Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (4. Kammer) - 4 A 3914/17 SN

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin ficht Bescheide über Trinkwasseranschlussbeiträge an.

2

Sie ist eine in kommunaler Hand befindliche Wohnungsbaugesellschaft mbH; Gesellschafterinnen sind nach Angaben der Klägerin die Stadt N. und die Gemeinden, die dem früheren Amt N. angehörten.

3

Die Klägerin ist laut Grundbuch und dem nachfolgenden Beitragsbescheid vom 18. Juli 2016, Bescheidnummer W2016002111, für das dort genannte Grundstück mit der postalischen Anschrift N. Straße ..., Erbbauberechtigte, nach Angaben der Klägerin allerdings bereits schon damals kraft Konfusion Eigentümerin des Grundstücks, und im Übrigen Wohnungseigentümerin und Miteigentümerin zu verschiedenen Anteilen diverser mit Mehrfamilienhäusern („Wohnblöcke“) bebauter Grundstücke in der T.-K.-Straße in N. Wegen der Einzelheiten, insbesondere zur Flurstücksbezeichnung, postalischen Anschrift und zum genauen Miteigentumsanteil wird auf die nachfolgenden Beitragsbescheide Bezug genommen.

4

Die Beklagte erhob von der Klägerin mit Bescheiden über einen Trinkwasseranschlussbeitrag vom 18. Juli 2016, Bescheidnummern

5

- W2016002111

- W2016002151

- W2016002153

- W2016002182

- W2016002180

- W2016002197

- W2016002194

- W2016002192

- W2016002190

- W2016002185

- W2016002187

- W2016002189

- W2016002191

- W2016002193

- W2016002195

- W2016002200

- W2016002198

- W2016002183

- W2016002196

- W2016002188

- W2016002184

- W2016002181

- W2016002179

- W2016002178

- W2016002177

- W2016002152,

6

Bescheiden über einen Trinkwasseranschlussbeitrag vom 27. Juli 2016, Bescheidnummern

7

- W2016002086

- W2016002085

- W2016002089

- W2016002087

- W2016002109

- W2016002105

- W2016002102

- W2016002110

- W2016002108

- W2016002106

- W2016002101

- W2016002099

- W2006002097

- W2016002095

- W2016002090

- W2016002088

- W2016002092

- W2016002098

- W2016002096

- W2016002100

- W2016002094 und

8

Bescheid über einen Trinkwasseranschlussbeitrag vom 15. November 2016, Bescheidnummer W2016003872, entsprechende Beiträge in der dort jeweils aufgeführten Höhe.

9

Die binnen Monatsfrist erhobenen Widersprüche gegen diese Bescheide wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 5., 11., 13. und 14. September 2017 zurück.

10

Daraufhin hat die Klägerin am 5. Oktober 2017 Klage erhoben, mit der sie vorträgt:

11

Die den Beitragsbescheiden zugrunde liegende Beitragssatzung Trinkwasser sei bereits formell rechtswidrig. Insbesondere verstoße die Satzung gegen die gesetzlichen Bekanntmachungsvorschriften. Entgegen § 24 Abs. 1 der Verbandssatzung, wonach öffentliche Bekanntmachungen von Satzungen durch Veröffentlichung auf der Internetseite des Zweckverbands erfolgten, sei die Beitragssatzung Trinkwasser laut Satzungstext in der Ostsee-Zeitung, Ausgabe Wismarer Zeitung, am 15. Mai 2012 veröffentlicht worden. Eine öffentliche Bekanntmachung auf der Internetseite des Zweckverbands sei nicht erfolgt.

12

Folge man dem Vortrag der Beklagten, habe der Verband seine Bekanntmachungsweise geändert, sodass er nunmehr das Verbandsrecht auf der Internetseite des Verbands bekanntgebe. Demzufolge hätte auch die Verbandssatzung, die vorgebe, dass das Verbandsrecht nunmehr formell rechtmäßig im Internet bekannt zu machen sei, im Internet formell rechtmäßig bekannt gemacht werden müssen.

13

Dadurch, dass durch die aktuelle Verbandssatzung die Internetveröffentlichung als wirksame Bekanntmachungsform festgelegt werde, sei es für den Rechtsanwender nicht feststellbar, ab welchem Zeitpunkt die Bekanntmachung im Bekanntmachungsblatt Ostsee-Zeitung habe erfolgen müssen und ab welchem Zeitpunkt die Internetveröffentlichung die richtige Veröffentlichungsform darstelle. Der Rechtsanwender müsse aber zweifelsfrei erkennen können, welche Bekanntmachungsform zu welchem Zeitpunkt greife. Dies sei logische Voraussetzung für die formelle Rechtmäßigkeit einer Satzung. Denn ansonsten würde die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 1 der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung leer laufen.

14

Darüber hinaus verstoße die öffentliche Bekanntmachung der Beitragssatzung Trinkwasser in der Ostsee-Zeitung gegen § 6 Satz 1 der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung. Danach sei die öffentliche Bekanntmachung in einer Zeitung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 dieser Verordnung zulässig, wenn in dieser auf den amtlichen Bekanntmachungsteil hingewiesen werde. Ausweislich der vom Zweckverband übermittelten „Lokalanzeigen“ sei die Veröffentlichung jedoch unter „Nichtamtliche Bekanntmachungen“ erfolgt. Auch dieser Verstoß führe letztendlich zur (nicht heilbaren) Unwirksamkeit der Beitragssatzung Trinkwasser.

15

Die Beitragssatzung Trinkwasser sei darüber hinaus materiell rechtswidrig. Sie setze die Vorgaben der Ermächtigungsgrundlagen nicht rechtmäßig um.

16

§ 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V sehe vor, dass zur Deckung des Aufwands für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebundenen Versorgung mit Wasser Anschlussbeiträge erhoben werden sollten. § 22 Abs. 1 der Satzung über die öffentliche Wasserversorgung des Zweckverbands sehe hingegen vor, dass zur Deckung dieses Aufwands ein Anschlussbeitrag nach der Beitragssatzung erhoben werde. Auch die Beitragssatzung gehe von einer Beitragspflicht aus und ignoriere das gesetzlich vorgegebene Ermessen bei der Beitragserhebung.

17

Ferner seien die weiteren Ermächtigungsgrundlagen für die Beitragssatzung und die Beitragsbescheide rechtswidrig.

18

Die Anwendung von § 9 Abs. 3 KAG M-V in der seit dem 31. März 2005 geltenden Fassung unterliege durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Verbots der echten Rückwirkung, die grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zulässig sei.

19

Die Grundstücke der Klägerin hätten die Anschlussmöglichkeit bereits zu DDR-Zeiten erhalten. Insoweit bestimme § 9 Abs. 3 KAG M-V in der genannten Fassung jedoch, dass die Beitragspflicht nicht schon mit der Anschlussmöglichkeit des Grundstücks entstehe, sondern frühestens mit In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Beitragssatzung. Die erste rechtswirksame Beitragssatzung beeinflusse den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht und lege diesen fest. Diese Regelung entfalte in Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG nicht mehr hätten erhoben werden können, echte Rückwirkung. Nach der letztgenannten früheren Vorschrift sei die Beitragspflicht entstanden, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit Inkrafttreten der Satzung, soweit diese keinen späteren Zeitpunkt bestimme.

20

Nach der alten Regelung habe die sachliche Beitragspflicht für Grundstücke in Fällen, in denen die erste Beitragssatzung unwirksam gewesen sei, nur noch durch eine nachfolgende wirksame Beitragssatzung begründet werden können, die rückwirkend auf das Datum des formalen Inkrafttretens der ersten, unwirksamen in Kraft gesetzt worden sei. War zum Zeitpunkt der Erlasses einer (vermeintlich) wirksamen Satzung die Festsetzungsfrist von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die unwirksame Satzung habe in Kraft treten sollen, bereits abgelaufen, habe die Beitragspflicht nur für eine juristische Sekunde entstehen können, sei dann aber gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 lit. b KAG M-V i. V. m. §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 1 AO sofort verjährt und damit erloschen (BVerfG, Entsch. v. 12. Nov. 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –; LG Cottbus, Urt. v. 5. Juli 2017 – 3 O 407/16 –). Die Anknüpfung der Änderung des Kommunalabgabengesetzes an die Rechtswirksamkeit der Satzung begründe eine echte Rückwirkung.

21

§ 9 Abs. 3 KAG M-V in der Fassung 2005 sei dabei nicht als Klarstellung, sondern als konstitutive Änderung der alten Rechtslage zu behandeln. Dies habe im Ergebnis zur Folge, dass es in den Fällen der altangeschlossenen Grundstücke bei der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG verbleibe (so auch OVG Berlin-Brandenburg für inhaltsgleiche Vorschriften des dortigen Kommunalabgabengesetzes, Urteil vom 11. Februar 2016 – OVG 9 B 1.16 –). § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG müsse nach wie vor auf Fälle anwendbar sein, in denen der Anschlussbeitrag zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits festsetzungsverjährt gewesen wäre, wenn der Satzungsgeber eine wirksame Beitragssatzung erlassen hätte, die auf den nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG maßgeblichen Zeitpunkt zurückgewirkt hätte.

22

Das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG – gemeint ist wohl Art. 20 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 GG – verbiete es, gegen das hier relevante Verbot der echten Rückwirkung zu verstoßen. Gleiches gelte für das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Willkürverbot. Die Beachtung der dem Vertrauensschutz vorgelagerten Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit seien ein verfassungsrechtliches Gebot. Die Rückwirkung von Gesetzen verstoße gegen die sich aus der Rechtssicherheit ergebenen Grundsätze der Unverbrüchlichkeit und der Bestimmtheit des Rechts. Die Rechtssicherheit müsse als wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips gewahrt werden. Dies gehe konform mit dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015. Danach läge im Hinblick auf die Heranziehung der Altanschließer keine hinreichenden Gründe vor, die eine echte oder unechte Rückwirkung von § 9 Abs. 3 KAG M-V hätten rechtfertigen können. Das allgemeine Ziel der Umgestaltung des Abgabenrechts sowie fiskalische Gründe – nämlich das öffentliche Interesse an der Refinanzierung der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage – rechtfertigten laut Bundesverfassungsgericht die rückwirkende Abgabenbelastung nicht. Diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und weitere Gerichte würden auch im vorliegenden Fall.

23

Zwar sei hier die sachliche Beitragspflicht mangels einer vor der Neuregelung erlassenen wirksamen Beitragssatzung Trinkwasser noch nicht entstanden gewesen und damit auch noch nicht wegen Festsetzungsverjährung erloschen. Ein nachträglicher Eingriff in einen abgeschlossenen Sachverhalt liege aber dennoch vor, weil eine Veranlagung der Grundstücke zu einem Herstellungsbeitrag rechtlich nicht mehr möglich gewesen wäre, wenn es bei der seinerzeitigen Gesetzeslage in der Fassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG geblieben wäre. Die sachliche Beitragspflicht habe für ihre Grundstücke nach dieser Vorschrift nicht mehr wirksam entstehen können, da in seiner Anwendung mit dem Entstehen der Beitragspflicht (eine entsprechend weit zurückwirkende und zugleich wirksame Satzung unterstellt) sogleich die Festsetzungsverjährung einträfe. Die alte Vorschrift sei nach einschlägiger Rechtsprechung (OVG Brandenburg, Urteil vom 8. Juni 2000 – 2 D 29.98 –; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Dezember 2007 – OVG 9 B 45.06 –) dahingehend zu verstehen, dass eine formell oder materiell rechtswidrige und damit nichtige Beitragssatzung wegen ihrer Nichtigkeit zwar nicht ausreiche, um die sachliche Beitragspflicht entstehen zu lassen, ihr Erlass aber gleichwohl für den Zeitpunkt bedeutsam sei, zudem die sachliche Beitragspflicht überhaupt noch durch eine nachfolgende wirksame Satzung zu Entstehung gebracht werden könne. Zum einen sei das in der ersten Beitragssatzung mit formalem Geltungsanspruch geregelte Inkrafttretensdatum unbeschadet der fehlenden Wirksamkeit der Satzung der Zeitpunkt, zudem nach dem Willen des Gesetzgebers die sachliche Beitragspflicht für alle bis dahin schon anschließbaren Grundstücke zu Entstehung gebracht werden müsse. Zum anderen reiche das Vorhandensein einer solchen Satzung aus, um in Bezug auf alle erst später anschließbaren Grundstücke das Datum der Schaffung der Anschlussmöglichkeit zu dem für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht maßgeblichen Zeitpunkt zu machen. Eine nachfolgende wirksame Satzung könne die sachliche Beitragspflicht für die genannten Grundstücke nur begründen, soweit sie mit Rückwirkung auf diese Zeitpunkte erlassen werde. Durch diese Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG werde sichergestellt, dass der Beginn der gesetzlichen Festsetzungsfrist nicht vom Erlass der ersten rechtswirksamen Satzung abhänge und sich damit unter Umständen um viele Jahre nach hinten schieben könne, soweit Satzungen immer wieder wegen Rechtsfehlern unwirksam seien. Sie, die Klägerin, habe als potenziell beitragspflichtige Grundstückseigentümerin aufgrund eines unwirksamen ersten Satzungsversuchs des zuständigen Entsorgungsträgers darauf vertrauen können, dass ein weiterer, wirksamer Satzungsversuch zwar möglicherweise die Beitragspflicht zur Entstehung bringen würde, diese aber im gleichen Moment verjährt wäre, sie also nach mehr als einem viertel Jahrhundert nicht mehr zu den Beiträgen von Trinkwassern herangezogen werden würden.

24

Die vom Bundesverfassungsgericht für das Land Brandenburg aufgestellten Grundsätze müssten auch für die Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern herangezogen werden.

25

Rechtswidrig sei weiterhin § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in seiner neuen Fassung. Dass die Verjährungsfrist mit Ablauf des 31. Dezembers 2000 beginnen solle, sei vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verfassungsrechtlich bedenklich.

26

Im Entwurf des Kommunalabgabengesetzes sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, dass damit berücksichtigt worden sei, dass der Zweckverband „aufgrund ständiger Rechtsprechung davon ausgehen konnte“, dass eine Beitragserhebung erst ab Vorliegen einer gültigen Satzung möglich sei. Dem Zweckverband werde mit dieser Regelung die Möglichkeit eingeräumt, die Voraussetzung für eine wirksame Beitragserhebung für den Ausgleich von Vorteilen zu schaffen, die in der Vergangenheit begründet seien. Eine differenzierende Abwägung durch den Gesetzgeber sei hier nicht erkennbar. Unberücksichtigt bleibe, warum der Zweckverband die Beitragserhebung bis dato nicht vorgenommen habe und warum er von der ihm gesetzlich eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, per Satzungsbestimmung die Beitragspflicht zu einem späteren Zeitpunkt entstehen zu lassen. Es werde außerdem nicht unterschieden, ob der Zweckverband (unwirksame) Satzungen erlassen oder ob sie bis dato – entgegen der gesetzlichen Beitragserhebungspflicht – überhaupt kein Satzungswerk in Kraft gesetzt hätten. Damit werde deutlich, dass die Regelung allein fiskalischen Zwecke diene und diesem Anliegen die Interessen der Beitragsschuldner, nicht nach mehr als zwei Jahrzehnten der Ungewissheit noch mit einer Heranziehung rechnen zu müssen, untergeordnet werde. Der Zweckverband profitiere von einer bis dahin verfassungswidrigen Rechtslage, deren vom Bundesverfassungsgericht kritisierten Ergebnisse zu Ungunsten der Beitragspflichtigen damit bis zum 31. Dezember 2020 ausstrahlten. Die Beitragspflichtigen würden noch bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Rechtslage konfrontiert, die es sieben Jahre nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 ermögliche, Beitragsansprüche fast drei Jahrzehnte nach Entstehen der Vorteilslage doch noch zur Entstehung zu bringen. Dieses Resultat unterscheide sich nicht von einer Restauration und einstweiligen Weitergeltung der alten – verfassungswidrigen – Rechtslage. Sie stelle jedenfalls im Ergebnis eine Umgehung der verfassungsrechtlichen Vorgaben dar.

27

Zwar stehe dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbiete es jedoch, die berechtigen Interessen der Beitragspflichtigen völlig unberücksichtigt zu lassen. Auch bei einer prinzipiell zulässigen „unechten“ rückwirkenden Änderung von Gesetzen müsse zwischen dem fiskalischen Interesse des Staates und den berechtigten Interessen der Beitragspflichtigen abgewogen werden. Auch wenn es zutreffe, dass kein Vertrauensschutz dahingehend bestehe, dass das geltende Recht zukünftig unverändert bleibe, betreffe dies in der Regel Rechtsänderungen mit Wirkung für die Zukunft, nicht mit Wirkung für die Vergangenheit. Bei der Gesamtbewertung der Zulässigkeit einer Rückwirkung seien das Gewicht des enttäuschten Vertrauens einerseits und das Gewicht und die Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe andererseits abzuwägen. Somit gelte, dass fiskalische Interessen von vornherein nicht die zeitlich unbegrenzte Erhebung von Beitragsforderungen rechtfertigten. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, insbesondere den Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung, bei der Gründung von Zweckverbänden, der erstmaligen Schaffung von wirksamem Satzungsrecht und der Lösung des Alternativproblems. Fiskalische Interessen rechtfertigten aber auch nicht eine rückwirkende Anpassung einer Rechtslage, wenn bei den Betroffenen durch die alte Rechtslage hinreichend Vertrauen habe erwachsen können, dass eine Forderung nicht mehr wirksam erhoben werden könne.

28

Der Gesichtspunkt des auch in Zukunft fortwirkenden Sondervorteils der Betroffenen rechtfertige zwar prinzipiell eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach dem verwirklichten Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch dürfe der Beitragspflichtige bei einem immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgang nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob er noch mit Belastungen zu rechnen habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die sich um Jahrzehnte verschobene Erhebung der Beitragsforderung auf ein Eigenverschulden der öffentlichen Hand beruhe. Je mehr Zeit seit dem beitragspflichtigen Ereignis vergangen sei und je mehr die verspätete Erhebung der Beitragsforderung auf einem Eigenverschulden der öffentlichen Hand beruhe, desto weniger sei dem Beitragspflichtigen eine Heranziehung zuzumuten.

29

Mit der Änderung des Kommunalabgabengesetzes sei nunmehr eine Verjährungsfrist von 20 Jahren bei einer gleichzeitigen Hemmung von zehn Jahren vorgesehen. Die regelmäßige Verjährungsfrist des Bürgerlichen Gesetzbuchs betrage drei Jahre, bei Rechten an Grundstücken zehn Jahre. Nur im Ausnahmefall sei eine 30-jährige Verjährungsfrist vorgesehen. Die Grundgedanken dieser maximal 30-jährigen Verjährungsfrist könnten der Regelung des § 197 BGB ohne weiteres – was näher ausgeführt wird – entnommen werden. Nur dann, wenn entweder eine grundrechtsrelevante Position betroffen sei oder aber ein besonderes Verfahren die Eindeutigkeit einer Rechtslage für alle Beteiligten erkennbar bestätigt habe, sehe es der Gesetzgeber als gerechtfertigt an, die Verjährungsfrist von 30 Jahren heranzuziehen. Ähnlich verhalte es sich – was ebenfalls näher ausgeführt wird – mit den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Hemmung. Eine Rechtfertigung der Hemmung bis zum Ende des Jahres 2000 gebe es nach den gesetzlich anerkannten Hemmungsgründen daher nicht. Das Datum erscheine willkürlich und führe letztlich dazu, dass die Verjährungsfrist tatsächlich nicht 20, sondern 30 Jahre betrage, also die maximal und nur ganz ausnahmsweise zulässige Verjährungsfrist des Bürgerlichen Gesetzbuchs erreiche. Aber auch für die 30-jährige Verjährungsfrist liege nach dem Grundgedanken des Bürgerlichen Gesetzbuchs keine Rechtfertigung vor, da keine der genannten Fallgruppen einschlägig sei. Der weite und gerichtlich überprüfbare Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers werde durch die sachlich nicht gerechtfertigten Hemmungs- und Verjährungsvorschriften überschritten. Auch die Bezugnahme auf die Abgabenordnung trage eine solche Rechtfertigung nicht. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, warum Steuern, die ja ebenfalls den fiskalischen Interessen des Staates dienten, nur in einem sehr überschaubaren Zeitraum erhoben werden könnten, wären Beiträge nach dem Kommunalabgabengesetz noch 30 Jahre nach Eintritt des beitragspflichtigen Ereignisses erhoben werden könnten.

30

Auch ein Blick in das öffentliche Recht offenbare die sachlich nicht gerechtfertigte 30-jährige Verjährung der Beitragsforderung. § 53 Abs. 2 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowohl des Bundes als auch des Landes Mecklenburg-Vorpommern sehe nur ganz ausnahmsweise eine 30-jährige Verjährung für eine unanfechtbaren Verwaltungsakt vor, eine Fallkonstellation, die vorliegend nicht gegeben sei.

31

Zudem müsse die Abwägung der Interessen der Beitragspflichtigen und der fiskalischen Interessen unter Berücksichtigung des sehr langen 27-jährigen Zeitraums sowie des Eigenverschuldens der nicht rechtmäßigen Erhebung der Beiträge durch die öffentliche Hand zur Verfassungswidrigkeit des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V führen.

32

Schließlich sei auch die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG verfassungswidrig. Dies gelte umso mehr, als der jeweils angegriffene Bescheid noch vor Inkrafttreten des 2016 geänderten Kommunalabgabengesetzes versandt worden sei.

33

Die Klägerin beantragt,

34

1. die Bescheide über einen Trinkwasseranschlussbeitrag vom 18. Juli 2016, Bescheidnummern

35

- W2016002111

- W2016002151

- W2016002153

- W2016002182

- W2016002180

- W2016002197

- W2016002194

- W2016002192

- W2016002190

- W2016002185

- W2016002187

- W2016002189

- W2016002191

- W2016002193

- W2016002195

- W2016002200

- W2016002198

- W2016002183

- W2016002196

- W2016002188

- W2016002184

- W2016002181

- W2016002179

- W2016002178

- W2016002177

- W2016002152

- W2016002177

- W2016002152,

36

2. die Bescheide über einen Trinkwasseranschlussbeitrag vom 27. Juli 2016, Bescheidnummern

37

- W2016002086

- W2016002085

- W2016002089

- W2016002087

- W2016002109

- W2016002105

- W2016002102

- W2016002110

- W2016002108

- W2016002106

- W2016002101

- W2016002099

- W2006002097

- W2016002095

- W2016002090

- W2016002088

- W2016002092

- W2016002098

- W2016002096

- W2016002100

- W2016002094 und

38

3. den Bescheid über einen Trinkwasseranschlussbeitrag vom 15. November 2016, Bescheidnummer W2016003872,

39

sowie die dazu jeweils erlassenen Widerspruchsbescheide vom 5., 11., 13. und 14. September 2017 aufzuheben.

40

Die Beklagte beantragt,

41

die Klage abzuweisen,

42

und trägt dazu vor wie im Parallelverfahren 4 A 4330/17 SN.

43

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 18. April 2018 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

44

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Juni 2018, am gleichen Tag bei Gericht per Telefax eingegangen, unter dem Aktenzeichen des parallelen Verfahrens 4 A 4330/17 SN Ausführungen insbesondere zur Grundrechtsträgerschaft gemacht.

Entscheidungsgründe

45

Der Schriftsatz vom 15. Juni 2018 konnte vom Gericht nicht berücksichtigt werden, da er nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen ist. Er veranlasst das Gericht auch nicht, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, zumal dort nur Rechtsvortrag ausgeführt wird.

46

Die im Wege der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO zulässige Anfechtungsklage gegen die Vielzahl der hier streitgegenständlichen Bescheide über Anschlussbeiträge Trinkwasser hat keinen Erfolg.

47

Die im Tatbestand und Klageantrag aufgeführten Trinkwasseranschlussbeitragsbescheide und die korrespondierenden Widerspruchsbescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

A)

48

I. Die Klägerin kann sich mangels grundrechtstypischer Gefährdungslage nicht auf den Schutz der Grundrechte berufen. Zwar ist sie vordergründig eine juristische Person des Privatrechts, doch sind deren Gesellschafter ausschließlich Kommunen, für die die Grundrechte nicht gelten. Diesen Grundsätzen können sich Gemeinden nicht durch Rückgriff auf ihre auch zivilrechtlichen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten entziehen. So kann die Klägerin etwa nicht den Schutz der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, ggf. als Landesgrundrecht i. V. m. Art. 5 Abs. 3 LVerfG M-V, in Anspruch nehmen (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 23. Juli 2002 – 2 BvR 403/02 –, juris Rn. 11; BVerfG, Beschl. v. 14. April 1987 – 1 BvR 775/84 –, BVerfGE 75, 192 ff., hier zitiert aus juris, Rn. 17 m. w. N.; Urt. des Gerichts v. 23. Febr. 2018 – 4 A 2088/16 SN –, S. 4 des amtlichen Umdrucks m. w. N. aus seiner Rechtsprechung) oder die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, ggf. als Landesgrundrecht i. V. m. Art. 5 Abs. 3 LVerfG M-V (Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 14. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 8 m. w. N.); ebenso wenig schützt sie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. April 1987, a. a. O., Rn. 23 m. w. N., Jarass, a. a. O., Art. 3 Rn. 5 und Art. 19 Rn. 26; vgl. auch Urt. des Gerichts v. 23. Febr. 2018, a. a. O., S. 13 des amtlichen Umdrucks).

49

Soweit manche Kommunen und zugleich Mitglieder des Zweckverbands als unmittelbare Eigentümerin veranlagter Grundstücke oder mittelbar als juristische Person des Privatrechts, der solche Grundstücke gehören, sich gegen das „Ob“ ihrer Heranziehung gegen den eigenen Zweckverband wenden, scheuen sie offenbar auch nicht mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG, den sie gegen sich sehr wohl geltend lassen müssen, ohne jede Bedenken private Eigentümer in ihrer Kommune durch den Zweckverband in Anspruch nehmen zu lassen, während sie selbst für ihr unmittelbares oder mittelbares kommunales Grundeigentum aber nicht veranlagt werden wollen.

50

Es ist jedenfalls aber grob treuwidrig entsprechend den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, als Gemeinde freiwillig einem Zweckverband beizutreten und ihm insoweit die entsprechenden öffentlichen Aufgaben zu übertragen, dann aber gegen die eigene beitragsrechtliche Inanspruchnahme bei ihr mittelbar oder unmittelbar gehörenden Grundstücken gegen den eigenen Zweckverband dem Grunde nach Einwände zu erheben, namentlich solche verfassungsrechtlicher Art.

51

Zur Klarstellung sei angemerkt, dass es allerdings auch einer zweckverbandsangehörigen Gemeinde oder von ihr beherrschten juristischen Person des Privatrechts rechtlich ohne weiteres zusteht, gegen das „Wie“ ihrer Veranlagung vorzugehen, etwa im Hinblick auf individuelle Fehler bei der Heranziehung (falsche Grundstücksgröße, falsche Vollgeschosszahl usw.).

52

Für den Fall, dass dies andernorts (Greifswald, Leipzig, Karlsruhe, Straßburg) anders gesehen wird, beurteilt das Gericht die verfassungsrechtliche Sach- und Rechtslage vorsorglich wie folgt:

53

II. Im Hinblick auf die „multiple“ verfassungsrechtliche Problematik des hiesigen Beitragsrechts verweist das Gericht zum einen auf das Urteil der Kammer vom 21. November 2016 in der Sache 4 A 94/11, an dessen Ausführungen es – in ständiger Rechtsprechung (zuletzt im Urt. v. 15. Mai 2018 – 4 A 2103/16 SN –) und auch im vorliegenden Fall – festhält:

54

„... Die Kammer hat keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der Rechtsgrundlagen der dem hier angegriffenen Beitragsbescheid zugrunde liegenden Schmutzwasserbeitragssatzung im Kommunalabgabengesetz, weder im Hinblick auf § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V in der Fassung des Ersten Änderungsgesetzes vom 14. März 2005 (dazu unter I.) noch im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung des – nach Neubekanntmachung des Gesetzes vom 12. April 2005 – Ersten Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 (dazu unter II.).

55

I. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V in der seit dem 31. März 2005 geltenden Fassung ist verfassungsgemäß.

56

... Dem zwei Verfassungsbeschwerden stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 – (NVwZ 2016, 300 und etwa juris) zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg liegt eine andere Sach- und Rechtslage zugrunde und er bindet die Kammer allein deswegen schon nicht. Dort ging es um Fragen der gesetzlichen Rückwirkung einer Änderung des Brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes. Das hiesige Landesrecht beinhaltet aber im Hinblick auf die Änderung des Kommunalabgabengesetzes durch Einfügung des Wortes „wirksam(en)“ keine – weder eine echte noch eine unechte – Rückwirkung.

57

Die hiesige zuvor geltende gesetzliche Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 wurde nicht mit dem Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 im nunmehr geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in dem Sinne geändert, dass dadurch („wieder“) Anschlussbeiträge erhoben werden konnten, die nach der vormals geltenden Vorschrift bzw. deren Auslegung – etwa wegen zwischenzeitlich bereits eingetretener Festsetzungsverjährung – nicht mehr hätten erhoben werden dürfen. Ebenso wenig wurde in eine laufende Frist, etwa in den Lauf der Festsetzungsverjährung, eingegriffen.

58

a) Anders als im Kommunalabgabenrecht des Landes Brandenburg entsprach es schon vor dem genannten Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (und der erstinstanzlichen Gerichte), die sachliche Anschlussbeitragspflicht unter der Geltung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 frühestens dann entstehen zu lassen, wenn eine wirksame Anschlussbeitragssatzung vorliegt (obergerichtlich, soweit ersichtlich, erstmals im Beschluss vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 – ausgesprochen, siehe danach etwa OVG Greifswald, Urteil vom 13. November 2001 – 4 K 16/00 –, juris Rn. 65, Urteil vom 2. Juni 2004 – 4 K 38/02 –, juris Rn. 76 m. w. N.; vgl. die weiteren obergerichtlichen Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung, in: ders./Siemers/Holz/Seppelt, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, 33. Ergänzungslieferung November 2015, § 9 Erl. 7.2).

59

Soweit man juristisch überhaupt davon sprechen kann, wäre mithin schon zuvor durch die (ober)verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die Rechtslage geprägt gewesen. Der Landesgesetzgeber hat lediglich zur („wahren“, wenngleich – dazu sogleich – juristisch überflüssigen) Klarstellung ausdrücklich in den seit Ende März 2005 geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V das hineingeschrieben, was nach der landesobergerichtlichen Rechtsprechung gegolten hat (ebenso für das Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt das OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016 – 4 L 119/15 -, LKV 2016, 186, 191; OVG Weimar, Urt. v. 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48-56 für das Kommunalabgabengesetz des Landes Thüringen).

60

Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in dem nach hiesiger Urteilsfällung entschiedenen Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 (a. a. O., S. 12 f. des amtlichen Umdrucks) ergänzend Folgendes ausgeführt:

61

„... Dass das Kommunalabgabenrecht in Mecklenburg-Vorpommern die sachliche Anschlussbeitragspflicht nicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entstehen lässt, liegt im rechtlichen Charakter der sachlichen Beitragspflicht begründet. Das Landesrecht geht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Das setzt voraus, dass der Beitrag, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird und der als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V) ruht, auch der Höhe nach ausgeprägt ist. Die sachliche Beitragspflicht steht der Höhe nach unveränderlich fest und begründet mit diesem Inhalt ein abstraktes Beitragsschuldverhältnis. Da die Höhe des Beitrags unter anderem von den Maßstabsregeln und dem Beitragssatz abhängt, die in der Beitragssatzung normiert sind, ist ein Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ausgeschlossen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 - 1 L 323/06 -, juris Rn. 50 f.). Zu einem früheren Zeitpunkt kann die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen. Es ist rechtlich zwingend, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht tatbestandlich vom Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung abhängig zu machen ...“

62

b) Aber nicht einmal um die Frage einer durch Rechtsprechung zu klärenden Gesetzesauslegung und ihrem späteren textlichen Einfließen in das ausgelegte Gesetz ging und geht es hier bei genauerer Betrachtung des geltenden Landesrechts im Lichte des Grundgesetzes wie auch der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern letztlich.

63

Das Kommunalabgabengesetz ist – wie wohl mindestens ganz überwiegend auch die entsprechenden Gesetze anderer Bundesländer - dadurch geprägt, dass es nicht bereits auf der Ebene dieses Parlamentsgesetzes das Entstehen der sachlichen („abstrakten“) Beitragspflicht normiert, sondern dazu zwingend eine satzungsrechtliche Entscheidung des Ortsgesetzgebers fordert (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, so auch in den Vorgängerfassungen, vorliegend i. V. m. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V).

64

Letztlich hat der Landesgesetzgeber – wie bereits zuvor mit ebensolcher Selbstverständlichkeit und deshalb wohl ohne nähere Darlegung der dahinstehenden juristischen Dogmatik die Verwaltungsgerichte – schlicht einen verfassungsrechtlichen Allgemeinplatz in das Kommunalabgabengesetz geschrieben, der auch ohne ausdrückliche einfachgesetzliche Vorschrift gilt; wohl treffender, wenn er denn unbedingt gesetzlich – im Sinne eines Pleonasmus, vergleichbar etwa mit einer Zeitungsmeldung über eine „tote Leiche“ – erwähnt werden soll, wäre der Hinweis auf die erforderliche Gültigkeit einer Abgabensatzung in § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V zu geben: Abgaben dürfen nur aufgrund einer wirksamen Satzung erhoben werden (vgl. auch das erst nach hiesiger Urteilsfällung ergangene Normenkontrollurteil des OVG Greifswald vom 5. Dez. 2016, a. a. O., S. 7 des amtlichen Umdrucks, wo ebenfalls betont wird, dass „... ohne eine wirksame Satzung gemeindliche Abgaben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 ... KAG M-V ... nicht erhoben werden dürfen ....“).

65

Aus dem Rechtsstaatsprinzip und vor allem dem Wesen der Grundrechte, soweit dies im jeweiligen Grundrecht nicht sogar explizit gefordert wird, ist die rechtliche Selbstverständlichkeit, dass die sachliche Beitragspflicht eine gültige Beitragssatzung erfordert, wie folgt abzuleiten: Ein staatlicher Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts muss durch Schranken dieses Grundrechts legitimiert sein. Mit anderen Worten muss eine Behörde, will sie den Schutzbereich des Grundrechtsträgers beeinträchtigen, dafür eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung haben. Ein staatlicher Eingriff in das hier einschlägige Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 (1. HS) GG, vorliegend verkörpert durch den erlassenen Beitragsbescheid der Beklagten, ist daher nur legitimiert, wenn er Ausdruck der verfassungsrechtlichen Schranke dieses Grundrechts ist.

66

Eine Schranke der Freiheit eines jeden im Geltungsbereich des Grundgesetzes lebenden Menschen, mit seinen Vermögenswerten im Sinne einer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit tun und lassen zu können, was er will, setzt bei dem hier einschlägigen Grundrecht (neben den Rechten anderer und dem Sittengesetz) insbesondere die „verfassungsmäßige Ordnung“ (Art. 2 Abs. 1 [HS 2] GG). Stützt sich ein die allgemeine Handlungsfreiheit berührender Akt der öffentlichen Gewalt auf eine Rechtsnorm, so ist zu prüfen, ob diese Norm zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört, d. h. formell und materiell mit den Normen der Verfassung in Einklang steht (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, etwa BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 1989 – 1 BvR 921/85 –, BVerfGE 80, 137 ff., juris Rn. 62 m. w. N.). Nur, wenn dies bei der – hier – den Grundrechtseingriff rechtfertigenden Beitragssatzung mit seinen materiell-rechtlichen Regelungen der Fall ist und auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, bildet die wirksame Satzung eine wirksame Schranke für die Grundrechtsausübung. Mit anderen Worten zwingt das höherrangige Verfassungsrecht auch im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Beitragsbescheide zur Prüfung, ob die Beitragssatzung formell und materiell (gesamt-)wirksam ist, da die in dem Grundrecht beschriebene Freiheit des Grundrechtinhabers nur mit einem Verwaltungsakt, der sich auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen kann, eingeengt werden darf und kann.

67

Dass dies nichts stets in dieser Ausführlichkeit ausdrücklich angesprochen wird, ändert nichts. Von daher ist auch eine etwaige Begründung des Landesgesetzgebers, in dem der verfassungsrechtliche Umstand einer wirksamen/gültigen Beitragssatzung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ohne Bedeutung ...

68

c) Divergierende Auslegungen des jeweiligen Landesrechts durch andere Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer ... führ(en) auch nicht zur Annahme, es habe bundesweit Verwirrungen im Recht gegeben, die der (hiesige) Landesgesetzgeber zum Anlass für eine Änderung seines Landesrechts genommen habe, die dann auf dem Prüfstand einer gesetzlichen Rückwirkung zu stellen wäre.

69

Wie bereits im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 31. März 2016 ausgeführt, verkennen die Kläger insoweit, dass es in Mecklenburg-Vorpommern – und nur darauf kommt es an – vor dem Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. März 2005 keine Divergenzen in der Auslegung des zuvor geltenden § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 bzw. 1991 gegeben hat; insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Vorliegend handelt es sich um Landesrecht. Zur Auslegung von Landesrecht, hier des Kommunalabgabengesetzes des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern, sind die dortigen Landesfachgerichte, insoweit vorliegend die beiden Verwaltungsgerichte in Schwerin und Greifswald und vor allem das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald berufen, niemals aber die Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer. Der Hinweis, wie andere (Ober-)Ge-richte anderer Bundesländer „ihr“ dort jeweils geltendes Landesrecht, mag es auch wortlautidentisch sein, auslegen, ist nicht geeignet, eine kontroverse Auslegungslage in Mecklenburg-Vorpommern für das nur hier geltende Kommunalabgabengesetz (dieses Bundeslandes) herbeizureden. Die Kläger ignorieren den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik nach Art. 20 Abs. 1 GG („Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“, Hervorhebung durch die Kammer). Eine „länderübergreifende“ Übereinstimmung oder Homogenität in der Auslegung wortgleichen Landesrechts mehrerer Bundesländer ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht erforderlich. Dies gilt auch mit Blick auf das Grundrecht in Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu et al., GG Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 27 m. w. N.). Der allgemeine Gleichheitssatz wird nicht deshalb verletzt, weil ein Bundesland den gleichen Sachverhalt anders behandelt als ein anderes Bundesland, eine Landesbehörde „ihr“ Landesrecht anders anwendet als Landesbehörden anderer Bundesländer „ihr“ jeweiliges Landesrecht oder ein Gericht das dort geltende Landesrecht nicht so auslegt, wie es andere Gerichte in anderen Bundesländern für deren Landesrecht judizieren (vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 14. Aufl. 2014, Rn. 9 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Das Grundrecht fordert die Einhaltung des allgemeinen Gleichheitssatzes nur innerhalb der (hier: Landes-)Grenzen des jeweiligen Rechtssystems bzw. bindet – aus grundrechtlicher Perspektive betrachtet – nur den jeweiligen Träger öffentlicher Gewalt innerhalb des von ihm geschaffenen oder anzuwendenden (hier: Landes-)Rechts für den Kreis der dadurch rechtsunterworfenen Grundrechtsträger.

70

d) Auch die von den Klägern suggerierte Verknüpfung der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 zum hiesigen Kommunalabgabengesetz mit den angeblich „bis dahin“ (korrekt: auch weiterhin) in den einzelnen Bundesländern existierenden unterschiedlichen Auslegungen des einfachen (korrekt: Landes-)Rechts ist juristisch aus den dargelegten Gründen nicht tragfähig.

71

II. Die Kammer hat auch keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit des Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016, insbesondere soweit es die Neufassung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V betrifft.

72

1. Zwar hatte die Kammer nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (veröffentlicht ist beispielhaft die Sache 9 C 19.14, NVwZ-RR 2015, 786 = juris) zwischenzeitlich die Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in Beitragsfällen nach dem Jahr 2008 als verfassungswidrig angesehen und auch ein konkretes Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet (Beschl. v. 31. März 2016, a. a. O.).

73

2. Diese Auffassung ist aber nicht mehr aufrecht zu erhalten, nachdem der Landesgesetzgeber mit dem sog. Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 (GVOBl. S. 584), in Kraft getreten am 30. Juli 2016, in dem geänderten § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V die verfassungsrechtlich geforderte absolute zeitliche Obergrenze für eine Beitragserhebung gesetzt hat:

Abbildung
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

74

Die vormals bestehende verfassungswidrige Unvollständigkeit des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern ist dadurch beseitigt worden. Dem Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfG, Beschl. v. 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 ff.; ebenso etwa Beschl. v. 21. Juli 2016 – 1 BvR 3092/15 –, NVwZ-RR 2016, 889 ff., Rn. 5 f.) ist damit Genüge getan.

75

3. Gegen die vom Landesgesetzgeber getroffene zeitliche Obergrenze einer Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. hat das Gericht keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso OVG Greifswald, Urteile v. 6. September 2016 – 1 L 212/13 und 1 L 217/13 –, juris, Rn. 75 ff. bzw. 74 ff., noch einmal bestätigt in dem nach hiesiger Urteilsfällung entschiedenen Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8/13 –, S. 12 f. des amtlichen Umdrucks; zur ähnlichen Regelung in Sachsen, § 3a Abs. 3 SächsKAG, ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016 – 5 A 493/14 –, LKV 2016, 313 ff. = juris Rn. 12; ebenso für die – allerdings kürzere – Obergrenze nach §§ 13b, 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt das OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016, a. a. O., S. 189; vgl. auch für das Kommunalabgabengesetz des Freistaats Thüringen OVG Weimar, Urt. v. 12. Januar 2016, a. a. O., Rn. 44 ff.).

76

a) Der Landesgesetzgeber hat insoweit einen weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraum, um die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit bei kommunalabgabenrechtlichen Vorteilslagen durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21. Juli 2016, a. a. O., Rn. 8). Diesen Spielraum überschreitet der Landesgesetzgeber nicht, mag er für die seit dem 3. Oktober 1990 bzw. dem – wohl maßgeblichen – Inkrafttreten des (ersten) Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 (KAG 1991) möglichen Anschlussbeitragserhebungsfälle mit den „10+20“-Jahren auch am äußeren (aber „diesseitigen“) zeitlichen Rand der gesetzgeberischen Regelungsalternativen liegen. Hierbei sind – gerade mit Blick auf die circa ersten zehn Jahre vom 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 (Inkrafttreten des KAG 1991) bis Ende des Jahres 2000, die nach der gesetzlichen Vorschrift noch nicht den Lauf der 20jährigen Obergrenze für eine Beitragserhebung in Gang setzen sollen – die besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung zu berücksichtigen, die nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben (grundlegender Verwaltungsumbau, Herstellung kommunaler Strukturen und dafür nötiger Rechtsgrundlagen, Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur) geprägt waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 – 9 C 19/14 u. a. – juris Rn. 17; OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 13; OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016, a. a. O., S. 189). Exemplarisch hervorzuheben sind etwa die in den Anfangsjahren des Landes Mecklenburg-Vorpommern landauf landab vielfach missglückten Versuche der Kommunen, rechtswirksam einen Zweckverband nach den §§ 150 ff. der Kommunalverfassung (KV M-V) in den Aufgabenbereichen der Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu gründen bzw. ihm beizutreten, die den Landesgesetzgeber veranlasst haben, die umfangreichen §§ 170a, 170b KV M-V zur Unbeachtlichkeit von dort aufgeführten Rechtsfehlern bei der Bildung von Zweckverbänden und dem Beitritt zu einem solchen einschließlich der Fiktionen bei Unvollständigkeit der Verbandssatzung zu schaffen.

77

b) Das Gericht hegt auch keine (landes- oder bundes)verfassungsrechtlichen Bedenken mit Blick auf das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten entwickelte Rückwirkungsverbot, soweit § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. – wie vorliegend – auch Vorteilslagen vor dem 30. Juli 2016 bis zurück zum 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 betrifft.

78

aa) Die Bestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung seit dem 30. Juli 2016 beinhaltet zwar wohl nicht nur eine Begünstigung für die seit 3. Oktober 1990 (erster Geltungstag des Grundgesetzes in dem damals zugleich neu/wieder entstandenen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern) bzw. Mitte Mai 1991 in Mecklenburg-Vorpommern Betroffenen durch Beseitigung einer bis dahin bestehenden verfassungswidrigen Rechtslage, sondern dürfte auch grundrechtsbelastend sein, soweit es den frühestmöglichen Zeitpunkt des Eintritts der zeitlichen Obergrenze einer (Anschluss-)Beitragserhebung seit dem 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 auf den Ablauf des Jahres 2020 bestimmt.

79

bb) Art. 1 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 stellt in diesem Fall insoweit eine sog. unechte Rückwirkung dar. Die unechte Rückwirkung eines Gesetzes ist gegeben, wenn eine tatbestandliche Rückanknüpfung stattfindet, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betrifft. Hier wirkt die belastende Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet zugleich die bisherige Rechtsposition nachträglich im Ganzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2012 – 2 BvL 5/10 –, BVerfGE 131, 20-47 = juris Rn. 66 m. w. N.). Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten also erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind. Dies trifft hier auf die seit Oktober 1990/Mai 1991 gegebenenfalls schon vorliegenden Vorteilslagen, also damals schon bestehenden Anschlüssen oder Anschlussmöglichkeiten an das faktisch vorhandene Trinkwasser- oder Abwassernetz aus DDR- oder gar noch „Reichs“-Zeiten zu.

80

Ein Eingriff in einen abgeschlossenen Tatbestand und damit eine echte Rückwirkung liegt dagegen mit Blick auf das Änderungsgesetz nicht vor, auch nicht bei den sich selbst so titulierenden „Altanschließern“, deren Grundstücke also schon vor Mitte Mai 1991 in Mecklenburg-Vorpommern oder vor dem 3. Oktober 1990 in der DDR oder gar dem Deutschen Reich an ein öffentliches Wasser- oder Abwassernetz angeschlossen waren. Sie sind aus den dargelegten Gründen nicht „sakrosankt“; ihre Nichteinbeziehung in die Anschlussbeitragserhebung würde sogar nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, da auch sie einen (erstmaligen) Vorteil i. S. des § 7 Abs. 1 KAG M-V haben (vgl. etwa Urt. v. 6. Sept. 2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 48; auch das BVerwG, Urteile vom 15. April 2015 – 9 C 19/14 u. a. –, juris Rn. 16, hat gegen diese Rechtsauffassung keine bundesrechtlichen Bedenken geltend gemacht).

81

Die unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015 – 2 BvR 1958/13 –, juris Rn. 43 m. w. N.). Dabei ist das durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen. Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren oder ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015, a. a. O., Rn. 44 m. w. N.).

82

So liegen die Dinge auch hier, wie weiter oben dargelegt worden ist. Auch in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, den das Bundesverfassungsgericht auch bei der Problematik rückwirkender Gesetze zunehmend stärker betont, ist es (noch) angemessen, die Obergrenze für eine Beitragserhebung von 20 Jahren zu normieren und zugleich diese „Frist“ in Mecklenburg-Vorpommern erst ca. zehn Jahre nach der Deutschen Einheit bzw. dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 zu laufen beginnen zu lassen. Insoweit kann auf die oben dargestellten besonderen Verhältnisse in den „Gründerjahren“ des neuen Bundeslands verwiesen werden (vgl. im Ergebnis ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 15 und 18).

83

c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass eine solche „Heilung“ eines verfassungswidrig unvollständigen Landesgesetzes kraft (Landes- oder Bundes-)Verfassungs-rechts von vornherein („nie“) oder jedenfalls jetzt nicht mehr („zu spät“) möglich gewesen wäre. Bereits in der „Mutter“-Entscheidung zu dieser Problematik hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt (Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, juris Rn. 49 f.):

84

„... Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

85

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ) ...“

86

d) Ebenso wenig hat der hiesige Landesgesetzgeber, soweit es einen solchen verfassungsrechtlichen Ansatz geben sollte, auch nicht das Recht verwirkt, seine bisherige Untätigkeit seit Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 nach etwas mehr als drei Jahren aufzugeben und die verfassungsrechtlich erforderliche zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme eines Beitragspflichtigen zu schaffen, zumal die zuständigen hiesigen Landesgerichte bis hin zum Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Urteile vom 1. April 2014, etwa 1 L 142/13, juris) zunächst aus verschiedenen Gründen eine solche legislative Obliegenheit zum Handeln für den hiesigen Landesgesetzgeber verneint hatten.

87

Der bereits erwähnte Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 in den Verfahren 1 BvR 2961/14 und 1 BvR 3051/14 zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg entfaltet mangels eines vergleichbaren Sachverhalts nach § 31 Abs. 1 BVerfGG keine Bindungswirkung für den vorliegenden Fall. Dort ging es um diffizile verfassungsrechtliche Fragen der Rückwirkung eines Gesetzes, dagegen nicht um verfassungsrechtliche Fragen zu den sog. Altanschließern, mögen diese auch neben sog. Neuanschließern davon betroffen worden sein...“

88

Mit den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass es letztlich verfassungsrechtlich geboten ist, für das Entstehen der sachlichen Anschlussbeitragspflicht eine wirksame Beitragssatzung zu fordern, und zwar nicht nur als gerichtlicher Prüfungsmaßstab in einem Klageverfahren, dessen Voraussetzungen nur bis zur gerichtlichen Entscheidung vorliegen müssen, sondern als inhaltliches Erfordernis, das auch Auswirkungen auf den Beginn des Laufs der Festsetzungsverjährung hat.

89

Es kann offen bleiben, ob mit Blick auf die Grundsätze einer Rückwirkung verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die frühere Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V, wonach bei der Erhebung eines Anschlussbeitrags nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V die (vierjährige) Festsetzungsverjährungsfrist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 endete, bestanden. Die mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. März 2005 eingeführte Vorschrift dürfte jedenfalls nicht generell verfassungsrechtlich bedenklich sein, sondern nur in den Fällen, in denen zuvor bereits u. a. aufgrund einer wirksamen Anschlussbeitragssatzung die vierjährige Festsetzungsfrist zu laufen begonnen und bis zum Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes schon abgelaufen gewesen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. Nov. 2015, a. a. O.). Ein Fall bereits damals mindestens zu laufen begonnener bzw. gar schon abgelaufener Festsetzungsfrist liegt beim Zweckverband Wismar auch im Bereich des Trinkwasseranschlussbeitragsrechts nicht vor, da die aktuelle Beitragssatzung die erste wirksame ist (siehe unten).

90

Der Vortrag der Klägerin, der sich an der Rechtsprechung aus einem fremden Bundesland (Brandenburg) orientiert, bleibt auch in der ständigen Wiederholung im Sinne eines Mantras inhaltlich befremdlich, rechtlich nicht nachvollziehbar und nicht tragfähig, nicht nur dort, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern. Nochmals: Hierzulande gab es mit der Einführung des Wortes „wirksame“ in § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V keine gesetzliche Rückwirkung (zur möglichen Problematik im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V a. F. – 2005 – siehe oben), sondern nur eine Übernahme der durch die Rechtsprechung bereits vorgenommenen Rechtsauslegung, dass für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (auch) im Anschlussbeitragsrecht eine gültige Beitragssatzung erforderlich ist. Im Übrigen sei angemerkt, dass die vom Bundesverfassungsgericht in seinen beiden Entscheidungen vom 12. November 2015 (a. a. O.) aufgestellten Grundsätze in der gesamten Bundesrepublik und damit auch in Mecklenburg-Vorpommern gelten, nur eben wegen einer anderen Sach- und Rechtslage im genannten Bundesland tatbestandlich nicht Platz greifen.

91

Die parlamentarisch gewählte Grenze einer Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V ist, wie bereits dargelegt, auch nicht verfassungsrechtlich unangemessen. Soweit die Klägerin insoweit sogar noch die Zeit vor der Deutschen Einheit „einrechnet“, weil der tatsächliche Anschluss ihrer Grundstücke an das Trinkwasserversorgungsnetz bereits zu DDR-Zeiten (oder gar zu Reichszeiten) vorlag, geht dies von vornherein fehl, abgesehen davon, dass diese Grundstücke weder ihr noch den dahinterstehenden Gemeinden nicht nur mangels eigener damaliger Existenz in der DDR nicht gehörten. Das heutige bundesdeutsche Rechtssystem (ggf. in der Gestalt des Einigungsvertrags) hatte vor dem 3. Oktober 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR keine Geltung. Eine verfassungsrechtlich bedeutsame „Vorteilslage“ im Anschlussbeitragsrecht kann vor dem 3. Oktober 1990 nicht abgeleitet werden, abgesehen davon, dass es zuvor keine öffentliche Einrichtung der Trinkwasserversorgung im bundesdeutschen Rechtssinne gab. Denn auch das Grundgesetz galt nicht in der DDR.

92

Bei der Frage, ab wann eine solches absolutes Erhebungsverbot Platz greifen soll, sind zu Recht auch die kommunalen Interessen zur Refinanzierung von Aufwand im x-fachen Millionenbereich in die öffentlichen Einrichtungen angemessen zu würdigen gewesen und geben einen nachvollziehbaren Grund, hier eine solche Frist bis zum absoluten Beitragsheranziehungsverbot zu schaffen. Im Übrigen sind hierbei ebenso die Interessen der übrigen Beitragspflichtigen in den Blick zu nehmen, die möglicherweise auf objektiv rechtswidrige, aber unanfechtbar gewordene Anschlussbeitragsbescheide über die vergangenen Jahre bis Jahrzehnte bereits „ihren“ Beitrag zu dieser Refinanzierung geleistet haben, ohne regelmäßig die Möglichkeit zu haben, diesen Beitrag später ganz oder teilweise zurückerstattet zu erhalten. Die dann im Übrigen nach Ablauf der endgültigen Frist zur Beitragsheranziehung verbleibende Refinanzierungsaufgabe mit ggf. „Millionenlöchern“ in den Haushalten der Aufgabenträger kann dann wohl nur entweder über staatliche Hilfen (Fördermittel aus Steuergeldern) oder über die Benutzungsgebühren erfolgen. Auch dies konnte und durfte in das Kalkül des Landesgesetzgebers einfließen, als er die Länge der Frist zur endgültig „letzten“ Beitragsheranziehung geregelt hat.

93

Es ist für das Gericht auch rechtlich nicht nachvollziehbar, warum insoweit häufig – so auch hier – ein Vergleich zu einem anderen „einfachen“ und zudem Bundesgesetz wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch und der dort seit dem Jahre 2002 im Regelfall geltenden drei- bzw. zehnjährigen Verjährungsfrist gezogen wird. Abgesehen von einer anderen Interessenlage hat dort der Bundesgesetzgeber eine Abwägung der widerstreitenden Privatinteressen vorgenommen, während hier der Landesgesetzgeber in eigener und ausschließlicher Zuständigkeit eine andere Wertung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen vorgenommen hat. Es gibt keine Pflicht des Landtags Mecklenburg-Vorpommern, andere Maßstäbe einer anderen Gesetzgebungsinstanz bei einer im Übrigen anderen Problematik zu übernehmen. Im Übrigen ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass es hier nicht um eine öffentlich-rechtliche Verjährungsfrage geht; diese wird nach wie vor im Hinblick auf die Festsetzungsverjährung in § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. §§ 169, 170 AO landesrechtlich geregelt. Jenseits der Problematik einer Verjährung von Abgaben wird vom verfassungsrechtlichen Grundsatz der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit aber auch ein absolutes Ende zur Heranziehung von Bürgerinnen und Bürgern (!) zu Anschlussbeiträgen gefordert. Es gibt also jedenfalls hierzulande kein Entweder-Oder, sondern nur ein Miteinander mit einem kommenden „Windhund“-Rennen. So kann schon jetzt Festsetzungsverjährung eingetreten sein und einer Heranziehung zu einem Anschlussbeitrag endgültig Einhalt gebieten, bevor die attackierte gesetzliche Obergrenze zur Beitragserhebung Platz greift, während umgekehrt in nicht ferner Zukunft ggf. auch diese Grenze nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V einer noch nicht festsetzungsverjährten Beitragserhebung der Aufgabenträger entgegen gehalten können wird.

94

Auch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hält an seiner (mittlerweile schon „ständigen“) Rechtsauffassung zur Verfassungsgemäßheit des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. und des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V 2005 fest (etwa Beschl. v. 1. Aug. 2017 – 1 L 214/14 –, Beschl. v. 7. Dez. 2017 – 1 LZ 545/17 –, dort auch ebenso zur Verfassungsgemäßheit des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V, Beschl. v. 7. Dez. 2017 – 1 LZ 599/17, 1 LZ 600/17, 11 LZ 601/17 und LZ 602/17 –, Beschl. v. 14. Dez. 2017 – 1 LZ 557/17 –, Beschl. v. 27. April 2018 – 1 L 498/16 –, S. 5 des amtlichen Umdrucks).

95

II. Zum anderen liegt aber auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor (ebenso bereits Urt. v. 14. Dezember 2017 – 4 A 606/14 – u. Urt. v. 23. Febr. 2018 – 4 A 2088/16 SN –).

96

Das Grundrecht verbietet, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 19. Febr. 2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 –, NJW 2013, 847 ff. Rn. 72 m. w. N.).

97

Die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung einer andernfalls willkürlichen staatlichen Maßnahme stellt sich bereits von vornherein nicht. Denn hier wird nicht (zu Unrecht) wesentlich Gleiches als ungleich, sondern es werden verschiedene Regelungsgegenstände in Wahrheit (und zu Recht) als ungleich behandelt, also wesentlich Ungleiches auch ungleich geregelt. Dies gilt sowohl mit Blick auf die zivilrechtlichen Verjährungsfristen als auch hinsichtlich der Verjährungsfrist für einen bestandskräftigen Verwaltungsakt nach und i. S. v. § 53 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

98

Soweit die Auffassung vertreten wird, die in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V festgelegten Fristen seien willkürlich, trifft dies zu zwar, sollte damit gemeint ist, dass der Gesetzgeber aus der Vielzahl von denkbaren Terminen für die Schaffung einer absoluten Obergrenze einer Beitragserhebung einen bestimmten Termin erwählt hat, ebenso, soweit das Parlament den Zeitraum der rechtlich und tatsächlich vielfach „wilden Gründerjahre“ (s. o.) bzw. ihres Endes, in denen diese Frist noch nicht zu laufen begonnen habe, gesetzlich festlegte. Dies liegt jedoch in seinem gesetzgeberischen weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraum, das ihm die Landes- wie Bundesverfassung in der Gestalt der ständigen Rechtsprechung jedenfalls des Bundesverfassungsgerichts zubilligt (vgl. jüngst wieder das bei Absetzung der vorliegenden Entscheidung im Hinblick auf das Abgabenrecht – Rundfunkbeitrag – bekannt gewordene Urteil vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 –, juris Rn. 68), und ist grundsätzlich jeder Festlegung eines „Stichtags“ immanent, ohne dass daraus für sich genommen ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz abzuleiten ist (vgl. bereits Urt. des Gerichts v. 18. April 2018 – 4 A 3063/16 SN –). Auch ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unter der Geltung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht zu beanstanden, dass der Landesgesetzgeber einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt gewählt hat, zumal das zugrunde liegende Rechtsinstitut des Grundsatzes der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit vom Bundesverfassungsgericht erst im Jahre 2013 herausgearbeitet worden war (s. o.).

99

III. Schließlich ist auch die Regelung in § 22 Abs. 3 KAG M-V verfassungsgemäß, allein schon, weil sie nach der zutreffenden Rechtsprechung des hiesigen Oberverwaltungsgerichts bereits keine konstitutive, sondern nur deklaratorische Bedeutung hat (OVG Greifswald, Urt. v. 6. Sept. 2016 – 1 L 217/13 –, S. 20 f. des amtlichen Umdrucks, ebenso Beschl. v. 22. Dez. 2017 – 1 LZ 475/17 –, S. 3 des amtlichen Umdrucks).

B)

100

Die Beitragssatzung Trinkwasser vom 25. April 2012 bildet die Rechtsgrundlage der hier angefochtenen Beitragsbescheide. Sie ist nach derzeitiger Einschätzung des Gerichts die erste wirksame Beitragssatzung in diesem Bereich (siehe zuletzt etwa Urt. des Gerichts v. 15. Mai 2018 – 4 A 2103/16 SN –).

101

I. Der von der Klägerin erhobene formelle (Verfahrens-)Fehler einer falschen öffentlichen Bekanntmachung liegt nicht vor.

102

Die Beitragssatzung Trinkwasser vom 25. April 2012 ist zu Recht in der Ostsee-Zeitung vom 15. Mai 2012 amtlich bekanntgemacht worden. Ob dies gleichermaßen gilt für die Erste Änderungssatzung, die dort in der Ausgabe vom 29. Juli 2016 unter „Nichtamtliche Bekanntmachungen“ veröffentlicht worden ist, dürfte zwar rechtlich zweifelhaft sein (vgl. §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 6 Satz 1 KV-DVO vom 9. Mai 2012 in der Fassung der 2. Änderungsverordnung vom 27. März 2014). Dies mag aber dahinstehen, da insoweit nur eine für die Beitragspflichtigen günstige und auch vorliegend – wie in anderen Fällen auch – bereits zuvor in den angefochtenen Beitragsbescheiden vollzogene Rechtspraxis zur Fälligkeit des Anschlussbeitrags auch in das Satzungswerk gelangen sollte (§ 9 Abs. 2 der Beitragssatzung Trinkwasser sollte für eine Beitragsfälligkeit von „6 Wochen“ durch eine solche von „3 Monate(n)“ nach Bekanntgabe des Heranziehungsbescheids ersetzt werden), ohne dass durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die alte Satzungsregelung bestanden. Auch insofern war es damals aber grundsätzlich rechtlich zutreffend, eine öffentliche Bekanntmachung in der Ostsee-Zeitung anzustreben. Im Falle der formellen Unwirksamkeit der geplanten Neuregelung zur Fälligkeit wäre die Beitragssatzung Trinkwasser nicht gesamtunwirksam, da dann auf die rechtswirksame Vorgängerregelung zur Fälligkeit zurückzugreifen wäre, von der, wie gesagt, auch in den vorliegenden Fällen bereits zugunsten der Beitragspflichtigen im Vorgriff auf die Neuregelung abgewichen worden wäre, was eine Rechtsverletzung der Klägerin i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausschließt.

103

In der zum Zeitpunkt des Erlasses der vorliegenden Beitragssatzung vom 25. April 2012 maßgeblichen Fassung der Verbandssatzung vom 10. August 2007 waren nach § 22 Absatz 1 Satz 1 der Norm öffentliche Bekanntmachungen des Zweckverbands in der „OSTSEE-ZEITUNG, Ausgabe Wismarer Zeitung" vorzunehmen. Daran hat sich bis einschließlich der 8. Änderungssatzung vom 23. September 2014 nichts geändert. Selbst die danach beschlossene Verbandssatzung vom 14. Januar 2015 hatte (nunmehr) in § 24 Abs. 1 Satz 1 diese Regelung übernommen. Erst mit der 2. Änderungssatzung vom 4. August 2016, zu Recht noch amtlich bekanntgemacht in der Ostsee-Zeitung, Ausgabe Wismar (und Umgebung), vom 8. August 2016, erhielt § 24 Abs. 1 die von der Klägerin vorliegend zu Unrecht zugrunde gelegte Fassung mit der nunmehr geltenden öffentlichen Bekanntmachung auf der Internetseite des Zweckverbands.

104

Das Gericht hat keinen Anlass zur Annahme, dass die Beitragssatzung Trinkwasser vom 25. April 2012 nicht in der Ausgabe für Wismar (und Umgebung), sondern (nur) in einer regional anderen Ausgabe dieser im Ostseeraum von Mecklenburg-Vorpommern verbreiteten Regionalzeitung öffentlich bekanntgegeben wurde.

105

Soweit die Klägerin moniert, für den Rechtsbetroffenen („Rechtsanwender“?) sei nicht feststellbar, ab welchem Zeitpunkt die Änderung der öffentlichen Bekanntmachung beim Zweckverband eingetreten sei, was er aber erkennen können müsse, mag es zwar zutreffen, dass es für viele Bürger schwierig ist, sich in der bereits „formellen“ Rechtswelt zurecht zu finden. Dennoch gibt es keinen allgemeinen (verfassungsrechtlichen) Anspruch darauf, über Rechtsänderungen, ihren (Hinter-)Grund und ihre rechtskonforme Umsetzung informiert zu werden, nicht einmal durch behördliche oder gesetzliche Erläuterungen zu diesem „neuen“/geänderten materiellen Gesetz wie etwa bei einem „Beipackzettel“ für ein Medikament. Soweit sich ein nicht rechtskundiger Bürger in dieser Hinsicht überfordert fühlt, bleibt es ihm unbenommen, dafür juristische, vor allem anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Einen allgemeinen Informationsservice der rechtsetzenden Stelle selbst im dargestellten Sinne gibt es nicht im Öffentlichen Recht. Recht ist eben häufig nicht einfach zu verstehen und anzuwenden und wohl deshalb auch ein traditionell seit vielen Jahrhunderten (nicht nur in Deutschland) anerkanntes Studienfach, wobei selbst die nach Bestehen der Zweiten (Juristischen) Staatsprüfung erworbene bundesdeutsche „Befähigung zum Richteramt“ (§ 5 Abs. 1 DRiG) nicht zuverlässig vor Fehlern beim Rechtsverständnis oder der Rechtsanwendung schützt.

106

II. Aber auch der materiell-rechtlich geltend gemachte Verstoß der Beitragssatzung Trinkwasser gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V liegt nicht vor.

107

Der Hinweis der Klägerin auf § 9 Abs. 1 KAG M-V geht schon deshalb fehl, weil sich die Soll-Vorschrift nur auf die Frage bezieht, ob (und inwieweit) der Aufgabenträger zur Refinanzierung der öffentlichen Einrichtungen Anschlussbeiträge erheben will; insoweit besteht ein ortsgesetzgeberisches Ermessen. Hat der Ortsgesetzgeber (hier: die Verbandsversammlung) sich – wie hier – durch den Erlass einer Beitragssatzung dazu entschlossen, die Erhebung von Anschlussbeiträgen zu ermöglichen, ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erschöpft. Hält sich das Rechtsetzungsorgan des Aufgabenträgers an diese Soll-Vorschrift, ist nicht erkennbar, worin dann ein (gesetzgeberischer) „Ermessensfehler“ oder eine sonstige entsprechend fehlerhafte Entscheidung liegen soll.

C)

108

Schließlich hat die Klägerin auch keine rechtlichen Mängel bei der konkreten Heranziehung der Klägerin zu einem Trinkwasseranschlussbeitrag für die jeweiligen Grundstücke vorgetragen; solche sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.

109

Namentlich war die Beitragserhebung bei Erlass der Anschlussbeitragsbescheide im Jahre 2016 mit Blick auf die vierjährige Frist, beginnend mit Ablauf des Jahres 2012, auch noch nicht festsetzungsverjährt nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F. bzw. § 12 Abs. 2 Nr. 2 KAG n. F. und § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO und § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 170 Abs. 1 AO. Die vorangegangenen Trinkwasseranschlussbeitragssatzungen waren samt und sonders unwirksam (vgl. zuletzt etwa Urt. des Gerichts vom 18. April 2018 – 4 A 2516/16 SN –, S. 19 ff. des amtlichen Umdrucks).

110

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

111

Von Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten dieses Verfahrens sieht das Gericht ab (vgl. die „Kann“-Bestimmung des § 167 Abs. 2 VwGO), da die hier obsiegende Beklagte als Vollstreckungsberechtigte mangels anwaltlicher Vertretung nur sehr geringe außergerichtliche Kosten (anteilige Reisekosten zum Termin sowie die Post- und Telekommunikationspauschale) vorläufig geltend machen könnte.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen