Beschluss vom Verwaltungsgericht Schwerin (7. Kammer) - 7 B 1100/19 SN

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen Punkt 1., 2., 4. und 5. des Bescheids vom 2019-05-06 – … – wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert wird auf 2.400 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Vollziehbarkeit einer Anordnung nach § 31a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung.

2

Gemäß dem Bild Nr. 30 und den sonstigen Aufzeichnungen der mit Gültigkeit bis Ende 2019 geeichten Rotlichtüberwachungsanlage vom Typ TRAFFIPAX Traffiphot III, die, bei jeweiliger ordnungsamtlicher Kontrolle der Ordnungsgemäßheit, vom 19. bis 27. November 2018 an der Kreuzung D-Straße/E-Straße in F-Stadt betrieben wurde, passierte das auf die Antragstellerin zugelassene Fahrzeug Daimler mit dem Kennzeichen A... ... ... am 21. November 2019 um 13.29 Uhr die Haltelinie auf der linken Fahrspur der D-Straße, nachdem die Rotphase der Lichtzeichenanlage bereits 0,3 Sekunden andauerte, und setzte die Fahrt fort.

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Die F-Städter Bußgeldstelle ermittelte am 10. Dezember 2018 über Datenabruf vom Kraftfahrtbundesamt die Antragstellerin als Fahrzeughalterin und versandte am selben Tag an diese ein Anhörungsschreiben, gemäß dem ihr die Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage zur genannten Zeit vorgeworfen wurde. Als Beweismittel war das Bild Nr. 30 der Traffiphot-Anlage angegeben, von dem Ausschnitte mit dem vorderen Fahrzeugkennzeichen bzw. mit der Fahrerseite der Windschutzscheibe abgedruckt waren. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 19/20 bzw. 48/49 der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Die Antragstellerin machte unter dem 14. Dezember 2018 in den dafür vorgesehenen Formularzeilen auf der Rückseite des Anhörungsschreibens keine „Angaben zur Person der Fahrerin/des Fahrers/des Verantwortlichen“, bejahte aber durch Ankreuzen der entsprechenden Frage, Halterin des Fahrzeugs zu sein, verneinte hingegen, ebenfalls durch Ankreuzen, „der/die verantwortliche Fahrzeugführer/in“ zu sein bzw. den Verstoß zuzugeben. Zur Begründung für Letzteres führte sie auf einem gleich datierten Schreiben aus: Sie weise die ihr vorgeworfene Verkehrsordnungswidrigkeit zurück. Zum angegebenen Zeitpunkt sei sie nicht Fahrzeugführerin des Pkw gewesen. „Anhand der sehr schlechten Bildqualität“ könne Sie der Bußgeldstelle auch leider keine Auskunft darüber geben, wer das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt habe. Sollte es sich dabei jedoch um einen Angehörigen ihrerseits handeln, werde sie diesbezüglich von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Anhörungsbogen und Schreiben gingen am 18. Dezember 2018 bei der F-Städter Bußgeldstelle ein.

4

Diese hatte unter dem 14. Dezember 2018 bei der A-Städter Stadtverwaltung ein Passfoto der Klägerin angefordert, das ihr am 2. Januar 2019 zuging.

5

Die Bußgeldstelle richtete unter dem 7. Januar 2019 an den städtischen Ermittlungsdienst beim Ordnungsamt in A-Stadt ein Ermittlungsersuchen mit einem verkleinerten Abdruck des Bilds Nr. 30 sowie Abdrucken der genannten beiden Bildausschnitte. Das A-Städter Ordnungsamt bescheinigte, nachdem es sich am 10./11. Januar 2019 ebenfalls ein Passfoto besorgt hatte, als verantwortlicher Fahrzeugführer sei die Antragstellerin ermittelt worden. Dies bezweifelte die F-Städter Bußgeldstelle nach Rücklauf des Ermittlungsersuchens am 28. Januar 2019.

