Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 5 K 1225/06

Tenor

Die Bescheide des Landratsamtes S. vom 17. April 1997, soweit diese den Bescheid des Landratsamtes S. vom 16. Februar 1996 aufheben und einen Betrag von 2.784 DM zurückfordern, und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 18. Juli 2006 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Wohngeld für den Zeitraum vom 1.1.1996 bis zum 30.6.1996 sowie gegen die Rückforderung der bewilligten Leistungen.
Mit beim Bürgermeisteramt M. gestellten Antrag, der beim Landratsamt S. am 21.11.1995 einging, beantragte die verheiratete Klägerin, deren Tochter E. am ....1995 geboren wurde, Wohngeld. In dem Antrag wird hinsichtlich des Bruttoeinkommens der Klägerin auf eine Anlage verwiesen und hinsichtlich des Bruttoeinkommens des Ehemannes der Klägerin angegeben, dass Erziehungsgeld beantragt sei. Die Klägerin verneinte die Frage, ob sich in den nächsten 12 Monaten ihre Einnahmen oder die einer zu ihrem Haushalt gehörenden Personen um mehr als 10 % verringern oder erhöhen werden. In dem von der Klägerin unterzeichneten Wohngeldantrag ist weiter ausgeführt, dass dem Unterzeichner bekannt sei, dass er gesetzlich verpflichtet sei, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung maßgeblich seien, unverzüglich mitzuteilen. Dies gelte insbesondere für Einnahmeerhöhungen von mehr als 15 Prozent. Zu Unrecht empfangenes Wohngeld sei zurückzuzahlen, wenn der Unterzeichner die ungerechtfertigte Gewährung zu vertreten habe. In der mit dem Wohngeldantrag unter anderem vorgelegten Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers der Klägerin vom 13.9.1995 wird ausgeführt, dass die Klägerin ab dem 25.9.1995 in Mutterschutz und ein eventuell anschließender Erziehungsurlaub noch nicht geklärt sei. Ferner waren dem Antrag unter anderem Bescheinigungen des Arbeitsamtes B. über den Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe des Ehemanns der Klägerin beigefügt. Mit Schreiben des Landratsamtes S. vom 13.12.1995 wurde die Klägerin gebeten, einen Nachweis über die Höhe ihres Mutterschaftsgeldes gültig für die Zeit ab dem 1.11.1996 vorzulegen. Ferner wurde unter anderem um Vorlage von Nachweisen gebeten, falls die Klägerin noch andere Einkünfte habe. Mit Schreiben vom 9.1.1996, beim Landratsamt S. am 11.1.1996 eingegangen, legte die Klägerin einen an deren Ehemann adressierten Bescheid der Landeskreditbank Baden-Württemberg (LAKRA) vom 14.12.1995 über den Bezug von Erziehungsgeld sowie eine Bescheinigung der B. E. vom 14.11.1995 über den Bezug von Mutterschaftsgeld bis zum 31.12.1995 vor.
Mit Bescheiden vom 18.1.1996 wurde der Klägerin für den Monat November 1995 Wohngeld in Höhe von 274 DM und für den Monat Dezember 1995 Wohngeld in Höhe von 256 DM gewährt. Mit weiterem Bescheid vom 16.2.1996 bewilligte das Landratsamt S. der Klägerin Wohngeld in Höhe von 464 DM monatlich für die Zeit vom 1.1.1996 bis zum 30.6.1996. In dem zuletzt genannten Bescheid wurde bei der Berechnung der anrechenbaren Einkünfte lediglich die Arbeitslosenhilfe des Ehemanns der Klägerin zu Grunde gelegt. In den Bescheiden wird ebenfalls auf die bereits im Wohngeldantrag genannten Mitteilungspflichten und auf die Rückzahlungspflicht hingewiesen, wenn der Empfänger die ungerechtfertigte Gewährung von Wohngeld zu vertreten habe.
Anlässlich eines Weitergewährungsantrages legte die Klägerin eine Verdienstbescheinigung ihres Arbeitgebers vom 29.5.2006 vor, aus der sich ergibt, dass die Klägerin lediglich bis Dezember 1995 in Mutterschutz war und seit Januar 1996 ein volles Arbeitsgehalt in Höhe von über 4.100 DM brutto monatlich bezog.
Mit Schreiben vom 19.9.1996 gab das Landratsamt S. der Klägerin Gelegenheit, zum Sachverhalt und zur Rücknahme der Wohngeldbescheide Stellung zu nehmen. Bei einer persönlichen Vorsprache gab die Klägerin an, dass die ihrem Ehemann bewilligte Arbeitslosenhilfe zum 5.11.1995 eingestellt worden sei. Ihr sei nicht klar gewesen, dass von Seiten der Behörde von falschen Einkünften ausgegangen worden sei.
Mit Bescheiden vom 17.4.1997 hob das Landratsamt S. den Wohngeldbescheid vom 16.2.1996 auf (lfd. Nr. 1), stellte die Wohngeldzahlung ein und forderte die Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 2.784 DM (lfd. Nr. 2).
