Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 10012/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch den Antragsgegner.

2

Er ist jemenitischer Staatsangehöriger und reiste am 03.09.2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 14.09.2017 einen Asylantrag, der durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) durch Bescheid vom 29.03.2018 als unzulässig abgelehnt wurde, mit der Begründung, dass ihm schon in Griechenland internationaler Schutz gewährt worden sei. Das Bundesamt stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote bestehen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen und ihm wurde die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Die Klage gegen den Bescheid wurde abgewiesen (Az.: 13 A 24/19) und auch der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung wurde durch das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht abgelehnt (Az.: 4 LA 207/19).

3

Seit dem 12.03.2020 wurde der Antragsteller fortlaufend durch den Antragsgegner geduldet, zuletzt bis zum 03.02.2022. Derzeit wird die Duldung stets für eine Woche verlängert.

4

Mit Schreiben vom 02.04.2020 richtete der Antragsgegner ein Amtshilfeersuchen an das Landesamt für Ausländerangelegenheiten Schleswig-Holstein (jetzt: Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge) mit der Bitte, die Passersatzbeschaffung und die Abschiebung des Antragstellers in Amtshilfe durchzuführen.

5

Seit dem 05.05.2020 ist der Antragsgegner im Besitz des Nationalpasses des Antragstellers.

6

Mit Datum vom 16.09.2021 wurde der Antragsteller vom Einwohnermeldeamt nach unbekannt abgemeldet.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2021 kündigte der Antragsgegner dem Antragsteller die Abschiebung an. Die Abschiebungshindernisse seien entfallen, ein gültiges Reisedokument liege nun vor. Die Abschiebung erfolge frühestens einem Monat nach Zugang des Schreibens. Das Schreiben war an die Adresse gerichtet, bei der der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gemeldet war.

8

Mit einer Email vom 11.10.2021 erklärte ein Vertreter der Gemeinde A-Stadt dem Antragsgegner, dass der Antragsteller psychisch krank sei. Er habe ein klar diagnostiziertes Krankheitsbild und sei zuletzt vom 14.08.2019 bis zum 27.08.2019 in stationärer Behandlung gewesen. Daraufhin sei er sechs Monate lang symptomfrei gewesen. Ihm sei eine eigene Wohnung zugewiesen worden, die er aber komplett unter Wasser gesetzt habe. Danach sei ihm ein kompletter Container zur Verfügung gestellt worden. Aber auch dort habe er seine Wahnvorstellungen ausgelebt und sei mehrmals ermahnt worden. Am 16.09.2021 habe es dort stark nach Verbrennungen gerochen, sodass der Container aufgebrochen worden sei. Etwas sei auf der Herdplatte verbrannt, der gesamte Fußboden habe unter Wasser gestanden und das Spülbecken sei mit Wasser gefüllt gewesen. Sämtliche Möbel seien bereits zuvor durch den Antragsteller entfernt worden und der gesamte Container sei unbewohnbar gewesen. Alle Wände seien verschimmelt gewesen und der Fußboden sei teilweise durchbrochen und aufgeweicht. Aus diesem Grund sei dem Antragsteller am 16.09.2021 die Wohnung entzogen worden und er sei nach unbekannt abgemeldet worden.

9

Am 02.11.2021 stellte der Antragsgegner einen Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft bei dem Amtsgericht xxx, da eine Abschiebung am 02.12.2021 geplant sei. Mit Beschluss vom 03.11.2021 ordnete das Amtsgericht das persönliche Erscheinen des Antragstellers jeden Donnerstag um 11 Uhr bei dem Antragsgegner an. Außerdem habe er am 02.12.2021 beim Antragsgegner zu erscheinen, damit seine Abschiebung nach Griechenland durchgeführt werden könne.

10

Mit einer E-Mail vom 04.11.2021 wurde dem Antragsgegner mitgeteilt, dass der Antragsteller seine Durchreiseunterkunft in xxx zerstört habe. Er habe die Fensterscheiben zerstört, in der Spüle etwas verbrannt, die Rauchmelder von der Decke geholt und die Unterkunft überflutet.