6

Sie richtete unter dem 31. Januar 2019 ein Fahrer-Ermittlungsersuchen an den Ermittlungsdienst der Polizeiinspektion A-Stadt unter Beifügung des Beweisfotos mit Fallprotokoll. Die Polizei besorgte sich von der A-Städter Stadtverwaltung am 7. Februar 2016 ein Passfoto der unter der Anschrift der Antragstellerin gemeldeten Schwiegertochter der Antragstellerin. Telefonisch teilte sie der F-Städter Bußgeldstelle ausweislich eines Telefonvermerks mit, aufgrund der schlechten Qualität des Messfotos wolle man keine Aussage treffen; Ermittlungen im Wohnumfeld kämen aus demselben Grund auch nicht in Betracht. Nach einem weiteren Telefonvermerk vom 11. Februar 2019 hatte die Polizei die Antragstellerin persönlich angetroffen, die eher nicht als Verantwortliche in Betracht komme; sie mache aber weiterhin keine Angaben. Schriftlich berichtete die Polizei am selben Tag, die Fahrzeughalterin sei am 8. Februar 2019 persönlich in Augenschein genommen worden und scheide mit hoher Wahrscheinlichkeit als Fahrzeugführerin aus; sie habe weiterhin von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Das Schreiben ging am 13. Februar 2019 bei der Bußgeldstelle ein.

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Mit Schreiben vom 11. März 2019 regte die F-Städter Bußgeldstelle Maßnahmen nach § 31a StVZO an. Hierzu hörte der Antragsgegner mit am 21. März 2019 versandtem Schreiben die Antragstellerin unter Setzung einer Äußerungsfrist bis zum 8. April 2019 an.

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Nachdem eine Äußerung ausblieb, erließ er den streitgegenständlichen Bescheid vom „2019-05-06“, der Antragstellerin gemäß Postzustellungsurkunde zugestellt am 8. Mai 2019. Hiermit ordnete er, bei Erhebung von Verwaltungskosten in Höhe von 80,91 € (Tenorpunkt 6.), unter — gesondert begründeter — Anordnung der sofortigen Vollziehung (3.) an, dass die Antragstellerin für das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen A... ... ... ein Fahrtenbuch zu führen hat (1.), dass es für die Dauer eines Jahres zu führen ist (2.), dass es durch die Antragstellerin unaufgefordert im Juli 2019 und im März 2020 vorzulegen ist (4.) und dass die Aufzeichnungen sechs Monate nach Ablauf der Zeit, in der das Fahrtenbuch geführt werden muss, aufzubewahren sind (4.).

9

Ihren anwaltlichen Widerspruch vom 23. Mai 2019 begründete die Antragstellerin nach Akteneinsicht unter dem 17. Juni 2019: Sie sei nicht alleinige Nutzerin des Fahrzeugs; dieses werde in der Regel durch den Ehemann oder die Schwiegertochter genutzt. Im Rahmen der Nutzung durch die Schwiegertochter werde es auch immer wieder einmal von dritten Personen gefahren, die der Antragstellerin unbekannt seien. Sie habe sich bei der Anhörung im Bußgeldverfahren nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Ihr sei nicht die Möglichkeit gegeben worden, den Fahrzeugführer zu identifizieren, da ihr nur der völlig unbrauchbare Auszug aus dem Bild Nr. 30 im Anhörungsschreiben, nicht aber die bei den Akten befindlichen, z. T. etwas besseren Bildwiedergaben zugänglich gemacht worden seien.

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Gleichzeitig hat sich die Antragstellerin mit dem vorliegenden Eilantrag an das Gericht gewandt. Eine Fahrtenbuchauflage sei mit erheblichem Aufwand verbunden und könnte nur gerechtfertigt sein, wenn sie, die Antragstellerin, in irgendeiner Art und Weise die Aufklärung des Sachverhalts verhindert hätte. Sie beantragt schriftsätzlich:

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1. Es wird die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches der Antragstellerin vom 23. Mai 2019 gegen die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a StVZO angeordnet.

12

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

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den Antrag abzulehnen,

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und verteidigt seinen Bescheid. Die Antragstellerin habe ihre Obliegenheit verletzt, organisatorische Vorkehrungen für die Feststellbarkeit der Fahrzeugführer zu treffen. Sie habe keine Anstrengungen unternommen, die auf dem zur Verfügung gestellten Foto abgebildete Person zu identifizieren oder den Antragsgegner dabei zu unterstützen.

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Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge (eine Heftung) Bezug genommen.

II.

16

Der Eilantrag ist zulässig und begründet.

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In statthafter Weise begehrt die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres zulässig erhobenen Widerspruchs, die hinsichtlich der Tenorpunkte 1., 2., 4. und 5. durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Tenorpunkt 3. des Bescheids fortfiel, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –. Gemäß der auf die Anordnung der Fahrtenbuchauflage beschränkten Antragstellung ist dagegen Tenorpunkt 6., hinsichtlich dessen auch die prozessualen Voraussetzungen von § 80 Abs. 6 VwGO nicht vorliegen, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

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Die Kammer stellt im streitgegenständlichen Umfang die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her.

19

Zunächst ist auch nach Lektüre der — wohl den formell zu betrachtenden Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO noch genügenden — Ausführungen zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht recht erkennbar, weshalb ein Bedarf an der Umsetzung der Anordnung ungeachtet des gerade mit dem Widerspruch gegen sie eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahrens bestehen soll. Der durch einen Verwaltungsakt Betroffene hat regelmäßig einen Anspruch darauf, dass dessen Rechtmäßigkeit (und im Vorverfahren zusätzlich die Zweckmäßigkeit, § 68 Abs. 1 VwGO) in dem dafür vorgesehenen Verfahren umfassend geprüft wird, bevor der Verwaltungsakt vollzogen werden kann. Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ist für die Wirksamkeit des zu erlangenden Rechtsschutzes von wesentlicher Bedeutung. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung führt zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes, weil das vorläufige Rechtsschutzverfahren lediglich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen einer Interessenabwägung gebietet, und stellt daher die Ausnahme dar (s. etwa den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. August 1999 – 8 B 902/99 –, NVwZ-RechtsprechungsReport 2000, S. 121 [122]). Ungeachtet der gleichwohl offenbar weitgehenden Billigung eines derartigen behördlichen Vorgehens in der Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, Rdnr. 74 zu § 31a StVZO) läuft dieses nach Auffassung der Kammer auf eine unstatthafte Korrektur des Gesetzgebers hinaus, der es bisher eben gerade nicht für erforderlich hielt, etwa im Straßenverkehrsgesetz – StVG – eine (formell-)bundesgesetzliche Regelung im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO bezogen auf Fahrtenbuch-Anordnungen vorzunehmen. Die mit diesen getroffene „mitwirkungsbedürftige Strafverfolgungs-Vorsorge“ leistet nämlich auch nur einen höchst indirekten Beitrag zum Ziel der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs.

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Auch vor diesem Hintergrund trifft die Kammer ihre Entscheidung, da das Interesse der Antragstellerin, einstweilen von den ihr auferlegten Verpflichtungen verschont zu bleiben, gegenüber dem vom Antragsgegner angenommenen öffentlichen Interesse an Wirksamkeit und Vollzug der Anordnung überwiegt. Wie nämlich bereits im Eilverfahren zu erkennen ist und bei der Interessengewichtung den Ausschlag geben muss, hat der Widerspruch aus Rechtsgründen beachtliche Erfolgsaussichten; ein öffentliches Interesse am Vollzug einer rechtswidrigen Verfügung ist aber grundsätzlich nicht ersichtlich.

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In formeller Hinsicht ist an der Anordnung zu bemängeln, dass deren notwendige Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG M-V – Zweifeln unterliegt, weil jedenfalls für den juristisch nicht geschulten Laien nicht eindeutig erkennbar ist, wann die Pflicht zur Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer eines Jahres beginnt (und damit auch, wann sie endet). Dem Juristen ist bekannt, dass ein Verwaltungsakt gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG M-V gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem er ihm bekanntgegeben wird; fehlt es an differenzierenden Regelungen, gilt dies sowohl für die sog. äußere als auch für die innere Wirksamkeit. Es ist durchaus zweifelhaft, ob die Antragstellerin allein aus der präsentischen Formulierung des Tenorpunkts 1. („Sie haben … ein Fahrtenbuch zu führen.“) ableiten musste, dass für sie die Jahresfrist genau mit dessen Lektüre begonnen hatte — zumal der Bescheid mit der Anordnung ihr am 8. Mai 2019 durch Einlegen in den Wohnungsbriefkasten ersatz-zugestellt worden war, der unbekannte Zeitpunkt seiner tatsächlichen Kenntnisnahme durch die Antragstellerin und ihrer Möglichkeit, ihn zu befolgen, dagegen hiervon abweichen kann. Die Bescheidsbegründung enthält sich auch jeder näheren Umschreibung des Fristbeginns, wenn man von der hauptsächlich Juristen verständlichen Darstellung absieht, dass die Anordnung „für die Dauer eines Jahres mit sofortiger Vollziehung“ (Seite 3 oben) getroffen werde und dass es, um ihr der Verkehrssicherheit dienendes Ziel „kurzfristig zu erreichen“, geboten sei, die sofortige Vollziehung anzuordnen (Seite 3 unten); für jedermann eindeutige Formulierungen wie „ab sofort“ oder, auch die Zumutbarkeit und Nachprüfbarkeit berücksichtigend, „ab dem Ablauf einer Woche nach Zustellung dieses Bescheids (beginnend mit dem gleichen Wochentag)“ o. ä. fehlen dagegen.

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Ferner ist der Antragstellerin darin zu folgen, dass die Ermessensausübung durch den Antragsgegner nicht beanstandungsfrei ist.

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Dabei ist es allerdings wohl nur einem Versehen beim Umgang mit Textbausteinen zuzuschreiben, dass in der Bescheidsbegründung bei der gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG M-V erforderlichen Darstellung der Ermessensgesichtspunkte (auf Seite 2, Mitte) hauptsächlich von einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und eher nachrangig von einer — dem Fahrer oder der Fahrerin des Fahrzeugs der Antragstellerin allenfalls zur Last zu legenden — „Missachtung des roten Ampellichts“ die Rede ist; denn es wird immerhin der (unter Pos. 132 des Bußgeldkatalogs vorgegebene) Regelsatz von 90 € und die Bewertung des Verstoßes mit einem Punkt (nach Pos. 3.2.19 der Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung) zutreffend angeführt.

24

Die Anordnung im Tenorpunkt 1. ist — eine andere Grundlage ist auch nicht ersichtlich — gestützt auf § 31a StVZO, wobei die der Antragstellerin auferlegten Pflichten im Sinne des Absatzes 2 der Vorschrift allein in den Bescheidsgründen erläutert werden, die auch den Vorbehalt einer Regelung nach Absatz 1 Satz 2 darstellen, während Tenorpunkte 4. und 5. ausdrückliche Folgeregelungen im Sinne von § 31a Abs. 3 StVZO enthalten. Die rechtlichen Voraussetzungen der Anordnung stellt § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO dar: Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Gemeint ist, dass die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Straßenverkehrs-Ordnungswidrigkeit innerhalb der Verjährungsfrist zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat (s. die Nachweise bei Dauer, a. a. O. Rdnr. 22, 26). Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ermessensgerecht ist die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach dieser Ermächtigung nur, wenn, wovon vorliegend allerdings auszugehen sein dürfte, der Verkehrsverstoß, um den es geht, hinreichend schwerwiegend ist (s. Dauer, a. a. O. Rdnr. 18 ff. [20]) und wenn der eben bezeichnete Verlauf des Bußgeldverfahrens einem Verhalten des in Anspruch genommenen Fahrzeughalters zuzurechnen ist. Jedenfalls an Letzterem dürfte es fehlen.

25

Die Antragstellerin gab bei ihrer — nicht innerhalb eines im Regelfall höchstens zwei Wochen währenden (Dauer, a. a. O. Rdnr. 27) Zeitraums veranlassten — schriftlichen Anhörung, neben dem ihr — wohl auf Dauer — nicht zu widerlegenden Bestreiten des an sie gerichteten Tatvorwurfs, an, sie könne nicht Auskunft darüber geben, wer das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe. Nachvollziehbar und unwiderlegbar begründete sie das mit der mangelhaften Qualität des ihr zur Verfügung gestellten Bild(ausschnitt)s. Diese Wiedergabe des Bilds Nr. 30 der Rotlichtüberwachungsanlage ist für eine Identifizierung der auf der Fahrerseite nur in dunklen Grautönen unscharf-schemenhaft vor dem dunklen Fahrzeuginneren auszumachenden Gestalt tatsächlich in jeder Hinsicht unbrauchbar. Auch die Verwendung der in den Verwaltungsvorgängen überlieferten Aktenexemplare des Bilds als Beweismittel im Bußgeldverfahren hätte übrigens bei Bestreiten der Täterschaft nach Überzeugung der Kammer zu einem Freispruch jeder als Betroffener in Anspruch genommenen Person geführt; der Kammer ist auch bei deren Betrachtung nicht einmal die Festlegung möglich, ob es sich bei der abgebildeten um eine männliche oder weibliche Person handelt.

26

In der weiteren schriftlichen Angabe der Antragstellerin, sofern es sich „um einen Angehörigen [ihrer]erseits“ handeln sollte, würde sie diesbezüglich von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, dürfte entgegen der Auffassung der F-Städter Bußgeldstelle und den vorgerichtlichen Ausführungen des Antragsgegners keine Verweigerung von Angaben zur Person des Fahrzeugführers oder der Fahrzeugführerin zu erblicken sein. Denn die bedingt in Aussicht gestellte Zeugnisverweigerung bezog sich ersichtlich auf einen hypothetischen Fall, nämlich dass die Antragstellerin — woher auch immer — Kenntnisse über die Person des Fahrzeugführers im maßgeblichen Zeitpunkt erlangen würde und dass es sich dabei „um einen Angehörigen [ihrer]erseits“ handele, was nach dem objektiven Inhalt ihrer Ankündigung durchaus nicht als sicher feststand. Ob sich im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens bei der Antragstellerin eine verhärtete oder erweiterte Weigerungshaltung ergab, ist aus den der Ermessensbetätigung des Antragsgegners allein zugrunde gelegten Unterlagen der F-Städter Bußgeldstelle nicht ersichtlich. Diese hatte das A-Städter Ordnungsamt und die dortige Polizei nämlich jeweils bereits mit dem Hinweis um Unterstützung ersucht, dass die Antragstellerin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache; vor diesem Hintergrund können dem Kurzbericht der Polizei insoweit keine eindeutigen Aufschlüsse entnommen werden.

27

Nach verbreiteter Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. etwa die Nachweise bei Dauer, a. a. O. Rdnr. 31 ff., und die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern – OVG M-V – vom 26. Mai 2008 – 1 L 103/08 –, vom 25. Januar 2012 – 1 M 200/11 –, und vom 31. Juli 2012 – 1 B 840/11 –, juris Rdnr. 9 bzw. juris Rdnr. 10 f. bzw. V. n. b.) besteht für den über den Tatvorwurf einer mit ihrem Fahrzeug begangenen Verkehrszuwiderhandlung in Kenntnis gesetzten Fahrzeughalter eine Obliegenheit, zu dessen Aufklärung soweit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist; dazu soll auch die Obliegenheit gehören, auf ein Anhörungsschreiben hin ungeachtet etwaiger Zeugnisverweigerungsrechte jedenfalls unverzüglich bei der Eingrenzung des für den Verkehrsverstoß in Betracht kommenden Fahrzeugnutzerkreises mitzuwirken, sofern ihm der Fahrer, der den Verstoß beging, nicht bekannt ist. Indessen ist durchgreifend zweifelhaft, ob auch für die Antragstellerin auf die Anhörung vom 10. Dezember 2018 hin eine solche Obliegenheit angenommen werden kann. Denn auf der Rückseite des Anhörungsschreibens wurde lediglich ausgeführt, dass die Betroffene für den Fall, dass sie die Ordnungswidrigkeit nicht begangen habe, als Zeugin angehört werde; sie wurde gebeten, binnen einer Woche neben ihren eigenen Personalien zusätzlich diejenigen des Verantwortlichen mitzuteilen (wozu sie indessen nicht verpflichtet sei). Der Anhörungsbogen sah für die letztgenannte Angabe unter Punkt 2. zwei Zeilen für persönliche Daten vor. Die Antragstellerin wurde darüber belehrt, dass, sollte sie der Bitte um Angabe der Personalien des Verantwortlichen nicht entsprechen, sie mit ihrer richterlichen Vernehmung als Zeugin in einem Verfahren gegen Unbekannt rechnen müsse; auch wurde sie über die Möglichkeit der Beiziehung von Passfotos sowie schließlich über die — nicht dem bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahren zuzuordnende — Möglichkeit einer Anordnung nach § 31a StVZO informiert. Vor diesem Hintergrund einer auf Benennung einer bestimmten Person fokussierten Anfrage kann die Kammer nicht mehr eine Obliegenheit der Antragstellerin erkennen, den in Betracht kommenden Nutzerkreis einzuschränken oder auch nur diesbezügliche eigene Ermittlungen anzustellen, da ihre Hilfe nach der Gestaltung des Anhörungsschreibens insoweit nicht in Anspruch genommen wurde. Die ausdrückliche Frage, ob der ihr zur Last gelegte Verstoß von ihr zugegeben werde, beantwortete die Antragstellerin dagegen durch Ankreuzen auf dem Anhörungsschreiben und, wie dort anheimgestellt, mit einer schlüssigen und hinreichenden Begründung auf seinem gesonderten Blatt: Sie sei zum angegebenen Zeitpunkt nicht Fahrzeugführerin gewesen.

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Die Kammer folgt auch nicht der Auffassung des Antragsgegners, wonach bereits der Umstand, dass die Antragstellerin nicht die organisatorischen Vorkehrungen getroffen habe, um jederzeit Auskunft über die Person des Fahrzeugführers geben zu können, die streitgegenständliche Anordnung rechtfertige. Dies mag auf Autovermietungen oder gewerbliche Unternehmen mit eigenem Fuhrpark zutreffen, zu denen die meisten Gerichtsentscheidungen ergingen. Innerhalb einer Familie einschließlich deren engeren Bekanntenkreises ist es indessen der — begrüßenswerte — Regelfall, dass private Kraftfahrzeuge gemeinsam genutzt werden, statt dass jedes Familienmitglied ein eigenes Fahrzeug hält; hieraus die Obliegenheit abzuleiten, vorsorglich ständig die Fahrzeugnutzung zu dokumentieren, liefe auf eine vom Gesetz gerade nicht vorgesehene dauerhafte Anwendung von § 31a StVZO hinaus. Gesetz- und Verordnungsgeber haben Fahrtenbuch- und Fahrtenschreiber-Pflichten nicht ohne Grund nur bereichsspezifisch angeordnet; das kaufmännische Eigeninteresse an einer Dokumentation der Fahrzeugbewegungen fehlt im familiär-privaten Bereich regelmäßig (s. den Beschluss des OVG M-V vom 26. Mai 2008 – 1 L 103/08 –, juris Rdnr. 12).

29

Schließlich stellt sich die Frage, warum die F-Städter Bußgeldstelle es nicht veranlasste, dass die Schwiegertochter der Antragstellerin als Zeugin angehört wurde, zumal sie selbst davon ausging, dass das Foto Nr. 30 eine weibliche Person abbilde. Nach Unterbrechung der gemäß § 26 Abs. 3 StVG dreimonatigen, gemäß § 31 Abs. 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten – OWiG – ursprünglich am Tattag 21. November 2018 begonnenen Verjährungsfrist gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG (vgl. hierzu näher den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 9. November 1999 – 2 Ss OWi 1105/99 –, Monatsschrift für Deutsches Recht 2000, S. 210 f.) hätte dafür bezogen auf die als Täterin verdächtigte Antragstellerin (§ 33 Abs. 4 Satz 1 OWiG) sogar die Zeit bis 10. März 2019 zur Verfügung gestanden. Zwar ist es im Regelfall der Bußgeldbehörde nach Anhörung des Halters nicht zuzumuten, in dessen Umfeld wahllos zeitraubende Ermittlungen zu betreiben; nachdem die zur Hilfe herangezogene A-Städter Polizei allerdings ersichtlich umgestimmt worden war und das Anwesen der Antragstellerin aufsuchte, nachdem sie sich selbst auch ein Bild der ebenfalls dort gemeldeten Schwiegertochter beschafft hatte, hätte sich ein solches Vorgehen jedoch aufgedrängt und wäre als zumutbare Ermittlungshandlung angezeigt gewesen.

30

Die Kostenentscheidung zu Lasten des unterliegenden Antragsgegners ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.

31

Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1, 2 und 8 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes. Sie orientiert sich an Nr. 46.11 sowie Nr. 1.5 Satz 1 des „Streitwertkatalogs 2013“ (vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 11. Juni 2019 – 1 B 447/18 –, juris Rn. 24).

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