Gegen diese Bescheide legte die Klägerin am 2.5.1997 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus: Sie habe richtige Angaben gemacht und deswegen die Unrichtigkeit des Bescheides vom 16.2.1996 nicht zu vertreten. Hinsichtlich der Rückforderung bestünden Bedenken im Hinblick auf § 48 Abs. 4 LVwVfG. Der Bevollmächtigte der Klägerin legte mit Schriftsatz vom 24.4.2003 dem Landratsamt S. einen Aktenvermerk über ein Gespräch mit der Klägerin vor, in dem diese unter anderem angibt: Sie könne sich noch genau erinnern, dass sie hochschwanger im September/Oktober 1995 bei der Wohngeldstelle des Landratsamtes vorgesprochen habe, um sich nach den Voraussetzungen für Wohngeld zu erkundigen. Die damals verlangten Unterlagen habe sie der Sachbearbeiterin gebracht. Sie habe unter anderem ihre Verdienstbescheinigungen sowie den Bescheid der LAKRA vom 14.12.1995 an ihren Ehemann hinsichtlich des Erziehungsgeldes vorgelegt. Sie habe der Sachbearbeiterin auch deutlich gesagt, dass sie nach dem Mutterschutz wieder arbeiten werde. Bei einer Vorsprache im Juni 1996 habe die Sachbearbeiterin eingeräumt, dass sie bei der Überprüfung der Unterlagen übersehen habe, dass der Bewilligungsbescheid der LAKRA ihren Ehemann betroffen habe. Sie sei irrtümlich davon ausgegangen, dass sie die Bezieherin des Erziehungsgeldes sei und nicht mehr zur Arbeit gehe. Der Bevollmächtigte der Klägerin war deswegen der Ansicht, dass die Klägerin Vertrauensschutz genieße. Sie habe keine unrichtigen Angaben gemacht. Der Wohngeldstelle sei vielmehr von Anfang an klar gewesen, dass ab Januar 1996 wieder mit höheren Einkünften zu rechnen gewesen sei. Außerdem sei Verjährung bzw. Verwirkung des Anspruchs eingetreten. Die wirtschaftliche Lage der Klägerin sei beengt. Der Ehemann sei nicht berufstätig.
Auf dieses Schreiben teilte das Landratsamt der Klägerin mit Schreiben vom 28.3.2003 unter anderem mit: Zwar möge es zutreffen, dass sich die Klägerin vor der Geburt vorab bei der Wohngeldstelle erkundigt habe, doch sei der Antrag am 20.11.1995 beim Rathaus eingereicht worden. Fehlende Unterlagen seien von Seiten des Landratsamtes mit Schreiben vom 13.12.1995 angefordert worden, unter anderem sei die Klägerin nach sonstigen Einkünften gefragt worden. Die fehlenden Unterlagen seien am 16.1.1996 per Post bei der Wohngeldstelle ohne Angaben über weitere Einkünfte bzw. ohne jegliche Hinweise bezüglich einer Weiterbeschäftigung eingegangen.
Das Landratsamt S. legte den Widerspruch der Klägerin mit Schreiben vom 13.6.2006 dem Regierungspräsidium T. vor.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18.7.2006 wies das Regierungspräsidium T. den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage für den Widerruf des Wohngeldbescheides sei § 45 SGB X. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt. Der Bescheid vom 16.2.1996 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides wieder Arbeitseinkommen bezogen, dies aber nicht der Wohngeldstelle angegeben habe. Das Landratsamt habe den Bescheid auch zu Recht rückwirkend aufgehoben. Hiervon könne nur in atypischen Fällen abgesehen werden. Im Wohngeldantrag sowie im Wohngeldbescheid sei aber ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass eine Verpflichtung bestehe, Einkommenserhöhungen unverzüglich mitzuteilen, wenn diese mehr als 15 % ausmachen würden. Dies habe die Klägerin pflichtwidrig unterlassen. Aus dem Wohngeldbescheid habe ohne Weiteres ersehen werden können, dass als Einkommen lediglich die Arbeitslosenhilfe des Ehemannes berücksichtigt worden sei. Nachdem das tatsächlich erzielte Einkommen in diesem Zeitraum etwa dreimal so hoch gewesen sei, habe es sich der Klägerin geradezu aufdrängen müssen, dass ihr Wohngeldanspruch zumindest in der bewilligten Höhe nicht bestanden habe. Es komme hinzu, dass die Klägerin mit Schreiben vom 13.12.1995 nochmals um Vorlage von Nachweisen bezüglich weiterer Einkünfte gebeten worden sei. Auch hierauf habe sie keine entsprechende Mitteilung gemacht. Auch wenn die Klägerin vor der Antragstellung bei der Wohngeldstelle vorgesprochen habe, könne damit kein Vertrauenstatbestand begründet werden. Hätte die Klägerin bei der Wohngeldstelle angegeben, dass sie ab Januar 1996 wieder arbeite, wäre dies von der Wohngeldstelle berücksichtigt worden. Die Klägerin wäre mit Sicherheit aufgefordert worden, sobald als möglich einen entsprechenden Gehaltsnachweis vorzulegen. Im Hinblick auf die eindeutigen Hinweise sowohl im Wohngeldantrag wie auch im Wohngeldbescheid sei das Verhalten der Klägerin als zumindest grob fahrlässig zu beurteilen. Bei pflichtgemäßer Ermessensausübung sei daher eine Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes geboten. Das öffentliche Interesse an einer Rücknahme des Wohngeldbescheides und die damit verbundene Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes überwiege das Interesse der Klägerin, die Leistungen behalten zu dürfen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Klägerin eine Rückerstattung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes unzumutbar sei. Es werde darauf hingewiesen, dass gegebenenfalls Ratenzahlungen eingeräumt werden könnten.
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Die Klägerin hat am 19.8.2006 Klage erhoben, zu deren Begründung sie ausführt: Ihr werde zu Unrecht vorgeworfen, dass sie ihre Arbeitseinkünfte habe verheimlichen wollen. Aus den vorgelegten Unterlagen sei eindeutig erkennbar gewesen, dass sie weitere Einkünfte gehabt habe. Wenn sie Leistungen habe erschleichen wollen, hätte sie auf einen Weiterbewilligungsantrag verzichtet. Nachdem mittlerweile zwischen Antragstellung und Bewilligung des Wohngeldes nahezu 10 Jahre vergangen seien, könne sie sich nicht mehr an alle Details erinnern. Damals habe sie sich durch Umzug und der Doppelbelastung von Haushalt und Kindererziehung in einer schwierigen Lebenssituation befunden. Sie sei sich allerdings sicher, dass sie bei mehreren Vorsprachen entweder in M. oder beim Landratsamt klare Angaben zu ihren Einkünften gemacht habe. Zudem habe sie nach so langer Zeit nicht mehr mit einem Rückforderungsbescheid rechnen müssen. Dem Beklagten müsse ein erhebliches Mitverschulden angelastet werden.
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Die Klägerin beantragt,
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die Bescheide des Landratsamtes S. vom 17.4.1997, soweit diese den Bescheid des Landratsamtes S. vom 16.2.1996 aufheben und einen Betrag von 2.784 DM zurückfordern, und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 18.7.2006 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend im Wesentlichen aus: Im Formular des Wohngeldantrages (Punkt 21) werde gefragt, ob sich die Einnahmen der Klägerin in den nächsten 12 Monaten um mehr als 10 % verringern oder erhöhen würden. Dies sei von der Klägerin im Antrag vom 20.11.1995 verneint worden. Auf die mit Schreiben vom 13.12.1995 nachgeforderten Belege habe sie mit Schreiben vom 16.1.1996 die Einkünfte, die sie weiterhin vom Arbeitgeber bezogen habe, nicht erwähnt. Zwar habe auf Grund der Vorlage des Erziehungsgeldbescheides für den Ehemann der Klägerin die Vermutung nahe gelegen, dass die Klägerin wieder arbeite. Die damalige Sachbearbeiterin habe übersehen, dass dieser Bescheid nicht an die Klägerin, sondern deren Ehemann adressiert gewesen sei und dieses Versäumnis eingeräumt. Deswegen sei das Wohngeld auch nicht schon ab Beginn der Gewährung (November 1995) zurückgefordert worden. Für November und Dezember sei der Klägerin mithin Vertrauensschutz gewährt worden, da sie den Bezug des Erziehungsgeldes des Mannes mitgeteilt habe. Es habe jedoch nicht auf eine Nachberechnung ab Januar 1996 verzichtet werden können, da sich das Einkommen um mehr als 15 % des im Bescheid genannten Gesamtbruttoeinkommens erhöht habe. Auf Grund des offenen Widerspruchsverfahrens habe auch keine Verjährung eintreten können. Eine Bereicherungsabsicht werde der Klägerin nicht unterstellt.
17 
Der Kammer liegen die Wohngeldakte des Landratsamtes S. und die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums T. vor. Hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
18 
Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide des Landratsamtes S. vom 17.4.1997, soweit diese den Bescheid des Landratsamtes S. vom 16.2.1996 aufheben und einen Betrag von 2.784 DM zurückfordern, und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 18.7.2006 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten  (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Dies gilt zunächst, soweit das Landratsamt S. die Aufhebung des Bescheides vom 16.2.1996 verfügt hat.
20 
Die im Bescheid des Landratsamtes S. vom 17.4.1997 (Lfd. Nr. 1) herangezogene Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 SGB X trägt die Aufhebung des bewilligenden Wohngeldbescheides nicht. Denn sie setzt voraus, dass sich die Verhältnisse nach Erlass des bewilligenden Bescheides wesentlich geändert haben (vgl. Wannagat, SGB X, § 48 RdNr. 21). Dies ist hier aber nicht der Fall, da die Klägerin bereits ab dem 1.1.1996 wieder berufstätig war und das seit diesem Zeitpunkt von der Klägerin bezogene Arbeitsentgelt im Bescheid vom 16.2.1996 nicht berücksichtigt wurde.
21 
Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides des Landratsamtes S. vom 16.2.1996 ist vielmehr, wovon auch das Regierungspräsidium T. im Widerspruchsbescheid vom 18.7.2006 ausgegangen ist, § 45 Abs. 1 SGB X. Danach darf ein bestandskräftiger, rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt ganz oder teilweise für die Zukunft oder für die Vergangenheit unter den einschränkenden Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 dieser Bestimmung zurückgenommen werden. Zwar sind die Voraussetzungen dieser Rücknahmevorschrift erfüllt, doch hat der Beklagte nicht fehlerfrei von der dann ihm eröffneten Ermessensermächtigung Gebrauch gemacht.
22 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X liegen vor. Das Wohngeld als rechtlich erheblicher Vorteil wurde der Klägerin rechtswidrig gewährt, weil - wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausführte - schon im Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. § 11 WoGG) im November 1995 bekannt war, dass sie nach dem Ende der Mutterschutzfrist ab dem 1.1.1996 wieder ihrer Beschäftigung nachgehen werde und ihr bei Berücksichtigung des aus dieser Beschäftigung erzielten Einkommens kein Wohngeld zugestanden hätte (vgl. die Berechnung im Bescheid des Landratsamtes S. vom 17.4.1997 (lfd. Nr. 1) auf Blatt 36 der Akte des Landratsamtes S., die zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht).
