Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (4. Kammer) - 4 A 3452/17 SN

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erteilung einer Sanktionsnote bei einer Examensklausur.

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Der Kläger unterzog sich im Prüfungstermin S 2017 der staatlichen Pflichtfachprüfung der Ersten juristischen Prüfung. Die sechs zu schreibenden Klausuren waren für den Zeitraum 20.04.2017 bis 28.04.2017 angesetzt, der Kläger zu diesen Terminen geladen. Am vorletzten Prüfungstag, dem 27.04.2017, stand die Klausur Ö I auf der Tagesordnung. Um 8:30 Uhr wurde der etwa 80 Arbeitsplätze enthaltende Prüfungsraum von den Mitarbeitern des Beklagten aufgeschlossen und die Kandidaten eingelassen. Die Prüflinge suchten ihre vorbestimmten Arbeitsplätze auf und richteten diese mit ihren mitgebrachten zulässigen Hilfsmitteln einschließlich Getränken, Snacks und Stiften und dem gestellten Schreib- und Konzeptpapier ein.

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Gegen 8:45 Uhr mussten alle erschienenen Kandidaten sich auf ihre Plätze begeben. Es folgte eine Anwesenheitsfeststellung der Kandidaten und deren Aufforderung, ihr Ausweispapiere offen für eine Identitätsfeststellung während der Klausur auf eine Ecke des Tisches zu legen. Ausweislich des Protokolls über diesen Prüfungstermin erfolgte sodann – wie an jedem Prüfungstag und so auch auf einem Hinweisblatt für alle Aufsichtskräfte vorgeschrieben – die Belehrung über die allein zulässigen Hilfsmittel sowie darauf, dass Funktelefone und sonstige elektronische Geräte unzulässige Hilfsmittel seien und diese während der Bearbeitungszeit weder innerhalb noch außerhalb des Prüfungsraum mitgeführt werden dürften. Den Kandidaten wurde dann nochmals Gelegenheit gegeben, unzulässige Hilfsmittel abzugeben. Hiervon machte ein Kandidat (Platz 59) Gebrauch, was im Protokoll festgehalten wurde.

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Anschließend wurden die Klausurtexte, die in einem gefalteten DIN-A3-Blatt eingelegt waren, verteilt und die Kandidaten aufgefordert, die Umschlagbögen mit ihrer Kennziffer und den benutzten Hilfsmitteln zu beschriften.

5

Vor der Ansage der Aufsichtsführenden, wie viel Uhr es auf die Minute genau ist, wann genau die fünfstündige Bearbeitungszeit endet und das „jetzt“ die Arbeitszeit zu laufen beginnt, forderten diese – wie bereits an einem früheren Klausurtermin in dieser Prüfungskampagne – alle Kandidaten auf, sich nochmals in eine bestimmte Ecke des Prüfungsraum getrennt nach Geschlechtern zu begeben, da ein Test mit Detektoren auf unerlaubte Hilfsmittel erfolgen solle. Der Kläger reihte sich in die Schlange der männlichen Prüfungskandidaten ein und setzte dabei seine Unterhaltung mit der benachbart im Prüfungsraum sitzenden Kandidaten A. fort. Unmittelbar vor dem Detektoreinsatz bei ihm nahm er aus der Hosentasche sein Smartphone und gab es der die Detektorprüfung durchführenden Klausuraufsichtskraft. Der Vorgang wurde zunächst von dieser mit dem Kläger nicht weiter erörtert, im Protokoll um 9:16 Uhr aber ausführlich vermerkt.

6

Der Kläger schrieb sodann ohne Beanstandung die Klausur. Nach seiner Klausurabgabe suchte die Aufsichtskraft den Kläger in der Garderobe auf (im Klausurraum schrieben die Kandidaten mit Schreibverlängerung noch), befragte ihn zu dem Vorgang und ließ sich auf dem herbeigeholten Smartphone die abgespeicherten Dateien zeigen. Dabei stellte die Aufsichtskraft fest, dass zwei PDF-Dateien mit baurechtlichen Inhalten auf dem Smartphone gespeichert waren. Diese waren ausweislich der sichtbaren Datenangaben im Februar 2017 heruntergeladen worden. Der Vorgang wurde sodann im Prüfungsprotokoll vermerkt und vor Rückaushändigung des Handys von diesem eine Aufnahme gefertigt. Am Folgetag nahm der Kläger unbeanstandet auch an der letzten Klausur der Klausurkampagne teil.

