Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 45/22

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Antragstellers,

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im Wege einer einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers zu unterlassen,

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ist zulässig, aber unbegründet.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

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Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sachlage gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass eine Abschiebung aus den hier allein fraglichen rechtlichen Gründen unmöglich ist.

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Eine rechtliche Unmöglichkeit kann sich u.a. aus dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG ergeben. Zwar gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, Beschluss vom 01.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 25 m.w.N.). Allerdings verpflichtet Art. 6 GG die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsrechtliche Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers pflichtgemäß in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, Beschluss vom 01.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 26). Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK, in den durch die Abschiebung einzelner Familienmitglieder eingegriffen wird, kann also ein von der Ausländerbehörde zu beachtendes sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis begründen (Haedicke in: HTK-AuslR / § 60a AufenthG / zu Abs. 2 Satz 1 - familiäre Gründe, Rn. 34 ff.). Zu beachten ist, dass es in jedem Fall um eine Einzelfallentscheidung geht und deshalb sämtliche einschlägigen Gesichtspunkte des konkret vorliegenden Falles zu berücksichtigen sind. Wie gewichtig der aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK folgende Schutz der Familie jeweils ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen, u.U. auch vom Alter von Kindern oder auch der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder.

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Soweit der Antragsteller diesbezüglich die familiäre Bindung zu seinen drei minderjährigen Kindern anführt, hat die Kammer bereits in ihrer Entscheidung vom 31. März 2021 (11 B 112/20) ausgeführt:

8

„Der Antragsteller lebt in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern und übt auch sein Personensorgerecht aus. Dem stehen die aktuelle räumliche Trennung durch die Haft und auch die Trennungen in der Vergangenheit durch Auslands- und Gefängnisaufenthalte nicht zwangsläufig entgegen. Aus den zur Akte gereichten Nachweisen ergibt sich, dass die Familie des Antragstellers die gegebenen Kontaktmöglichkeiten in der JVA A-Stadt ausschöpft. Sie besucht den Antragsteller und es besteht ein telefonischer Kontakt zwischen dem Antragsteller in der JVA und seinen Familienangehörigen. Vor Haftantritt lebte der Antragsteller zusammen mit seiner Frau und den Kindern in einem gemeinsamen Haushalt. Anhaltspunkte dafür, dass keine schützenswerte familiäre Bindung vorliegt, sind nicht gegeben.
[…]

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Es ist vorliegend auch anzunehmen, dass insbesondere die Kinder durch die Trennung von ihrem Vater belastet werden.

10

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Kinder eine räumliche Trennung von ihrem Vater, während dessen Gefängnisaufenthalten, in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt haben. Die Kinder sind in einem Lebensalter, in dem sie die Dauer und die Umstände der Trennung begreifen und auf postalischem, telefonischem oder elektronischem Wege Kontakt zu ihrem Vater halten können. Mit 10, 9 und 7 Jahren befinden sich die Kinder auch nicht mehr im Kleinkindalter. Außerdem kann die Trennung durch Besuche der Ehefrau und der Kinder im Kosovo überbrückt werden. Ein visumsfreier Aufenthalt ist für 90 Tage möglich. Die Ehefrau selbst ist auch Angehörige des Staates Kosovo und kann dementsprechend ohne Weiteres einreisen. Soweit der Antragsteller geltend macht, seine Ehefrau sei allein mit der Erziehung und Betreuung der Kinder überfordert, ist diese Angabe nicht glaubhaft gemacht. Es steht ihr frei, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen und zum Beispiel Unterstützung durch das Jugendamt zu erhalten, wie sie es nach Angaben des Antragstellers auch tut. Zu beachten ist, dass der Antragsteller auch ohne aufenthaltsbeendende Maßnahmen zeitnah nicht im Familienalltag mithelfen könnte, da er voraussichtlich noch bis 2022 im Freiheitsentzug bliebe. Andere soziale oder wirtschaftliche Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland sind weder ersichtlich noch vorgetragen.“

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Die dieser Beurteilung zugrundeliegenden Umstände haben sich nur insoweit geändert, als dass der Antragsteller nunmehr kurz vor seiner Haftentlassung steht und seine Kinder allesamt ein Jahr älter sind. Dem Vortrag in diesem neuen Verfahren ist zu entnehmen, dass er seit der Entscheidung der Kammer aus März 2021 unverändert weiterhin die in der Haft gegebenen Kontaktmöglichkeiten ausgeschöpft hat. All das gebietet hingegen keine abweichende Entscheidung gegenüber der Entscheidung aus März 2021. Zwar wäre der Antragsteller nunmehr (demnächst) in der Lage, bei der Erziehung und im Haushalt seinen Anteil zu übernehmen. Daraus folgt aber keine besondere schützenswerte Position, da die Ehefrau auch in den letzten Jahren nicht auf diesen Erziehungsbeitrag zählen konnte. Die Kinder sind nunmehr ein Jahr älter, so dass auch insoweit die Wertung der Kammer aus März 2021 aufrechterhalten bleibt. Weiterer, neuer Vortrag, der eine andere Entscheidung verlangen würde, liegt nicht vor, so dass der Antrag abzulehnen war.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


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