23 
Des Weiteren ist die Rücknahme nicht durch § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ausgeschlossen. Denn die Klägerin kann gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X keinen Vertrauensschutz geltend machen. Nach dieser Vorschrift kann sich der Begünstigte, der erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, nicht auf Vertrauen berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstige vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die Klägerin hat hier in wesentlicher Beziehung unrichtige oder jedenfalls unvollständige Angaben gemacht. Denn schon bei Antragstellung war ihr bekannt, dass sie nach Ablauf der Mutterschutzfrist wieder ihrer alter Beschäftigung nachgehen wird und hieraus ein Arbeitseinkommen bezieht. Auch auf Nachfrage des Landratsamtes im Schreiben vom 13.12.1995, mit der die Klägerin unter anderem aufgefordert wurde, bis zum 15.1.1996 Nachweise vorzulegen, wenn sie noch über andere Einkünfte verfügt, hat die Klägerin auf die Fortsetzung ihrer beruflichen Tätigkeit und die hieraus erzielten Einkünfte ab dem 1.1.1996 nicht hingewiesen und keine entsprechenden Arbeits- bzw. Verdienstbescheinigungen vorgelegt. Hierbei hat die Klägerin auch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem besonders schweren Maß verletzt. Denn jedenfalls nach der Anfrage des Landratsamtes vom 13.12.1995 lag es auf der Hand, dass Angaben zu der neuen Tätigkeit verlangt wurden und gemacht werden mussten. Ein solches Erfordernis ergab sich für die Klägerin im Übrigen offenkundig auch aus dem Vordruck in dem von ihr unterschriebenen Wohngeldantrag, in dem sie auf die gesetzliche Verpflichtung zur Mitteilung von wesentlichen Erhöhungen des Einkommens hingewiesen wurde.
24 
Allerdings ist die Entscheidung über die Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligung von Wohngeld ab dem 1.1.1996 nicht in pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens ergangen. Bei der Ermessenskontrolle prüft das Gericht nicht, ob die Behörde eine zweckmäßige Entscheidung getroffen hat, sondern nur, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO). Das war hier nicht der Fall.
25 
Der Bescheid des Landratsamtes S. vom 17.4.1997 lässt eine Ermessensausübung nicht erkennen. Im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 18.7.2006 ist lediglich ausgeführt, dass das bei pflichtgemäßer Ermessensausübung eine Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes geboten sei. Das öffentliche Interesse an einer Rücknahme des Wohngeldbescheides und die damit verbundene Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes überwiege das Interesse der Klägerin, die Leistungen behalten zu dürfen. Damit ist das Ermessen aber nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden.
26 
Der Beklagte kann sich insbesondere nicht darauf berufen, das Ermessen sei nach den Grundsätzen des intendierten Ermessens ordnungsgemäß ausgeübt worden (zur Anwendung dieses Grundsatz auf § 45 SGB X vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.2.1986 - 8 A 2001/84 -, ZFSH/SGB 1987, 155; VG Sigmaringen, Urteil vom 8.3.2001 - 6 K 2339/99 -). Denn nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 31.7.1990 - 6 S 2062/98 - und Urteil vom 11.10.1993 - 7 S 1923/92 -) steht die Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X selbst dann noch im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, wenn die gesetzlichen Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2/3 und Abs. 4 SGB X erfüllt sind bzw. wenn bei der zunächst im Rechtsbereich zu treffenden Abwägung von öffentlichem und privatem Interesse dem Begünstigten Vertrauensschutz zu versagen wäre. Die Ermessenserwägungen der Behörde müssen vielmehr in der Begründung des Aufhebungsbescheides zum Ausdruck kommen. Darlegungen zu den rechtlichen Voraussetzungen der Rücknahme reichen hierfür grundsätzlich ebenso wenig aus wie eine Bezugnahme nur auf das öffentliche Interesse an der Rücknahme ohne Würdigung der in die Ermessensausübung einzustellenden Interessen des Betroffenen. Hier bietet der Sachverhalt durchaus Gesichtspunkte, die in die Ermessensausübung zu Gunsten der Klägerin hätten eingestellt werden müssen.
27 
So fällt zunächst ins Auge, dass das Landratsamt S. ein erhebliches Mitverschulden bei der Bewilligung des zu Unrecht geleisteten Wohngeldes traf. Denn es ist der Frage, ob die Klägerin nach Ablauf der Mutterschutzfristen wieder arbeitet und damit ein wohngeldrelevantes Einkommen bezieht, nicht weiter nachgegangen. Die Behörde hätte aber auf Grund des Schreibens der Krankenkasse der Klägerin vom 14.11.1995 wissen müssen, dass die Mutterschutzfrist zum 31.12.1995 abläuft. Insoweit hätte sie nachfragen und eine ausdrückliche Erklärung von der Klägerin verlangen müssen, ob sie sich nach Beendigung des Mutterschutzes in einem anschließenden Erziehungsurlaub befinden oder wieder arbeiten wird. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Hinweis des Arbeitgebers der Klägerin in der Verdienstbescheinigung vom 13.9.1995, in der ausgeführt wird, dass die Frage, ob die Klägerin im Anschluss an den Mutterschutz Erziehungsurlaub beanspruchen wird, noch nicht geklärt sei. Die behördliche Klärung der Frage, ob die Klägerin nach Ablauf des Mutterschutzes wieder erwerbstätig ist, lag auch deswegen nahe, weil der Behörde der an den Ehemann der Klägerin adressierte Bescheid der LAKRA vom 14.12.1995 über die Bewilligung von Bundeserziehungsgeld für das erste Lebensjahr der Tochter der Klägerin vorlag. Das Erziehungsgeld wird nämlich nur dann gewährt, wenn keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 BErzGG), wobei der Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe einer vollen Erwerbstätigkeit gleichsteht (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 BErzGG). Da der Ehemann der Klägerin das Erziehungsgeld für die gemeinsame Tochter bezog, bedeutete dies, dass er kein Arbeitslosengeld bzw. keine Arbeitslosenhilfe mehr erhielt. Nach den dem Landratsamt S. lediglich vorliegenden Unterlagen hätte die Familie der Klägerin dann allein von dem den Ehemann der Klägerin bewilligten Erziehungsgeld und dem Kindergeld den Lebensunterhalt bestreiten müssen. Auch insoweit hätte sich für die Wohngeldstelle eine Nachfrage bei der Klägerin aufdrängen müssen, ob sie nach dem Ende der Mutterschutzfrist wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgeht. Stattdessen ging die zuständige Sachbearbeiterin des Landratsamtes - wie von ihr nochmals in der mündlichen Verhandlung eingeräumt wurde - versehentlich davon aus, dass die Klägerin selbst das Bundeserziehungsgeld für ihre Tochter bezog und legte bei der Einkommensermittlung - wie aus der Anlage zum Bescheid über Wohngeld vom 16.2.1996 ersichtlich - unzutreffend für die Klägerin („2. Familienmitglied“) den Bezug von Bundeserziehungsgeld und für den Ehemann der Klägerin („1. Familienmitglied“) den Bezug von Arbeitslosenhilfe zu Grunde. Auf Grund dieser unzutreffenden Einkommensermittlung und der unterlassenen Aufklärung, ob die Klägerin nach dem Ablauf der Mutterschutzfrist wieder ein Erwerbseinkommen erzielt, trifft die Behörde ein erhebliches Mitverschulden daran, dass der Klägerin mit Bescheid vom 16.2.1996 zu Unrecht Wohngeld bewilligt wurde.
28 
Ein solches Mitverschulden ist bei der Entscheidung über die Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligung von Wohngeld ab dem 1.1.1996 zu berücksichtigen. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, er habe ein eigenes Mitverschulden schon insoweit in Rechnung gestellt, als von einer Aufhebung der für die Monate November und Dezember 1995 bewilligenden Wohngeldbescheide abgesehen worden sei, ist dies unerheblich, da sich die Nichtberücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin nach dem Ablauf der Mutterschutzfrist wieder einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, in diesen beiden Monaten nicht ausgewirkt hat. Denn die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im Mutterschutz.
29 
Das behördliche Mitverschulden ist auch bei der Ausübung des Ermessens hinsichtlich der Entscheidung, ob ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X aufgehoben wird, zu berücksichtigen (ebenso: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.1.1990 - 16 A 2836/88 -; VG Sigmaringen, Urteil vom 30.10.2001 - 6 K 1794/00 -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 31.5.2001 - 2 K 2381/99 -, info also 2002, 75; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.1993 - 7 S 1923/92 -: eine nicht ganz auszuschließende Mitverursachung der beklagten Behörde ist ein Gesichtspunkt, der für eine Ermessensausübung zu Gunsten des Klägers sprechen kann; anderer Ansicht: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.8.1994 - 24 A 646/92 -). Es ist insbesondere nicht deswegen außer Acht zu lassen, weil der Klägerin kein Vertrauensschutz zugesprochen werden kann. Denn nach den obigen Ausführungen hat die Prüfung des Vertrauensschutzes als tatbestandliche Voraussetzung für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes zwar Vorrang vor den allgemeinen Ermessenserwägungen im Sinne des § 45 SGB X, weil § 45 Abs. 2 SGB X die hierfür erforderlichen Wertungen vorgibt. Liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1, 2 oder 3 SGB X vor, bedeutet dies, dass die Behörde Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht mehr zu Gunsten des Hilfeempfängers berücksichtigen braucht. Dies hat aber andererseits nicht zur Folge, dass andere, vom § 45 Abs. 2 SGB X nicht erfasste Gesichtspunkte nicht in die Ermessensausübung einzustellen sind. Kann sich der Begünstigte eines rechtswidrigen Verwaltungsakt auf Vertrauensschutz dann nicht berufen, wenn ihn Vorsatz oder (grobe) Fahrlässigkeit trifft, muss die Behörde jedenfalls bei der Ausübung des ihr eröffneten Ermessens hinsichtlich der Entscheidung über die Aufhebung des Bescheides ein eigenes Mitverschulden ebenfalls in Rechnung stellen. Ob und wie die Behörde ein solches Mitverschulden gewichtet, bleibt ihrer Ermessensentscheidung überlassen, die dann ihrerseits wieder im Rahmen des § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar ist.
30 
Weiterhin hätte bei der Ermessensentscheidung der Widerspruchsbehörde berücksichtigt werden müssen, dass das Landratsamt S. den Widerspruch der Klägerin vom 2.5.1997 gegen die Bescheide vom 17.4.1997, die mangels Ermessensausübung offensichtlich rechtswidrig waren, erst mit Schreiben vom 13.7.2006 und damit erst nach über neun Jahren dem Regierungspräsidium T. vorgelegt hat. Insofern hätte es näherer Darlegungen im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. bedurft, warum auch nach einem solchen Zeitablauf ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Wohngeldbescheides und die damit verbundene Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes das Interesse der Klägerin, die Leistungen behalten zu dürfen, überwiegt. Denn auf Grund der mit einem ordnungsgemäßen Behördenhandeln unvereinbar späten Vorlage des Widerspruchs an die zuständige Widerspruchsbehörde konnte sich der Klägerin der Eindruck aufdrängen, dass auch von Seiten des Landratsamtes ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer (bestandskräftigen) Rücknahme der rechtswidrigen Wohngeldbewilligung nicht (mehr) gesehen wurde.
31 
Die mit weiterem Bescheid vom 17.4.1997 (lfd. Nr. 2) verfügte Rückforderung in Höhe von 2.784 DM ist rechtswidrig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass - wie ausgeführt - die Rücknahme des Bescheides vom 16.2.1996 rechtswidrig ist. Damit kann das Erstattungsverlangen nicht auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützt werden.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sieht davon ab, das Urteil wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
33 
Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob ein behördliches Mitverschulden bei der der Behörde obliegenden Ermessensentscheidung nach § 45 SGB X zu berücksichtigen ist, zugelassen (§ 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Gründe

 
18 
Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide des Landratsamtes S. vom 17.4.1997, soweit diese den Bescheid des Landratsamtes S. vom 16.2.1996 aufheben und einen Betrag von 2.784 DM zurückfordern, und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 18.7.2006 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten  (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Dies gilt zunächst, soweit das Landratsamt S. die Aufhebung des Bescheides vom 16.2.1996 verfügt hat.
20 
Die im Bescheid des Landratsamtes S. vom 17.4.1997 (Lfd. Nr. 1) herangezogene Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 SGB X trägt die Aufhebung des bewilligenden Wohngeldbescheides nicht. Denn sie setzt voraus, dass sich die Verhältnisse nach Erlass des bewilligenden Bescheides wesentlich geändert haben (vgl. Wannagat, SGB X, § 48 RdNr. 21). Dies ist hier aber nicht der Fall, da die Klägerin bereits ab dem 1.1.1996 wieder berufstätig war und das seit diesem Zeitpunkt von der Klägerin bezogene Arbeitsentgelt im Bescheid vom 16.2.1996 nicht berücksichtigt wurde.
21 
Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides des Landratsamtes S. vom 16.2.1996 ist vielmehr, wovon auch das Regierungspräsidium T. im Widerspruchsbescheid vom 18.7.2006 ausgegangen ist, § 45 Abs. 1 SGB X. Danach darf ein bestandskräftiger, rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt ganz oder teilweise für die Zukunft oder für die Vergangenheit unter den einschränkenden Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 dieser Bestimmung zurückgenommen werden. Zwar sind die Voraussetzungen dieser Rücknahmevorschrift erfüllt, doch hat der Beklagte nicht fehlerfrei von der dann ihm eröffneten Ermessensermächtigung Gebrauch gemacht.
22 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X liegen vor. Das Wohngeld als rechtlich erheblicher Vorteil wurde der Klägerin rechtswidrig gewährt, weil - wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausführte - schon im Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. § 11 WoGG) im November 1995 bekannt war, dass sie nach dem Ende der Mutterschutzfrist ab dem 1.1.1996 wieder ihrer Beschäftigung nachgehen werde und ihr bei Berücksichtigung des aus dieser Beschäftigung erzielten Einkommens kein Wohngeld zugestanden hätte (vgl. die Berechnung im Bescheid des Landratsamtes S. vom 17.4.1997 (lfd. Nr. 1) auf Blatt 36 der Akte des Landratsamtes S., die zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht).
23 
Des Weiteren ist die Rücknahme nicht durch § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ausgeschlossen. Denn die Klägerin kann gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X keinen Vertrauensschutz geltend machen. Nach dieser Vorschrift kann sich der Begünstigte, der erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, nicht auf Vertrauen berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstige vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die Klägerin hat hier in wesentlicher Beziehung unrichtige oder jedenfalls unvollständige Angaben gemacht. Denn schon bei Antragstellung war ihr bekannt, dass sie nach Ablauf der Mutterschutzfrist wieder ihrer alter Beschäftigung nachgehen wird und hieraus ein Arbeitseinkommen bezieht. Auch auf Nachfrage des Landratsamtes im Schreiben vom 13.12.1995, mit der die Klägerin unter anderem aufgefordert wurde, bis zum 15.1.1996 Nachweise vorzulegen, wenn sie noch über andere Einkünfte verfügt, hat die Klägerin auf die Fortsetzung ihrer beruflichen Tätigkeit und die hieraus erzielten Einkünfte ab dem 1.1.1996 nicht hingewiesen und keine entsprechenden Arbeits- bzw. Verdienstbescheinigungen vorgelegt. Hierbei hat die Klägerin auch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem besonders schweren Maß verletzt. Denn jedenfalls nach der Anfrage des Landratsamtes vom 13.12.1995 lag es auf der Hand, dass Angaben zu der neuen Tätigkeit verlangt wurden und gemacht werden mussten. Ein solches Erfordernis ergab sich für die Klägerin im Übrigen offenkundig auch aus dem Vordruck in dem von ihr unterschriebenen Wohngeldantrag, in dem sie auf die gesetzliche Verpflichtung zur Mitteilung von wesentlichen Erhöhungen des Einkommens hingewiesen wurde.
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Allerdings ist die Entscheidung über die Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligung von Wohngeld ab dem 1.1.1996 nicht in pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens ergangen. Bei der Ermessenskontrolle prüft das Gericht nicht, ob die Behörde eine zweckmäßige Entscheidung getroffen hat, sondern nur, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO). Das war hier nicht der Fall.
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Der Bescheid des Landratsamtes S. vom 17.4.1997 lässt eine Ermessensausübung nicht erkennen. Im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 18.7.2006 ist lediglich ausgeführt, dass das bei pflichtgemäßer Ermessensausübung eine Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes geboten sei. Das öffentliche Interesse an einer Rücknahme des Wohngeldbescheides und die damit verbundene Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes überwiege das Interesse der Klägerin, die Leistungen behalten zu dürfen. Damit ist das Ermessen aber nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden.
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Der Beklagte kann sich insbesondere nicht darauf berufen, das Ermessen sei nach den Grundsätzen des intendierten Ermessens ordnungsgemäß ausgeübt worden (zur Anwendung dieses Grundsatz auf § 45 SGB X vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.2.1986 - 8 A 2001/84 -, ZFSH/SGB 1987, 155; VG Sigmaringen, Urteil vom 8.3.2001 - 6 K 2339/99 -). Denn nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 31.7.1990 - 6 S 2062/98 - und Urteil vom 11.10.1993 - 7 S 1923/92 -) steht die Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X selbst dann noch im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, wenn die gesetzlichen Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2/3 und Abs. 4 SGB X erfüllt sind bzw. wenn bei der zunächst im Rechtsbereich zu treffenden Abwägung von öffentlichem und privatem Interesse dem Begünstigten Vertrauensschutz zu versagen wäre. Die Ermessenserwägungen der Behörde müssen vielmehr in der Begründung des Aufhebungsbescheides zum Ausdruck kommen. Darlegungen zu den rechtlichen Voraussetzungen der Rücknahme reichen hierfür grundsätzlich ebenso wenig aus wie eine Bezugnahme nur auf das öffentliche Interesse an der Rücknahme ohne Würdigung der in die Ermessensausübung einzustellenden Interessen des Betroffenen. Hier bietet der Sachverhalt durchaus Gesichtspunkte, die in die Ermessensausübung zu Gunsten der Klägerin hätten eingestellt werden müssen.
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So fällt zunächst ins Auge, dass das Landratsamt S. ein erhebliches Mitverschulden bei der Bewilligung des zu Unrecht geleisteten Wohngeldes traf. Denn es ist der Frage, ob die Klägerin nach Ablauf der Mutterschutzfristen wieder arbeitet und damit ein wohngeldrelevantes Einkommen bezieht, nicht weiter nachgegangen. Die Behörde hätte aber auf Grund des Schreibens der Krankenkasse der Klägerin vom 14.11.1995 wissen müssen, dass die Mutterschutzfrist zum 31.12.1995 abläuft. Insoweit hätte sie nachfragen und eine ausdrückliche Erklärung von der Klägerin verlangen müssen, ob sie sich nach Beendigung des Mutterschutzes in einem anschließenden Erziehungsurlaub befinden oder wieder arbeiten wird. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Hinweis des Arbeitgebers der Klägerin in der Verdienstbescheinigung vom 13.9.1995, in der ausgeführt wird, dass die Frage, ob die Klägerin im Anschluss an den Mutterschutz Erziehungsurlaub beanspruchen wird, noch nicht geklärt sei. Die behördliche Klärung der Frage, ob die Klägerin nach Ablauf des Mutterschutzes wieder erwerbstätig ist, lag auch deswegen nahe, weil der Behörde der an den Ehemann der Klägerin adressierte Bescheid der LAKRA vom 14.12.1995 über die Bewilligung von Bundeserziehungsgeld für das erste Lebensjahr der Tochter der Klägerin vorlag. Das Erziehungsgeld wird nämlich nur dann gewährt, wenn keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 BErzGG), wobei der Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe einer vollen Erwerbstätigkeit gleichsteht (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 BErzGG). Da der Ehemann der Klägerin das Erziehungsgeld für die gemeinsame Tochter bezog, bedeutete dies, dass er kein Arbeitslosengeld bzw. keine Arbeitslosenhilfe mehr erhielt. Nach den dem Landratsamt S. lediglich vorliegenden Unterlagen hätte die Familie der Klägerin dann allein von dem den Ehemann der Klägerin bewilligten Erziehungsgeld und dem Kindergeld den Lebensunterhalt bestreiten müssen. Auch insoweit hätte sich für die Wohngeldstelle eine Nachfrage bei der Klägerin aufdrängen müssen, ob sie nach dem Ende der Mutterschutzfrist wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgeht. Stattdessen ging die zuständige Sachbearbeiterin des Landratsamtes - wie von ihr nochmals in der mündlichen Verhandlung eingeräumt wurde - versehentlich davon aus, dass die Klägerin selbst das Bundeserziehungsgeld für ihre Tochter bezog und legte bei der Einkommensermittlung - wie aus der Anlage zum Bescheid über Wohngeld vom 16.2.1996 ersichtlich - unzutreffend für die Klägerin („2. Familienmitglied“) den Bezug von Bundeserziehungsgeld und für den Ehemann der Klägerin („1. Familienmitglied“) den Bezug von Arbeitslosenhilfe zu Grunde. Auf Grund dieser unzutreffenden Einkommensermittlung und der unterlassenen Aufklärung, ob die Klägerin nach dem Ablauf der Mutterschutzfrist wieder ein Erwerbseinkommen erzielt, trifft die Behörde ein erhebliches Mitverschulden daran, dass der Klägerin mit Bescheid vom 16.2.1996 zu Unrecht Wohngeld bewilligt wurde.
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Ein solches Mitverschulden ist bei der Entscheidung über die Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligung von Wohngeld ab dem 1.1.1996 zu berücksichtigen. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, er habe ein eigenes Mitverschulden schon insoweit in Rechnung gestellt, als von einer Aufhebung der für die Monate November und Dezember 1995 bewilligenden Wohngeldbescheide abgesehen worden sei, ist dies unerheblich, da sich die Nichtberücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin nach dem Ablauf der Mutterschutzfrist wieder einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, in diesen beiden Monaten nicht ausgewirkt hat. Denn die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im Mutterschutz.
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Das behördliche Mitverschulden ist auch bei der Ausübung des Ermessens hinsichtlich der Entscheidung, ob ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X aufgehoben wird, zu berücksichtigen (ebenso: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.1.1990 - 16 A 2836/88 -; VG Sigmaringen, Urteil vom 30.10.2001 - 6 K 1794/00 -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 31.5.2001 - 2 K 2381/99 -, info also 2002, 75; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.1993 - 7 S 1923/92 -: eine nicht ganz auszuschließende Mitverursachung der beklagten Behörde ist ein Gesichtspunkt, der für eine Ermessensausübung zu Gunsten des Klägers sprechen kann; anderer Ansicht: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.8.1994 - 24 A 646/92 -). Es ist insbesondere nicht deswegen außer Acht zu lassen, weil der Klägerin kein Vertrauensschutz zugesprochen werden kann. Denn nach den obigen Ausführungen hat die Prüfung des Vertrauensschutzes als tatbestandliche Voraussetzung für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes zwar Vorrang vor den allgemeinen Ermessenserwägungen im Sinne des § 45 SGB X, weil § 45 Abs. 2 SGB X die hierfür erforderlichen Wertungen vorgibt. Liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1, 2 oder 3 SGB X vor, bedeutet dies, dass die Behörde Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht mehr zu Gunsten des Hilfeempfängers berücksichtigen braucht. Dies hat aber andererseits nicht zur Folge, dass andere, vom § 45 Abs. 2 SGB X nicht erfasste Gesichtspunkte nicht in die Ermessensausübung einzustellen sind. Kann sich der Begünstigte eines rechtswidrigen Verwaltungsakt auf Vertrauensschutz dann nicht berufen, wenn ihn Vorsatz oder (grobe) Fahrlässigkeit trifft, muss die Behörde jedenfalls bei der Ausübung des ihr eröffneten Ermessens hinsichtlich der Entscheidung über die Aufhebung des Bescheides ein eigenes Mitverschulden ebenfalls in Rechnung stellen. Ob und wie die Behörde ein solches Mitverschulden gewichtet, bleibt ihrer Ermessensentscheidung überlassen, die dann ihrerseits wieder im Rahmen des § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar ist.
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Weiterhin hätte bei der Ermessensentscheidung der Widerspruchsbehörde berücksichtigt werden müssen, dass das Landratsamt S. den Widerspruch der Klägerin vom 2.5.1997 gegen die Bescheide vom 17.4.1997, die mangels Ermessensausübung offensichtlich rechtswidrig waren, erst mit Schreiben vom 13.7.2006 und damit erst nach über neun Jahren dem Regierungspräsidium T. vorgelegt hat. Insofern hätte es näherer Darlegungen im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. bedurft, warum auch nach einem solchen Zeitablauf ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Wohngeldbescheides und die damit verbundene Rückforderung des zu Unrecht gewährten Wohngeldes das Interesse der Klägerin, die Leistungen behalten zu dürfen, überwiegt. Denn auf Grund der mit einem ordnungsgemäßen Behördenhandeln unvereinbar späten Vorlage des Widerspruchs an die zuständige Widerspruchsbehörde konnte sich der Klägerin der Eindruck aufdrängen, dass auch von Seiten des Landratsamtes ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer (bestandskräftigen) Rücknahme der rechtswidrigen Wohngeldbewilligung nicht (mehr) gesehen wurde.
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Die mit weiterem Bescheid vom 17.4.1997 (lfd. Nr. 2) verfügte Rückforderung in Höhe von 2.784 DM ist rechtswidrig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass - wie ausgeführt - die Rücknahme des Bescheides vom 16.2.1996 rechtswidrig ist. Damit kann das Erstattungsverlangen nicht auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützt werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sieht davon ab, das Urteil wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
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Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob ein behördliches Mitverschulden bei der der Behörde obliegenden Ermessensentscheidung nach § 45 SGB X zu berücksichtigen ist, zugelassen (§ 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

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