7

In den darauf folgenden Wochen erfolgte die Bewertung der Klausuren der Kandidaten in dieser Prüfungskampagne. Auch die Klausur Ö I des Klägers wurde vom Erstkorrektur im Mai und vom Zweitkorrektor im Juni 2017 bewertet; sie vergaben für die Arbeit 6 bzw. 5 Punkte.

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Unter dem 04.07.2017 hörte der Beklagte den Kläger zum Vorgang am 27.04.2017, der als Täuschungsversuch bewertet werde, an. Bei diesem Fehlverhalten könne nach § 15 Abs. 2 JAG MV die Prüfung(sleistung) für nicht bestanden erklärt, die Wiederholung der Prüfungsleistung aufgegeben oder die Prüfungsleistung mit der geringstmöglichen Note bewertet werden. Am 31.07.2017 erließ der Beklagte den streitbefangenen prüfungsrechtlichen Bescheid, mit dem er für die Klausurprüfungsleistung Ö I die Sanktionsnote 0 Punkte aussprach. Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 22.08.2017 zugestellt.

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Am 23.08.2017 hat der Kläger das Verwaltungsgericht angerufen.

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Aufgrund seiner erzielten Durchschnittspunktzahl von 3,83 Punkten in den sechs Klausuren wurde der Kläger gleichwohl zur mündlichen Prüfung zugelassen und bestand diese am 20.09.2017 mit der Gesamtpunktzahl von 5,87 Punkten, ausreichend. Im Anschluss an die mündliche Prüfung mit Eröffnung der erzielten Benotungen einschließlich der Gesamtnote erhielt der Kläger eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung überreicht, deren Empfang er unter demselben Datum bescheinigte.

11

Mit Zeugnis vom 22.09.2017 bescheinigte der Beklagte ihm, die staatliche Pflichtfachprüfung der Ersten juristischen Prüfung mit genannter Gesamtnote und mit weiterem Zeugnis vom gleichen Tage die Erste juristische Prüfung unter Berücksichtigung der Schwerpunktbereichsprüfung mit der Note 5,72 Punkte, ausreichend, bestanden zu haben.

12

Nach Angabe des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger gegen die Prüfungsbescheide, die sich auf die Gesamtbewertung der Staatlichen Pflichtfachprüfung und die Erste juristische Prüfung beziehen, fristgerecht mit Widerspruch angefochten. Einvernehmlich sei die Bescheidung im Hinblick auf das vorliegende Klageverfahren aber ausgesetzt worden.

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Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor:

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Er, der Kläger, habe keinerlei Täuschungsabsicht gehabt; aufgrund seiner Ablenkung durch eine Unterhaltung mit der Mitkandidatin A. und seiner weitgeschnittenen, bequemen Hose habe er zunächst – auch während der Belehrung und der Ausfüllung des Umschlagbogens der ausgeteilten Klausurarbeit – nicht an sein Smartphone in der Hosentasche gedacht. Nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 JAG M-V müsse ihm zur Rechtfertigung einer Sanktionsnote im Übrigen ein Fehlverhalten „beim Anfertigen einer Aufsichtsarbeit“ vorgeworfen werden können. Das sei aber nicht der Fall, da er zum Zeitpunkt der Abgabe des Handys noch gar keinen Blick auf die Aufsichtsarbeit habe werfen können.

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Auch in den vom Beklagten vorgelegten „Hinweise(n) für die Saalaufsichten“ heiße es für die vorzunehmende Belehrung, dass Funktelefone „während der Bearbeitungszeit weder innerhalb noch außerhalb des Prüfungsraums mitgeführt werden“ dürften. Die fünfstündige Bearbeitungszeit hätte aber noch gar nicht begonnen gehabt, der Beklagte dehne die „Bearbeitungszeit“ damit zu Lasten des Klägers unzulässig aus. Es sei auch zu bestreiten dass ein alltagstypischer Gebrauchsgegenstand wie ein Mobiltelefon vom Verordnungstext der Hilfsmittelverordnung erfasst werde.