11

Mit Schreiben vom 29.11.2021 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er nicht reisefähig sei. Er verwies dabei auf die E-Mail des Gemeindevertreters der Gemeinde A-Stadt vom 11.10.2021 und die darin beschriebene Zerstörung des Containers sowie auf seine Zerstörung der Unterkunft in xxx am 04.11.2021. Es sei daher eine Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie vorzunehmen.

12

Am 30.11.2021 stellte der Antragsteller einen Asylfolgeantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG seien einschlägig.

13

Am gleichen Tag hat der Antragsteller um gerichtlichen Eilrechtschutz nachgesucht. Er begründet den Antrag damit, dass eine Abschiebungsankündigung nicht erfolgt sei. Die Abschiebungsankündigung vom 23.09.2021 sei ihm nicht zugestellt worden, da er zum Zeitpunkt der Zustellung nicht mehr in dem adressierten Container gewohnt habe. Auch der Asylfolgeantrag stehe seiner Abschiebung entgegen, da sonst vollendete Tatsachen geschaffen werden würden. Darüber hinaus sei er nicht reisefähig. Er leide an einer schweren psychischen Störung, die zu einer Gefährdung für sich und andere werden könne. Ferner würden gegen ihn mehrere Ermittlungsverfahren geführt werden. Ein Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft hinsichtlich seiner Abschiebung liege nicht vor.

14

Er beantragt wörtlich,

15

1) dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, ihn nach Griechenland abzuschieben,

16

2) dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, Maßnahmen zu seiner Verbringung nach Griechenland vorläufig, bis zum Abschluss eines gerichtlichen Eilverfahrens auszusetzen,

17

3) dem Antragsgegner aufzugeben, dem Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge in xxx mitzuteilen, dass seine Abschiebung nach Griechenland vorläufig, bis zum Abschluss des gerichtlichen Eilverfahrens nicht durchgeführt werden darf,

18

4) ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin B., B-Stadt, zu bewilligen.

19

Der Antragsgegner beantragt,

20

den Antrag abzulehnen.

21

Zur Begründung führt er aus, dass der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sei und er dieser Verpflichtung bis heute nicht nachgekommen sei. Die Abschiebungsankündigung vom 23.09.2021 sei wirksam zugestellt worden, da der Antragsteller seiner Pflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG nicht nachgekommen sei. Die Abschiebungsankündigung sei aber spätestens am 03.11.2021 erfolgt, weil dort der mündliche Erörterungstermin am Amtsgericht xxx stattgefunden habe und er dort konkret darauf hingewiesen worden sei, dass seine Abschiebung am 02.12.2021 geplant sei. Die Reisefähigkeit des Antragstellers liege vor, solange er diese nicht selbst durch ein ärztliches Attest widerlege. Bezüglich der beiden Ermittlungsverfahren trägt der Antragsgegner vor, dass eines der beiden Verfahren nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden sei und im anderen Verfahren wegen einer Straftat nach § 265a StGB ermittelt werde. Für eine solche Straftat sei das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nicht erforderlich nach § 72 Abs. 4 Satz 3-5 AufenthG.

22

Mit Beschluss vom 01.12.2021 hat die Kammer dem Antragsgegner einstweilen bis zu einer Entscheidung der Kammer über den Antrag die Abschiebung des Antragstellers untersagt.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

24

Die Anträge 1) bis 3) werden gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dem tatsächlichen Begehren nach dahingehend ausgelegt, dass der Antragsteller beantragt, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorläufig verschont zu bleiben.

25

Der so ausgelegte Antrag ist nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet.

26

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO.

27

Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

28

Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sich aus nationalen Gesetzen, einschließlich Verfassungsrecht, Unionsrecht oder Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt (Haedicke in HTK-AuslR / § 60a AufenthG / zu Abs. 2 Satz 1 - rechtl. Unmöglichkeit, Stand: 08.10.2020, Rn. 1).

