Beschluss vom Verwaltungsgericht Schwerin (6. Kammer) - 6 B 184/13

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 A 25/13 gegen die Nummern 1, 2 und 3 der tierseuchenrechtlichen Verfügung des Antragsgegners vom 3. Januar 2013 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

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Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung einer für sofort vollziehbar erklärten tierseuchenrechtlichen Verfügung des Antragsgegners – Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt – vom 3. Januar 2013, mit der er das Hausschwein (sog. Minipig) der Antragsstellerin den Vorschriften über die Nutztierhaltung unterwarf. So ordnete er unter Fristsetzung gemäß § 4 der Verordnung über hygienische Anforderungen beim Halten von Schweinen (SchHaltHygV) ein Stallhaltungsgebot und gemäß § 39 der Verordnung zum Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen im Viehverkehr (ViehVerkV) eine Ohrmarkenkennzeichnung an und forderte die Antragstellerin unter Verweis auf eine „Schweinepest- und Brucelloseverordnung“ auf, das Schwein auf Schweinepest und Brucellose untersuchen zu lassen.

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Mit dem am 8. April 2013 anhängig gemachten Eilantrag macht die Antragstellerin geltend, dass die getroffenen tierseuchenrechtlichen Anordnungen völlig überzogen seien.

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Sie beantragt,

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die aufschiebende Wirkung der Klage 6 A 463/13 anzuordnen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen,

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und hat als weitere Rechtsgrundlage § 17 Abs. 1 Nr. 1 und 6 Tierseuchengesetz (TierSG) nachgeschoben. So sei in 2009 bei Schweinen in Freilandhaltung im Altlandkreis Güstrow an der Grenze zum Altlandkreis Bad Doberan Brucellose festgestellt worden, ebenso in 2009/2010 in einem Wildschweinbestand. 2012 sei in Rövershagen bei Wildschweinen die Aujeszkysche Krankheit nachgewiesen worden.

II.

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Der Aussetzungsantrag ist zulässig und begründet.

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Dabei kann das Gericht offen lassen, ob die in Anwendung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig ist. Der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der tierseuchenrechtlichen Verfügung gemäß § 80 Abs. 3 VwGO allein mit der Gefahr erneuter Zuwiderhandlungen gegen das Tierseuchenrecht begründet. Ob eine derart pauschale Begründung, die in einer Vielzahl von Fällen angeführt werden könnte und eine Auseinandersetzung mit dem konkreten Einzelfall vermissen lässt, noch dem Begründungserfordernis genügt, kann dahinstehen.

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Denn die Antragstellerin hat einen materiellen Anspruch auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die tierseuchenrechtliche Verfügung des Antragsgegners vom 3. Januar 2013 durch das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO.

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Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Interessenabwägung des Gerichts fällt vorliegend zulasten des Antragsgegners aus. Diese ergibt, dass das öffentliche Interesse des Antragsgegners am Sofortvollzug hinter dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin am einstweiligen Nichtvollzug zurücktreten muss. Ihr Rechtsbehelf in der Hauptsache wird aller Voraussicht nach Erfolg haben.

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Die im angefochtenen Bescheid des zuständigen Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes unter den Nummern 1. bis 3. als tierseuchenrechtliche Anordnungen ergangenen und der Antragstellerin auferlegten Verpflichtungen erscheinen bei summarischer Betrachtung offensichtlich rechtswidrig und verletzen die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Die ergangenen Anordnungen sind allein dem Tierseuchenrecht zuzuordnen. Dass es sich bei der nach der Bescheidsbegründung auf § 4 Abs. 1 SchHaltHygV gestützten Anordnung um eine tierseuchenrechtliche Maßnahme gehandelt hat, ergibt sich bereits daraus, dass die zum Erlass dieser Verordnung ermächtigenden Normen ausschließlich solche des Tierseuchengesetzes sind (§ 17b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 17h Nr. 1, § 73a, § 79 Abs. 1 Nrn. 1, 11, 12 und 13 TierSG). Auch die Bescheidsbegründung bezieht sich (nur) auf tierseuchenrechtliche Aspekte, da auf den Schutz des Haustiers vor einer Gefährdung von Außen (z.B. Wildschweine) und das Unterbinden der Übertragung von Krankheiten auf den Menschen oder andere Tiere abgestellt wird. Damit bleibt – wie es nunmehr offenbar der Antragsgegner im gerichtlichen Eilverfahren versucht – für eine Umdeutung der tierseuchenrechtlichen Verfügung in eine tierschutzrechtliche kein Raum. Es bleibt dem Antragsgegner unbenommen, bei Verstößen gegen das Tierschutzrecht entsprechende tierschutzrechtliche Anordnungen – wie in der Vergangenheit schon geschehen – zu erlassen.

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Eine Rechtsgrundlage für die tierseuchenrechtliche Verfügung des Antragsgegners ist nicht ersichtlich; die ergangenen Anordnungen finden insbesondere weder in dem nachgeschobenen § 17 Abs. 1 Nr. 1 und 6 TierSG, noch in den im angegriffenen Bescheid angeführten § 4 SchHaltHygV und § 39 ViehVerkV eine ausreichende Rechtsgrundlage.

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Hierzu im Einzelnen:

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Soweit der Antragsgegner das Stallhaltungsgebot auf § 4 SchHaltHygV stützt, muss die Kammer nicht der Frage nachgehen, ob die Anordnung auf die spezielle Ermächtigungsgrundlage des § 11 SchHaltHygV oder aber auf die allgemeine ordnungsrechtliche Generalklausel der §§ 13 und 16 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (SOG M-V) gestützt werden kann; es mangelt bereits an einem objektiven Rechtsverstoß gegen § 4 SchHaltHygV, weil die Verordnung über hygienische Anforderungen beim Halten von Schweinen nicht anwendbar ist, § 1 SchHaltHygV. Diese Verordnung gilt danach nur für Betriebe, die Schweine zu Zucht- oder Mastzwecken halten. Das ist bei dem Hausschwein der Antragstellerin unstreitig nicht der Fall.

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Rechtsirrig geht der Antragsgegner davon aus, die Freilandhaltung könne bei einem Minipig, das nicht zu Zucht- oder Mastzwecken gehalten wird, aus anderen tierseuchenrechtlichen Erwägungen verboten werden. Auch der in diesem Zusammenhang vorgenommene Austausch der Rechtsgrundlagen hilft dem Antragsgegner nicht weiter.

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Er verkennt den seuchenrechtlichen Unterschied zwischen Nutztieren und Haustieren, die nicht zu Zucht- oder Mastzwecken gehalten werden. Für Letztere gelten deutlich engere Eingriffsvoraussetzungen, die der Antragsgegner bereits nicht darzulegen vermag.

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Während bei Nutztieren regelmäßige Untersuchungen ohne jeden Gefahrenverdacht vorgeschrieben sind (vgl. etwa die Verordnung zum Schutz gegen die Brucellose der Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen), mithin also eine gesetzgeberische Gefahrenvorsorge stattfindet, sieht die Rechtslage bei Haustieren, die nicht zu Zucht- und Mastzwecken gehalten werden, völlig anders aus. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass auch diese Tiere dem Tierseuchenrecht unterfallen. Jedoch nur bei Auftreten einer Tierseuche oder des Verdachts des Ausbruchs einer Tierseuche unter Haustieren hat die zuständige Behörde anzuordnen, dass die kranken und verdächtigen Haustiere von anderen Tieren abgesondert, soweit erforderlich auch eingesperrt und bewacht werden. Der beamtete Tierarzt hat die Art, den Stand und die Ursachen der Krankheit zu ermitteln und sein Gutachten darüber abzugeben, ob durch den Befund der Ausbruch der Tierseuche festgestellt oder der Verdacht des Ausbruchs einer Tierseuche begründet ist und welche besonderen Maßregeln zur Bekämpfung der Tierseuche erforderlich erscheinen (§ 11 TierSG). Wenn über den Ausbruch einer Tierseuche nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes nur mittels bestimmter an einem verdächtigen Tier durchzuführender Maßnahmen diagnostischer Art Gewissheit zu erlangen ist, so können diese Maßnahmen von der zuständigen Behörde angeordnet werden, § 12 TierSG.

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Der Antragsgegner hat nicht einmal behauptet, dass das Minipig der Antragstellerin an einer Krankheit leidet, die möglicherweise als Tierseuche einzustufen ist.

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Die Anforderungen an das Vorliegen einer allgemeinen Gefahrenlage, die ein vorübergehendes, aber nicht dauerhaftes Stallhaltungsgebot rechtfertigen könnten, sind indes nicht geringer, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 23. Februar 2012 – 20 ZB 11.2698 – ausführlich dargelegt hat und worauf der Antragsgegner auch gerichtlich hingewiesen worden ist. Die Ausführungen des Antragsgegners zu § 17 Abs. 1 Nr. 6 TierSG beruhen allein auf Vermutungen und zaghaften Annahmen aus Vorfällen in der Vergangenheit (2009 und 2010) und stellen keine gesicherte und gegenwärtige Tatsachengrundlage dar. Voraussetzung wäre, dass sich der Hof der Antragstellerin bereits in einem (Sperr-)Gebiet befindet, dass derzeit als Tierseuchengebiet eingestuft ist, etwa weil dort eine Schweinepest bereits ausgebrochen ist oder hinreichende Tatsachen die Annahme des Ausbruchs der Schweinepost im fraglichen Gebiet rechtfertigen. Jede andere Betrachtung würde dazu führen, dass die engen Eingriffsvoraussetzungen des Tierseuchenrechts mit Verweis auf Brucellosefälle bei Wildschweinen in der Vergangenheit umgangen werden könnten.

22

Soweit der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung auf die Aujeszkysche Krankheit (Morbus Aujeszky) abstellt, weist das Gericht darauf hin, dass die für den Antragsgegner handelnde Amtstierärztin darin offensichtlich keine allgemeine Gefahrenlage gesehen hat. Denn ansonsten ist für das Gericht nicht erklärbar, warum eine diesbezügliche Untersuchung nicht angeordnet worden ist.

23

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass auch die angeordneten Untersuchungen nicht auf die §§ 26, 39 ViehVerkV, geschweige denn auf § 17 Abs. 1 Nr. 1 TierSG gestützt werden können. Das Minipig der Antragstellerin ist kein Zucht- und Mastschwein, welches routinemäßig ohne Vorliegen einer Verdachtslage untersucht werden müsste.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

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