16

Das Beisichführen des Smartphones dürfe im Übrigen allenfalls als straflose Vorbereitungshandlung zu werten sein, sofern überhaupt von einem „unmittelbaren Ansetzen“ gesprochen werden könne. Die freiwillige Abgabe des Geräts unverzüglich nach dessen Bemerken in der Hosentasche bedeute auch einen „Rücktritt“.

17

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster müsse eine Prüfungsbehörde zudem kurzfristig den Verdacht des Täuschungsversuchs aufklären (Beschluss vom 27.11.1987 – 22 B 3064/87 –, NVwZ 1988, 455). Das Vorgehen des Beklagten, den Kläger erst zweieinhalb Monate später mit dem Täuschungsvorwurf zu konfrontieren, verstoße gegen das Gebot der Chancengleichheit im Prüfungsverfahren.

18

Der Kläger beantragt,

19

den prüfungsrechtlichen Bescheid des Beklagten vom 31.07.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger unter Berücksichtigung der inhaltlichen Bewertung seiner Klausur Ö I mit 5,5 Punkten hinsichtlich der Staatlichen Pflichtfachprüfung der Ersten juristischen Prüfung und der Ersten juristischen Prüfung neu zu bescheiden.

20

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

22

Er verteidigt den ergangenen Bescheid mit ausführlichen Rechtsausführungen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Ach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht entscheidet in der Besetzung des Einzelrichters, nachdem die Kammer nach Anhörung der Beteiligten diesem die Streitsache zur Entscheidung übertragen hat, § 6 Abs. 1 VwGO.

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Die Klage ist zulässig (1.), hat in der Sache aber keinen Erfolg (2.).

26

1. Die Klage ist ohne Durchführung eines gerichtlichen Vorverfahrens zulässig. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 VwGO bedarf es keines Vorverfahrens, wenn der Verwaltungsakt – hier der streitbefangene Bescheid – von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt. Das Landesjustizprüfungsamt als unselbstständiger Teil der beklagten Behörde ist eine solche oberste Landesbehörde. Die streitbefangene Verhängung einer Sanktionsnote wegen Täuschung unterfällt auch nicht der Sonderregelung § 17 Satz 1 JAG M-V, wonach bei Verwaltungsakten, denen eine Bewertung von Prüfungsleistungen zugrunde liegt, (ausnahmsweise doch) ein Vorverfahren durchzuführen ist. Die Verhängung einer Sanktionsnote wegen versuchter Täuschung beruht nicht auf einer Bewertung von Prüfungsleistungen, letztere wird im Gegenteil im Ergebnis für unmaßgeblich erklärt.

27

Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht entgegen, dass nach Erlass des streitbefangenen Bescheides vom 31.07.2017 der Beklagte unter Einrechnung der noch streitbefangenen Sanktionsnote Gesamtbescheide über die Staatliche Pflichtfachprüfung der Ersten juristischen Prüfung (Zeugnis vom 22.09.2017) und über die Erste juristische Prüfung insgesamt (Zeugnis ebenfalls vom 22.12.2017) erlassen hat. Nach Angabe des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger insoweit Widerspruch eingelegt, dessen Bescheidung einvernehmlich zurückgestellt worden sei.

28

Auf die Aufhaltung der Bestandskraft durch Rechtsbehelfseinlegung dürfte es allerdings gar nicht ankommen. Zwar sind diese Bescheide einer eigenen Bestandskraft fähig. Sie beziehen sich aber zum Teil auf einen bereits mit der Klageerhebung am 23.08.2017 rechtshängig gemachten Vorgang, nämlich die Frage, mit welcher Punktzahl die streitbefangene Klausur Ö I in die Gesamtnotenbildung einzubeziehen ist. Erlässt eine Behörde zu einem bereits rechtshängigen Streitgegenstand weitere (teilweise) "wiederholende" Bescheide, bedarf es insoweit keiner gesonderten Anfechtung dieser Bescheide. Insoweit wird der Eintritt der Bestandskraft durch die Rechtshängigkeit der Klage aufgehalten bzw. der bereits rechtshängige Teil der neuerlichen "wiederholenden" Regelung automatisch Teil des gerichtlichen Verfahrens. Eine Behörde kann durch "wiederholende" Bescheide nicht bewirken, dass bei deren Nichtanfechtung sich der rechtshängige Rechtsstreit erledigt.

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Damit in Korrespondenz steht die der Klägerseite gerichtlich anempfohlene Fassung des Klageantrags. Denn letztlich begehrt der Kläger nicht nur die Aufhebung der Verhängung der Sanktionsnote für die Klausur Ö I, sondern neue Gesamtprüfungsbescheide und Examenszeugnisse unter Einrechnung der (vorliegenden) sachlichen Bewertung der Klausurleistung Ö I und einer erneuten Befassung des Prüfungsausschusses auf der Grundlage von § 5d Abs. 4 DRiG hinsichtlich der Möglichkeit einer Notenanhebung. Dieses Neubescheidungsbegehren kann aufgrund der fristgerechten Klageerhebung gegen den Sanktionsnotenbescheid zulässig verfolgt werden. Das Anraten der Stellung von Neubescheidungsanträgen entspricht für derartige Fälle – wie auch bei Streitigkeiten über eine erfolgte Leistungsbewertung durch einen Prüfungsbescheid (Notenverbesserungsklage) – der Praxis der Kammer, unabhängig davon, ob auch bei einem schlichten Aufhebungsantrag im Erfolgsfalle die Prüfungsbehörde aus dem Prüfungsverhältnis heraus zur Neubescheidung verpflichtet wäre.

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2. In der Sache hat die Klage aber keinen Erfolg, der Bescheid vom 31.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat deshalb auch keinen Anspruch auf „Nachbesserung“ seiner Zeugnisse über die Staatliche Pflichtfachprüfung und die Erste Juristische Prüfung insgesamt, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.

31

a) Das Gericht teilt die Auffassung des Beklagten, dass dem Kläger der Vorwurf eines Täuschungsversuchs am 27.04.2017 zu machen ist, der den Tatbestand der Sanktionsnorm § 15 Abs. 1 JAG M-V verwirklicht.

32

Dem Kläger ist einzuräumen, dass der reine Wortlaut der Vorschrift („Wer beim Anfertigen einer Aufsichtsarbeit sich … einen Vorteil zu verschaffen versucht …“) dahin verstanden werden könnte, dass der Versuch der Vorteilsverschaffung von der Vorschrift erst erfasst wird, wenn mit der geistigen oder gar schriftlichen Anfertigung der Aufsichtsarbeit bereits begonnen worden ist. Vergleichbares gilt auch für die „Hinweise für die Saalaufsichten“, wonach der Aufsichtsführende ausdrücklich darauf hinweisen soll, dass „Funktelefone und sonstige elektronische Geräte … unzulässige Hilfsmittel sind und diese während der Bearbeitungszeit weder innerhalb noch außerhalb des Prüfungsraums mitgeführt werden dürfen“. Nach dem Protokoll vom 27.04.2017 hat dieser Hinweistext wörtlich so auch Eingang in die erfolgte Belehrung der Prüflinge an diesem Prüfungstag kurz vor 9:00 Uhr gefunden.

33

Den Worten „beim Anfertigen“ bzw. „während der Bearbeitungszeit“ kommt im gegebenen Zusammenhang aber für die Kandidaten erkennbar eindeutig die Bedeutung zu, dass nach der erfolgten mündlichen Belehrung und der anschließend eingeräumten „letzten Chance“ der folgenlosen Entfernung unzulässiger Hilfsmittel der Zeitpunkt ist, ab dem einer aufrechterhaltenen Verfügungsgewalt über solche Hilfsmittel die Bedeutung eines Ordnungsverstoßes im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz1 JAG M-V zukommt. Dass ein solches „Ultimatum“ vorliegend ausgesprochen worden ist, wird im Protokoll glaubhaft aufgeführt und auch dadurch belegt, dass aufgenommen wurde, dass der namentlich aufgeführte Kandidat mit der Platznummer 59 von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Mit Auslaufen des „Ultimatums“ und der sich unmittelbar anschließenden Austeilung der Klausurtexte im einfach gefalteten DIN-A3-Umschlag war die Chance verronnen, folgenlos sich noch von unerlaubten Hilfsmitteln zu trennen. Mit der Verteilung der Klausurtexte im unverschlossenen, von den Kandidaten dann mit ihren Kennziffern und den genutzten Hilfsmitteln gekennzeichneten DIN-A3-Mantelbogen war der „Startschuss“ für die Klausur gesetzt, der gesetzliche Begriff „beim Anfertigen“ war zeitlich eingetreten, auch wenn zugunsten der Prüflinge der Beginn der fünfstündigen Bearbeitungszeit im engeren Sinne noch nicht in Lauf gesetzt war. Mit der Ausreichung des Klausurtextes bestand die – wenn auch zunächst untersagte – Möglichkeit, durch Anheben der Mantelumschlagseite den Aufgabentext zur Kenntnis zu nehmen, eventuelle für die erkannte Klausur nunmehr untaugliche Hilfsmittel noch zu entfernen, den Text zu fotografieren etc. Trotz dreier Aussichtspersonen lässt sich in einem Prüfungsraum mit 80 Kandidatenplätzen solche vorzeitige Kenntnisnahme usw. im Einzelfall nicht sicher verhindern.

34

Zutreffend weist der Beklagte auch daraufhin, dass häufig wesentliche Handlungen eines Täuschungsversuches zeitlich weit vor dem eigentlichen Prüfungstermin vorgenommen werden, beispielsweise das Deponieren von Prüfungsschemata in einer während der Prüfungszeit zugänglichen Toilette oder das Vorbereiten und morgendliche Einstecken von Spickzetteln, versteckt in der Kleidung. Auch ohne tatsächlich erfolgenden Rückgriff auf diese vorbereiteten Hilfsmittel stellt dies einen solchen Ordnungsverstoß im Sinne eines Täuschungsversuchs dar, wenn auch nach dem gesetzten „Ultimatum“ ein Kandidat sich nicht des Verfügungszugriffs auf dieses Hilfsmittel begeben hat (und dies „auffliegt“; anders, wenn er dieses Hilfsmittel auf das „Ultimatum“ hin noch entfernt, etwa nicht zugriffsbereit in der – während der Prüfungszeit unzugänglichen – Garderobe deponiert).

35

Träfe das vom Kläger vertretene Auslegungsverständnis zu, wäre die Aktion des Beklagten, mit Detektoren vor Beginn der Bearbeitungszeit im engeren Sinne (Anlauf der fünf Stunden) eine Durchsuchung auf unerlaubte Hilfsmittel durchzuführen, keine Aufklärung von Täuschungsversuchen, sondern eine Vorbeugungs- oder Abschreckungsmaßnahme, relevante Täuschungsversuche erst gar nicht stattfinden zu lassen. Die Aufdeckung von Spickzetteln und elektronischen Hilfsmitteln bei einem Kandidaten aufgrund einer Detektoruntersuchung oder gar Leibesvisitation könnten dem Kandidaten nicht als Täuschungsversuch im Sinne von § 15 Abs. 1 JAG M-V vorgeworfen werden, wenn diese Untersuchung nicht erst nach Beginn des Laufes der fünfstündigen Bearbeitungszeit durchgeführt würde. Sogar bei einer Unterbrechung der Bearbeitungszeit („Anhalten der Uhr“), um eine solche Durchsuchung durchzuführen, ließe sich im Übrigen dann argumentieren, dass die Unterbrechung dazu führt, dass während dieser zutage geförderte unerlaubte Hilfsmittel nicht „beim Anfertigen der Aufsichtsarbeit“ aufgedeckt worden sind, sondern in einer „Auszeit“. Zu bedenken ist auch, dass eine Unterbrechung der eigentlichen Bearbeitungszeit für eine Untersuchung aller Kandidaten schon aus Verhältnismäßigkeitsgründen unvertretbar ist, da sie alle Kandidaten aus der Konzentration bei der Erbringung der Prüfungsleistungen reißen würde. Dem Auslegungsverständnis des Klägers kann danach nicht gefolgt werden.

