Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 B 8/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 7.500,00 € festgesetzt.
Gründe
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Der bei dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht gestellte Eilrechtsschutzantrag,
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„die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 3. September 2020 gegen die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen des Antragsgegners
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Genehmigungsbescheid vom 15. April 2020, Aktenzeichen ... .., Windkraftanlage Gemeinde ... .., Gemarkung ..., Flur ..., Flurstück ... ..,
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Genehmigungsbescheid vom 15. April 2020, Aktenzeichen ... ..., Windkraftanlage Gemeinde ..., Gemarkung ... ., Flur ..., Flurstück ... ..,
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Genehmigungsbescheid vom 15. April 2020, Aktenzeichen ... ..., Windkraftanlage Gemeinde ..., Gemarkung ... .., Flur ... ., Flurstück ... ...,
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Genehmigungsbescheid vom 15. April 2020, Aktenzeichen ..., Windkraftanlage Gemeinde ..., Gemarkung ... .., Flur ... .., Flurstück ... ..,
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sowie
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 18. Januar 2021 gegen die Änderungsgenehmigungen des Antragsgegners vom 18. Dezember 2020 für die Aktenzeichen des Antragsgegners ... .., ... ., ..., ... ..
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herzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Der Eilrechtsschutzantrag ist jedenfalls unbegründet.
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Hinsichtlich des immissionsschutzrechtlichen Abwehrrechts gilt, dass für die Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage gegen einen von der Behörde für sofort vollziehbar erklärten oder von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Genehmigungsbescheid auf die Interessen der Genehmigungsinhaber und die von der Genehmigung Drittbetroffenen abzustellen ist. Die Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage durch das Gericht hat mithin schiedsrichterlichen Charakter. Die vom Gericht dabei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich maßgeblich an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Genehmigungsbescheide zu orientieren. Das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruches überwiegt dann, wenn nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung die Klage mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird. Dem Interesse des Genehmigungsinhabers ist hingegen der Vorrang zu gewähren, wenn die Klage nach summarischer Prüfung keinen Erfolg verspricht.
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Für die Begründetheit der Klage ist maßgebend, dass eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung auf eine Drittanfechtung hin nicht in vollem Umfang auf ihre objektive Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist. Vielmehr hat eine Drittanfechtung nur dann Erfolg, wenn die Genehmigung Vorschriften verletzt, die gerade den Nachbarn schützen sollen.
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Eine Verletzung solcher drittschützender Normen zu Lasten des Antragstellers durch die streitgegenständlichen Genehmigungen ist nicht ersichtlich.
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Drittschutz entfaltet unter anderem das Gebot der Rücksichtnahme aus § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. § 35 BauGB, sowie die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ist eine Genehmigung für eine genehmigungsbedürftige Anlage nur dann zu erteilen, wenn u.a. sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten erfüllt werden. Dabei bestimmt § 5 Abs.1 Nr. 1, dass Anlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.
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Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG können auch Lärmeinwirkungen sein, die das Maß des nach den vorbezeichneten Vorschriften Zumutbaren überschreiten.
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Entgegen der Ansicht des Antragstellers lassen die angefochtenen Genehmigungen solche Lärmeinwirkungen jedoch nicht zu. Nach der im Genehmigungsverfahren vorgelegten Schallimmissionsberechnung vom 13. Juni 2019 und vom 25. Mai 2020 ist für den Immissionsort 1 ( ... .) zu erwarten, dass nach Errichtung sämtlicher Windkraftanlagen eine nächtliche Gesamtbelastung von 44 dB(A) erreicht wird. Dieser Beurteilungspegel liegt damit unterhalb des Immissionsrichtwertes für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden in Außenbereichen gemäß Ziffer 6.1 d der TA-Lärm von 45 dB(A) bzw. Dorfgebieten des Nachts und erreicht somit nicht das rechtlich relevante Ausmaß unzumutbarer Lärmimmissionen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG. Die relevanten Grenzwerte werden vielmehr unterschritten.
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Es ist auch nicht zu beanstanden, dass es keine eigene Messung am Grundstück des Antragstellers gegeben hat. Vielmehr ist es ausreichend von der Lärmbelastung am Immissionsort 1 (IO 1) auf die Belastung des Grundstücks des Antragstellers zu schließen. Insoweit liegt das Grundstück des Antragstellers nämlich 220 m nördlich von dem IO 1 und damit noch weiter von den neu zu errichtenden Windkraftanlagen entfernt. Woraus sich bei diesen Gegebenheiten eine höhere Belastung des Antragstellers ergeben sollte, legt der Antragsteller nicht dar.
