Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 35/22

Tenor

Der Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung die sofortige Vollziehung des Bescheides über die Ausübung des Vorkaufsrechts gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauGB des Antragsgegners vom 24.05.2022 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Erstattungsfähig sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1), nicht hingegen die der Beigeladenen zu 2) und 3).

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 471.000,- € festgesetzt.

Gründe

1

Es bestehen bereits durchgreifende Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrages.

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Entgegen der Auffassung der Beigeladenen geht die Kammer allerdings noch von der Statthaftigkeit des Antrags aus. Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde gemäß § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung anordnen. Gemäß § 80 a Abs. 3 VwGO kann auch das Gericht auf Antrag solche Maßnahmen treffen. Die Kammer folgt nicht der Auffassung der Beigeladenen im Schriftsatz vom 03.08.2022, dass die Antragstellerin schon nicht Begünstigte im Sinne dieser Vorschrift sei, weil durch die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB iVm § 464 Abs. 2 BGB lediglich ein Wechsel in der Person des Käufers stattfinde, ohne dass hierdurch ein rechtlich erheblicher Vorteil der Verkäuferin begründet oder bestätigt werde. Durch die Ausübung des Vorkaufsrechts wird nicht nur die Person des Käufers ausgewechselt, sondern vielmehr entsteht ein neuer Kaufvertrag zwischen der früheren Verkäuferin und der Gemeinde. Aus diesem Kaufvertrag ergibt sich für die Verkäuferin dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises. Hierin kann eine Begünstigung im Sinne des § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO gesehen werden. Aus Sicht der Kammer ist diese Auslegung geboten, weil andernfalls eine mit Artikel 19 Abs. 4 GG nicht vereinbare Rechtsschutzlücke entstehen würde. Würde man die Antragstellerin nämlich nicht als Begünstigte ansehen, wäre nicht ersichtlich, auf Grundlage welcher Vorschrift der VwGO die Antragstellerin dann dem Grunde nach vorläufigen Rechtschutz sollte erlangen können.

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Dem Antrag dürfte es allerdings bereits an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Die Beigeladenen weisen zu Recht darauf hin, dass die begehrte Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 24.05.2022 für das Gericht nur dazu führen könnte, dass der Verwaltungsakt – seinem konkreten Inhalt nach – vollzogen werden kann. Der Bescheid vom 24.05.2022 bestimmt indes sogar in seinem Tenor ausdrücklich, dass die Kaufpreiszahlung erst mit Eintritt der Bestandskraft erfolgt. Selbst bei Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 24.05.2022 würde die Kaufpreiszahlung daher erst mit Eintritt der Bestandskraft erfolgen können. Die beantragte Anordnung der Vollziehung des Bescheides hätte für die Antragstellerin keinen Vorteil. Die Antragstellerin wendet hiergegen in ihrem Schriftsatz vom 29.08.2022 ein, diese Regelung im Bescheid vom 24.05.2022 würde der maßgebenden gesetzlichen Regelung über die Ausübung des Vorkaufsrechts widersprechen. Mit Ausübung des Vorkaufsrechts komme gemäß
§ 28 Abs. 2 S. 2 BauGB iVm § 464 Abs. 2 BGB der Kaufvertrag zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zustande, welcher zuvor zwischen der Antragstellerin und den Beigeladenen geschlossen worden sei. Das gelte insbesondere auch für die Fälligkeitsabrede. Diese sei lediglich an die geänderten Umstände anzupassen, was aber nicht dazu führe, dass die Antragsgegnerin im Ergebnis bessergestellt werde als die Beigeladenen. Diese Auffassung mag zwar zutreffend sein, ändert aber nichts daran, dass der Bescheid vom 24.05.2022 eine entgegenstehende Regelung enthält. Diese Regelung mag möglicherweise rechtswidrig sein, jedenfalls ist sie nicht nichtig und steht daher einem Anspruch auf Auszahlung des Kaufpreises vor Bestandskraft des Bescheides entgegen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Bescheid vom 24.05.2022 insoweit von der Antragstellerin mit Widerspruch angefochten worden wäre.

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Darüber hinaus dürfte auch aus einem anderen Grunde ein Anspruch der Antragstellerin auf Kaufpreiszahlung noch nicht bestehen. Gemäß § 3 Ziffer 2 des Kaufvertrages vom 22.12.2016 hat der Verkäufer bei Eigentumsumschreibung für ein lastenfreies Grundbuch zu sorgen. Nach den unwidersprochenen Aufführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 31.08.2022 befindet sich aber in Ausführung des § 10 des Kaufvertrages noch eine vorrangige Vormerkungseintragung zu Gunsten der Beigeladenen zu 1) im Grundbuch. Der Antragsgegner hätte auch nach Eintragung als Eigentümer im Grundbuch keine Möglichkeit, eine Löschung dieser Auflassungsvormerkung zugunsten der Beigeladenen zu 1) zu erreichen. Wird die Gemeinde nach Ausübung des Vorkaufsrechts im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen, kann sie gemäß § 28 Abs. 2 S. 6 BauGB das Grundbuchamt ersuchen, eine zur Sicherung des Übereignungsanspruches des Käufers im Grundbuch eingetragene Vormerkung zu löschen; sie darf das Ersuchen nur stellen, wenn die Ausübung des Vorkaufsrechts für den Käufer unanfechtbar ist. Vollziehbarkeit und Unanfechtbarkeit sind aber zweierlei. Der Antragsgegner dürfte zur Zahlung des Kaufpreises aber nur Zug um Zug gegen Verschaffung lastenfreien Eigentums verpflichtet sein. Auch aus diesem Grunde würde die begehrte Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 24.05.2022 nicht dazu führen, dass der Antragsgegner nunmehr den Kaufpreis zu entrichten hätte.

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Darüber hinaus ist der Antrag auch unbegründet. Auch dann, wenn man der Auffassung folgt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwGO trotz der eindeutigen Bezugnahme auf § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO nicht das Vorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses erfordert, so darf die Anordnung nach dem Wortlaut des § 80 Abs. 2, S. 1 Nr. 4 nur bei Vorliegen eines überwiegenden Interesses eines Beteiligten erfolgen. Im Falle der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts sind daher die beteiligten Belange der Verkäuferin, der Gemeinde und der ursprünglichen Käuferin gegeneinander abzuwägen. Dabei können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides über die Ausübung des Vorkaufsrechts mit in die Abwägung eingestellt werden. Im Rahmen der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nur möglichen summarischen Prüfung lässt sich nicht ohne Weiteres eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides feststellen. Die Beigeladenen haben mit Schriftsatz vom 23. Juni 2022 in ihrem „Drittwiderspruch“ substantiiert Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts erhoben, die einer Prüfung im Hauptsacheverfahren bedürfen. Eine Interessenabwägung geht vorliegend aber eindeutig zu Lasten der Antragstellerin aus. Zunächst verweist der Antragsgegner zutreffend auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 05.05.1988 (- III ZR 105/87 -; NJW 1989, 37), durch das der Bundesgerichtshof einen Anspruch des Verkäufers gegen die Gemeinde aus enteignendem Eingriff wegen verspäteter Erlangung des Kaufpreises nach Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinde gemäß § 24 BauGB versagt hat. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof u. a. ausgeführt, dass im Hinblick auf die in § 80 Abs. 1 VwGO angeordnete aufschiebende Wirkung ein – unter Umständen jahrelanger – Schwebezustand eintrete, währenddessen der Verkäufer keinen Anspruch auf den Kaufpreis habe, allerdings auch noch Eigentümer des Grundstücks bleibe. Die Einbußen, die der Verkäufer dadurch erleide, dass er den Kaufpreis erst später erhalte und nutzen könne, würden zumindest zu einem erheblichen Teil dadurch aufgewogen, dass ihm Besitz und Nutzungen des veräußerten Grundstücks länger zustünden. Etwa verbleibende Vermögensnachteile des Verkäufers beruhten auf der Situationsgebundenheit seines Grundeigentums und seien als Ausprägung der Sozialbindung im Sinne des Art. 14 Abs. 2 GG entschädigungslos hinzunehmen. Die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts, auch wenn der Käufer sie anfechte, stelle keine unverhältnismäßige und gegen die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Verfügungs- und Veräußerungsfreiheit des Eigentümers verstoßende Maßnahme dar, dies gelte umso mehr, als der Verkäufer mit dem Käufer vereinbaren könne, dass dieser auf eine Anfechtung der Ausübung des Vorkaufsrechts verzichte.

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Diese Gesichtspunkte gelten auch hier. Der Antragstellerin war schon durch den Kaufvertrag aus dem Jahre 2016 bekannt, dass die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB würde ausüben können. Sie hätte sich daher seinerzeit in dem Kaufvertrag dadurch absichern können, dass sie mit den Beigeladenen einen Verzicht auf Anfechtung eines ausgeübten Vorkaufsrechts vereinbart hätte. Durch das Abwarten der Hauptsacheentscheidung drohen der Antragstellerin auch keine schwerwiegenden, unumkehrbaren Nachteile. Sie bleibt Eigentümerin des veräußerten Grundstücks. Sie kann auch weiterhin dieses Grundstück wirtschaftlich nutzen. So wird auch in § 4 des Kaufvertrages vom 22.12.2016 ausgeführt, dass die Verkäuferin den Kaufgegenstand als Ackerland bewirtschaftet und sie daher eine verbindliche Information über den Zeitpunkt der Übergabe wenigstens drei Monate vor der Übergabe benötige. Die Antragstellerin kann daher gegenwärtig die Nutzungen aus ihrem Grundstück ziehen, wie sie es auch vor der Veräußerung getan hat. Es ist auch nicht von der Antragstellerin substantiiert dargelegt worden, dass ihr durch ein Zuwarten schwerwiegende existenzielle Nachteile drohen. In ihrem Schriftsatz vom 29.08.2022 hat sie lediglich pauschal ausgeführt, auf den Erhalt des Kaufpreises angewiesen zu sein, da sie im Rahmen einer Erbauseinandersetzung finanzielle Mittel benötige, über die sie ohne den Erhalt des Kaufpreises nicht verfüge. Dies allein reicht mit Sicherheit nicht aus, um eine in die Abwägung einzustellende existenzielle finanzielle Notlage annehmen zu können.

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Demgegenüber drohen sowohl dem Antragsgegner als auch den Beigeladenen im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung schwerwiegende, nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens möglicherweise unumkehrbare Nachteile. Sollte das Widerspruchsverfahren bzw. das anschließende Klageverfahren der Beigeladenen gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts Erfolg haben, hätte der Antragsgegner den Kaufpreis entrichtet, ohne ein gesichertes Recht an dem Grundstück zu haben. Wie ausgeführt, wäre nämlich die zugunsten der Beigeladenen eingetragene vorrangige Auflassungsvormerkung zu berücksichtigen. Der Antragsgegner müsste dann die geleistete Kaufpreiszahlung von der Antragstellerin zurückfordern und trüge insoweit das Insolvenzrisiko.

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Andererseits laufen die Beigeladenen Gefahr, dass der Antragsgegner nach Aufstellung des Bebauungsplans oder schon zuvor das Grundstück möglicherweise an einen Investor weiterveräußert und die Eigentumsübertragung mühsam rückabgewickelt werden müsste.

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Insgesamt geht daher, die Zulässigkeit des Antrages unterstellt, die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht vorliegend nach § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, nur die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladenen zu 2) und 3) keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit nicht einem Kostenrisiko im Sinne des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG.

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Der Streitwert ist danach nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen des Gerichts zu bestimmen. Dieses wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin ist hier vom Gericht schätzungsweise bestimmt worden. Das Interesse der Antragstellerin besteht darin, nicht jahrelang auf den im Ursprungskaufvertrag vereinbarten Kaufpreis warten zu müssen, sondern bereits jetzt darüber verfügen zu können. Die Antragstellerin würde sich dann die Aufnahme von Fremdmitteln ersparen. Bei einer geschätzten Verfahrensdauer von 3 Jahren und einem Finanzierungszinssatz von 4 % würden sich bei der Summe von 3.925.000 € ersparte Aufwendungen in Höhe von 471.000 € ergeben.


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