Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 79/22

Tenor

Dem Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller vorläufig eine Duldung gemäß § 60c Abs. 1 AufenthG zum Zwecke der Ausbildung als Koch bei der ..., ..., ... Str. x, ... zu erteilen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung zum Zwecke der Durchführung einer Ausbildung als Koch.

2

Der nach eigenen Angaben im Jahr 1996 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 04.12.2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 08.08.2016 einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.11.2017 wurde der Asylantrag vollumfänglich abgelehnt. Die Klage hiergegen wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 03.04.2019 – Az.: 7 A 783/17 – abgewiesen. Die Entscheidung ist seit dem 07.05.2019 rechtskräftig.

3

Am 10.08.2017 erteilte der Antragsgegner dem Antragsteller die Zustimmung zur Ausbildung als Koch, die der Antragsteller wegen sprachlicher Probleme abbrach.

4

In einem Beratungsgespräch am 17.05.2019 legte der Antragsteller, der nicht über Identitätspapiere verfügte, einen Nachweis darüber vor, dass er am 10.12.2019 einen Termin bei der afghanischen Botschaft hat. Seit dem 17.05.2019 ist der Antragsteller fortlaufend im Besitz einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG.

5

Am 10.01.2020 legte der Antragsteller beim Antragsgegner eine Bescheinigung der afghanischen Botschaft vom 11.12.2019 vor. Danach konnte diese keinen Antrag für einen neuen afghanischen Reisepass entgegennehmen, da der Antragsteller keine genügenden Dokumente (Tazkira, National ID) vorlegen konnte.

6

Mit Schreiben vom 19.05.2020, 19.08.2020 und 17.11.2020 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, einen Nachweis über seine Passbemühungen, zuletzt mit Fristsetzung bis zum 17.11.2020 vorzulegen. Mit Schreiben vom 18.02.2021 bat der Antragsteller um einen Termin für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis. Mit Schreiben vom 03.03.2021 wies der Antragsgegner den Antragsteller erneut auf seine Mitwirkungspflicht hin und setzte eine weitere Frist bis zum 03.06.2021 zur Vorlage entsprechender Nachweise bei der Passbeschaffung. Erst dann komme die Prüfung einer Beschäftigungsgenehmigung in Betracht. Sollte der Antragsteller weiterhin keine Nachweise vorlegen können, würde ihm die Beschäftigungserlaubnis entzogen werden.

7

Nachdem keine weiteren Nachweise vorgelegt worden waren, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 07.06.2021 die Erlaubnis für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Zur Begründung führte er aus, dass der Antragsteller aufgrund der Passlosigkeit die Ausreisehindernisse zu vertreten habe und ihm gemäß § 60a Abs. 6 Nr. 2 AufenthG die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei.

8

Mit Schreiben vom 09.09.2021 beantragte der Antragsteller erneut die Erteilung einer Arbeitserlaubnis. In dem Schreiben fügte er das Schreiben der ... über eine mögliche Beschäftigung als Küchenhilfe ab dem 13.09.2021 bei Vorlage einer Arbeitserlaubnis bei.

9

Unter Verweis auf die fehlende Mitwirkungs- und Passpflicht lehnte der Antragsgegner den Antrag mit Schreiben vom 29.09.2021 ab und forderte den Antragsteller erneut auf, den Reisepass oder andere Identitätsdokumente einzureichen.

10

Gegen die Verweigerung der Beschäftigungserlaubnis legte der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 06.10.2021 Widerspruch ein. Die Verweigerung der Beschäftigungserlaubnis durch den Antragsgegner sei sachwidrig und stehe nicht in Verbindung mit der gewünschten Arbeitsaufnahme und Beschäftigungsbewilligung. Zudem wies er darauf hin, dass er bereits vor mehr als einem Jahr einen Antrag auf Erteilung eines Reisepasses bei der afghanischen Botschaft in Berlin gestellt habe, jedoch noch keinen Termin erhalten habe. Auf Anfrage sei dem Antragsteller mitgeteilt worden, dass mit Änderung der politischen Lage und der Zweifel an der völkerrechtlichen Anerkennung der derzeitigen Regierung in Kabul Bedenken bestünden, ob oder zumindest ob zeitnah den sich in Deutschland befindlichen Flüchtlingen durch eine Vertretung des Staates Afghanistan innerhalb Deutschlands Hilfestellung zuteil werden könne. Darüber hinaus sei die Entscheidung des Antragsgegners nicht verhältnismäßig, zumal die Nichterteilung des Ausweises nicht in seiner Sphäre liege und im Übrigen eine Ausweisung nach Afghanistan nicht erfolgen könne.

