Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (6. Kammer) - 6 A 429/12

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 514,81 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 vom Hundert über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Dezember 2011 zu zahlen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten für das Jahr 2008 um die Höhe der finanziellen Beteiligung der beklagten Gemeinde K am Finanzierungsbedarf für einen Platz in einer Kindertageseinrichtung des Klägers in der demselben Amt angehörenden Gemeinde A, der von einem Kind in Anspruch genommenen wurde, das im Gebiet der Beklagten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

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Der Kläger betreibt in der Gemeinde A eine Kindertageseinrichtung, in der 2008 auch ein Kind gefördert wurde, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der beklagten Gemeinde hatte, in deren Gebiet keine Kindertageseinrichtung vorgehalten wurde. Letztere zahlte den vom Kläger insoweit errechneten Anteil der Wohnsitzgemeinde im Sinne des § 20 des Gesetzes zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kindertagesförderungsgesetz - KiföG M-V) nicht vollständig und berief sich darauf, dass wegen der sog. auswärtigen Unterbringung des betreffenden Kindes die dadurch entstandenen Mehrkosten gemäß § 21 Abs. 3 KiföG M-V nicht von ihr, sondern von den Eltern zu tragen seien. Der Kläger forderte die Beklagte außergerichtlich erfolglos zur Zahlung des entsprechenden Restbetrages auf.

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Am 23. Dezember 2011 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass § 21 Abs. 3 KiföG M-V hier nicht einschlägig sei. Die Vorschrift sei so zu verstehen, dass Eltern, die mit ihren Kindern ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einer amtsangehörigen Gemeinde hätten, ein Wahlrecht bezogen auf den gesamten Bereich des betreffenden Amtes zustehe, ohne dass sie gemäß § 21 Abs. 3 KiföG M-V Mehrkosten zu tragen hätten. Diese Wahlfreiheit der Eltern bezogen auf den gesamten Amtsbereich korrespondiere mit Einflussmöglichkeiten innerhalb des Amtes über die Amtsverwaltung oder den Amtsausschuss auch auf Entgeltverhandlungen im Sinne des § 16 KiföG M-V. Ginge man davon aus, dass § 21 Abs. 3 KiföG M-V hier eingreife, so seien die sog. Mehrkosten zudem fehlerhaft berechnet worden.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 514,81 Euro nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Bei Auslegung des § 21 Abs. 3 KiföG M-V in dem vom Kläger beschriebenen Sinne wäre die Variante 1 bei amtsangehörigen Gemeinden überflüssig. Auch treffe es nicht zu, dass die anderen Gemeinden im Bereich eines Amtes Einflussmöglichkeiten bezogen auf die Entgeltverhandlungen nach § 16 KiföG M-V hätten, in die lediglich die Standortgemeinden (Belegenheitsgemeinden) einzubeziehen seien. § 21 Abs. 3 KiföG M-V sei daher so zu verstehen, dass die Eltern immer dann Mehrkosten zu tragen haben, wenn sie eine Kindertageseinrichtung wählen, bei der die Gemeinde des gewöhnlichen Aufenthalts keine Einflussmöglichkeiten bezogen auf die Entgeltverhandlungen im Sinne des § 16 KiföG M-V hat. Bei der Frage nach entsprechenden Mehrkosten sei bei Gemeinden, in denen keine Angebote im Sinne des 2 KiföG M-V vorgehalten werden, ausgehend von der Berücksichtigung von sozialräumlichen Gegebenheiten nach dem Sozialgesetzbuch - Achtes Buch - abzustellen auf den betreffenden Sozialraum.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 7. Januar 2014 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden sowie des Verfahrens 6 A 2039/11, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten, und den von der Beklagtenseite vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die hier zulässige allgemeine Leistungsklage ist begründet.

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Dem Kläger steht der geltend gemachte Leistungsanspruch gegen die beklagte Gemeinde aus § 20 KiföG M-V in der seinerzeit geltenden Fassung (des Gesetzes v. 12.07.2010, GVOBl. S. 369) zu. Diese Vorschrift ordnet Folgendes an: Soweit der Finanzierungsbedarf des in Anspruch genommenen Platzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege nach § 2 nicht vom Land und dem jeweiligen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 19 Abs. 1 und 2 gedeckt wird, hat die Gemeinde, in der das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, diesen in Höhe von mindestens 50 vom Hundert zu tragen. Nach § 20 KiföG M-V anspruchsberechtigt ist der Träger der Kindertageseinrichtung (vgl. auch Baulig/Deiters/Krenz, Kindertagesbetreuung in M-V, § 20 KiföG M-V, S. 4), verpflichtet die Gemeinde des gewöhnlichen Aufenthalts.

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Dem daraus folgenden und durch die Beklagte nicht vollständig erfüllten Anspruch steht hier § 21 Abs. 3 KiföG M-V nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift haben die Eltern diejenigen Mehrkosten zu tragen, die dadurch entstehen, dass sie eine Kindertageseinrichtung oder Tagespflegeperson wählen, die nicht im Gebiet der Gemeinde des gewöhnlichen Aufenthalts (Variante 1) oder in dem Amtsbereich, zu dem diese Gemeinde gehört (Variante 2), liegt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

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Dabei kann der Auffassung der Beklagten, § 21 Abs. 3 KiföG M-V sei so zu verstehen, dass die Eltern immer dann Mehrkosten zu tragen hätten, wenn sie eine Kindertageseinrichtung wählen, bei der die Gemeinde des gewöhnlichen Aufenthalts keine Einflussmöglichkeiten bezogen auf die Entgeltverhandlungen im Sinne des § 16 KiföG M-V hat, nicht gefolgt werden (diese Ansicht ablehnend auch OVG Greifswald, Beschl. v. 12.01.2011 – 1 L 255/08 -, wonach sich bezogen auf die „Problematik, zu einer Ausgleichsleistung verpflichtet zu werden, ohne auf die Höhe der Kosten Einfluss nehmen zu können, obwohl die Gemeinde den allgemeinen Betreuungsbedarf abdecken kann“, kein grundsätzlicher Klärungsbedarf besteht; mit den §§ 17, 20 i.V.m. § 3 Abs. 5 [Abs. 6 a.F.] KiföG M-V und dem dort geregelten Wahlrecht der Personensorgeberechtigten habe der Gesetzgeber eine klare Regelung getroffen). Diese Auslegung des § 21 Abs. 3 KiföG M-V hätte zur Folge, dass Eltern auch dann Mehrkosten zu tragen hätten, wenn die betreffenden Kinder in der Gemeinde ihres gewöhnlichen Aufenthalts gar nicht in einer Kindertageseinrichtung hätten betreut werden können und ihnen aus diesem Grunde von vornherein kein Wahlrecht im Sinne des § 21 Abs. 3 KiföG M-V zugestanden hätte.

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Die Maßgeblichkeit von Sozialräumen im Rahmen des § 21 Abs. 3 KiföG M-V scheidet bereits wegen Verstoßes gegen das für Gesetze geltende Bestimmtheitsgebot aus.

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Die Variante 1 des § 21 Abs. 3 KiföG M-V ist hier nicht einschlägig, weil eine Kinderbetreuung im Sinne des § 2 KiföG M-V mangels Angebots in der Gemeinde K als Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsgemeinde nicht möglich gewesen wäre. Deshalb wurde hier mangels Wahlmöglichkeit keine Kindertageseinrichtung „gewählt“, die außerhalb des Gebiets der Gemeinde des gewöhnlichen Aufenthalts lag.

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Die Variante 2 des § 21 Abs. 3 KiföG M-V greift ebenfalls nicht ein, wobei im vorliegenden Fall sogar unentschieden bleiben kann, ob mit „Amtsbereich“ gemeint ist der Zuständigkeitsbereich des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (vgl. hierzu auch Baulig/Deiters/Krenz, Kindertagesbetreuung in M-V, § 21 KiföG M-V, Anm. 4, wonach die Vorschrift dem „Schutz der Gemeinden und der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe des gewöhnlichen Aufenthalts“ diene) oder der Bereich des Amtes im Sinne der §§ 125 ff. der Kommunalverfassung (KV M-V), zu dem die Gemeinde des gewöhnlichen Aufenthalts gehört (vgl. hierzu auch OVG Greifswald, Beschl. v. 16.05.2012 – 1 L 279/11 -, das von der Betreuung von Kindern aus Gemeinden im Amtsbereich des beklagten Amtsvorstehers bzw. Amtes spricht; in einem entsprechenden Sinne wird der Begriff Amtsbereich auch in OVG Schleswig, Urt. v. 18.12.1995 - 5 L 122/95 -, juris Rn. 13, verstanden). In beiden Konstellationen wäre hier nämlich keine Kindertageseinrichtung gewählt worden, die nicht in dem „Amtsbereich“ liegt, zu dem die beklagte Gemeinde des gewöhnlichen Aufenthalts gehört.

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Den von Beklagtenseite geltend gemachten Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip (Art. 72 Abs. 3 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern) vermag das Gericht bei der hier vorgenommenen Auslegung nicht zu erkennen. Der diesbezügliche pauschale Hinweis lässt bereits außer Acht, dass durch das neue Kindertagesförderungsgesetz die zuvor bestehende Aufgabe den Wohnsitzgemeinden (zuvor nach § 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 4 KitaG M-V) abgenommen wurde, für bedarfsgerechten Bestand und Ausbau von Einrichtungen und Diensten der Kindertagesförderung zu sorgen und den Platzanspruch der Kinder sicherzustellen. Mittlerweile ist diese Aufgabe nach dem Kindertagesförderungsgesetz, wie auch nach dem Sozialgesetzbuch - Achtes Buch - vorgesehen, allein dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe übertragen worden. Auch dies wäre in eine Vergleichsberechnung zur Ermittlung höherer Kostenbelastung einzustellen (vgl. auch § 4 Abs. 3 KV M-V). Für einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sieht das Gericht ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte.

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Die Beklagte kann sich im vorliegenden Fall demnach nicht auf § 21 Abs. 3 KiföG M-V stützen, so dass es bei ihrer uneingeschränkten Verpflichtung aus § 20 Abs. 3 KiföG M-V bleibt, den Finanzierungsbedarf bezogen auf den hier in Anspruch genommenen Platz in der Kindertageseinrichtung des Klägers, soweit dieser nicht vom Land und dem jeweiligen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 19 Abs. 1 und 2 KiföG M-V gedeckt wird, in Höhe von mindestens 50 vom Hundert zu tragen. Dass der Betrag, der davon ausgehend mit der Klage geltend gemacht wird, von der Klägerin fehlerhaft errechnet ist, wird auch von der Beklagten nicht behauptet.

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Für öffentlich-rechtliche Geldforderungen sind Prozesszinsen unter sinngemäßer Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu entrichten, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht - wie hier - keine gegenteilige Regelung trifft (vgl. etwa OVG Greifswald, Urt. v. 28.08.2007 – 1 L 300/05 –, juris). Der Zinssatz beträgt danach für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO (vgl. hierzu auch VG Frankfurt [Oder], Urt. v. 19.06.2013 – 6 K 1008/10 –, juris; VG Schwerin, Urt. v. 25.08.2011 - 6 A 680/08 -; vgl. aber auch OVG Greifswald, Beschl. v. 16.05.2012 - 1 L 279/11 -). Die Vollstreckungsentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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