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Auch der Einwand des Antragstellers, dass die erforderlichen Sicherheitszuschläge nicht berücksichtigt worden seien, kann nicht zum Erfolg führen. Hier reicht der pauschale Einwand des Antragstellers nicht aus. Zutreffend weist der Antragsteller zwar darauf hin, dass keine Dreifachvermessung vorgelegen habe. Jedoch ist dieser Umstand durch einen Zuschlag von 3 dB bei der Schallberechnung berücksichtigt worden. Die Anlagen sind daher im Nachtbetrieb durch eine zusätzliche Absenkung von Drehzahl und Leistung um 3 dB verringert zu betreiben.
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Der Antragsteller trägt auch nichts dahingehend vor, dass der Wert unzutreffend ermittelt worden sei oder eine tatsächliche Überschreitung des Wertes entgegen des Gutachtens vorliege. Die Prognose des schalltechnischen Gutachtens vom 25. Mai 2020 der ... GmbH kommt zu dem Gesamtergebnis, dass die Immissionswerte eingehalten oder sogar unterschritten werden. Die Werte an den Immissionsorten 4 und 9 seien zwar nachts überschritten, jedoch seien diese Überschreitungen irrelevant im Sinne des Erlasses des ... . An dem Ergebnis der gutachterlichen Prognose bestehen weder Zweifel noch sind hiergegen substantiierte Einwände vorgetragen. Der lediglich pauschale Einwand, dass die Vorbelastung zu niedrig angesetzt worden sei und die im Gutachten vorgenommenen Sicherheitszuschläge nicht ausreichend seien, ist jedenfalls nicht ausreichend, um Zweifel an dem Verfahren zu begründen.
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Auch die Annahme, dass das Grundstück des Antragstellers im Außenbereich liegt und daher die Höchstwerte für den Außenbereich bzw. für Dorfgebiete heranzuziehen sind, ist nicht zu beanstanden. Es handelt sich entgegen der Ansicht des Antragstellers vorliegend nicht um einen Ortsteil, so dass die Richtwerte eines allgemeinen Wohngebietes zu Grunde zu legen wären. Unter einem Ortsteil ist jeder Bebauungszusammenhang zu verstehen, der ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Bei der Bebauung am Kirchspielweg und in der näheren Umgebung handelt es sich um eine klassische Dorfgebietslage bzw. Splittersiedlung. Aus dem vorliegenden Kartenmaterial ist für die Kammer deutlich zu erkennen, dass es sich gerade nicht um eine Siedlungsstruktur, sondern vielmehr um ein paar einzeln gelegene Häuser an der Straße ... .. handelt.
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Ohne Erfolg macht der Antragsteller auch den von dem zugelassenen Betrieb durch die Windkraftanlagen verursachten Infraschall als Gesundheitsgefahr für die Nachbarschaft im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG geltend. Jedenfalls bei Abständen von mehr als 500 m der genehmigten Windkraftanlagen zu Wohngebäuden macht der von den Windkraftanlagen erzeugte Infraschall regelmäßig nur einen Bruchteil des in der Umgebung messbaren Infraschalls aus. Es gibt keinen wissenschaftlich gesicherten Hinweis darauf, dass bei solchen Abständen von dem von Windenergieanlagen verursachten Infraschall eine Gesundheitsgefahr oder eine erhebliche Belästigung ausgeht (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 31. August 2016, -1 MB 5/16 -). Das Haus des Antragstellers liegt sogar mindestens 650 m von den Windkraftanlagen entfernt.
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Soweit der Antragsteller Belastungen durch Schattenwurf geltend macht, da durch den Schattenwurf ein Schaden an seiner Solaranlage entstehen könnte, ist dies ebenfalls nicht überzeugend. Zum einen gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass der Schattenwurf den Betrieb der Solaranlage beeinträchtigen kann. Dies wird lediglich pauschal von dem Antragsteller behauptet. Darüber hinaus ist der Antragsteller durch die Auflage 2.2.11 der Genehmigung vom 15. April 2020 hinreichend geschützt. Insofern ist sichergestellt, dass die zulässige Beschattungsdauer nicht überschritten wird.
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Auch ist das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot nicht verletzt. Mit einem Abstand von 650 m vom Wohnhaus der Antragstellerin ist die gerügte optisch bedrängende Wirkung der Windkraftanlage nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts ist der Abstand zwischen Windkraftanlage und Wohnhaus als „Orientierungswert“ für die Frage einer Nachbarrechtsverletzung unter jenem Gesichtspunkt heranzuziehen. Soweit dieser Abstand mindestens das Dreifache der Anlagenhöhe (Nabenhöhe zuzüglich Rotorradius) beträgt, wird regelmäßig eine optisch bedrängende Wirkung verneint ( ... -). Das 149,90 m hohe Windrad (92,4 m Nabenhöhe + 57,5 m Rotorradius) hält mit 650 m einen Abstand von über dem vierfachen der Anlagenhöhe ein und zeigt damit nicht die ihr von dem Antragsteller beigemessene negative optische Wirkung. Besondere Umstände des Einzelfalles, seien es besondere topographische Verhältnisse oder Besonderheiten im Hinblick auf die Sichtbarkeit der Anlage, die einen größeren Abstand erfordern könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Auf einen Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip kann sich der Antragsteller bereits deshalb nicht berufen, weil das Vorsorgeprinzip nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG keinen Drittschutz entfaltet ( ... ...)
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Es liegt auch keine Verletzung einer drittschützenden Pflicht im Hinblick auf den Brandschutz vor. Soweit der Antragsteller rügt, dass das vorgelegte Brandschutzkonzept nicht in ausreichender Weise darlegt, wie im Falle eines Brandfalles vorgegangen werden müsse und das vorgelegte Brandschutzkonzept in keiner Weise den gesetzlichen Anforderungen entspreche, kann er damit nicht durchdringen. Zwar zählen zu den sonstigen Gefahren im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch solche Gefahren die z.B. durch Brände verursacht werden können. Jedoch bedarf es für die Annahme der Gefahr im Sinne der schädlichen Umwelteinwirkungen eines Vorliegens einer konkreten Gefahr, d.h. einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Diese ist vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr beschränkt sich der Antragsteller auf abstrakte Gefahren eines möglichen Brandes.
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Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen durch den Bau der Windkraftanlagen verursachten Wertverlust seines Wohnhauses berufen. Hierzu hat er nichts vorgetragen, was einen Anhaltspunkt für einen kompletten Wertverlust liefern könnte. Insoweit hat der Beigeladene zu Recht darauf hingewiesen, dass auch im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme hier kein Wertverlust anzunehmen ist.
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Die befürchteten Wertverluste an den Immobilien durch die Errichtung und den Betrieb der strittigen Windkraftanlagen stellen keinen Eingriff in den Schutzbereich des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG und somit auch keine Rechtsverletzung dar. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein Wertverlust zu erwarten ist, ist dies als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für sich genommen nicht unzumutbar im Sinne des Rücksichtnahmegebots. Vielmehr kommt ein Abwehranspruch nur dann in Betracht, wenn die Wertminderung die Folge einer den Betroffenen nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten seines Anwesens ist. Ansonsten betreffen die Chancen und Risiken einer Veränderung des Verkehrswerts eines Anwesens infolge einer rechtmäßigen behördlichen Zulassung eines Vorhabens in der Nachbarschaft den Schutzbereich des Eigentumsrechts nicht ( ... ... ). Wie vorstehend ausgeführt ergeben sich aus der Errichtung und dem Betrieb der genehmigten Windkraftanlagen jedoch keine unzumutbaren Beeinträchtigungen der Nutzungsmöglichkeiten des Wohnhauses des Antragstellers.
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Es liegt auch kein Verstoß gegen das formelle Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO hinsichtlich der Ausgangsgenehmigungen vor. Eine etwaige Verletzung des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 VwGO ist im Rahmen der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Drittklage ohne Bedeutung. Die Norm des § 80 Abs. 3 VwGO vermittelt keinen Drittschutz. Dem Gericht obliegt in diesem Rahmen eine eigenständige Abwägung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Ist das Gericht aber in Dreiecksverhältnissen nach § 80 a VwGO selbst befugt, Sofortvollzugsmaßnahmen anzuordnen, so obliegt ihm in diesem Rahmen auch eine eigenständige Abwägung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, ohne dass es darauf ankommt, ob die Behörde überhaupt eine Entscheidung getroffen hat und ggf. ob sie eine Entscheidung ohne Begründung oder auch mit einer zu beanstandenden Begründung getroffen hat. Hieraus folgt, dass es auf die Frage einer ausreichenden Sofortvollzugsbegründung in Fällen der vorliegenden Art im Ansatz nicht ankommt ( ... ).
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Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen folgt aus § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
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Referenzen
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- Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 5/16 1x
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- BImSchG § 6 Genehmigungsvoraussetzungen 1x