29

Bei der Beurteilung der rechtlichen und tatsächlichen Gründe sind im Rahmen des Verfahrens gegen die Ausländerbehörde zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse außer Acht zu lassen. Gemäß § 42 AsylG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gebunden. Insoweit ist durch das Bundesamt im Asylverfahren festgestellt worden, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen. Es kommt daher vorliegend nicht darauf an, ob eine medizinische Behandlung der vorgetragenen psychischen Erkrankung des Antragstellers im Zielstaat möglich und für ihn zugänglich ist; hierbei handelt es sich ausschließlich um von dem Antragsgegner nicht zu prüfende zielstaatsbezogene Abschiebeverbote. Der Umstand, dass der Antragsteller einen Asylfolgeantrag nach § 71 AsylG gestellt hat, ändert daran nichts, da er in einen sicheren Drittstaat abgeschoben werden soll, § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG (vgl. Beschluss der Kammer vom 28. April 2020 – 11 B 16/20 –, juris Rn. 38). Griechenland zählt als Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG zu den sicheren Drittstaaten. Der Antragsgegner muss daher vor der Vollziehung der Ausreisepflicht nicht die Entscheidung des Bundesamtes abwarten, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.

30

Der Abschiebung des Antragstellers steht auch nicht das Erfordernis einer Abschiebungsankündigung gemäß § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG entgegen. Danach ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen, wenn die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt ist. Eine Abschiebungsankündigung ist allerdings nur noch im Falle des Widerrufs einer Duldung vorgesehen, nicht jedoch im Falle des bloßen Erlöschens der Duldung. Mit dem gesetzlichen Wegfall der Abschiebungsankündigung nach Ablauf der Geltungsdauer einer Duldung muss deshalb nunmehr der Ausländer grundsätzlich zeitlich unbegrenzt und ohne weitere Warnung jederzeit mit seiner Abschiebung rechnen, wenn die in der Abschiebungsandrohung gesetzte Ausreisefrist abgelaufen ist (Haedicke in HTK-AuslR / § 60a AufenthG / zu Abs. 5, Stand: 13.10.2020, Rn. 26 m.w.N.). Da die Duldung des Antragstellers nicht widerrufen wurde und der Antragsgegner einen etwaigen Widerruf auch nicht in Aussicht gestellt hat, bedarf es einer Abschiebungsankündigung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedenfalls nicht. Es kann daher offenbleiben, ob eine Abschiebung durch den Antragsgegner wirksam angekündigt worden ist.

31

Der Abschiebung des Antragstellers steht auch nicht das fehlende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG entgegen. Zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft B-Stadt gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden ist und das Verfahren der Staatsanwaltschaft xxx-xxx gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3, 5 AufenthG keiner Zustimmung der Staatsanwaltschaft bedarf. In jenem Verfahren wird wegen Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a Abs. 1 StGB ermittelt, das gemäß § 72 Abs. 4 Satz 5 AufenthG eine Straftat mit geringem Unrechtsgehalt darstellt. Es ist nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass hier eine Ausnahme i. S. d. § 72 Abs. 4 Satz 5 AufenthG vorliegt, die ein Einvernehmen der Staatsanwaltschaft erforderlich machen könnte. Darüber hinaus liegt hinsichtlich der Strafverfahren wegen Diebstahls und Sachbeschädigung wegen der Vorgänge in der Notunterkunft das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft B-Stadt vor.

32

Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen Reiseunfähigkeit des Antragstellers. Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann gegeben sein, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich der Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht und die Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Eine Abschiebung muss auch unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) (BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, 31. Ed. 1.10.2021, AufenthG § 60a Rn. 12-13).

33

Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten, § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG.