36

Soweit der Kläger in Zweifel zieht, dass ein alltagstypischer Gebrauchsgegenstand wie ein Smartphone vom Verordnungstext der Hilfsmittelverordnung erfasst wird, hilft ihm dies nicht weiter. Entscheidend ist, dass ein Smartphone d a s Hilfsmittel ist, mit dem in der heutigen Zeit Kandidaten versuchen, sich einen Vorteil bei einer Klausur zu verschaffen. Auf eine solche Vorteilsverschaffung hebt § 15 Abs. 1 Satz 1 JAG M-V ab. Mit diesem technischen Gerät können „altmodische“ Spickzettel in perfektioniertem Umfang ersetzt werden, es können ganze Lehrbücher, Kommentare und Rechtsprechungsdatenbanken offline und online bereitgehalten werden, der Klausurtext kann fotografiert und verschickt und Lösungshilfen empfangen, es kann mit Dritten verbal und elektronisch kommuniziert werden. Zutreffend hob die erfolgte Belehrung der Kandidaten durch die Aufsichtsführenden zum Start des Klausurtermins mit dem daran anknüpfenden Ultimatum deshalb auch ausdrücklich darauf ab, dass elektrische Geräte wie Smartphones etc. außerhalb der Zugriffsgewalt des Besitzers während der Klausur zu verbringen sind.

37

Soweit der Kläger beteuert, keine Täuschungsabsicht mit dem Smartphone gehabt zu haben, kann ihm das nicht abgenommen werden. Diese Einlassung ist zur Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung aller aktenkundigen Umstände als nicht glaubhafte Schutzbehauptung zu würdigen. Die Belehrung über die letzte Abgabemöglichkeit unerlaubter Hilfsmittel einschließlich Smartphone, die Wahrnehmung dieser Möglichkeit durch einen Mitkandidaten, die angespannte Prüfungssituation unmittelbar vor Ausgabe der Klausur, all dies spricht nach aller Lebenserfahrung dagegen, dass ein Kandidat sein Smartphone – wie gesagt d a s verbotene Hilfsmittel überhaupt –, „vergisst“ abzugeben.

38

Dabei kommt es nicht auf den Inhalt der auf dem Smartphone konkret aufgefundenen PDF-Dateien an, weil – wie angesprochen – auch ohne wie auf einen Spickzettel abgespeicherte Textmengen das Smartphone d a s Instrument ist, sich bei Bedarf variabel während der Klausur Zugang zu unerlaubten Hilfsquellen zu verschaffen.

39

Auch der Umstand, dass der Kläger unauffällig sich in die Reihe der für die Detektorprüfung anstehenden männlichen Kandidaten eingereiht hat und erst, als er zur Detektoruntersuchung an der Reihe war, das Smartphone zückte und herausgab, sich dabei unaufgeregt zeigte und nach Einschätzung des Aufsichtsführenden auch nach der Klausur unaufgeregt und unbesorgt gab, überzeugt das Gericht nicht davon, dass die Annahme eines Täuschungsversuchs hier verfehlt wäre. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass nur derjenige Kandidat, der konkret bei einer Täuschungshandlung „in flagranti“ erwischt wird, sich dazu auch bekennt. Andere, die ein unerlaubtes Hilfsmittel für die mögliche Benutzung zwar vorgehalten haben, ohne dass dessen Anwendung umgesetzt und beobachtet wurde, werden im Regelfall bei Aufdeckung sich in die Schutzbehauptung flüchten, aus Vergesslichkeit und ganz sicher ohne Täuschungsabsicht die rechtzeitige Beseitigung des unerlaubten Hilfsmittels „verschwitzt“ zu haben.

40

Im Übrigen streiten unabhängig von der Überzeugungsbildung des Gerichts auch die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins für einen Täuschungsversuch im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 JAG M-V. Bei demjenigen, der nach dem genannten „Ultimatum“ noch unerlaubte Hilfsmittel in seiner Zugriffsgewalt behält, ist nach diesen Grundsätzen von einer Täuschungsabsicht im Rechtssinne auszugehen, wenn sich nicht Tatsachen ergeben, welche ein vom typischen Ablauf abweichende Geschehen als möglich erscheinen lassen (zum Beweis des ersten Anscheins einer Täuschungsabsicht: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage, Rn. 870 f.). Solche vermag das Gericht nicht zu erkennen. Soweit der Kläger in der Verhandlung nochmals angesprochen hat, anders als andere pflege er einen legeren Umgang mit seinem Smartphone, so habe er es schon einmal nach Abgabe an die Aufsichtsführenden auf deren Tisch im Klausurraum nach Klausurbeendigung liegen lassen, ist dieser Vortrag ohne Überzeugungskraft hinsichtlich der Annahme eines Täuschungsversuchs.

41

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung darauf abhob, seine Prüfungsleistung am 27.04.2017 doch ohne tatsächliche Beeinflussung eines unzulässigen Hilfsmittels erbracht zu haben, ist dies nicht zu bestreiten. Der unternommene Täuschungsversuch mit der Vorhaltung eines Smartphones versperrt aber die Anerkennung dieser Prüfungsleistung. Schon aus generalpräventiven Gründen kann eine Sanktionierung von Täuschungsversuchen zur Gewährleitung von Chancengleichheit nicht auf die Fälle beschränkt werden, in denen die Täuschungshandlung nachweisbar sich auf die Prüfungsleistung ausgewirkt hat. Ein vorgehaltener Spickzettel – der überkommene klassische Fall des Täuschungsversuchs – wird nicht erst dann zu einem prüfungsrechtlich relevanten Täuschungsversuch, wenn er vom Inhalt her behilflich und tatsächlich zum Einsatz gekommen ist.

42

Soweit der Kläger schließlich einen Verstoß des Beklagten gegen das Gebot der Chancengleichheit rügt, weil dieser nicht zeitnah zum Klausurtermin am 27.04.2017, sondern erst im Juli 2017 nach erfolgter Korrektur aller Klausuren dieser Prüfungskampagne ihn zum behaupteten Täuschungsversuch angehört habe, greift auch dieser Einwand nicht durch. Am Klausurtermin selbst, aber auch am Folgetag, an dem noch eine weitere Klausur zu schreiben war, war eine Konfrontation des Klägers mit dem Vorwurf der versuchten Täuschung schon deshalb unangebracht, weil dies ihn und seine Mitkandidaten in der Leistungserbringung gestört, verunsichert und unnötig unter Stress gesetzt hätte. Zudem ist die Bewertung, ob ein Kandidat wegen eines Täuschungsversuchs gemäß § 15 Abs. 1 JAG M-V möglicherweise zu sanktionieren ist, der beklagten Behörde, nicht den Aufsichtsführenden während der Klausur vorbehalten. Auch bedarf es rechtsstaatlich einer Anhörung vor einer Sanktionsentscheidung. Einzuräumen ist, dass der Beklagte den Kläger bereits im Mai 2017 zum Vorwurf einer versuchten Täuschung hätte anhören können. Es gibt aber keinerlei Anhalt, dass das Abwarten des Endes der Korrekturkampagne und die erfolgte Anhörung erst im Juli 2017 den Kläger in seinem Recht auf Chancengleichheit verletzt hätte. Es gibt keinerlei Vortrag oder Anhalt dafür, dass für den Kläger vorteilhaft gewesen wäre, wenn der Beklagte ihn bereits im Mai oder Juni 2017 angehört und bereits vor dem 31.07.2017 ihm gegenüber einen Bescheid mit einer Sanktionsnote erlassen hätte.

43

b) Rechtsfolge der Tatbestandsverwirklichung eines Täuschungsversuchs im Sinne des § 15 Abs. 1 JAG M-V ist die Eröffnung einer Ermessensentscheidung des Beklagten, eine der in Abs. 2 der Vorschrift aufgelisteten Sanktionsfolgen auszusprechen. Der Beklagte kann danach die Prüfung für nicht bestanden erklären, die Wiederholung einzelner oder mehrerer Prüfungsleistungen aufgeben oder die Prüfungsleistung, auf die sich die Ordnungswidrigkeit bezieht, mit der geringstmöglichen Note bewerten. Der Beklagte hat sich nach Anhörung des Klägers hierzu unter Darlegung seiner Erwägungen für die Vergabe der geringstmöglichen Note für die Aufsichtsarbeit (0 Punkte) entschieden. Nachdem der Kläger dies nicht angegriffen hat, die Entscheidung auch nachvollziehbar begründet wurde und auch nur auf Ermessensfehler hin gerichtlich überprüft werden kann, § 114 Satz 1 VwGO, kann von weiteren Ausführungen an dieser Stelle abgesehen werden.

44

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 167 Abs. 2 VwGO wird davon abgesehen, sie für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

45

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 VwGO).

46

Beschluss:

47

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5000 € festgesetzt.

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