06.2020 stellte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin den Verlust ihrer Besoldung gemäß § 11 SHBesG für den Zeitraum vom 16.03.2020 bis 27.04.2020 fest, da die Antragstellerin in dieser Zeit dem Dienst ohne Genehmigung ihres Dienstvorgesetzten ferngeblieben sei. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob die Antragstellerin am 15.10.2020 Klage (Az. 12 A 182/20), über die noch nicht entschieden ist.

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Mit Schreiben vom 08.12.2020 gab der Antragsgegner der Antragstellerin Gelegenheit, zu der von ihm beabsichtigten vorläufigen Dienstenthebung gemäß § 38 Abs. 1 LDG Stellung zu nehmen. Ihr werde vorgeworfen, nach Schließung ihrer Schule aufgrund eines Corona-Verdachts ab 12.03.2020 ihre für die Osterferien (ab 30.03.) geplante Reise nach ... vorverlegt zu haben und außerhalb der Ferien bereits am 14.03.2020 nach ... geflogen zu sein. Sie solle Einsätze zur Notbetreuung unter wahrheitswidrigen Angaben abgesagt und auch ihre Dienstpflichten zum „home-schooling“ nicht erfüllt haben. Möglichkeiten zur Abreise durch die Rückholflüge der Deutschen Botschaft habe sie ungenutzt verstreichen lassen. Dadurch sei sie nicht rechtzeitig nach Ende der Osterferien (bis 17.04.2020) wieder in Deutschland eingetroffen und habe ihren Dienst erst am 28.04.2020 wieder angetreten. Das Verhalten der Antragstellerin habe eine nachhaltige Ansehensschädigung, wenn nicht sogar den völligen Ansehensverlust sowie einen vollständigen Vertrauensverlust des Dienstherrn zur Folge.

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In ihrer Stellungnahme vom 16.12.2020 wies die Antragstellerin, ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen, im Wesentlichen darauf hin, dass die Hinweise des Schulleiters vom 13.03.2020 keinerlei Regelung zur Frage der Präsenz enthalten hätten. Sie sei davon ausgegangen, anfallende Unterrichtsaufgaben auch im Ausland erteilen zu können. Dieser Verpflichtung sei sie auch nachgekommen (wird ausgeführt). Ihr Erscheinen zum Dienst sei daher aufgrund der Versorgung der Schülerinnen und Schüler mit Aufgaben nicht notwendig gewesen. Ihr Bewusstsein hinsichtlich der aus dem beamtenrechtlichen Treueverhältnis resultierenden Pflichten habe durch den Vorfall eine deutliche Schärfung erfahren. Es sei ausgeschlossen, dass sich ein derartiger Vorfall wiederhole. Eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei im Hinblick auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht geboten, so dass auch eine vorläufige Dienstenthebung ausscheide. Ihre Weiterbeschäftigung sei wegen des neuerlichen Lockdowns geboten.

11

Nach Durchführung des Einigungsstellenverfahrens enthob der Antragsgegner die Antragstellerin mit Bescheid vom 26.03.2021 gemäß § 38 LDG mit sofortiger Wirkung bis auf Weiteres vorläufig des Dienstes, da sie vom 12.03. bis 28.04.2020 ihrer Dienst- und Unterrichtsverpflichtung nicht oder nur unvollständig nachgekommen sei. Zur weiteren Begründung führte der Antragsgegner, ergänzend zu seinen Ausführungen im Anhörungsschreiben vom 08.12.2020, im Wesentlichen aus:

12

Von der Schulleitung seien Regelungen über einen schulischen Notbetrieb angekündigt worden. Die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur habe zudem mit Schreiben vom 13.03.2020 erklärt, dass die Lehrkräfte grundsätzlich verpflichtet seien, zum Dienst zu erscheinen, damit der schulorganisatorische Betrieb aufrechterhalten werden könne. Die Antragstellerin habe nach ihren eigenen Angaben zur Kenntnis genommen, dass das Ministerium einen Notfallplan erarbeitet habe. Sie habe daher nicht davon ausgehen können, dass sie sich problemlos vom Dienstort entfernen könne. Die Antragstellerin habe trotz entsprechender Anfragen durch die Schulleitung aufgrund wahrheitswidriger Angaben (Vortäuschung einer Krankheit) keine Notbetreuung am 19.03. und nicht in der Woche vom 23. bis 27.03.2020 in der Schule geleistet und auch ansonsten mehrfach gegenüber der Schulleitung nachweislich falsche Behauptungen aufgestellt (z.B., dass sie aufgrund ihrer Quarantäne keinen Rückflug der Deutschen Botschaft habe wahrnehmen können) bzw. den Eindruck erweckt, sie würde sich um ihre Großmutter in ...x kümmern. Die Antragstellerin habe die beiden Rückholflüge der Bundesregierung absichtlich verstreichen lassen, obwohl sie davon habe ausgehen müssen, dann nicht rechtzeitig nach den Osterferien nach Deutschland zurückkehren zu können. Dass durch das von der Regierung von ...X erlassene Einreiseverbot ab Mitte März zunehmend weniger Flugzeuge die Insel erreichen würden, sei genauso absehbar gewesen wie die Tatsache, dass mit den wenigen am Flughafen vorhandenen Maschinen nur noch wenige Abflüge hätten durchgeführt werden können. Als Aufsicht bei den nach den Ferien stattfindenden Abiturklausuren habe die Antragstellerin mangels Anwesenheit nicht eingeteilt werden können.

13

Die Antragstellerin habe zwar Aufgaben per Schulcloud eingestellt, dies aber vor ihrem Abflug und auch nicht für den ...-Kurs der Oberstufe XX. Noch außerhalb der Ferien habe sie in wenigen Fällen auf Anfragen reagiert, im weiteren Verlauf seien von der Antragstellerin keine aufgabengemäßen Aktivitäten mehr zu verzeichnen gewesen, die über eine rudimentäre und alibihafte gelegentliche Beschäftigung hinausgegangen seien. Eine durchgängige Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern habe nicht stattgefunden. Weitere Aufgaben habe die Antragstellerin nicht gestellt, Schülerarbeiten nicht korrigiert und zurückgegeben. Nach Angaben des Schulleiters solle es Beschwerden von Schülerinnen und Schülern und Eltern gegeben haben. Für die Schulleitung sei sie teilweise nicht erreichbar gewesen. Erst am letzten Tag der Osterferien habe sich die Antragstellerin mit ihren Schülerinnen und Schülern wieder in Verbindung gesetzt, jedoch keine neuen Aufgaben gestellt. Zwischen dem 23. und 27.04.2020 hätten Kollegen ihr obliegende Elternanrufe durchgeführt. Der Schulfrieden sei durch das Verhalten der Antragstellerin empfindlich gestört worden.

14

Ihre Einlassungen vom 16.12.2020 vermöchten die gegen sie erhobenen Vorwürfe weder zu entkräften noch das Ansehen und die für die Ausübung des Amtes erforderliche Autorität wiederherzustellen. Eine subjektiv wahrgenommene Überlastung berechtige nicht, den Dienstpflichten nicht mehr nachzukommen, zumal der Stundenplan der Antragstellerin aus diesem Grund erst zum 01.02.2020 geändert worden sei. Die Einlassung der Antragstellerin, es seien ohnehin nur noch wenige Wochenstunden bis zu den Osterferien gewesen, zeige eine mangelnde Grundeinstellung zu ihren dienstlichen Aufgaben und offenbare eine eklatante Verletzung ihrer Grundpflicht aus § 34 BeamtStG, sich mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Dienst zu widmen. Auch die Einlassung der Antragstellerin, der Schulleiter habe am 13.03.2020 keinerlei Regelung zur Frage der Präsenz getroffen, zeige diese mangelnde Grundeinstellung. Nach § 9 Arbeitszeitverordnung sei der Dienst grundsätzlich in der Dienststelle zu leisten. Die Antragstellerin habe die Krisensituation vor allem zur Umsetzung ihrer persönlichen privaten Interessen ausgenutzt und sich in keiner Weise für die Belange des Dienstes interessiert. Auch in der Zeit nach ihrer Rückkehr nach Deutschland sei die Antragstellerin ihren Dienstpflichten nicht immer ordnungsgemäß nachgekommen. Außer gegen ihre Pflicht, sich mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Dienst zu widmen, habe die Antragstellerin gegen die Wohlverhaltenspflicht aus § 34 BeamtStG und ihre Pflicht aus § 35 BeamtStG, die von ihren Vorgesetzten erlassenen Anordnungen auszuführen, verstoßen. Das Verhalten der Antragstellerin stelle ein sehr schweres Dienstvergehen dar, das von seinem Gewicht geeignet sei, einen endgültigen Vertrauens- und Ansehensverlust herbeizuführen und damit die Verhängung der Höchstmaßnahme zu rechtfertigen. Im Disziplinarverfahren werde voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden.