11

Am 18.10.2021 legte der Antragsteller beim Antragsgegner eine Bescheinigung von der afghanischen Botschaft in Berlin vom 22.09.2021 vor, wonach diese unter den derzeitigen Umständen aus technischen Gründen nicht in der Lage sei, afghanische Pässe für die in der Bundesrepublik Deutschland aufhaltenden Afghanen auszustellen. Beigefügt war zudem eine Geburtsurkunde, ausgestellt auf den Namen des Antragstellers mit dem Geburtsdatum 1993 und ein Personalbogen des Zentralamtes für Personenstandswesen, übersetzt mit dem Geburtsjahr 1993.

12

Mit Schreiben vom 27.01.2022 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass der Betrieb ... weiterhin bereit sei, seine Ausbildung in dem Betrieb zu Ende zu führen. Aus der beigefügten Bescheinigung des ... ging hervor, dass der Antragsteller, vorausgesetzt eine Arbeitsgenehmigung liege vor, seine Ausbildung zum Koch dort beenden könne.

13

Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller daraufhin mit, dass dem vorgenannten Schreiben entnommen werden könne, dass nunmehr offenbar die Erteilung einer Ausbildungsduldung begehrt werde. Es werde daher um Übersendung entsprechender Unterlagen gebeten.

14

Mit Schreiben vom 02.03.2022 reichte der Antragsteller den ihm angebotenen Berufsausbildungsvertrag als Koch über einen Zeitraum von 36 Monaten, beginnend zum 01.03.2022 bis zum 31.08.2023 (wegen anrechnungsfähiger Zeiten), unterzeichnet am 23.02.2022, ein.

15

Am 15.03.2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung aufgrund der Passlosigkeit des Antragstellers gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 60a Abs. 6 Nr. 2 AufenthG ab mit dem Hinweis, gegebenenfalls würde der von dem Antragsteller mittlerweile gestellte Asylfolgeantrag zu einem Statuswechsel führen.

16

Der Antragsteller stellte am 31.05.2022 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz.

17

Zur Begründung führt er aus, er habe sich fruchtlos um die Beschaffung eines Passes in der Botschaft in Berlin bemüht. Außerdem werde nicht berücksichtigt, dass die Nichtausstellung eines afghanischen Passes nicht in seiner Sphäre liege. Angesichts des Erlasses des Ministeriums für Inneres vom 02.05.22 (UV 31861/2022) müsse der Antragsgegner positive Kenntnis von der faktischen Unmöglichkeit der Passbeschaffung haben, aufgrund dessen sogar geraten werde, in begründeten Einzelfällen den afghanischen Schutzsuchenden Reiseausweise für Ausländer zu erteilen. Außerdem würde afghanischen Staatsangehörigen aktuell vom Bundesamt zumindest ein Bleiberecht wegen Vorliegens von Abschiebehindernissen eingeräumt, welches mit einer Arbeitsgenehmigung verbunden sei. Zudem würden auch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine eine Arbeitserlaubnis erhalten, ohne vorher ein Verfahren durchzulaufen, welches den Schutzstatus feststellt. Im Zuge des Gleichheitsgrundsatzes könne das Privileg einer Ausbildung und/oder einer Arbeit nachgehen zu dürfen, nicht von der Herkunft des Schutzsuchenden abhängig sein. Vielmehr müssten Flüchtlinge, gleich aus welchem Land sie vor ihrer Flucht nach Deutschland kämen, als wesentlich Gleiche – nämlich Schutzsuchende - wesentlich gleich behandelt werden.

18

Soweit der Antragsgegner auf Unstimmigkeiten beim Geburtsjahr hingewiesen habe, sei dieser Umstand unbekannt. Vorstellbar sei ein Umrechnungs- oder Übertragungsfehler. Der Antragsteller sei 1996 geboren.

19

Zur Eilbedürftigkeit führt der Antragsteller aus, dass das Ausbildungsangebot nicht dauerhaft erhalten bleiben könne, da der Arbeitgeber Fachkräfte benötige und daher ausbilden wolle. Ein Abwarten auf eine Hauptsacheentscheidung würde womöglich erst nach Wegfall der Ausbildungsmöglichkeit ergehen. Dies sei nicht zumutbar. Der Arbeitgeber ... habe zudem das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom 30.07.2022 mangels Vorlage einer Arbeitsgenehmigung zunächst ruhend gestellt. Bei Vorlage einer Arbeitsgenehmigung könne die Ausbildung, die zum 01.03.2022 begonnen worden sei, beendet werden.

20

Als Nachweis reichte der Antragsteller eine weitere Bescheinigung der afghanischen Botschaft vom 11.04.2022 ein, wonach weiterhin die Ausstellung von Reisepässen aus technischen Gründen nicht möglich ist.

21

Der Antragsteller beantragt,

22

den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller zur Durchführung der Ausbildung als Koch in der Firma ..., ..., ... eine Arbeits- und Ausbildungserlaubnis zu erteilen.

23

Der Antragsgegner beantragt,

24

den Antrag abzulehnen.

25

Zur Begründung bezieht er sich erneut auf die fehlende Mitwirkung des Antragstellers und weist darauf hin, dass die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingereichten Dokumente als Identitätsnachweis nur eingeschränkt geeignet seien. Auffällig sei, dass das Geburtsjahr nicht wie vom Antragsteller angegeben 1996 lautete, sondern 1993.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge.

II.

27

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässig und begründet.

28

Der Verpflichtung des Antragsgegners im einstweiligen Rechtsschutzverfahren stehen zunächst nicht die Regelungen über die Unzulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Anordnungsverfahren entgegen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt dann vor, wenn die Entscheidung und ihre Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung jedoch nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.

29

So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat hinreichend dargelegt, dass ein weiteres Zuwarten zu unumkehrbaren Rechtsnachteilen auf seiner Seite, insbesondere dem möglichen Verlust seines Berufsausbildungsplatzes, führen würde.

30

Der Antrag ist auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO.

31

Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu. Danach ist eine Duldung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer in Deutschland im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist und eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufgenommen hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller. Insbesondere stellt die beabsichtigte Ausbildung zum Koch mit 36 Monaten Ausbildungsdauer eine qualifizierte Ausbildung i.S.d. § 2 Abs. 12a AufenthG dar. Dabei kann unterstellt werden, dass ihm die Wiederaufnahme der Ausbildung trotz des Ausbildungsbeginns am 01.03.2022 weiterhin möglich ist, da diese unstreitig trotz fehlender Ausbildungsduldung zum 01.03.2022 begonnen wurde und derzeit nur wegen der weiterhin fehlenden Ausbildungsduldung ruhend gestellt ist.

32

Der Erteilung der Ausbildungsduldung steht entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht der Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Gemäß § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG darf einem Ausländer die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Der Ausländer hat das Abschiebungshindernis zu vertreten, wenn die Gründe, die der Vollziehung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegenstehen, in den Verantwortungsbereich des Ausländers fallen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.12.2002 – 4 LB 471/02 –, juris, Rn. 25). Dazu gehören insbesondere die Fälle der vorwerfbaren Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung, Identitätsklärung oder der Beschaffung von Identitätspapieren (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 18.01.2006 – 18 B 1772/05 –, juris, Rn. 43, 44 m.w.N.). Mangelnde Mitwirkung als Versagungsgrund für die Beschäftigungserlaubnis muss ein gewisses Gewicht erreichen, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie aktivem Handeln gleichzustellen (vgl. VGH München, Beschluss vom 09.05.2018 – 10 CE 18.738 –, juris, Rn. 6). Das Verhalten des Ausländers muss kausal dafür sein, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.11.2005 – 12 ME 397/05 –, juris, Rn. 13). Nach dem Wortlaut des § 60a Abs. 6 AufenthG führen nur solche Gründe zum Verbot der Erwerbstätigkeit, die im Zeitpunkt der Entscheidung über das Erwerbstätigkeitsverbot die Abschiebung hindern. Es muss mithin ein aktueller Gegenwartsbezug bestehen, d.h. die konkrete Verhaltensweise muss auch heute noch kausal für die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung sein (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10.07.2017 – 11 S 695/17 –, juris, Rn. 33).

33

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Antragsteller im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu vertreten, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Sofern der Antragsgegner auf vergangenes Handeln und das Verletzen der Mitwirkungspflichten des Antragstellers abstellt, ist dies zunächst im Rahmen des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht zu berücksichtigen. Dem steht bereits der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen („aufenthaltsbeendende Maßnahmen… nicht vollzogen werden können“). Aber auch soweit sich der Antragsgegner auf die derzeit fehlenden Passbeschaffungsbemühungen des Antragstellers bezieht, ist nicht von einem Vertretenmüssen i. S. d. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auszugehen. Denn ausweislich der von dem Antragsteller vorgelegten Bescheinigungen der afghanischen Botschaft in Berlin vom 21.09.2021 und vom 22.04.2022 ist diese derzeit und auch weiterhin nicht in der Lage, afghanischen Staatsangehörigen Reisepässe auszustellen. Dies wird bestätigt durch die Verbalnote der afghanischen Botschaft vom 26.07.2022 an das Auswärtige Amt, mit welcher die Botschaft darüber informiert, dass sie keine neuen Passanträge annimmt und nur in Ausnahmefällen neue Pässe ausstellen kann (so zu finden beispielsweise unter: https://bimf.thueringen.de/media/tmmjv_migrationsbeauftragte/th10/bimf/FREMDE_DATEIEN/Dateien_FREMD/Verbalnote_Botschaft_Passbeschaffung_Afghanistan.pdf). Es ist nicht erkennbar und auch nicht dargelegt, dass dem Antragsteller, auch wenn dieser ausweislich eines handschriftlichen Aktenvermerks vom 08.10.2021 (Bl. 119R VV) mittlerweile im Besitz einer Tazkira ist, eine Passbeschaffung gelingen könnte.

34

Der Erteilung einer Ausbildungsduldung steht auch nicht § 60c Abs. 2 Nr. 3 b) AufenthG entgegen. Danach wird eine Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn die Identität bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung nicht geklärt ist. Zwar ist das Geburtsdatum des Antragstellers weiterhin als nicht abschließend geklärt anzusehen, da er im Asylverfahren als Geburtsjahr das Jahr 1996 angegeben hat, während die von ihm eingereichten Unterlagen, welche die vergeblichen Versuche der Passbeschaffung belegen sollen, bei gleichen Personalien auf das Geburtsjahr 1993 lauten und diesbezüglich die Angaben des Antragstellers auch auf Nachfrage vage und wenig nachvollziehbar blieben. Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass die Angabe falscher Personalien im Asyl- oder in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren auch nach der Aufdeckung der wahren Identität nicht bedeuten müssen, dass die Identität als ungeklärt anzusehen ist (vgl. BeckOK AuslR/Maor, 34. Ed. 1.7.2022, AufenthG § 5 Rn. 6). Dies gilt insbesondere, wenn die fehlerhaften Angaben insbesondere die Identifizierung, die Bestätigung der Staatsangehörigkeit und die Rückreiseberechtigung im völkerrechtlichen Verkehr, nicht erkennbar beeinträchtigt werden und keine Verwechslungsgefahr besteht (vgl. bei falschen oder zweifelhaften Angaben im Nationalpass: VGH München, Beschluss vom 03.11.2009 – 19 ZB 08.2144 – BeckRS 2011, 46036). Dies ist hier vor dem Hintergrund der übereinstimmenden Lichtbilder in den Verwaltungsakten und den mit einem Lichtbild des Antragstellers eingereichten Dokumenten der Botschaft anzunehmen. Darüber hinaus geht aus dem vom Bundesamt übersandten Original des Personalblattes des Zentralamtes für Personenstandswesen als Geburtsjahr lediglich das Jahr „1400“ hervor und zudem geht auch der Antragsgegner trotz der zuletzt vorgelegten Unterlagen offensichtlich weiterhin von einer geklärten Identität aus, was sich darin manifestiert, dass der Antragsteller bis zuletzt weiterhin im Besitz einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG und nicht im Besitz einer Duldung gemäß § 60b Abs. 1 AufenthG wegen ungeklärter Identität gewesen ist. Es ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass der Unstimmigkeit in Bezug auf das Geburtsdatum eine zukünftige Verwechslungsgefahr innewohnen könnte.

35

Der Antragsteller verwirklicht auch nicht den Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 d) AufenthG, da konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung insbesondere auch wegen des gestellten Asylfolgeantrages derzeit nicht ersichtlich sind.

36

Ein Anordnungsgrund liegt aufgrund der weiterhin zu befürchtenden Möglichkeit der Ausbildungsbeendigung und der Unzumutbarkeit des Zuwartens auf eine Hauptsacheentscheidung ebenfalls vor.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

38

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen