Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 104/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt
Gründe
I.
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Der Antragsteller wendet sich gegen den Widerruf seiner Duldung.
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Er ist ghanaischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben zuletzt im April 2018 unerlaubt ins Bundesgebiet ein. Er ist Vater zweier Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, für die seine Vaterschaft notariell anerkennt ist. Im Rahmen eines im Oktober 2018 eingeleiteten aufenthaltsrechtlichen Verfahrens gab die Kindsmutter eine Erklärung ab, in dem diese u.a. angab, der Antragsteller kümmere sich mehrmals wöchentlich für mehrere Stunden um die Kinder. Ihrer Meinung nach sei es für die weitere Entwicklung wichtig, dass er in Deutschland bleibe. Daraufhin wurde dem Antragsteller eine Duldung zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge ausgestellt.
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Auf eine Anfrage der Antragsgegnerin teilte das Auswärtige Amt, Deutsche Botschaft Accra, mit, dass die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Visums zur Familienzusammenführung drei Monate betrage. Sofern die Identität nicht zweifelsfrei geklärt sei, könne sich das Verfahren ggf. durch ein Urkundenüberprüfungsverfahren verlängern.
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Mit Bescheid vom 01.03.2019 wurde dem Antragsteller eine Ausreisefrist von 30 Tagen gesetzt und für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Ghana angedroht. Die Abschiebung wurde gleichzeitig für 18 Monate ab der Geburt der Kinder des Antragstellers ausgesetzt, vorausgesetzt der Antragsteller nehme die elterliche Sorge tatsächlich wahr. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, ab einem Kindsalter von 18 Monaten sei die Nachholung des Visumverfahrens (mit Vorabzustimmung) zumutbar.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch, begründete diesen zunächst aber nicht.
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Zwischenzeitlich wurde mitgeteilt, dass der Antragsteller von der Kindsmutter getrennt lebe. Im August 2019 wurde das Jugendamt um Auskunft bezüglich des Umgangs des Antragstellers mit seinen Kindern gebeten. Der Mitarbeiter des Jugendamts gab an, es habe im Februar 2019 ein Gerichtsverfahren gegeben. Ergebnis des Verfahrens war eine Umgangsregelung, nach der dem Antragsteller alle zwei Wochen ein Umgangsrecht in B-Stadt zustehe. Der Antragsteller halte sich jedoch nicht an die Regelung und komme unangekündigt zur Wohnung der Kindsmutter. Es habe auch Polizeieinsätze gegeben. Das Interesse des Antragstellers an seinen Kindern werde vom Jugendamt allerdings als authentisch eingeschätzt.
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Mit Schreiben vom 16.08.2019 begründete der Antragsteller sodann seinen Widerspruch und beantragte in diesem Rahmen auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zwecks Familiennachzugs zu seinen Kindern.
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Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2019 zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde die am 01.03.2019 erteilte Duldung zur Personensorge widerrufen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Gründe für die bisherige Aussetzung der Abschiebung entfallen seien. Zwar bestehe formal ein gemeinsames Sorgerecht hinsichtlich der Kinder und es gebe eine gerichtlich festgelegte Umgangsregelung. Darüber hinaus übernehme der Antragsteller aber keine wesentlichen Aufgaben bei der Erziehung und Betreuung der Kinder. Zum Zeitpunkt der Duldungserteilung habe er hingegen noch in einem gemeinsamen Haushalt mit den Kindern gelebt und sich mehrmals wöchentlich für mehrere Stunden um die Kinder gekümmert. Gegen eine aktuell bestehende Ausübung der elterlichen Sorge spreche zudem die Weigerung, gemeinsam mit dem Jugendamt und der Kindsmutter eine weitergehende Umgangsregelung zu finden. Auch habe der Antragsteller gedroht, die Kinder mit nach Afrika zu nehmen, sofern man ihm keinen Aufenthaltstitel erteile. Daher sei die Duldung zu widerrufen. Hinsichtlich des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wies die Beklagte auf die Einholung eines Visums in Ghana hin und kündigte an, über den Antrag noch gesondert zu entscheiden.
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Hiergegen erhob der Antragsteller am 23.09.2019 Klage (11 A 240/19) und ersuchte gleichzeitig um gerichtlichen Eilrechtsschutz (11 B 159/19). Die Kindesmutter, die noch drei weitere Kinder im Alter von – zum damaligen Zeitpunkt – elf, neun und drei Jahren habe, habe ihn um Unterstützung gebeten habe. Seitdem besuche er seine Zwillinge zweimal wöchentlich für vier bis sechs Stunden. Sollte er ausreisen müssen, würde die Wiedereinreise mit einem vorangehenden Visumverfahren mehrere Monate dauern. Die Kinder seien aber auf seine Anwesenheit angewiesen. Zudem reichte er eine Erklärung der Kindsmutter vom 01.10.2019 nach, wonach er – der Antragsteller – aktuell zweimal die Woche zu Besuch sei. Zwar sei er nach ihrer Ansicht in seiner Rolle als Vater meistens überfordert, er habe die Kinder aber wohl gern. Am 01.10.2019 fand ein Telefongespräch zwischen der Kindesmutter und der Antragsgegnerin statt, in dem die Kindsmutter den Kontakt bestätigte. Gleichzeitig teilte das Jugendamt jedoch mit, dass der Antragsteller weiterhin weder Kontakt zum Jugendamt aufnehme noch auf Anfragen reagiere.
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Mit Beschluss vom 16.10.2019 (11 B 159/19) gab das Gericht dem Antrag auf Eilrechts-schutz teilweise statt und untersagte der Antragsgegnerin, den Antragsteller vor Erlass einer Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 16.08.2019 abzuschieben. Es gäbe nicht unerhebliche Anhaltspunkte für eine schützenswerte Beziehung zu den Kindern. Am 21.10.2019 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller auf den Beschluss des Gerichts hin erneut eine Duldung, woraufhin die Klage teilweise für erledigt erklärt wurde. Mit Bescheid vom 28.02.2020 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sodann ab. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller keinen Widerspruch ein.
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Mit Gerichtsbescheid vom 17.05.2021 stellte der Einzelrichter das Verfahren teilweise ein und wies die Klage im Übrigen als unzulässig ab, da das Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei. Mit Schreiben vom 14.06.2021 beantragte der Antragsteller die Durchführung der mündlichen Verhandlung. Diese konnte nach zwischenzeitlicher (Ab-)Ladung bisher noch nicht stattfinden.
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Mit Schreiben vom 04.10.2021 kündigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Abschiebung an und widerrief mit Bescheid vom 11.10.2021 die Aussetzung der Abschiebung. Der Antragsteller wohne getrennt von der Mutter und den Kindern in einer eigenen Wohnung und besuche die Kinder nur unregelmäßig. Die Besuchshäufigkeit reiche von mehreren Tagen in einer Woche bis zu mehreren Wochen ohne Besuch. Es gebe keinen festen Plan, wann die Besuche erfolgen, sondern der Antragsteller entscheide kurzfristig spontan, wann er die Kinder sehen wolle. Selbst wenn man im vorliegenden Fall von einer schätzenswerte Beistands- und Erziehungsgemeinschaft ausgehen wolle, sei eine unzumutbar lange Trennung von der Familie nicht zu befürchten. Das Visumverfahren zur Familienzusammenführung (Nachzug zu einem deutschen Kind) dauere derzeit regelmäßig nur 6 bis 10 Wochen, wenn alle erforderlichen Dokumente vorgelegt werden. Da dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 01.03.2019 mitgeteilt worden sei, welche Unterlagen für die Visumbeantragung erforderlich seien, habe dieser inzwischen genug Zeit gehabt, die nötigen Dokumente zu beschaffen. Sollte ein Urkundenüberprüfungsverfahren erforderlich werden, so dauere auch dieses nur 12 Wochen. Unter Berücksichtigung des Alters der Kinder (beide geboren am 03.08.2018) sei eine Trennung von bis zu sechs Monaten als zumutbar anzusehen. Die zu erwartende Dauer des Visumverfahrens führe erkennbar nicht zur Unzumutbarkeit der Nachholung. Da regelmäßig Charterflüge nach Ghana stattfänden und der konkrete Abschiebungstermin auch schon feststehe, erfolge die Ankündigung der Abschiebung vom 04.10.2021 auch nicht bloß auf Vorrat, sondern in Anbetracht einer feststehenden Planung. Die Aussetzung der Abschiebung sei daher gemäß § 60 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nach Wegfall der der Abschiebung entgegenstehenden Gründe zu widerrufen.
- 13
Hiergegen legte der Antragsteller am 01.11.2021 Widerspruch ein. Die familiäre Gemeinschaft mit seinen Kindern bestehe weiterhin. Dass die Kontakte nicht mehr ganz so häufig seien, wie dies im vergangenen Jahr der Fall gewesen sei, liege einzig daran begründet, dass der Antragsteller und die Kindesmutter sich endgültig getrennt hätten. Die Kontakte zu den Kindern bestünden allerdings weiterhin. Aufgrund der Trennung von der Kindesmutter könne der Antragsteller auch nicht sicherstellen, dass die Kindsmutter die Kontakte im Rahmen eines Visumsverfahrens bestätigen werde. Er könne den Kontakt von Ghana aus auch nicht nachweisen. Es sei daher keineswegs davon auszugehen, dass ein Visumsverfahren nur sechs bis zehn Wochen dauern werde, sondern deutlich länger. Eine so lange Trennung entspreche nicht dem Wohl von zwei dreijährigen Kindern, mit denen der Kontakt nicht für einen längeren Zeitraum telefonisch oder per Internet gehalten werden könne.
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Am 01.11.2021 hat der Antragsteller zudem auch um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Es sei zwar richtig, dass es in der Vergangenheit zwischen ihm und der Kindsmutter zu Auseinandersetzungen gekommen sei, in deren Verlauf der Antragsteller auch nicht mehr in häuslicher Gemeinschaft mit der Kindsmutter und den Kindern lebe. Richtig sei auch, dass derzeit der Kontakt zwischen ihm und den Kindern nicht mehr mehrmals in der Woche, sondern seltener erfolge. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass er und die Kindsmutter sich getrennt hätten, und die Situation zwischen beiden angespannt sei. Er besucht seine Kinder jedoch weiterhin mehrere Male im Monat. Für ihn und seine drei Jahre alten Kinder wäre eine Ausreise und Wiedereinreise im Visumsverfahren eine erhebliche Härte. Ein Visumsverfahren dauere in der Regel mehrere Monate. Mit zwei so kleinen Kindern während des Visumsverfahrens telefonisch und über das Internet sinnvoll in Kontakt zu bleiben, sei kaum möglich. Zudem würde seine Betreuungsleistung während dieser Zeit wegfallen, die Kindesmutter würde sich alleine um fünf Kinder kümmern müssen, ohne auf seine Unterstützung zurückgreifen zu können. Auch müsse er befürchten, nach einer Ausreise nicht wieder einreisen zu können, weil die Kindesmutter aufgrund der bestehenden Streitigkeiten im Visumsverfahren erklären könne, er kümmere sich nicht ausreichend um die Kinder. Wenn er sich in Ghana aufhalte, könne er auch nicht das Gegenteil beweisen, da er keinen persönlichen Kontakt zu seinen Kindern habe.
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Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 01.11.2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.10.2021 anzuordnen,
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hilfsweise der Antragsgegnerin zu untersagen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage im Verfahren 11 A 240/19 zu treffen,
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die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen und ihm eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung auszuhändigen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Mit Beschluss vom heutigen Tag hat die Kammer die Sache dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie der beigezogenen Akten (Gerichts- sowie Verwaltungsakten in den Verfahren 11 B 159/19 und 11 A 240/19) Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bleibt erfolglos. Er ist bezüglich des Haupt- (dazu unter 1.) sowie der Hilfsanträge (dazu unter 2.) statthaft und zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 01.11.2021 anzuordnen, ist als Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Denn ein Widerspruch gegen den Widerruf der Duldung und gegen die Abschiebungsandrohung entfaltet gemäß § 248 Abs. 1 Satz 2 LVwG keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO.
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Der Widerruf der Duldung ist als Vollstreckungsmaßnahme anzusehen, sodass eine Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Ausländerbehörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht erforderlich ist (VG Schleswig, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 11 B 38/21 –, juris Rn. 15, 16 im Anschluss an OVG B-Stadt, Beschluss vom 23. August 1991 – Bs V 100/91 –, juris Rn. 3; vgl. auch Dittrich/Breckwoldt in HTK-AuslR / Rechtsschutz / 2.7.4, Stand: 29.09.2019 Rn. 2-3).
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Der Hauptantrag ist auch zulässig, aber unbegründet.
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Die in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung ist in erster Linie an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszurichten. Sie fällt regelmäßig zugunsten der Behörde aus, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes Interesse an seiner sofortigen Vollziehung besteht oder der Sofortvollzug gesetzlich angeordnet ist. Dagegen ist dem Aussetzungsantrag stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da an der sofortigen Vollziehung eines solchen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Lässt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht zu, so hat das Gericht eine eigenständige, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02. März 2016 – 1 B 1375/15 –, juris Rn. 9; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06. August 1991 – 4 M 109/91 –, SchlHA 1991, 220).
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Gemessen an diesen Maßstäben ist der Bescheid offensichtlich rechtmäßig. Die Duldung wurde gemäß § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG widerrufen, da die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen sind.
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Der hier streitgegenständlichen Duldung lag maßgeblich die Entscheidung der Kammer vom 16.10.2019 (11 B 159/19) zugrunde. Darin entschied die Kammer:
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„Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK, in den durch die Abschiebung einzelner Familienmitglieder eingegriffen wird, kann ein von der Ausländerbehörde zu beachtendes sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis begründen (Haedicke in: HTK-AuslR / § 60a AufenthG / zu Abs. 2 Satz 1 - familiäre Gründe, Stand: 01.08.2018, Rn. 34 ff.). Zu beachten ist, dass es um eine Einzelfallentscheidung geht, in der sämtliche einschlägige Gesichtspunkte des konkret vorliegenden Falles zu berücksichtigen sind. Wie gewichtig der aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK folgende Schutz der Familie jeweils ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen, u.U. auch vom Alter von Kindern oder auch der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder. Zu beachten ist immer, dass bei der Bewertung der familiären Beziehungen eine schematische Einordnung als einerseits aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder aber andererseits als eine sog. bloße „Begegnungsgemeinschaft“ ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen unzulässig ist. Insbesondere ist in Konstellationen, in denen der Umgang mit einem Kind betroffen ist, auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 – juris, Rn. 14). Dabei ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu den Eltern in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung dient und dass das Kind beide Eltern braucht. Der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters wird nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich (OVG Schleswig, Beschluss vom 22. August 2019 – 4 MB 48/19 – n.v., m.w.N.). Für die Bejahung einer von Art. 6 GG geschützten Lebensgemeinschaft kann ein regelmäßiger Kontakt eines getrennt lebenden Elternteils zum Kind, der die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung zum Ausdruck bringt, sowie eine emotionale Verbundenheit, gefordert werden (BVerfG, Beschluss vom 01. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 – juris, Rn. 33).
Gerade – aber nicht nur – in Fällen, in denen eine nicht nur kurzzeitige oder gar dauerhafte Trennung möglich ist und zudem ein sehr kleines Kind betroffen ist, sind die Ausländerbehörden gehalten, den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Dabei ist der Ausländer zur umfassenden Mitwirkung heranzuziehen, § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Antragsteller das Vorliegen einer von Art. 6 GG geschützten Beziehung mit einem für den Erlass der begehrten Anordnung ausreichenden Grad glaubhaft gemacht.
Es liegen derzeit nicht unerhebliche Anhaltspunkte für eine schützenswerte Beziehung vor. Zwar ergibt sich aus dem beigezogenen Verwaltungsvorgang, dass sich der Antragsteller in der Vergangenheit nicht an die mit der Kindsmutter getroffenen Vereinbarungen gehalten hat und nicht die von ihr gewünschte Unterstützung leistet. Der regelmäßige Kontakt mit den Kindern besteht aber unstreitig weiter fort. Der Kontakt werde auch nach den zuletzt getätigten Angaben von Frau W. vom Antragsteller aktiv gesucht. Diese Beziehung hat auch die Antragsgegnerin in der Vergangenheit als Beistandsgemeinschaft gewertet. Der Umstand, dass mittlerweile keine häusliche Gemeinschaft mehr besteht, steht der Annahme einer schützenswerten Beziehung nach den oben genannten Maßstäben nicht entgegen. Eine Einschätzung, wie sich die Beziehung zu den Kindern darstellt und welche Auswirkungen eine mögliche Trennung auf sie hätte, ist bislang nicht getroffen worden. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund, dass seit der Geburt der Kinder im August 2018 zumindest regelmäßige Besuche stattfinden, erforderlich. Zwar kann bei dieser Sachlage eine schützenswerte Beistandsgemeinschaft nicht abschließend festgestellt werden kann, sie bietet jedoch Anlass für eine eingehendere Prüfung. Auch ist vorliegend zu beachten, dass sich bei einer gelebten Vater-Kind-Beziehung ein Abbruch dieser Beziehung als besonders schwer für die Kinder J. und J. erweisen dürfte, da die Gefahr besteht, dass die beiden noch sehr kleinen Kinder den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen und demzufolge als endgültigen Verlust erfahren.
Die weitere Sachverhaltsaufklärung und Prüfung der Beziehung des Antragstellers zu seinen Kindern kann im Rahmen des noch offenen Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfolgen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch keine Entscheidung über seinen Antrag ergangen. Im Rahmen der Prüfung ist der Antragsteller umfassend zur Mitwirkung verpflichtet, auch im Hinblick auf die Kommunikation mit dem Jugendamt. Das Gericht weist bereits jetzt darauf hin, dass bei fehlender Bereitschaft des Antragstellers bei der Mitwirkung (Weigerung der Wahrnehmung von Terminen beim Jugendamt oder begleiteten Umgangsterminen usw.), die positive Feststellung einer familiären Lebensgemeinschaft nur schwer möglich sein dürfte. Auch wäre im weiteren Fortgang des aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu beachten, ob sich die in der Vergangenheit dokumentierte Problematik weiter fortsetzt und ggf. weitere familienrechtliche und/ oder strafrechtliche Verfahren nach sich zieht, die die Annahme einer schützenswerten Gemeinschaft ausschließen könnte.“
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Eine Würdigung der nunmehr dargelegten Umstände gebietet hinsichtlich der Annahme einer schützenswerten Bindung zu den Kindern dem Grunde nach kein wesentlich anderes Ergebnis. Der Antragsteller sieht seine Kinder zwar nicht mehr mehrmals jede Woche, sondern teilweise auch nur noch einige Male im Monat, so dass jedenfalls hinsichtlich der Quantität des Kontakts eine Verringerung der Beziehungsintensität anzunehmen sein dürfe. Ob damit auch eine qualitative Verringerung der Bindungsqualität einhergeht, lässt sich indes nicht annehmen und wird von der Antragsgegnerin auch nicht dargelegt. Diese geht vielmehr selbst davon aus, dass es weiterhin jedenfalls einen konstanten Kontakt gibt, der teilweise mehrmals die Woche stattfindet. Dass es derzeit keinen festen Plan gibt, nach dem die Besuche erfolgen, lässt sich aus Sicht des Gerichts mit den Herausforderungen getrenntlebender Eltern erklären und stellt den dennoch – unstreitig vorhandenen – Kontakt zu den Kindern nicht in Frage.
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Während es zwar keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich die Qualität der Bindung zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern maßgeblich geändert hätte, lässt das Alter der Kinder nunmehr jedoch zu, dem Antragsteller die Nachholung des Visumverfahrens zuzumuten. Die Kinder sind drei Jahre alt und teilweise über mehrere Wochen von dem Antragsteller getrennt, ohne dass die nächste Begegnung für die Kinder erwartbar und planbar wäre. Eine – ausweislich des Auswärtige Amtes, Deutsche Botschaft Accra, zu erwartende – Trennung von durchschnittlich drei Monaten ist vor diesem Hintergrund zumutbar, da die Kinder dies nicht (mehr) als dauerhaften Verlust empfinden werden, der nicht durch telefonische oder audio-visuelle Kommunikation aufgefangen werden könnte. Soweit der Antragsteller annimmt, die Kindsmutter könnte die Nachholung des Visumsverfahren durch unzutreffende Angaben über die Beziehung des Antragstellers zu seinen Kindern gefährden, ist dies eine reine Behauptung für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt. Es dürfte vielmehr anzunehmen sein, dass die Kindsmutter – den Vortrag des Antragstellers über die Intensität seiner Bindung zu den Kindern und seinen Anteil an der Pflege der Kinder als wahr unterstellt – vielmehr selbst ein Interesse daran haben wird, die Visumserteilung zu unterstützen. Dass der Anteil des Antragstellers derart unverzichtbar wäre, dass die Kindsmutter auf diesen Beitrag angewiesen wäre, erscheint im Übrigen nicht naheliegend, da diese offenbar auch bereits jetzt den ganz überwiegenden Teil der Pflegearbeit leistet während der Antragsteller die Kinder teilweise nur einige Male im Monat sieht.
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2. Aus den gleichen Gründen bleibt auch den Hilfsanträgen der Erfolg versagt. Weder ist der Antragsgegnerin aufzuerlegen, den Antragsteller bis zur Entscheidung über die Klage – hinsichtlich der zudem bereits im Rahmen des Gerichtsbescheids die Unzulässigkeit der Klage ausgedrückt wurde – von Abschiebemaßnahmen zu verschonen, noch ist ihm eine (neue) Duldung auszustellen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 GKG.
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4. Die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 Abs. 1 VwGO iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zudem hat der Antragsteller entgegen der Aufforderung in der Zustellverfügung vom 02.11.2021 die Erklärung über seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht eingereicht.
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