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Am 14.04.2021 hat die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht sie, ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen, im Wesentlichen geltend:

16

Der Antragsgegner lasse in seinen Erwägungen die Pandemiesituation außer Acht, die zu einer erheblichen Verunsicherung und auch Überforderung der Bevölkerung geführt habe. Ihre Überforderungslage im Hinblick auf ihre dienstliche Situation und auf die Auswirkungen der Pandemie habe letztlich zu ihrem Entschluss geführt, die Reise vorzeitig anzutreten. Sie räume das Dienstvergehen ein und bereue es zutiefst. Sie habe nicht vorhersehen können, dass ein zunächst glaubhaft zugesicherter Rückflug nicht mehr stattfinden würde. Entlastend sei heranzuziehen, dass sie die Schülerinnen und Schüler mit Aufgaben versorgt, sich somit nicht von ihren dienstlichen Verpflichtungen losgesagt und unmittelbar nach ihrer Rückkehr ihren Dienst wiederaufgenommen habe. Defizite im Bereich der Betreuung seien nicht nur bei ihr zu verzeichnen gewesen. Darauf habe der Hauptpersonalrat in seiner Stellungnahme vom 15.01.2021 zutreffend verwiesen. Bei der Bewertung ihrer Situation stütze sich der Antragsgegner vorwiegend auf die Aussagen des Schulleiters, der nicht zu unvoreingenommenen Äußerungen tendiere. Dies zeige sich an den widersprüchlichen Aussagen zur Frage der Versorgung der Schülerinnen und Schüler mit Lerninhalten. Aus Sicht des Schulleiters sei das Verhältnis zu ihr zerrüttet. Die Auswirkungen ihres Fernbleibens vom Dienstort seien ohne gravierende Folgen geblieben. Die Ausführungen des Antragsgegners zum angeblichen Ansehensverlust ließen sich nicht nachvollziehen. Laut Stellungnahme des Personalrats seien die etwaigen Beschwerden von Eltern gegen das gesamte Verhalten des Schulbetriebs gerichtet gewesen. Sie sei hier lediglich Empfängerin eines übergeordneten Beschwerdewillens gewesen. Die strukturellen Probleme im Bereich des digitalen Lernens sowie die weiterführenden Probleme der Schulschließung dürften ein gehöriges Maß an Aufmerksamkeit gebunden haben, so dass es letztlich nicht zu einem nachhaltigen Ansehensverlust habe kommen können. Wäre sie nach ihrer Rückkehr zu einem in jeder Hinsicht untragbaren Faktor geworden, hätte die nunmehrige elfmonatige Weiterbeschäftigung nicht vollzogen werden können.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung vom 26.03.2021 auszusetzen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

21

Er vertieft sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend im Wesentlichen vor:

22

Gerade in der Pandemiesituation komme den in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis stehenden Beamtinnen und Beamten bei der Bewältigung der Herausforderungen eine besondere Rolle zu. Der Dienstherr und die Allgemeinheit müssten sich darauf verlassen können, dass Beamtinnen und Beamte nicht ihre privaten Interessen in den Vordergrund stellten und als erstes die Gelegenheit nutzten, um der Situation zu entkommen, der alle anderen ausgesetzt seien. Es wäre die Pflicht der Antragstellerin gewesen, sich wie die anderen Lehrkräfte vor Ort dienstbereit zu halten, die weiteren Anweisungen abzuwarten und dann zu befolgen. Mit ihrem Verhalten habe die Antragstellerin alle Tätigkeiten ausgeschlossen, die eine Anwesenheit am Dienstort, aber auch den Zugriff auf nicht digital verfügbare Informationen und Materialien erforderten. Ihre telefonische Erreichbarkeit bzw. Kommunikation mit den Eltern sei eingeschränkt gewesen. Die Antragstellerin könne sich nicht mit den Lehrkräften vergleichen, die zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten vor Ort zur Verfügung gestanden und sich hinsichtlich der Art der Gestaltung des Lernens in Distanz inhaltlicher Kritik gegenübergesehen hätten. Die nicht nur in diesem Punkt deutliche Relativierung ihrer Dienstpflichtverletzung lasse Zweifel an der von ihr vorgetragenen Reue bzgl. ihres Verhaltens aufkommen. Die von der Antragstellerin vorgetragene Überlastung könne ihr Verhalten nicht rechtfertigen. Von einem Augenblicksversagen könne nicht ausgegangen werden. Die Antragstellerin habe bewusst ihre persönlichen den dienstlichen Interessen vorangestellt. Ihre Einschätzung, dass ihr Fernbleiben vom Dienstort ohne gravierende Folgen geblieben und ein nachhaltiger Ansehensverlust nicht eingetreten sei, könne nicht gefolgt werden. Sie habe die von ihr nach dem Notfallplan am 16. und 27.03.2020 zu leistende Notbetreuung nicht wahrnehmen und nicht für die Aufsichten bei den Abiturprüfungen eingeplant werden können, was Auswirkungen auf die organisatorischen Entscheidungen der Schule und andere Lehrkräfte gehabt habe. Dass die Antragstellerin sich nicht an die Medien gewandt und ihren Dienst nach ihrer Rückkehr wiederaufgenommen habe, sei ihre Pflicht gewesen und nicht mildernd zu berücksichtigen. Der Entscheidung des Dienstherrn, einen Beamten nach dem Aufdecken seines Fehlverhaltens weiter zu beschäftigen, komme bei der Entscheidung über die angemessene Disziplinarmaßnahme grundsätzlich keine Bedeutung zu. Bereits bei Einleitung des Disziplinarverfahrens habe er den Umfang des Vertrauensverlustes als „unheilbar“ eingeschätzt. Einer vorläufigen Dienstenthebung hätten jedoch zunächst personalwirtschaftliche Gründe entgegengestanden.

II.

23

Der zulässige Antrag der Antragstellerin hat Erfolg.

24

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde eine Beamtin oder einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens unter Einbehaltung von bis zu 50 % der monatlichen Dienst-oder Anwärterbezüge vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehaltes erkannt werden wird. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG in Verb. mit § 63 Abs. 2 Bundesdisziplinargesetz (BDG) ist die vorläufige Dienstenthebung auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen, d.h. der Verfahrensausgang zumindest offen ist (VG Schleswig, Beschluss vom 04.06.2020 - 17 B 1/20 - juris Rn. 5). Das ist hier der Fall. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass im Disziplinarverfahren auf eine Entfernung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird.

25

Das Merkmal „voraussichtlich" in § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDG verlangt nicht, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden wird. Im Aussetzungsverfahren nach § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG, § 63 Abs. 1 Satz 1 BDG ist vielmehr zu prüfen, ob die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei summarischer Beurteilung - nach Kenntnisstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - überwiegend wahrscheinlich ist (OVG Schleswig, Beschluss vom 21.08.2020 - 14 MB 1/20 - juris Rn. 3 und vom 09.02.2021 - 14 MB 3/20 - juris Rn. 2 mit weit. Nachw.). Ist nach derzeitigem Kenntnisstand die Wahrscheinlichkeit hierfür genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Entlassung aus dem Dienst nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel an der vorläufigen Dienstenthebung zu bejahen (HessVGH, Beschluss vom 24.03.2016 - 28 A 2764/15.D - juris Rn. 32). Dabei ist die Sachprüfung in einem Verfahren nach § 41 Abs. 1 LDG in Verb. mit § 63 Abs. 2 BDG seinem Wesen nach auf eine summarische Bewertung und entsprechende Wahrscheinlichkeitserwägungen beschränkt. Für eine eingehende Beweiserhebung ist nach der gesetzlichen Regelung kein Raum. Es ist ein hinreichender begründeter Verdacht für ein Dienstvergehen erforderlich, das die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigt (OVG Schleswig, Beschluss vom 29.01.2018 - 14 MB 3/17 - juris Rn. 4).

26

Auf der Grundlage des hier maßgeblichen aktuellen Kenntnisstandes ist es nach Auffassung der Kammer offen, ob im Disziplinarverfahren die Entfernung der Antragstellerin aus dem Dienst als die schärfste disziplinarrechtliche Sanktion (§ 10 Abs. 1 LDG) verhängt werden wird. Nach der summarischen Überprüfung der der Antragstellerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen und der Auswertung des Akteninhalts besteht nach Auffassung der Kammer (zumindest) eine genauso hohe Eintrittswahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Prognose des Antragsgegners als unzutreffend erweisen wird, wonach es in dem eingeleiteten Disziplinarverfahren voraussichtlich zu einer Entfernung der Antragstellerin aus dem Dienst kommt. Nach dem oben zitierten Prüfungsmaßstab besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Verhängung dieser Maßnahme; insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (VG Schleswig, Beschluss vom 04.06.2020 - 17 B 1/20 - juris Rn. 11).

27

Zwar hat die Antragstellerin ein Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, als sie bereits zwei Wochen vor Beginn der Osterferien, nämlich vom 16. bis 27.03.2020 und - nach dem Ende der Osterferien am 19.04.2020 - vom 20. bis 27.04.2020 ohne Genehmigung dem von ihr an sich zu leistenden Dienst als Lehrerin am ... ... in A-Stadt fernblieb. Sie verstieß zum einen gegen ihre sich aus § 34 Satz 1 BeamtStG ergebende Pflicht, sich mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Das Gebot, überhaupt zum Dienst zu erscheinen, ist eine leicht einsehbare Grundpflicht jedes dienstfähigen Beamten (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.02.2016 - 3 A 11052/15 - juris Rn. 77 mit weit. Nachw.). Die landesrechtliche Normierung in § 67 Satz 1 LBG bestimmt daher, dass der Beamte dem Dienst nicht ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten fernbleiben darf. Ohne die Dienstleistung ihrer Mitarbeiter wäre die Verwaltung nicht imstande, die ihr gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen (BVerwG, Urteil vom 07.11.1990 - 1 D 33/90 - juris Rn. 31). Dementsprechend stellt das unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst eine Kernpflichtverletzung dar (OVG Lüneburg, Urteil vom 10.12.2019 - 3 LD 3/19 - juris Rn. 92). Die Antragstellerin war verpflichtet, den Dienst grundsätzlich in der Dienststelle zu leisten (§ 9 Satz 1 Arbeitszeitverordnung - SH AZVO). Von dieser Verpflichtung war die Antragstellerin auch nicht deshalb entbunden, weil die Schule, an der sie tätig war, ab 12.03.2020 wegen der Corona-Pandemie geschlossen war und dort - mit Ausnahme eines Notbetriebs für die 1. bis 6. Jahrgangsstufe - kein Unterricht stattfand. Der Antragsgegner hatte mit Erlass vom 13.03.2020 ausdrücklich bestimmt, dass Lehrkräfte gleichwohl verpflichtet seien, zum Dienst zu erscheinen. Schulleiterinnen und Schulleiter sollten zusammen mit den Lehrkräften den schulorganisatorischen Betrieb in der Schule aufrechterhalten. Daraus durfte die Antragstellerin nicht schließen, dass ihre Anwesenheit am Dienstort nicht erforderlich sei. Informationen zur Schulschließung und Notbetreuung sowie zu den nach den Osterferien stattfindenden Abiturprüfungen hatte die Schulleitung außerdem auf der Homepage der Schule veröffentlicht. Indem die Antragstellerin am 14.03.2020 ihre Urlaubsreise nach ...X antrat, entzog sie sich der Anweisung aus dem genannten Erlass und ignorierte die Informationen der Schulleitung. Dadurch verstieß sie nicht nur gegen ihre sog. Hingabepflicht aus § 34 Satz 1 BeamtStG, sondern zusätzlich auch gegen ihre Folgepflicht aus § 35 Satz 2 BeamtStG. Danach sind Beamtinnen und Beamte verpflichtet, dienstliche Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen.

28

Die Antragstellerin kam ihrer Pflicht zur Dienstleistung nicht hinlänglich dadurch nach, dass sie, wie sie geltend macht, Schülerinnen und Schüler vor ihrer Abreise noch von zuhause und anschließend von ihrem Urlaubsort aus über das Internet mit Aufgaben versorgte. Dabei kann dahinstehen, ob die Zurverfügungstellung von Arbeitsaufträgen und die Betreuung der Schülerinnen und Schüler durch die Antragstellerin hinreichend und inwieweit die Antragstellerin telefonisch für die Schulleitung und die Eltern erreichbar war. Insoweit liegen sich widersprechende Aussagen der Antragstellerin und des Schulleiters vor. Jedenfalls oblagen der Antragstellerin während ihres Aufenthalts auf ...X Dienstpflichten, die sie an ihrem Dienstort zu erfüllen hatte, nämlich eine Notbetreuung an zwei Tagen vor den Osterferien sowie nach den Osterferien eine Aufsicht während einer Abiturklausur. Diese Aufgaben mussten Kollegen übernehmen.

29

Die Antragstellerin beging das Dienstvergehen auch schuldhaft. Denn sie unterließ die Dienstleistung nicht nur willentlich, sondern auch in Kenntnis der entsprechenden Pflicht und im Bewusstsein der Möglichkeit, tatsächlich dienstfähig zu sein (BVerwG, Urteil vom 30.08.2012 - 2 WD 21/11 - juris Rn. 36; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.02.2016, a.a.O., Rn. 62). Im Erlass vom 13.03.2020 wurden auch die Lehrkräfte nicht nur - wie die Antragstellerin vorträgt - darüber informiert, dass das Ministerium einen Notfallplan vorbereite und kurzfristig informiere. Vielmehr wurden sie auch darüber unterrichtet, dass sie grundsätzlich verpflichtet seien, zum Dienst zu erscheinen, und Schulleiterinnen und Schulleiter zusammen mit den Lehrkräften den schulorganisatorischen Betrieb in der Schule aufrechterhielten. Gerade die von der Antragstellerin ins Feld geführte unsichere Lage im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Pandemie hätte sie davon abhalten müssen, zwei Wochen vor Ferienbeginn eine Auslandsreise anzutreten. Zum einen konnte sie nicht wissen, inwieweit sie in der Schule gebraucht werden würde. Darüber hinaus konnte die Antragstellerin nicht sicher davon ausgehen, dass sie rechtzeitig zum Endes der Osterferien wieder in Deutschland sein würde. Der Flugbetrieb nach ... stand am 14.03.2020 kurz vor der Einstellung. Zwei vom Auswärtigen Amt organisierte Rückholflüge am 31.03. und 03.04.2020 nahm die Antragstellerin nicht in Anspruch, weil sie nach Beendigung ihres Aufenthalts im Quarantäne-Camp am 30.03.2020 in den verbleibenden Ferienwochen noch die Annehmlichkeiten eines Hotels genießen wollte. Dabei verließ sie sich auf die Zusicherung der Regierung von ..., dass eine Ausreise jederzeit möglich sei. Dies war vor dem Hintergrund, dass das Auswärtige Amt bereits am 17.03.2020 eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen hatte, leichtfertig. Die Rückholflüge für deutsche Reisende im Ausland waren gerade deshalb organisiert worden, weil damit zu rechnen war, dass es wegen der Corona-Pandemie in vielen Staaten zur Streichung, zu Ausfällen und zu einem Ausdünnen von Flügen kommen würde (https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-rueckholung/2320002). Hinzu kommt, dass die Antragstellerin nach der Quarantäne in ... damit rechnen musste, dass sie sich nach ihrer Rückkehr in Deutschland ebenfalls in Quarantäne würde begeben müssen. Bei Inanspruchnahme eines der organisierten Rückholflüge hätte die Antragstellerin auch nach einer 14-tägigen Quarantäne zum Schulbeginn nach den Osterferien am 20.04.2020 ihren Dienst an der Schule antreten können. Stattdessen nahm sie es bewusst in Kauf, dass sie möglicherweise nicht rechtzeitig zum Ferienende wieder an ihrem Dienstort sein würde. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin am 16.03.2020 nicht dienstfähig war, gibt es nicht. Der von ihr geltend gemachten Überlastung war im zweiten Schulhalbjahr durch eine Änderung des Stundenplans Rechnung getragen worden. Ein Angebot des Schulleiters, Lerngruppen abzugeben, hatte die Antragstellerin abgelehnt.

30

Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang die Beamtin oder der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (BVerwG, Urteil vom 27.01.2011 - 2 A 5/09 - juris Rn. 30).

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Der nach § 13 Abs. 2 Satz 1 LDG für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erforderliche Vertrauensverlust setzt voraus, dass der Beamte ein gravierendes Dienstvergehen begangen hat und die prognostische Gesamtwürdigung nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG ergibt, er werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen ist er als Beamter nicht mehr tragbar (BVerwG, Urteil vom 27.01.2011, a.a.O., Rn. 33).

32

Einem Beamten, der ohne triftigen Grund nicht zum vorgeschriebenen Dienst kommt, kann nicht mehr das Vertrauen entgegengebracht werden, das für eine gedeihliche Zusammenarbeit unerlässlich ist. Verweigert er den Dienst für einen längeren Zeitraum oder auch nur wiederholt tageweise, so ergibt sich die Notwendigkeit, das Beamtenverhältnis einseitig zu lösen, regelmäßig schon aus der Dauer der Dienstverweigerung selbst sowie aus dem Umstand, dass das Erfordernis der Dienstleistung und damit die Bedeutung ihrer Erfüllung im Interesse ordnungsgemäßen Funktionierens des öffentlichen Dienstes geboten und für jedermann leicht erkennbar ist. Setzt sich ein Beamter über diese Erkenntnis hinweg, dann offenbart er ein so hohes Maß an Verantwortungslosigkeit, Pflichtvergessenheit und Mangel an Einsicht in die Notwendigkeit einer geordneten Verwaltung, dass in aller Regel die Dienstentfernung die Folge sein muss. Schon eine insgesamt oder in Einzelzeitabschnitten nach Monaten zählende Dauer schuldhaften Fernbleibens vom Dienst ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als so unerträglich gewertet worden, dass sie den Fortbestand des Beamtenverhältnisses grundsätzlich ausschließt (BVerwG, Urteil vom 07.11.1990, a.a.O., Rn. 31 und Urteil vom 27.01.2011, a.a.O., Rn. 35).

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Die Antragstellerin blieb indes nicht über mehrere Monate dem Dienst fern, sondern lediglich etwa sechs Wochen, von denen noch dazu etwa drei Wochen auf die Osterferien entfielen, die der Abgeltung des der Antragstellerin zustehenden Urlaubsanspruchs dienten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Erholungsurlaubsverordnung - EUVO -). Eine Fallgestaltung, in der schon die Dauer des Abwesenheitszeitraums für ein äußerst schweres Dienstvergehen spricht, liegt hier daher nicht vor. Das erkennende Gericht geht auch nicht aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles vom Vorliegen eines äußerst schweren Dienstvergehens aus. Solche Umstände hat das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 10.12.2019 (Az. 3 LD 3/19 - juris) in einem Fall angenommen, in dem eine Lehrerin zwar ärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigungen für die Dauer ihres Fernbleibens vorgelegt hatte, diese aber aufgrund einer vorsätzlichen Täuschung der Ärzte über den tatsächlichen Gesundheitszustand der Beamtin erteilt worden waren und dieses aufgrund eines rechtskräftigen strafgerichtlichen Berufungsurteils feststand. Damit lässt sich das Dienstvergehen der Antragstellerin nicht vergleichen. Der Verstoß der Antragstellerin gegen ihre Pflicht zur Dienstleistung führt zwar zu einem (erheblichen) Vertrauensverlust, zumal der Antragstellerin als Lehrkraft eine besondere Vorbildfunktion zukam (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 135). Er wiegt aber nach Auffassung der Kammer nicht so schwer, dass zwingend von einer endgültigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn ausgegangen werden muss.

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Zwar unterrichtete die Antragstellerin die Schulleitung erst am 15.04.2020 davon, dass sie sich in ... aufhalte und möglicherweise nicht rechtzeitig zum Schulbeginn zurück sein würde. Sie war auch nicht erkrankt, wie sie zunächst in ihrer Email vom 18.03.2020 an die Schule angegeben hatte, und die von der Deutschen Botschaft organisierten Rückholflüge am 31.03. und 03.04.2020 hätte sie entgegen ihren Angaben in der Email vom 15.04.2020 sehr wohl in Anspruch nehmen können, da ihre in ... angeordnete Quarantäne bereits am 30.03.2020 endete. Die falschen Angaben der Antragsteller dienten jedoch in erster Linie dazu, ihr Fehlverhalten zu verbergen bzw. zu relativieren. Insgesamt rechtfertigt die Dienstpflichtverletzung der Antragstellerin nicht die nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG vorzunehmende prognostische Gesamtwürdigung, sie werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch ihr Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen wäre sie, wie ausgeführt, als Beamtin nicht mehr tragbar (BVerwG, Urteil vom 27.01.2011, a.a.O., Rn. 33). Ob es sich bei der Entscheidung der Antragstellerin, bereits am 14.03.2020 nach ...X zu fliegen, um eine Kurzschluss- oder Panikreaktion handelte, kann dahinstehen. Dafür könnte sprechen, dass sie erst am 14.03.2020 von der Hotelbesitzerin an ihrem Reiseziel darüber informiert wurde, dass nur noch am 15.03.2020 Flüge in XXX landen dürften. Die Aussicht, ihren seit einem halben Jahr geplanten Urlaub, der nach ihrer Aussage ihrer Rekonvaleszenz dienen sollte, nicht antreten zu können, veranlasste sie zum kurzfristigen Reiseantritt als aus ihrer Sicht letzte Chance, nach ... zu kommen. Zugunsten der Antragstellerin ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass sie bisher disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist. Zudem hat sie sich während ihres ungenehmigten Fernbleibens vom Dienst, das sie nach ihrem eigenen Vorbringen bereut, immerhin bemüht, ihre Schülerinnen und Schüler mit Aufgaben zu versorgen. Der Hauptpersonalrat weist in seiner ausführlichen Stellungnahme vom 15.01.2021 darauf hin, dass die Antragstellerin seit dem Vorfall im März/April 2020 ihren Dienstpflichten am ... ... aus seiner Sicht nachgekommen sei und sich in hohem Maße reuig gezeigt habe. Soweit der Antragsgegner der Antragstellerin in seiner Verfügung vom 26.03.2021 vorhält, bei einer Zeugniskonferenz am 16.06.2020 gefehlt zu haben, obwohl sie vom stellvertretenden Schulleiter auf ihre Pflicht zur Teilnahme hingewiesen worden sei, hat die Antragstellerin den Vorgang gegenüber dem Hauptpersonalrat offenbar anders als die Schulleitung dargestellt. Jedenfalls hat die Antragstellerin sich in einem am 22.06.2020 geführten Dienstgespräch für ihr Fernbleiben von der Konferenz entschuldigt und dies bedauert. Auf welchen konkreten Vorfällen die Einschätzung des Schulleiters in seiner Stellungnahme vom 18.11.2020 beruht, die Antragstellerin sei „total wahrnehmungs-, lern-, einsichts- und beratungsresistent, lässt sich den Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen.

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Besteht danach aufgrund der festgestellten Verstöße keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Dienstentfernung, bedarf es eines besonderen rechtfertigenden Grundes dafür, dass die Beamtin in der Zeit von der Einleitung des Disziplinarverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss ihren aus dem bestehenden Beamtenverhältnis ergebenden Anspruch auf Ausübung ihres Amtes vorübergehend verliert. Solche Gründe könnten etwa Verdunklungsgefahr oder eine besondere Belastung des Betriebsklimas infolge einer Unverträglichkeit des Beamten sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.05.1994 - 1 DB 7/94 - juris Rn. 13). Beides ist hier nicht der Fall. Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin auch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens am 25.05.2020 noch aus personalwirtschaftlichen Gründen weiterbeschäftigt wurde, ist nicht ersichtlich, warum die vorläufige Dienstenthebung - wie in der Verfügung vom 26.03.2021 ausgeführt - nunmehr zum Schutz des Ansehens der Beamtenschaft, der Lehrerschaft und der Schule erforderlich und eine weitere Zusammenarbeit mit der Antragstellerin weder den Schülerinnen und Schülern noch den Eltern zuzumuten sein soll. Es fehlt an einer Begründung, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände im konkreten Fall der dienstliche Betrieb, der Frieden in der Dienststelle oder das Ansehen des öffentlichen Dienstes, insbesondere der Lehrerschaft, gerade in der Zeit zwischen Einleitung des Disziplinarverfahrens und seinem rechtskräftigen Abschluss, mit dem die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung kraft Gesetzes endet (§ 39 Abs. 4 LDG) und von dem ab der Beamte spätestens dann weiterbeschäftigt werden muss, ohne vorläufige Dienstenthebung gefährdet wäre.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs. 1 Satz 1 LDG, 77 Abs. 1 BDG, 154 Abs. 1 VwGO.


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