Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (15. Kammer) - 15 A 4039/15 As SN

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt über die Feststellung eines Abschiebeverbotes hinaus in erster Linie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz.

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Der am 1. Mai 1986 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben eritreischer Staatsangehöriger der Volksgruppe Tigrinya christlichen (koptischen) Glaubens. Er hat ausgeführt, dass er am 18. Februar 2014 aus Eritrea ausgereist sei. Er habe sich vor seiner Einreise auf dem Landweg nach Deutschland am 9. Juni 2014 in Äthiopien, Sudan, Libyen und Italien aufgehalten.

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Seinen am 12. Juni 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gestellten Asylantrag begründete er in der Anhörung vom 29. Mai 2015 zusammengefasst wie folgt: Er sei von der Schule zum Nationaldienst geholt worden und vier Jahre bei der Armee gewesen.

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Zwischenzeitlich wurde der Kläger vom Landgericht D-Stadt durch rechtskräftiges Urteil vom […] 2015 wegen einer […] 2014 begangenen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Diese Strafe wird derzeit noch vollstreckt.

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Mit Bescheid vom 7. Oktober 2015 stellte das Bundesamt zugunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes [bezüglich Eritreas] fest, lehnte aber im Übrigen den Asylantrag (Asyl, Flüchtlingsstatus) als offensichtlich unbegründet und den subsidiären Schutzstatus als unbegründet ab. Zur Begründung führte es u. a. aus, dass dem Kläger wegen der genannten strafrechtlichen Verurteilung auf Grund § 60 Abs. 8 AufenthG bzw. § 3 Abs. 2 AsylG kein Asyl oder Flüchtlingsstatus zustehe und daher gemäß § 30 Abs. 4 AsylG der Antrag insoweit als offensichtlich unbegründet abzulehnen sei. Die ausgesprochene Strafe im Urteil erfülle die in § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG vorausgesetzte Strafhöhe. Es fehle auch an belastbaren Anhaltspunkten, dass sich der Kläger künftig beanstandungsfrei verhalten werde. Auf Grund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass dem Kläger im Herkunftsland Verletzungen der Menschenrechte im Sinne der (Europäischen) Menschenrechtskonvention (EMRK), insbesondere gemäß Art. 3 EMRK drohten. Daher sei ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen. Der Bescheid wurde am 13. Oktober 2015 per Einschreiben zur Post gegeben.

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Hiergegen hat der Kläger am 23. Oktober 2015 Klage erhoben. Er hat hinsichtlich der Begründung auf die Ausführungen in der Anhörung verwiesen und ergänzend vorgetragen: Zwar sei er zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden. Von ihm gehe aber keine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr. Seine Tat sei ein singuläres Ereignis gewesen. Eine Entlassung auf Bewährung nach Verbüßen von zwei Drittel der Strafe habe mangels einer positiven Stellungnahme der Strafvollzugsbehörden nicht erfolgen können. Dies sei auf unzureichende Betreuung durch die Strafvollzugsbehörden zurückzuführen, wofür er nichts könne. Auf ihn werde auch durch die Haft resozialisierend eingewirkt. Seit Herbst 2017 habe er auch Therapiegespräche mit dem Psychologen der Strafvollzugsanstalt. Dazu verweise er auf den vom Gericht angeforderten Zwischenbericht des Psychologen.

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Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 2. September 2016 seine Klage zurück genommen, soweit er auch Asyl begehrt hat und beantragt nur noch,

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die Beklagte unter entsprechend teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 7. Oktober 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

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hilfsweise subsidiären Schutz festzustellen,

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äußerst hilfsweise: für den Fall, dass das Gericht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG noch für gegeben hält, das Verfahren im Hinblick auf die strafvollstreckungsrechtliche Entscheidung aussetzt.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verweist zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Bescheides. Sie weist darauf hin, dass keine positive Prognose vorliege, die die Gefährlichkeit des Klägers widerlegen könne.

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Das Gericht hat die Strafakte der Staatsanwaltschaft D. […] in Auszügen beigezogen. Ferner hat es auf Anregung des Klägers einen Zwischenbericht des zuständigen Psychologen der Justizvollzugsanstalt A-Stadt angefordert. Auf den Inhalt der Strafakte und des Berichts vom 9. März 2018 wird verwiesen.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtakte, dem Auszug aus der Strafakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingestellt.

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II. Die Klage ist im Übrigen zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben worden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid ist im Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes [AsylG]) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat gemäß § 30 Abs. 4 AsylG offensichtlich keinen Anspruch auf die von ihm begehrten Zuerkennungen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG oder des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, ohne dass abschließend zu klären wäre, ob die Voraussetzungen dieser flüchtlingsrechtlichen Rechtsstellungen vorliegen.

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Dem Begehren des Flüchtlingsstatus steht gemäß § 3 Abs. 4 Halbsatz 2. AsylG i. V. m. § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) entgegen, dass der Kläger aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Gleiches gilt für den Anspruch auf subsidiären Schutz, da nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 AsylG, Ausländer, die eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen, keinen subsidiären Schutz erhalten. In diesem Fall ist die Klage gemäß §§ 78 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 4 AsylG zwingend als offensichtlich unbegründet abzuweisen.

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1. Zwar knüpften § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG und § 4 Abs. 2 Nr. 4 AsylG weitgehend an Vorgänge der Vergangenheit an. Jedoch hat die Vorschrift angesichts ihres Wortlautes („Gefahr für die Allgemeinheit“) prognostischen Charakter. Sie greift daher nur ein, wenn im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung von dem Ausländer weiterhin Gefahren ausgehen, die sich in seinen früheren Verhalten manifestiert haben.

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Vgl. näher Marx, Asylgesetz, 9. Aufl. 2017, § 3 Rn. 79 ff (82).; Möller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 60 Rn. 39; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 60 Rn. 29 je mwN.

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Die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren führt zum Ausschluss von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen. Dabei begründen Tatsachen, die eine günstige Prognose für den Ausländer ergeben können, ein gewichtiges Indiz. Sie sind aber keine Vermutung gegen das Bestehen einer Wiederholungsgefahr.

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Grundlegend BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1975 - BVerwG 1 C 46.69 - BVerwGE 49, 202, 209 = juris Rn. 44 zu § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG a. F.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16. November 2000 – 9 C 6.00 –, BVerwGE 112, 185-194 juris LS 2 und Rn. 12 zu § 51 Abs. 3 AuslG a. F; und BVerfG, Beschluss vom 1. März 2000 - 2 BvR 2120/99 - juris LS 4 und Rn. 18 (jeweils wegen einer Strafaussetzung nach § 57 Abs. 1 des Strafgesetzbuches [StGB]) je mwN.

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Die Rechtsfolge des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG ist bereits nach dem Wortlaut („[…] findet keine Anwendung […]“) zwingend.

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A. A. im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention und den Ausnahme- und Gefahrenabwehrcharakter der Norm Marx, AsylG § 3 Rn. 82.

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2. Bei Beachtung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm begehrten flüchtlingsrechtlichen Rechtstellungen.

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a) Er hat […] 2014 eine Vergewaltigung begangen und ist deshalb zu einer erheblichen Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Für seine Gefährlichkeit spricht bereits der Tathergang. Bei der Tat war der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts durch vorangegangenen Alkoholgenuss allenfalls enthemmt gewesen, wenn dies die Tat auch begünstigt habe. Er hat den Geschlechtsverkehr mit dem Opfer durch Gewalt erzwungen, wenn die von ihm eingesetzte Gewalt sich nach den Feststellungen des Landgerichts auch am unteren Rand dessen bewegte, was in vergleichbaren Fällen erfahrungsgemäß vorkommt. Zudem hat er bei der Vollziehung des Geschlechtsverkehrs kein Kondom benutzt, was das Opfer der Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft und einem Ansteckungsrisiko mit einer tödlichen Krankheit ausgesetzte habe. Das Opfer ist seit der Tat ein ängstlicher Mensch, der sich nach Einbruch der Dunkelheit allein kaum noch vor die Tür traue (vgl. im Einzelnen Landgericht, Urteilsumdruck, S. 11 f. [Beiakte 2]).

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b) Es kann nicht festgestellt werden, dass vom Kläger keine Wiederholungsgefahr ausgeht. Insbesondere handelte es sich bei der Straftat um keine Beziehungstat. Dies spricht im vorliegenden Fall bereits für eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Zwar hat sich der Kläger im Strafvollzug – soweit ersichtlich – „ordentlich geführt“. Bislang konnte er aber insbesondere nicht forensisch hinsichtlich seiner potentiellen Gefährlichkeit begutachtet werden, so dass keinerlei diesbezügliche positive Gesichtspunkte bekannt sind. Nach seinem Vortrag konnte insbesondere keine Strafaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe erfolgen, weil keine günstige Prognose gestellt werden konnte, ob dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden könnte. Zudem enthält der vom Gericht beigezogene Zwischenbericht des Psychologen der Justizvollzugsanstalt vom 9. März 2018 folgende differenzierende Ausführungen:

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„Dezente Fortschritte sind aktuell aus psychotherapeutischer Sicht erkennbar und Herr A. [= Kläger] weiß grundsätzlich um die Strafbarkeit seiner Tat – er versteht. Es geling ihm zunehmend besser zu verstehen/zu erkennen, was zu dieser Tat führte. Aus psychotherapeutischer Sicht ist grundsätzlich zu konstatieren, dass eine Behandlung geeignet ist, das Risiko der erneuten Begehung einer schweren Straftat zu mindern. Aus fachlicher Sicht wäre eine exposition in vivo grundsätzlich erforderlich, um die Behandlung abschließen zu können, abrunden zu können. Da es für Herrn A. in Mecklenburg-Vorpommern derzeit keine Sozialkontakte gibt, wird dies im Vollzugsverlauf also kaum möglich sein. Die Behandlung wird erst nach Haftentlassung über die Fortsetzung der Psychotherapie in der Forensischen Ambulanz abgeschlossen werden können.“

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Indessen müssten - worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat - zentrale Fragestellungen, insbesondere zu sexuellen Gesichtspunkten noch bearbeitet werden (S. 2 f.).

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c) Zu beachten ist aus der Sicht des Gerichts auch, dass nach einer neuen Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe

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- Schnellrecherche der SFH Länderanalyse vom 13. Februar 2018 zu Eritrea: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, S. 4 ff. mwN. -

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sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Eritrea auch außerhalb des Nationaldienstes im häuslichen Bereich verbreitet ist und vom eritreischen Staat trotz entsprechender Strafbestimmungen nicht oder allenfalls unzureichend verfolgt wird. Insofern ist von faktischer Straflosigkeit entsprechender Straftaten auszugehen. Dieses müsste nach Auffassung des Gerichts bei der Aufarbeitung ggf. berücksichtigt werden, weil der Kläger u. U. diesbezüglich sozialisiert sein könnte.

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d) Insgesamt kann nach allem nicht die positive Feststellung getroffen werden, dass vom Kläger trotz seiner in Deutschland begangenen Straftat keine Gefährlichkeit mehr ausgeht. Auch die oben zitierte Stellungnahme des Psychologen lässt derzeit nicht erkennen, dass der Kläger ungefährlich ist. Dass eine rechtzeitige Aufarbeitung wegen mangelnder Initiative der Strafvollzugsbehörden bei der Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse möglicherweise nicht hat erfolgen können, führt zu keiner anderen Bewertung, weil die genannten positiven Voraussetzungen in § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG zwingend sind.

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3. Der hilfsweise gestellte Antrag, das Verfahren im Hinblick auf anstehende strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen auszusetzen, wird gemäß § 94 VwGO abgelehnt. Zunächst hat der Kläger keine solche konkret anstehende Entscheidung bezeichnet. Eine strafvollrechtliche Entscheidung ist zudem für die flüchtlingsrechtliche Entscheidung nicht in einem Sinne vorgreiflich, dass von jener Entscheidung der Ausgang des vorliegenden Verfahrens zwingend abhängig wäre. Auch eine positive strafvollstreckungsrechtliche Entscheidung wäre nicht in dem Sinne vorgreiflich, dass dem Kläger der Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz zuzusprechen wäre. Zum einen sind diese flüchtlingsrechtlichen Rechtsstellungen von weiteren Voraussetzungen nach §§ 3 ff. und § 4 AsylG abhängig. Zum anderen würde eine positive vollstreckungsrechtliche Beurteilung - wie oben erläutert - nicht zwingend zu einer anderen Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers führen, sondern stellt einen von mehreren Gesichtspunkten dar, die bei der Entscheidung zu berücksichtigen sein könnten.

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4. Der Inhalt des nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen Schriftsatzes des Klägers bietet keinen Anlass, die mündliche Verhandlung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wieder zu eröffnen.

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III. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger gemäß §§ 155 Abs. 2 und 154 Abs. 1, VwGO auf Grund der teilweisen Klagerücknahme und im Übrigen als Unterliegender zu tragen. Das Verfahren ist gemäß § 87b AsylG gerichtskostenfrei. Von einer Erklärung der Vollstreckbarkeit des Urteils sieht das Gericht gemäß § 167 Abs. 2 VwGO ab.

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