34

Der Antragsteller hat die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt. Es ist schon nicht ersichtlich, ob eine Erkrankung vorliegt und an welcher Erkrankung der Antragsteller überhaupt leidet. Er trägt insofern zwar vor, dass er unter einer schweren psychischen Erkrankung leide, in deren Folge er zwanghafte Wahnvorstellungen habe. Dabei verweist er jedoch nicht auf ein eingeholtes qualifiziertes ärztliches Attest, sondern lediglich auf den Schriftverkehr zwischen einem Gemeindevertreter und dem Antragsgegner. Zwar führt dieser in seiner E-Mail vom 11.10.2021 aus, dass der Antragsteller stark psychisch krank sei, ein klar diagnostiziertes Krankheitsbild habe und vom 14.08.2019 bis zum 27.08.2019 in stationärer Behandlung gewesen sei. Dies, sowie die weiteren Ausführungen zur Beschädigung und Zerstörung seiner Unterkünfte, genügen jedoch nicht zu der Annahme, dass sich dem Antragsgegner erhebliche Zweifel an seiner Reisefähigkeit aufdrängen müssten, sodass der Sachverhalt durch ihn weiter aufzuklären wäre (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 30. August 2019 – 3 B 187/19 –, juris Rn. 11). Das gilt umso mehr, als der den Antragsteller am 02.11.21 im Rahmen der Abschiebehaftprüfung untersuchende Arzt den Aufenthalt des Antragstellers im Polizeigewahrsam für „unbedenklich“ hielt, ihm eine Gewahrsamsfähigkeit bescheinigte und keine Anhaltspunkte für Medikamente oder Drogen erkennbar. Weiter führte der Arzt aus, es lägen keine Suizidalität oder Anhaltspunkte für eine Psychose oder Schizophrenie vor. Das Vorbringen des Gemeindevertreters, der selbst kein approbierter Arzt ist, kann daher weder selbst als ärztliche Bescheinigung gewertet werden, noch kann es ohne weitere Belege dazu führen, eine rechtliche Unmöglichkeit im Einzelfall anzunehmen. Die geplante Abschiebung ist dem Antragsteller spätestens seit dem 03.11.2021 bekannt, da zu diesem Zeitpunkt sein Abschiebehaftantrag mündlich verhandelt wurde. Es wäre daher ohne weiteres möglich und auch zu erwarten gewesen, dass er ein ärztliches Gutachten über seine Reisefähigkeit einholt. Dies wendete auch der Antragsgegner mit seinem Schriftsatz vom 01.12.2021 ein. Auf diesen Einwand reagierte der Antragsteller nicht. Gründe, aus denen der Antragsteller an der Einholung eines ärztlichen Gutachtens gehindert gewesen sein könnte, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Es liegen auch keine Unterlagen hinsichtlich einer stationären Behandlung des Antragstellers vom 14.08.2019 bis zum 27.08.2019 vor. Der Antragsteller wäre verpflichtet gewesen, solche Unterlagen dem Antragsgegner unverzüglich vorzulegen (§ 60a Abs. 2d Satz 1 AufenthG).

35

Es bestehen auch keine greifbaren Anhaltspunkte für eine tatsächlich bestehende Reiseunfähigkeit des Antragstellers (§ 60a Abs. 2d Satz 2 Halbsatz 2 AufenthG). Zwar neigte er in der Vergangenheit wiederholt dazu, seine Unterkunft zu beschädigen und zu überschwemmen. Darüber hinaus ist der Antragsteller aber niemals handgreiflich geworden oder hat seinen Mitmenschen einen Schaden zugefügt. Aus den Verwaltungsvorgängen ergibt sich, dass er mehrfach allein mit dem Zug gereist ist und es dabei zu keinen nennenswerten Vorfällen kam. Zwar ist eine freiwillige Zugfahrt nicht ohne weiteres mit einer unfreiwilligen Vollzugsmaßnahme zu vergleichen, es bestehen aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich das Wohnproblem des Antragstellers in irgendeiner Weise auf eine Abschiebungsmaßnahme auswirkt. Bei dem Abschiebungsvorgang ist vielmehr davon auszugehen, dass der Antragsteller unter Beobachtung stehen würde. Es spricht auch nichts dafür, dass sich die Verfassung des Antragstellers durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.

36

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

37

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht gegeben, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

38

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die drei gestellten Anträge stellen denselben Streitgegenstand dar.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen