Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 63/22

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag der Antragstellerin,

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den Antragsgegner zu verpflichten, einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen,

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bleibt ohne Erfolg.

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In Betracht käme hier nur eine sogenannte Regelungsanordnung. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht dabei grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfange das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Grundsätzlich ausgeschlossen – da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar – ist es, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG wäre eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache nur dann gerechtfertigt, wenn die ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen – also irreparabel – wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch im Hauptsacheverfahren spräche (vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 13.02.2012 – 11 B 73/11 und OVG Schleswig, Beschluss vom 30. Juli 2020 – 4 MB 23/20 –, juris, Rn. 21).

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Nach diesen Maßgaben liegt hier eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Zwar könnte der im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebte Reiseausweis für Ausländer, dessen Erteilung sich nach § 5 Abs. 1 AufenthV richtet, nur auf beschränkte Zeit unter Vorbehalt einer bestandskräftigen Entscheidung des Antragsgegners erteilt werden. Aber auch die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt der Antragstellerin die im etwaigen Klageverfahren erstrebte Rechtsposition und stellt sie vorweg so, als wenn sie im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (vgl. VG München Beschluss vom 11.12.2019 – M 12 E 19.5537 –, juris, Rn. 15 unter Bezugnahme auf OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.07.2015 – 8 ME 33/15 –, juris, Rn. 11).

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Es kann auf sich beruhen, welcher Grad an Wahrscheinlichkeit nach dem gegenwärtigen Aktenstand dafür spricht, die Antragstellerin werde im Hauptsacheverfahren obsiegen. Jedenfalls hat die Antragstellerin nicht hinreichend dargelegt, dass das Abwarten der Hauptsacheentscheidung, bzw. hier der Verwaltungsentscheidung, für sie zu unzumutbaren, irreparablen Nachteilen führen würde. Hierzu hat die Antragstellerin keine Umstände vorgetragen, die es erforderlich machen würden, ausnahmsweise die Hauptsache vorwegzunehmen.

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Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass sie sich nicht ausweisen könne, so ergibt sich aus dem Vorbringen des Antragsgegners und dem Verwaltungsvorgang, dass diese über eine Niederlassungserlaubnis als elektronischem Aufenthaltstitel verfügt. Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin ist auch nicht ersichtlich, dass sie aufgrund der Namensabweichung in der Niederlassungserlaubnis – dort lautet der Familienname noch auf ihren Geburtsnamen „...“ – in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt sein könnte, da ihr Impfpass, ihr elektronischer Impfausweis und ihre Krankenversicherungskarte auf ihren jetzigen Familiennamen lauten. Abgesehen davon, dass derzeit keine die Bewegungs- und Handlungsfreiheit einschränkenden Regelungen im Sinne des § 28a Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Kraft sind, hat der Antragsgegner für die Kammer unter Bezugnahme auf den Verwaltungsvorgang nachvollziehbar dargelegt, dass die Antragstellerin über ausreichende Nachweise, hier in Form der Niederlassungserlaubnis in Verbindung mit einem „Zusatzblatt zum Aufenthaltstitel, zur Aufenthaltskarte bzw. zur Aufenthaltserlaubnis“, wonach der Nachname der Antragstellerin nach deutschem Recht „A.“ lautet (s. Bl. 489 VV), verfügt. Diesem Vorbringen ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten. Im Übrigen lässt sich die Namensänderung auch aus der Eheurkunde der Antragstellerin (Bl. 467 VV) nachvollziehen. Außerdem steht es der Antragstellerin frei, eine Namensänderung aufgrund ihrer bereits am 05.07.2013 geschlossenen Ehe in ihrem elektronischen Aufenthaltstitel anzustreben. Aus dem weiteren Vorbringen der Antragstellerin, insbesondere in Bezug auf möglicherweise eintretende Notwendigkeiten einer Auslandsreise, lassen sich auch im Übrigen keine schweren, unzumutbaren oder irreversiblen Rechtsnachteile erkennen, die im Falle der Antragsablehnung eintreten könnten. Dies gilt umso mehr, als der Antragsgegner in seinem an die Antragstellerin gerichteten Informationsschreiben vom 02.03.2022 eine Entscheidung binnen 6 Monaten angekündigt hat.

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Auch im Falle der Annahme einer statthaften nur vorläufigen Vorwegnahme der Hauptsache bliebe der Antrag erfolglos, da es auch insoweit an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fehlt (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). In der Antragsschrift werden von der Antragstellerin nur allgemein Anlässe genannt, auf Grund welcher sie möglicherweise ins Ausland reisen wolle, wie die etwaige Begleitung ihres Kindes ins Ausland oder die Abholung von dort, etwaige notwendige Verwandtschaftsbesuche bzw. die Kriegslage in der Ukraine. Ein konkreter Anlass, aus dem sich die Dringlichkeit für eine einstweilige Anordnung ergeben könnte, wird von der Antragstellerin nicht hinreichend dargetan.

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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


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