Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 11/22

Tenor

Der Antragsgegnerin wird vorläufig bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Bekanntgabe einer erneuten Auswahlentscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Stelle als „Staffelführerin/Staffelführer (m/w/d) Bundesfeuerwehr“ bei der Beschäftigungsdienststelle Bundeswehrfeuerwehr xxx (Stellenausschreibung zum Referenz-Code xxx-xxx-xxx) mit dem Beigeladenen oder einer anderen Bewerberin oder einem anderen Bewerber zu besetzen, bevor nicht über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin mit Ausnahme derjenigen des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird auf 10.238,31 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Antragstellers, der im Sinne der obigen Tenorierung auszulegen ist, hat Erfolg.

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Er ist zulässig und begründet.

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Nach der Bestimmung des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung dafür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit seines Rechtsschutzbegehrens, sowie einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen kann, § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 120 Abs. 2, 294 ZPO.

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Dem Antragsteller steht ein Anordnungsgrund zur Seite. Ein Bewerber, der unter Beachtung des sich aus Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ergebenen Bewerbungsverfahrensanspruch ausgewählt wurde, hat einen Anspruch auf die Verleihung des Amtes durch seine Ernennung. Die Bewerbungsverfahrensansprüche der unterlegenen Bewerber gehen durch die Ernennung unter, wenn das Auswahlverfahren hierdurch endgültig abschlossen wird.

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Dies ist regelmäßig der Fall, weil die Ernennung nach dem Grundsatz der Ämterstabilität nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.11.2010 – 2 C 16/09 – Rdnr. 27, juris). Die Antragsgegnerin beabsichtigt, den Beigeladenen zu befördern. Dies hätte nach den aufgezeigten Grundsätzen zur Folge, dass der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers durch die Ernennung des Beigeladenen unterginge. Insoweit kann nur im Wege der einstweiligen Anordnung sichergestellt werden, dass ein Anspruch auf eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung vorläufig gewahrt bleibt. Der Antragsteller kann sich auch auf einen Anordnungsanspruch berufen. Da bei einem Stellenbesetzungsverfahren effektiver gerichtlicher Rechtsschutz nur im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gewährt werden kann, ist in Verfahren, die die Konkurrenz von Beamten um Beförderungsstellen oder Beförderungsdienstposten betreffen, regelmäßig ein Anordnungsanspruch dann zu bejahen, wenn nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erkennbaren Sach- und Streitstand nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die von Dienstherrn getroffene Auswahlentscheidung zu Lasten des Antragstellers rechtsfehlerfrei ergangen ist, weil der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers gemäß den Vorgaben des in Art. 33 Abs. 2 GG geregelten Prinzips der Bestenauslese keine hinreichende Beachtung gefunden hat. Zugleich müssen die Aussichten des Betroffenen, in einem neuen rechtmäßigen Verfahren ausgewählt zu werden, zumindest „offen“ sein. Der unterlegene Beamte kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn es möglich erscheint, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.09.2002 – 2 BvR 857/02 – Rdnr. 13; VGH Mannheim, Beschluss vom 12.08.2015 – 4 S 1405/15 – Rdnr. 2, beide juris).

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Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

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Gemessen an den für eine Auswahlentscheidung gemäß Art. 33 Abs. 2 GG geltenden Maßgaben lässt die streitige Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers erkennen. Zwar wurde sie letztlich auf Grundlage von aussagekräftigen, aktuellen und hinreichend differenzierten und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhenden dienstlichen Beurteilungen getroffen. Dieser Vergleich hält einer gerichtlichen Überprüfung indes nicht stand.

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Maßgebend für den vorzunehmenden Leistungsvergleich ist dabei in erster Linie das erreichte Gesamturteil, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist. Sind Bewerber nach ihren aktuellen Beurteilungen mit der gleichen Gesamtnote beurteilt wurden, ist der Dienstherr im Grundsatz verpflichtet, das Gewicht der Leistungskriterien vorrangig anhand der Aussagen in der dienstlichen Beurteilung zu bestimmen. Die dienstlichen Beurteilungen der im Gesamturteil gleichbewerteten Bewerber sind mithin inhaltlich auszuschöpfen, d.h. es ist (im Wege einer näheren „Ausschärfung“ des übrigen Beurteilungsinhalts) der Frage nachzugehen, ob die jeweiligen Einzelfeststellungen eine ggfs. unterschiedliche Prognose betreffend den Grad der Eignung für das Beförderungsamt, also für die künftige Bewährung in diesem Amt ermöglicht. Diese Binnendifferenzierung ist auf das Statusamt bezogen. Bei der „Ausschärfung“ der dienstlichen Beurteilungen hat der Dienstherr auch darüber zu entscheiden, welchen der zur Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zählenden Umständen er bei der Auswahlentscheidung größeres Gewicht beimisst. Es ist Sache des Dienstherrn, bei der gebotenen inhaltlichen Ausschöpfung der Beurteilungen einer etwaigen ungerechtfertigten Überbewertung nur geringfügiger Unterschiede zu begegnen, insbesondere dadurch, dass er die Einzelfeststellungen mit Blick auf das Beförderungsamt in ihrer Wertigkeit gewichtet. Will der Dienstherr dagegen sich aufdrängenden oder zumindest naheliegenden Unterschieden in den dienstlichen Beurteilungen keine Bedeutung beimessen, so trifft ihn insoweit eine Begründungs- und Substantiierungspflicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.09.2011 – 2 VR 3.11 – Rdnr. 24, juris).

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Nach diesen Maßgaben erweist sich die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin als fehlerhaft.

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Die Entscheidung zugunsten des Beigeladenen wird mit der Erwägung begründet, bei gleichem Gesamturteil in den dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen habe die erforderliche Binnendifferenzierung der Leistungsbeurteilungen in den aktuellen Beurteilungen nur einen marginalen, letztlich nicht ins Gewicht fallenden Qualitätsunterschied ergeben. Insoweit müsse im Ergebnis von im Wesentlichen gleichen Beurteilungen ausgegangen werden, sodass dann – ergänzend – auf die vorangegangenen Beurteilungen abzustellen sei. Darin sei der Beigeladene um eine Note besser beurteilt worden und deshalb auszuwählen gewesen.

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Dieser Einschätzung folgt die Kammer nicht.

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Die Antragsgegnerin hat nämlich ihre Annahme, es bestehe auch nach der Binnendifferenzierung im Wesentlichen ein Qualifikationsgleichstand, angesichts der von ihr aufgezeigten Unterschiede in der Bewertung der einzelnen Leistungsmerkmale nicht ausreichend plausibilisiert.

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Es ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb sie von einem Qualifikationsgleichstand der Beteiligten ausgegangen ist, obwohl der Antragsteller in der aktuellen Beurteilung bei der vergleichenden Betrachtung der Einzelfeststellungen aller in die engere Wahl genommenen Bewerber bei den 12 gemeinsam zu vergleichenden Einzelmerkmalen 11mal die Note „1“ und 1mal die Note „2“, der Beigeladene dagegen nur 9mal die Note „1“ und 3mal eine „2“ erreicht hat. Dieser Unterschied wird noch deutlicher, wenn man die (gemeinsam bewerte-ten) Einzelmerkmale in den Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen unmittelbar vergleicht. Dann weist der Antragsteller in einem zu vergleichenden Einzelmerkmal die Note „S“, in 13 Merkmalen eine „1“ und 2mal die Note „2“, der Beigeladene hingegen lediglich 10mal die Note „1“ und 6mal die Note „2“ auf. Wenn alle Einzelfeststellungen dasselbe Gewicht haben sollen (vergleiche insoweit die Begründung des Gesamturteils der jeweiligen Beurteilung auf Seite 6 des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 05.04.2022) ergibt sich objektiv ein Qualifikationsvorsprung des Antragstellers gegenüber dem Beigeladenen, der nicht ohne Gewicht ist. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation auch von dem Sachverhalt, der der von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Entscheidung des VG Magdeburg vom 01.04.2022 (5 B 3/22 MB) zugrunde gelegen hat. Die im – maßgeblichen – Auswahlvermerk vom 24.09.2021 enthaltene pauschale Aussage der Antragsgegnerin, dass sich bei den Bewerbern kein signifikanter Leistungsunterschied innerhalb der Einzelfeststellungen feststellen lasse, reicht als – notwendige – Plausibilisierung nicht aus. Vielmehr hätte es insoweit einer besonderen Begründung dafür bedurft, warum sie den erkennbaren Unterschieden keine Bedeutung beimessen wollte. Ihrer besonderen Begründungs- und Substantiierungspflicht ist die Antragsgegnerin insoweit nicht nachgekommen.

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Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin bei der „Ausschärfung“ der Beurteilungsinhalte vorliegend auch mit Blick auf die Anforderungen des Beförderungsamtes zu Unrecht keiner der im Rahmen der Leistungsbeurteilung getroffenen Einzelfeststellungen besondere Bedeutung beigemessen hat. Eine entsprechende Gewichtung bei der „Ausschärfung“ hätte nämlich durchaus nahegelegen. Vor der Einbeziehung von Vorbeurteilungen hätte es zunächst eines Vergleichs und einer Einschätzung der Bewerber im Hinblick auf die laut Stellenausschreibung beim künftigen Dienstposteninhaber erwünschten Befähigungen und Kenntnisse der Bewerber bedurft. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Antragsgegnerin sich vorab in der Stellenausschreibung durch die Vorgabe von erwünschten Kenntnissen und Fähigkeiten (fakultative Anforderungsprofilmerkmale) festgelegt hat und diese Entscheidung für das weitere Auswahlverfahren bindend ist. Sie muss diesen Kriterien gerade dann besondere Bedeutung zumessen, wenn die Leistungsbeurteilung der Bewerber als im Wesentlichen gleich zu bewerten ist (vgl. dazu BayVGH, Beschluss vom 05.09.2019 – 6 CE 19.1508 – RdNr.22 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 – 2 VR 1.13 – Rdnr. 49; beide juris).

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Dies wäre vorliegend geboten gewesen, weil in der Stellenausschreibung unter den Qualifikationserfordernissen u.a. die Bereitschaft zur Teamarbeit und Kooperation mit Dienststellen und Institutionen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr erwartet wurden. Das Einzelmerkmal „Bereitschaft zur Teamarbeit“ findet sich auch in der dienstlichen Beurteilung. Es ist beim Antragsteller mit „1“, beim Beigeladenen hingegen lediglich mit „2“ und damit (um eine Stufe) schlechter bewertet worden. Einen solchen Vergleich und eine entsprechende Würdigung hat die Antragsgegnerin indes nicht vorgenommen; es fehlt insoweit an einer notwendigen „Ausschärfung“. Sie ist damit dem Gebot der umfassenden inhaltlichen Auswertung der letzten dienstlichen Beurteilungen der Bewerber nicht ausreichend nachgekommen und hat zu Unrecht (sogleich) auf die vorletzten Beurteilungen der Beteiligten abgestellt. Damit hat sie den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragsstellers verletzt.

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Dessen Auswahl erscheint auch möglich. In Anbetracht der dargestellten Mängel erscheinen die Aussichten des Antragstellers, in einem neuen ordnungsgemäßen Verfahren ausgewählt zu werden, zumindest offen (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.11.2010 – 2 C 16/09 – juris Rdnr. 32 m. w. N.).

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Die Kostentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 162 Abs. 3 VwGO.

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Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 4 i. V. m Satz 1 Nr. 1 GKG festgesetzt worden. Er beträgt ein Viertel der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des angestrebten Amtes (A 9) mit Ausnahme nicht ruhegehaltfähiger Zulagen (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 29.06.2018 – 2 MB 3/18 – juris).


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